Fund des Monats: Stoewer F6 Limousine von 1927/28

Kaum ein Klassiker-Blog hierzulande widmet sich markenübergreifend schwerpunktmäßig der Vorkriegszeit – rühmliche Ausnahme ist Michis Oldtimer-Blog mit seinem Fokus auf Sportwagen der 1920/30er Jahre.

Im englischsprachigen Netz wird in Sachen Vorkriegsautos zwar mehr geboten: Vor allem die englische Website „Prewarcar„ist hier zu nennen. Auch bei „The Old Motor„und“Hemmings“ wird einiges für Veteranenfreunde getan.

Doch Fahrzeuge aus dem deutschen Sprachraum werden dort nur selten besprochen. So besetzt dieser Blog mit seinem Fokus auf Marken aus dem einstigen Deutschen Reich und Österreich-Ungarn durchaus eine Nische.

Der Anspruch ist der, auch Kleinserienhersteller im Lauf der Zeit anhand von Originalfotos umfassend zu dokumentieren. Beispielsweise besteht von den einst so populären DKWs bereits ein fast vollständiges Bildarchiv aller bis 1945 gebauten Typen.

Bei Exotenmarken wie Stoewer aus Pommern sieht das noch anders aus, doch auch hier macht das Projekt ständig Fortschritte. Dabei muss man den Zufall walten lassen, denn gezielt nach historischen Fotos von Stoewer-Wagen zu fahnden, ist zwecklos.

Dieser Tage nahm der Verfasser ein Bild in die Hand, das er einst in der Annahme erworben hat, es könnte darauf ein Fiat oder Peugeot der frühen 1920er Jahre zu sehen sein. Tatsächlich gab es Typen der beiden Marken, die eine ähnliche Frontpartie hatten:

Stoewer_F6_Limousine_Galerie

© Stoewer F6 Sechsfenster-Limousine, späte 1920er Jahre; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Gerade die Autos der 1920er Jahre unterscheiden sich in der Seitenansicht oft nur wenig und je nach Aufnahmesituation ist der meist markantere Kühler entweder verdeckt oder nur unscharf wiedergegeben.

Im vorliegenden Fall haben wir Glück. Nach umfangreichen Retuschen und Nachschärfen des Originals lieferte eine Ausschnittsvergrößerung der Kühlerpartie die Antwort auf die Frage, um was für einen Wagen es sich handelt.

Das Ergebnis fiel überraschend aus, denn wir haben es mit einer echten Rarität zu tun:

Stoewer_F6_Limousine_Frontpartie

Auf der ovalen Kühlerplakette ist in einer schwarz unterlegten rechteckigen Kartusche ein Markenname zu erahnen, der aus fünf bis sechs Buchstaben besteht und mit einem S zu beginnen scheint. Simson oder Steiger kann man schon aus stilistischen Gründen getrost ausschließen, der Schriftzug von Selve sieht anders aus.

Erst der Vergleich mit dem von 1910 bis 1927 verwendeten Kühleremblem von Stoewer liefert eine vollständige Übereinstimmung, auch die Anordnung der Schrauben ober- und unterhalb der Kartusche „passt“.

Dass dieser Wagen nicht den pommerschen Greif als Kühlerfigur trägt, hat einen einfachen Grund: erst ab 1928 wurden Stoewer-Autos damit ausgeliefert. Eher irritiert die wenig einfallsreiche Formgebung des Wagens – ein Stoewer hatte fast immer einen eigenen Stil und war etwas für Leute, die in automobiler Hinsicht keinen Standard wollten.

Das fast beliebig anmutende Aussehen des Wagens vereinfacht die Identifikation des Typs. So schlicht kam in der Stoewer-Geschichte nur der F6 daher, den die Firma von 1927-28 aus Vernunftgründen baute. Man hatte wieder einmal Ertragsprobleme und hoffte, mit einem erschwinglichen Wagen mehr Umsatz machen zu können.

Die Rechnung ging nicht auf, es fehlte wohl am Durchhaltewillen. Nach nur 800 Exemplaren beendete man die Produktion des an sich vielversprechenden 4-Zylinder-Wagens, dessen 1,6 Liter-Motor damals zeitgemäße 30 PS leistete.

Stattdessen konzentrierte man sich im Umfeld der nahenden Weltwirtschaftskrise auf den Bau neuer 8-Zylindermodelle. Dass Stoewer nicht früher an den eigenen Ambitionen unterging, sondern im Unterschied zu vielen Kleinserienherstellern bis 1945 durchhielt, grenzt an ein Wunder.

Wer fuhr damals solche Autos? Sicherlich gutsituierte Leute, die sich bewusst für eine Nischenmarke entschieden. Ein Stoewer war nie eine billige Angelegenheit und es gehörte Mut dazu, sich dem dünnen Werkstattnetz im Deutschen Reich anzuvertrauen.

Für die Herrschaften auf unserem Foto war das wohl ein geringeres Problem, denn wenn nicht alles täuscht, beginnt das Nummernschild mit „IH“, was für die Provinz Pommern stand, wo Stoewer zuhause war.

Stoewer_F6_Limousine_Besitzer

Die Kleidung der beiden Damen verweist auf die späten 1920er Jahre, als recht kurze, sackartige Kleider in Mode waren, die nicht in der Taille, sondern im Beckenbereich gegürtet waren. Diese boshaft anmutende Idee – ein früher Versuch, von der „traditionellen Silhouette“ wegzukommen – verschwand zum Glück um 1930 wieder.

Damit lässt sich das Foto in die Produktionszeit des Stoewer F6 datieren, also 1927/28. Übrigens ist das Kennzeichen des Wagens ein Wechselnummernschild des Stoewer-Werks, das auch für andere Fahrzeuge verwendet wurde.

Dass das zum Aufnahmezeitpunkt vermutlich neue Auto noch existiert, können wir ausschließen. Spätestens nach der auf Anordnung der Siegermächte 1945 erfolgten Abtretung Pommerns an Polen und der Vertreibung der deutschen Bevölkerung konnte in seiner einstigen Heimat niemand mehr etwas mit so einem seltenen und damals schon alten Wagen anfangen.

Heute gehören Stoewer-Wagen zu den ganz großen Raritäten aus der an Sonderwegen reichen deutschen Vorkriegsgeschichte. Nur wenig mehr als 40.000 Autos baute die einst angesehene Marke während ihres Bestehens. Die genaue Zahl ist ungewiss.

Besonderer Dank gilt Manfried Bauer vom Stoewer-Museum, ohne dessen Sachkunde und Hilfsbereitschaft dieser Artikel nicht hätte entstehen können.

Ein Gedanke zu „Fund des Monats: Stoewer F6 Limousine von 1927/28

  1. Hallo Michael, danke für Deinen Hinweis, ich gehe auch immer nochmals über die Artikel und finde stets noch etwas zu verbessern.
    Ja, der Herr in der Mitte hat sein Weste geöffnet und so sieht man den Hosenbund. Gürtel wurde damals nicht getragen, sondern Hosenträger. Schick sieht das in der Tat nicht aus, aber gerade die menschlichen Seiten machen einen Gutteil der alten Fotos aus.
    Übrigens hat mir das Stoewer-Museum die Typzuschreibung bereits bestätigt, es ist ein F6 (nur 800mal gebaut). In der Literatur gibt es kaum Fotos dazu, das unterstreicht den Wert dieser alten Aufnahmen.

    Viele Grüße
    Michael

Kommentar verfassen