Steyr Typ XII (1926-1929): Stilvoll in die Absatzkrise

Treue Leser dieses Oldtimerblogs wissen es zu schätzen, dass hier immer wieder Vorkriegsautos vorgestellt werden, die es in der auf Prestigemarken bzw. populäre Modelle festgelegten Presse schwer haben.

Klar, man muss in einem deutschsprachigen Altautomagazin nicht jedem französischen Nischenhersteller nachgehen, obwohl das eine Garantie für nie versiegenden Nachschub wäre.

Aber warum es selbst die großartigen Wagen der österreichischen Spitzenmarken Austro-Daimler, Gräf & Stift und Steyr selten in die hiesigen Oldtimer-Gazetten schaffen, ist unverständlich.

Solche sträflichen Lücken beim Nachzeichnen der einstigen automobiler Vielfalt auf unseren Straßen zu schließen, das ist eine der Motivationen dieses Projekts.

Und so befassen wir uns heute mit einem Bilderbuchklassiker aus der Alpenrepublik, der um 1930 auf folgender Aufnahme verewigt wurde:

Steyr_Typ_XX_1929_und_Stoewer 8_Typ G14_Galerie

Steyr Typ XII und Stoewer G14; Originalaufnahme aus Sammlung Michael Schlenger

Regelmäßigen Besuchern dieses Blogs wird der rechte Wagen bekannt vorkommen. Es ist einer der äußerst raren Stoewer-Achtzylinder des Typs G14 (Bildbericht).

Aus dieser Perspektive wirkt das mächtige Fahrzeug auf einmal gedrungen und nicht sonderlich attraktiv – keine Glanzleistung der sonst so stilsicheren Stettiner Marke. Der Wagen davor stiehlt ihm ganz klar die Schau.

Das ist aber nun auch ein Automobil, das formal wie technisch einen völlig anderen Charakter aufweist:

Steyr_Typ_XX_1929_Galerie

Neben dem spröde wirkenden Stoewer kommt diese Limousine trotz ihrer beeindruckenden Größe leicht und elegant daher.

Überhaupt fällt auf, dass die österreichischen Wagen der Vorkriegszeit die Erdenschwere deutscher Autos meiden, leichtfüßiger und freundlicher wirken.

Man könnte jetzt abdriften und über ähnliche Unterschiede zwischen deutscher und österreichischer Küche oder auch Beethoven und Mozart sinnieren…

Doch bleiben wir beim Thema und schauen wir uns den Wagen näher an:

Steyr_Typ_XX_1929_Frontpartie

Die zwei übereinanderliegenden Reihen Luftschlitze in der Haube und die Scheibenräder mit sechs Radbolzen und großer Chromkappe verweisen auf den 1926 vorgestellten Typ XII der österreichischen Manufaktur Steyr.

Die geriffelte Stoßstange dürfte nachgerüstet sein. Gegenüber dem Stoewer fällt der harmonische Schwung der Vorderschutzbleche auf.

Die glattflächigen Räder tragen ebenfalls zum eleganten Erscheinungsbild dieses Wagens bei. Steyr bot damit eines der attraktivsten Modelle der oberen Mittelklasse im deutschsprachigen Raum an.

Formal hätte dieser Wagen auch einem großen 8-Zylinder Ehre gemacht, doch beschränkte man sich anfänglich auf ein 1,6-Liter-Aggregat mit 6-Zylindern. Immerhin bot man mit obenliegender Nockenwelle und hängender Ventilen eine hochmoderne Konstruktion zur optimalen Steuerung des Gaswechsels.

Die Motorleistung von 30 PS mutet bescheiden an – wenn man amerikanische Autos jener Zeit als Maßstab nimmt. Doch wandte sich dieser Wagen nicht an eine Kundschaft, die sportlich unterwegs sein wollte.

Gepflegtes Reisen in einem großzügigen und repräsentativen Automobil, das war in Europa Ende der 1920er Jahre noch dermaßen exklusiv, dass man die moderate Leistung verkraften konnte.

Auf den damaligen Landstraßen war ein Tempo von über 80 km/h ohnehin halsbrecherisch – und seien wir ehrlich: heute sind die meisten Leute abseits der Autobahn auch nicht schneller unterwegs.

