Ein Franzose aus Rüsselsheim: Opel Darracq 16/18 PS

Franzosen in Rüsselsheim – das ist keineswegs ungewöhnlich in der Geschichte der zwischen Mainz und Frankfurt am Main gelegenen Stadt.

Für bleibende Eindrücke im Stadtbild sorgten die französischen Besatzungstruppen, die während eines weite Teile Südwestdeutschlands verheerenden Feldzugs im Jahr 1688 die Festung Rüsselsheim sprengten.

Die bekannte Ruine des Heidelberger Schlosses ist ebenfalls Ergebnis dieses Vorläufers der Politik der Verbrannten Erde. Zum Glück wuchs immer wieder Gras über die Narben, die sich die Völker Europas über die Jahrhunderte geschlagen haben.

So gab es Anfang des 20. Jahrhunderts ein ausgesprochen fruchtbares Neben- und Miteinander französischer und deutscher Automobilhersteller.

Nachdem die Grundlagen für das Auto auf deutschem Boden geschaffen worden waren, griffen französische Ingenieure und Unternehmer die Idee auf. Ihnen ist im wesentlichen die Weiterentwicklung des Automobils bis etwa 1905 zu verdanken.

So kam es, dass am Anfang der Autoproduktion etlicher deutscher Hersteller eine Lizenzfertigung von Wagen französischer Marken wie De Dion, Panhard oder Darracq stand.

Mit Darracq schloss die Rüsselsheimer Firma Opel Ende 1901 ein Lizenz- und Lieferabkommen ab. Entsprechend wurden die von Opel ab 1902 montierten Wagen der Bauart „Darracq“ beworben:

Opel_Darracq

Originalreklame von 1902/03 aus Sammlung Michael Schlenger

Zwar entwickelten die Opel-Ingenieure rasch eigene Automodelle auf dieser Basis. Doch bis zum Ende der Kooperation mit Darracq im Jahr 1906 entstanden in Rüsselsheim weitere den Darracq-Modellen entsprechende Wagen – womit wir bei besagten Franzosen aus Rüsselsheim wären.

Dazu gehörten übrigens auch großzügiger dimensionierte Darracq-Typen – Opel bot früh neben kompakten Wagen mit Erfolg durchaus repräsentative Modelle an. Von diesem Anspruch ist über 100 Jahre später nicht viel übriggeblieben.

Die Vielfalt der Darracq-Lizenztypen und der „Eigengewächse“ von Opel nach der Jahrhundertwende ist ziemlich verwirrend. Ein Opel-Automobil jener Zeit präzise ansprechen zu können, ist daher ein Glücksfall – und heute haben wir Glück:

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Opel Darracq Typ 16/18 PS; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Nun ja, mag man nun denken, das ist ein wirklich früher Wagen – aber wie um Himmels Willen lässt sich der als Opel Darracq 16/18 PS identifizieren?

Das, liebe Leser, ist tatsächlich möglich, man muss sich nur genau auf das Fahrzeug einlassen, es verrät uns dann alle notwendigen Details.

Hier hat der Fotograf mit einer großformatigen Plattenkamera bewaffnet eine günstige Perspektive gewählt. So können wir alle entscheidenden Details genau studieren:

Opel_Darracq_16_PS_1904-06_Vorderrad

Phänomenal, welche Details eine über 100 Jahre alte Aufnahme zu offenbaren vermag, obwohl das Einlesen im digitalen Scanner mit einigen Detailverlusten einhergeht. Wie bei Musikkonserven geht doch nichts über das analoge Original!

Wer den Kopf um fast 90 Grad nach links dreht, kann auf der Nabenkappe eindeutig den Schriftzug „OPEL“ lesen.

Engen wir nun die Entstehungszeit anhand der Details der Frontpartie weiter ein:

Opel_Darracq_16_PS_1904-06_Frontpartie

  • Ölbetriebene Positionsleuchten an der Schottwand – sie wurden ab etwa 1912 durch elektrische Lampen ersetzt – ein erster Datierungshinweis.
  • Die Motorhaube stößt rechtwinklig auf die Schottwand – ab 1910 wich diese Anordnung einem Windlauf, der einen strömungsgünstigeren Übergang herstellte.
  • Bienenwabenkühler nach Vorbild des Daimler „Mercedes“ von 1901; senkrechte Luftschlitze in den hinteren zwei Dritteln der Motorhaube.

Damit können wir nun die Bilder von Opel-Wagen zwischen 1902 und 1908/09 in der Literatur durchforsten. Fündig werden wir auf Seite 24 der „Opel Fahrzeug-Chronik Band I, 1899-1951“, Verlag Podszun, 2012.

Dort findet sich dasselbe Modell mit der Bezeichnung Opel Darracq 16/18 PS. Es basierte auf einem Darracq-Typ, der mit 14 PS-Zweizylinder und 16 PS-Vierzylinder verfügbar war.

Die beiden Versionen unterscheiden sich äußerlich durch die Form des Kühlers: beim Zweizylinder ist er leicht nach hinten geneigt, beim Vierzylinder steht er senkrecht.

