Die Beschäftigung mit Vorkriegsautos auf historischen Fotografien hat viele reizvolle Seiten. Dazu gehört, dass man die Fahrzeuge aus der Perspektive ihrer einstigen Nutzer im Alltagseinsatz sieht.
Während die überlebenden Fahrzeuge heute hingebungsvoll gepflegt und meist nur schonend eingesetzt werden, sah das einst ganz anders aus. Von wenigen Luxusmobilen abgesehen waren Autos in erster Linie Fortbewegungsmittel, die bei jedem Wetter zu funktionieren hatten.
Und so kommt es, dass man auf folgender Originalaufnahme gleich mehrere Gefährte bei Regenwetter entdeckt, die heute nur bei Sonnenschein gefahren würden:
© Straßenszene in München um 1936; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger
Ins Auge fällt als Erstes die markante Frontpartie eines DKW – von Ahnungslosen gern auch als Auto-Union oder noch besser als Audi oder Horch angesprochen.
So bescheiden die Motorisierung der frontgetriebenen Zweitakter aus Sachsen auch anmutet, waren diese Autos doch immer kleine Schmuckstücke. Dieser Blog deckt übrigens die gesamte Palette an Vorkriegs-DKW ab, darunter auch die weniger populären Hecktriebler (Bildergalerie).
Der Zufall will es, dass unser Foto sogar eine der schönsten Ausführungen der DKW-Frontantriebswagen zeigt. Darauf kommt man aber nur bei näherem Hinsehen:
Die Form der Vorderschutzbleche und der Kühlermaske deuten auf einen DKW F4 oder 5 hin (Bauzeit: 1934-38). Der kantige Verlauf des oberen Frontscheibenrahmens verrät aber, dass dies ein Cabriolet des Typs F5 sein muss. Den F4 gab es nur als Cabrio-Limousine, die oberhalb der Scheibe einen stabilen Querholm aufwies.
Wer genau hinsieht, erkennt am hinteren Ende des Verdecks die cabriotypische Sturmstange. Wir können daher sicher sein, dass dieses Fahrzeug eines der begehrten DKW F5 Front Luxus-Cabriolets war, die bei Horch in Zwickau eine herrliche Ganzstahlkarosserie erhielten. Nicht zufällig wurde diese Variante im Volksmund als “Der kleine Horch” bezeichnet.
Der Wagen hinter dem DKW ist eine Cabrio-Limousine von Opel, wahrscheinlich ein 2-Liter-Typ mit 6 Zylindern, wie er ab 1934 gebaut wurde.
Liebhaber des Offenfahrens werden außerdem den Tourenwagen im Hintergrund rechts bemerken. Dieser Viertürer dürfte entweder ebenfalls ein Opel oder ein amerikanischer Wagen der 1920er sein. Die seitlichen Steckscheiben sind nicht montiert, was bei Regenwetter ein hübsches Frischlufterlebnis garantiert.
Den besten Kontakt mit der Luftfeuchtigkeit ermöglichte allerdings das Motorrad im Vordergrund. Wer aufgepasst hat, wird die Fahrerbrille in der Hand des jungen Manns links im Bild registriert haben.
Er wird also nicht in den schönen DKW einsteigen und auch nicht in den zweiten 6-Zylinder-Opel auf der gegenüberliegenden anderen Seite des Platzes, sondern muss sich mit dem Zweirad begnügen:
Doch schon der Besitz eines Motorrads war in der Vorkriegszeit etwas Besonderes. Die meisten “Volksgenossen” hierzulande mussten sich mit Fahrrad oder (Straßen-)Bahn begnügen, wenn sie nicht ohnehin zu Fuß unterwegs waren.
Wenn nicht alles täuscht, handelt es sich bei dem Zweirad auf dem Foto um eine Zündapp des Typs K200 mit Kastenrahmen – im Unterschied zu den großen Zündapps heute ein immer noch recht günstiges Motorrad mit sehr markanter Optik.
Zum Schluss noch kurz zum Aufnahmeort: Das Bild entstand einst auf dem Rathausplatz in München, wobei man sich den eindrucksvollen Rathausbau linker Hand vorstellen muss. Trotz der weiträumigen Zerstörungen durch alliierte Bombenangriffe hat der Platz nur wenig von seinem ursprünglichen Reiz eingebüßt.
München war nach 1945 die einzige deutsche Großstadt, die ihr über Jahrhunderte gewachsenes Stadtbild weitgehend wiederhergestellt hat. Die Münchener sind dafür von “fortschrittlichen” Architekten, die ihr Handwerk meist unter dem NS-Regime gelernt haben, einst als rückständig verspottet worden.
Heute ist München die deutsche Großstadt mit dem intaktesten historischen Zentrum und einer beinahe südlich anmutenden Lebensqualität – nur die Autos sind dort leider ebenso langweilig wie überall…