Die stolzen Besitzer des Steyr Typ XII auf unserem Foto machen auch nicht den Eindruck, dass sie wie Bonny & Clyde auf einen besonders potenten Wagen Wert legten, um nach erfolgreichem Bankraub das Weite zu suchen:

Steyr_Typ_XX_1929_Seitenpartie

Das scheinen gutsituierte, solide Leute gewesen sein, die keinen extravaganten Wagen brauchten, um die Nachbarn zu beeindrucken.

Man darf vermuten, dass die beiden auf sympathische Weise konservativ waren. Denn sie entschieden sich für eine Ende der 1920er Jahre eigentlich schon überholte Karosserieform – das „Faux Cabriolet“.

Der französische Begriff beschreibt einen Limousinen- oder Coupé-Aufbau, der mittels eines Kunstlederdachs mit fester Sturmstange den Eindruck eines Cabriolets erweckt – übersetzt bedeutet er also „vorgetäuschtes Cabriolet“.

Auf unserem Foto ist dieser traditionelle Aufbau sehr stimmig mittels einer „Weymann“-Karosserie realisiert worden, einer leichten Konstruktion aus Holzelementen, die statt eines Blechkleids einen Kunstlederbezug trug.

Man erkennt Weymann-Karosserien am Kontrast aus glänzend lackierten Blechteilen (Motorhaube und Kotflügel) und matt eingefärbten übrigen Partien.

In der einschlägigen Literatur (Hubert Schier; Die Steyrer Automobil-Geschichte, 2015) findet sich auf Seite 97 ein Steyr Typ XII mit präzise der hier abgebildeten Weymann-Karosserie.

Sollte genau ein solcher Wagen noch existieren, wäre das eine Rarität. Vom Steyr Typ XII sind insgesamt nur rund 11.000 Exemplare gefertigt worden.

1929 stellte Steyr einen optisch sehr ähnlichen Nachfolger vor, den Typ XX. Danke an dieser Stelle an Leser Thomas Billicsich für den Hinweis, dass die beiden Modelle am Kühler zu unterscheiden sind (XII: offenes Netz, XX: senkrechte Lamellen davor).

Der Steyr Typ XX basierte technisch auf dem Typ XII, verfügte aber über einen etwas stärkeren Motor (40 PS aus 2 Litern). Aufgrund des Nachfrageeinbruchs infolge der Weltwirtschaftskrise konnte ein Großteil der Produktion dieses weiterentwickelten Steyr nicht mehr verkauft werden.

Steyr musste damals die Autofertigung aussetzen, bekam aber im Gegensatz zu vielen damals untergegangenen Herstellern noch die Kurve. Von dem wirtschaftlich wie politisch kritischen Umfeld jener Zeit ist auf unserem Foto nichts zu ahnen.

Was aus den beiden Autos und ihren Besitzern in den anschließenden 10-15 Jahren wurde, wissen wir nicht. Diese Momentaufnahme erinnert uns jedenfalls daran, wie rasch eine vermeintlich heile Welt untergehen kann…

© Michael Schlenger, 2017. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and http://www.klassiker-runde-wetterau.com with appropriate and specific direction to the original content.

2 Gedanken zu „Steyr Typ XII (1926-1929): Stilvoll in die Absatzkrise

  1. Besten Dank, Herr Billicsich! Schön zu wissen, dass man so sachkundige Leser hat. Habe den Beitrag entsprechend angepasst – hoffe zu Ihrer Zufriedenheit!

  2. Werter Herr Schlenker, mit Vergnügen lese ich ihre Seite und genieße die Bilder.
    Bei diesem Steyr würde ich eher zu einem Typ XII tendieren. Beide Fahrzeuge sind sehr ähnlich von der Seite kaum zu unterscheiden. Vom XII wurden ca 12000 Stück gebaut. Der auffälligste Unterschied zwischen den Fahrzeugen ist der Kühler. Der Steyr XX hat verchromte Kühlerlamellen die das Kühlernetz verdecken während beim XII das Kühlernetz wie auf dem Bild zu sehen ist. Auch wurde der XII ohne Stoßstange ausgeliefert aber die Zubehörindustrie bot schon damals vieles zur Verschönerung des populären Steyr an. Die Scheinwerfer sind auch unterschiedlich.
    Der XX trug meist französische Marchal Scheinwerfer.

    Mit freundlichen Grüßen
    Thomas Billicsich

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