Rarität an der Ostfront: Adler „Diplomat“ Tourer

Der Begriff des Tourenwagens hat einen kuriosen Bedeutungswandel erfahren. Heute bezeichnet er Rennwagen von Großserienherstellern, bei denen sich unter einer optisch seriennahen Kunststoffkarosserie Hochleistungstechnik verbirgt. Sie dienen der Beförderung eines sportlichen Markenimage und haben mit Serienautos wenig gemein.

Ursprünglich bedeutete „Tourenwagen“ bloß eine spezielle offene Variante eines Serientyps. Gemeint waren vier- bis sechssitzige Wagen ohne festes Dach, die im Unterschied zum Cabriolet nur ein leichtes Verdeck und allenfalls Steckscheiben besaßen.

Die Tourenwagenausführung war bis in die späten 1920er Jahre beliebt, weil sie in der Regel die preisgünstigste und leichteste war. In diesem Blog finden sich unter dem Stichwort „Tourenwagen“ entsprechend viele Originalfotos aus jener Zeit.

In den 1930er Jahren kamen Tourenwagen allmählich aus der Mode. Bevorzugt wurden Fahrzeuge mit festem Aufbau oder Cabriolets, die geschlossen im Idealfall ganzjahrestauglich waren.

Wer dennoch einen Tourenwagen wollte, konnte sich nach wie vor einen anfertigen lassen. Dafür gab es Karosseriebaufirmen, die auf einem „rolling chassis“ – also Rahmen mit Fahrwerk, Motor,  Kühlermaske usw. – einen Aufbau nach Wunsch fertigten.

Eine solche Spezialanfertigung zeigt wahrscheinlich das folgende Originalfoto:

Adler_Diplomat_Tourenwagen_Ostfront

© Adler Diplomat Tourenwagen,  1940er Jahre; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Tourenwagentypisch ist das leichte, ungefütterte Verdeck, das sich im Unterschied zum Cabriolet am Heck vollständig flachlegen ließ. Auch der von den Cabrios jener Zeit vertraute seitliche Verdeckbügel fehlt.

Recht gut zu erkennen sind die seitlichen Steckscheiben, die nur mäßigen Wetterschutz boten und keinen so klaren Durchblick wie gläserne Fensterscheiben ermöglichten. Typisch ist auch die niedrige, meist senkrecht stehende Frontscheibe.

So weit, so unspektakulär. Doch schauen wir uns den Wagen einmal näher an:

Adler_Diplomat_Tourenwagen

Der Kühler ist weitgehend von einer Kühlermaske verdeckt, was auf Betrieb in der kalten Jahreszeit hindeutet. Dennoch erkennt man in den freigebliebenen Kühlerpartien die Schwingen eines Adlers, des Markenzeichens der gleichnamigen Frankfurter Marke.

Der gewölbte Kühler findet sich zwar auch beim Adler Trumpf (1936-38) und beim Adler 2 Liter (1938-40), doch verfügten diese nicht über die geschwungene Vorderstoßstange, die es bei deutschen Herstellern sonst nur bei diversen Ford-Modellen gab.

Tatsächlich wies bei Adler nur das Oberklassemodell „Diplomat“ – der 1934 vorgestellte Nachfolger des Typs Standard 6 – alle genannten Besonderheiten auf. Allerdings wurde der Diplomat vom Werk nicht mehr als Tourenwagen angeboten.

Demnach haben wir es mit einem Sonderaufbau eines unabhängigen Karosseriebauers zu tun. Zum Glück erwähnt das Standardwerk „Adler Automobile – 1900-1945“ von Werner Oswald einen Tourenwagen auf Basis des Diplomat. Dieser wurde von der Stellmacherfirma Kathe & Sohn in Halle gefertigt, die von 1833 bis 1948 existierte.

Offenbar zeigt unser Foto eine solche Rarität. Wo das Bild entstanden ist, lässt sich nicht genau sagen. Doch Holzhausarchitektur und aufgeweichter Boden weisen auf Russland oder ein anderes vom deutschen Ostfeldzug ab 1941 betroffenes osteuropäisches Land hin.

Adler_Diplomat_Tourenwagen_Offiziere

Die beiden Soldaten neben dem Adler sind Offiziere bzw. Unteroffiziere einer Wehrmachtseinheit, wie an den Schirmmützen und Schaftstiefeln nebst Reithosen zu erkennen ist. Die Männer sind unbewaffnet  – sie würden ihrem Rang gemäß eine Pistole am (hier nicht vorhandenen) Koppel tragen, weshalb diese Aufnahme fern der Front aufgenommen worden sein dürfte.

Zu einer Situation im einigermaßen sicheren Hinterland passt das taktische Zeichen auf dem in Fahrtrichtung linken Schutzblech des Adlers. Denn das Rechteck mit zwei Diagonalen steht für eine Nachschubeinheit (Verpflegung oder Gepäck), die hinter der kämpfenden Truppe agierte.

Wie Eberhard Georgens aus Berlin mittteilt, gehörte das Fahrzeug ausweislich der Kennungen zum Stab des Divisionsnachschubführers 58 der 7. Panzerdivision (siehe aufgemaltes Symbol „Y“). Die 7. Panzerdivision hatte 1940 unter General Rommel maßgeblich zum Erfolg des Frankreichfeldzugs beigetragen. Ihr unerwartet schnelles Vorrücken trug ihr beim Gegner den Namen „Gespensterdivision“ ein.

Von Sommer 1941 bis April 1942 war die Einheit am Russlandfeldzug beteiligt. Demnach muss unser Foto im Winter 1941/42 entstanden sein. Ab 1943 wurde die 7. Panzerdivision zwar erneut in Russland eingesetzt, trug dann aber eine abweichende Kennung.

Bislang nicht interpretierbar ist das sternförmige Kennzeichen auf dem rechten Kotflügel. Es dürfte sich um eigenes Symbol der Untereinheit handeln.

Da der Adler an der Ostfront eingesetzt wurde, waren seine Überlebenschancen grundsätzlich gering. Die für den Einsatz auf kaum befestigten Straßen und bei extremen Minustemperaturen völlig ungeeigneten Fahrzeuge unterlagen einem hohen Verschleiß und mussten bei fehlenden Ersatzteilen oft zurückgelassen werden.

2 Gedanken zu „Rarität an der Ostfront: Adler „Diplomat“ Tourer

  1. Besten Dank für diese interessanten und wertvollen Ergänzungen, Herr Minnich!

  2. Diese Tourer entstanden in Halle auf der Basis des Diplomat Fahrgestells. Diese wurden nach der Einstellung des PKW-Baus weiter für Krankenwagen und Militärwagen produziert. Meines Wissens haben 4 Fahrzeuge überlebt. Ein Wagen wurde in den 90igern von der Firma De Beer restauriert, ein Wagen ist Dienstfahrzeug der Stadt Weiden Opf., ein Wagen steht in Rothenburg a.d.Fulda und einer bei mir. Die Wagen waren ursprünglich für Privatkunden gedacht, wurden aber vor der Auslieferung von der Wehrmacht beansprucht. In der Form ist die Karosse gefälliger als die kantige Variante für das Militär. Die vorderen Seitenfenster wurden sowohl als Steckscheibe, aber auch als Kurbelfenster realisiert. Nach dem Krieg wurden diese Wagen gern zum Pritschenwagen umgebaut, so geschehen bei zwei der bekannten Wagen.

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