Chrysler „Eight“ im 2. Weltkrieg unterwegs in Österreich

Originalfotos von historischen Automobilen können den modernen Betrachter in zweifacher Hinsicht vor Herausforderungen stellen:

Das eine Mal fällt es schwer, Marke und Typ zu bestimmen. Speziell in den 1920er Jahren sahen sich viele Autos sehr ähnlich, die Hersteller-Embleme sind oft verdeckt oder unscharf abgebildet. Ein anderes Mal bleibt rätselhaft, was es genau mit dem jeweiligen Fahrzeug auf sich hat, obwohl die Identifikation als solche leicht fällt.

In die zweite Kategorie fällt der eindrucksvolle Wagen auf folgender Aufnahme:

Chrysler_Imperial_1931-32_Steyr_120_1935-36_Oberdonau

© Chrysler „Eight“, Bj. 1931; Originalaufnahme aus Sammlung Michael Schlenger

Solche mächtigen 6-Fenster-Limousinen gab es um 1930 zwar auch von deutschen Herstellern, doch der schräg gestellte, V-förmige Kühlergrill verweist auf ein amerikanisches Modell.

Das Stilelement taucht erstmals beim Cord L-29 auf, einem 1929 vorgestellten Frontantriebswagen, der von der unabhängigen Auburn Automobile Company in für amerikanische Verhältnisse überschaubarer Stückzahl gebaut wurde.

Chrysler kopierte die Frontpartie für sein Spitzenmodell Imperial, das Anfang der 1930er Jahre mit Wagen vom Kaliber eines Cadillac, Lincoln und Packard konkurrieren sollte. Um ein solches Fahrzeug handelt es sich bei dem Auto auf unserem Foto.

Der Chrysler Imperial war mit einem 8-Zylinder-Motor mit 6,3 Liter Hubraum ausgestattet, der 125 PS leistete. Am deutschen Markt erreichten Anfang der 1930er Jahre nur die 8- und 12-Zylindermodelle von Horch annähernd eine solche Leistung.

Schauen wir uns den Chrysler näher an:

Chrysler_Imperial_1931_Steyr_120_1935-36_Frontansicht.jpg

Die Scheinwerferüberzüge, auf denen man den Schriftzug „Bosch“ ahnen kann, weisen auf eine Entstehung der Aufnahme während des 2. Weltkriegs hin. Damals war auch bei privaten Kfz eine Tarnbeleuchtung vorgeschrieben, um gegnerischen Aufklärern und Bombern die Identifikation von Städten bei Nacht zu erschweren.

Dass der Chrysler nicht von der deutschen Wehrmacht eingezogen worden war, lässt das zivile Nummernschild erkennen, das einen V-förmigen Haken oberhalb des Bindestrichs aufweist. Dieses Erkennungsmerkmal erhielten Privatfahrzeuge, die von ihren Besitzern weiterbenutzt werden durften, weil sie wichtige Funktionen hatten.

Das Kürzel „Od“ auf dem Kennzeichen wurde nach der Einbeziehung Österreichs in das Deutsche Reich für Fahrzeuge vergeben, die im Gau „Oberdonau“ (vormals Oberösterreich) registriert waren. Die nach 1938 vergebenen Kennzeichen trugen schwarze Buchstaben auf weißem Grund, zuvor war es umgekehrt.

Auffallend ist, dass die Doppelstoßstange verkehrtherum montiert ist. Auf zeitgenössischen Bildern dieses Chrysler-Modells ist das waagerecht verlaufende Element unterhalb des geschwungenen angebracht, nicht andersherum. Weshalb sollte jemand dies veranlasst haben?

Mysteriös ist außerdem ein Detail auf folgendem Bildausschnitt:

Chrysler_Imperial_1931_Steyr_120_1935-36_Passagierkabine

Die durchgehende Frontscheibe findet sich nur auf wenigen zeitgenössischen Fotos des Chrysler „Eight“. Die Serienvariante hatte eine zweiteilige und ab 1932 V-fömig zulaufende Windschutzscheibe. Für die abweichende Frontscheibe gibt es zwei mögliche Erklärungen:

Entweder es handelt sich um eine Sonderkarosserie, wie sie von „Le Baron“ und anderen US-Herstellern gefertigt wurde – dort wurden häufig durchgehende Windschutzscheiben verbaut. Oder – was wahrscheinlicher ist – der Chrysler wurde nur als „rolling chassis“ nach Deutschland exportiert und der Aufbau entstand hierzulande. Für die letztgenannte Möglichkeit spricht auch die verkehrt herum montierte Stoßstange.

Es bleibt die Frage, welchem Zweck dieser amerikanische Luxuswagen im Krieg diente. Die private Zulassung ist möglicherweise irreführend. Denn die Apparatur auf dem Dach des Chrysler scheint ein Lautsprecher zu sein, wie er für offizielle Durchsagen verwendet wurde; möglicherweise wurde der Wagen für Propagandazwecke eingesetzt.

Leider lässt sich der Aufnahmezeitpunkt nicht näher eingrenzen. Die Uniform des Mannes neben dem Chrysler ist vermutlich die eines Panzersoldaten auf Heimaturlaub. Die typische kurzgeschnittene Jacke und die Feldmütze wurden den ganzen Krieg über getragen.

Chrysler_Imperial_1931_Steyr_120_1935-36_Soldat

Der Wagen im Hintergrund ist übrigens ein Steyr 120, der 1935/36 im gleichnamigen Ort gebaut wurde. Steyr liegt ebenfalls in Oberösterreich.

Als Aufnahmeort käme mit Blick auf die großstädtisch wirkende Architektur im Hintergrund die Hauptstadt des Gaus Oberdonau  – Linz – in Frage. Dort hatte der Chrysler deutlich bessere Überlebenschancen als an der Front, wo achtzylindrige Autos als Stabswagen begehrt waren.

Vermutlich war der Chrysler bei Kriegsausbruch bereits zu alt oder erschien zu exotisch – obwohl andere Bilder jener Zeit noch ganz andere Raritäten im Einsatz bei der Wehrmacht zeigen (Beispiel Jaguar). Vielleicht kann ein Leser mehr zu dieser Aufnahme sagen.

Übrigens: Die oben erwähnte österreichische Traditionsmarke Steyr wird in diesem Blog künftig ebenfalls anhand von Vorkriegsfotos ausführlich gewürdigt. Dasselbe gilt für den Luxushersteller Austro-Daimler.

2 Gedanken zu „Chrysler „Eight“ im 2. Weltkrieg unterwegs in Österreich

  1. Lieber Oldtimerkollege, lese Deine Internetseite mit Interesse und bin gerne bei der Lösung des angesprochenen Rätsels bezüglich Kennzeichen des Chrysler Imperial behilflich: Österreich hatte von 1930 bis zumAnschluss 1938 Kennzeichen mit weißer Schrift auf schwarzem Grund, danach aber bis 1945 eben solche wie an dem Chrysler zu sehen. Bis 1938 war die Kennung für Oberösterreich ‚C‘, danach bis 1945 ‚Od‘ für Oberdonau.
    Mit freundlichen Grüßen R.S.

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