Demnach haben wir auf dem Foto den größeren 16/18 PS Typ vor uns, der von Opel im Jahr 1904/05 gebaut wurde. Über 10.000 Mark waren dafür zu berappen – seinerzeit ein Vermögen.

Wer sich das leisten konnte, war auch in der Lage, einen Chauffeur zu beschäftigen:

Opel_Darracq_16_PS_1904-06_Insassen

Der Fahrer, der hier zufrieden neben seinem Brötchengeber mit Nadelstreifenanzug und Melone sitzt, könnte diesem zuvor als Kutscher gedient haben.

Auch wenn er nun Herr über 18 statt nur ein bis zwei Pferdestärken war, dürfte ihm zumindest die Sitzposition vertraut gewesen sein.

Von rechts ließen sich nämlich einst die Gäule bei Bedarf mit der Peitsche antreiben, mit rechts wurde die außenliegende Handbremse betätigt, und rechts musste man auf den Straßengraben oder einen für die Herrschaften geeigneten Ausstieg achten.

Das erklärt, weshalb praktisch alle frühen Automobile über Rechtslenkung verfügten. Meist mit der Rechten wurde seinerzeit auch die Ballhupe betätigt, die auf unserem Foto auf dem Schoß des Opel-Besitzers liegt.

Dieses Motiv ist fast schon ein Stereotyp aus der Frühzeit des Automobils: Der Besitzer vermochte sonst zwar nichts zum Betrieb des Wagens beitragen  – doch mit der Hupe Fußgänger, Hühner und Hunde weghupen, das ging allemal:

„Es ist doch wie im Geschäft – ohne mich wüsste keiner, wie es vorangeht!“ 

Der Chauffeur mag sich dagegen gedacht haben:

„Wenn der Herr Direktor wüsste, was das für eine Arbeit ist, ein Automobil zu steuern, von der Wartung ganz zu schweigen.“

Immerhin mussten beim 16/18 PS-Modell die Schmierstellen des Opel nicht mehr während der Fahrt mittels Handpumpe versorgt werden – eine automatische Ölpumpe übernahm das.

Und im Unterschied zur Pferdekutsche musste der Antrieb nicht auch im Ruhezustand gefüttert werden – nur im Betrieb flossen ca. 6,5 Liter Benzin durch den Vergasers des 3-Liter-Aggregats. Klingt auffallend wenig, aber bei einem Spitzentempo von 60 km/h relativiert sich das.

Hinter dem Armaturenbrett ging es noch ganz zu wie zu Zeiten der Pferdekutsche – eine aufwendig geschreinerte und von Hand lackierte Holzkarosse mit Klappverdeck, gesteppten Lederpolstern und Weidenkörben als Stauraum:

Opel_Darracq_16_PS_1904-06_Heckpartie

Nur der pneumatische Reifen – später verkürzt zum Pneu – verrät hier, dass wir es mit einem Automobil zu tun haben.

Wenn nicht alles täuscht, hatten die Franzosen auch in Sachen Luftreifen für Automobile auf dem Kontinent anfänglich die Nase vorn. So begann Michelin bereits 1889 mit der Produktion.

Der Opel Darracq auf unserem Foto besitzt aber bereits Reifen des deutschen Herstellers Continental (Fertigung ab 1898). 1904 – also zur Bauzeit des Wagens – zog Continental mit dem ersten profilierten Reifen der Welt an den Franzosen vorbei.

Damit transportiert uns diese Aufnahme in eine Zeit zurück, die von rasantem Fortschritt in allen Bereichen des Automobilbaus geprägt war. Fünf Jahre entsprachen damals eine ganzen Autogeneration.

Der nächste Opel aus der Zeit vor dem 1. Weltkrieg, den wir besprechen wollen, hat schon eine deutlich modernere Anmutung, muss aber noch etwas warten…

© Michael Schlenger, 2017. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://www.klassiker-runde-wetterau.com with appropriate and specific direction to the original content.

2 Gedanken zu „Ein Franzose aus Rüsselsheim: Opel Darracq 16/18 PS

  1. Besten Dank für den Hinweis, Herr Billicsich, somit wären wir mit den Positionsleuchten noch näher an der Postkutsche – Text wird entsprechend angepasst. Danke auch für das Interesse an meinem Blog, der offenbar vielen Vorkriegsfreunden gefällt.

  2. Werter Herr Schlenger,
    Ihre dedektivische Art diese schönen alten Bilder zu analysieren hat meine Bewunderung.
    Deshalb erlauben Sie mir eine Kleinigkeit zu ihrer Analyse beizutragen. Die beiden Lampen an der Schottwand möchte ich eher als Öllampen sehen. den einzelnen großen Frontscheinwerfer würde ich eher als Karbidscheinwerfer als gasgetrieben in ihrer Diktion sehen.
    Danken möchte ich für die Mühen und den Aufwand mit dem Sie mir immer wieder Freude bereiten.
    Schöne Feiertage und weitere Funde von interessanten Bilder im neuen Jahr.
    T.K.Billicsich

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