Raffinesse trifft Sachlichkeit: Steyr Tourer in Linz

Der heutige Blogeintrag bietet strenggenommen nichts Neues – aber dafür zwei alte Bekannte aus neuer Perspektive. Die Rede ist von den Tourenwagen der Typen VII und XII der österreichischen Marke Steyr.

Sie wurden kurz nacheinander vorgestellt – 1925 bzw. 1926 – doch repräsentieren sie unterschiedliche Wagenklassen und stehen formal für einen markanten Bruch in der Automobilgestaltung, der Mitte der 1920er stattfand.

Nachvollziehen lässt sich dies auf folgender Aufnahme aus Linz, auf der die beiden Typen direkt nebeneinander abgebildet sind:

Steyr_Tourenwagen_Linz_1936_Ausschnitt1

Hier sehen wir insgesamt vier Steyr-Tourenwagen sowie einen Opel einträchtig auf dem historischen Hauptplatz der oberösterreichischen Metropole abgestellt.

Ganz rechts erkennt man die Heckpartie eines unbekannten Landaulets – also eines geschlossenen Wagens, bei dem nur die Passagiere im Heck den Luxus eines niederlegbaren Verdecks genossen.

Der hohe Anteil offener Aufbauten ist typisch für den Entwicklungsstand in Europa in den 1920er Jahren. Tourenwagen waren schlicht die kostengünstigste Möglichkeit, überhaupt ein Automobil zu fahren.

In den USA mit ihrer weiter leistungsfähigeren Industrie begannen sich damals bereits geschlossene Aufbauten durchzusetzen und das zu volkstümlichen Preisen.

Die rauhe Wirklichkeit des Alltagseinsatzes von Tourenwagen lassen die meisten Originalfotos kaum ahnen, da sie vorzugsweise bei schönem Wetter entstanden. Doch zeugen genügend Aufnahmen davon, dass man diesen Wagentyp auch im Winter nutzte –  trotz dünnen Verdecks und zugiger Steckscheiben an der Seite.

Nähern wir uns nun dem formal älteren und in der Oberklasse angesiedelten Steyr Typ VII, der von 1925 bis 1929 angeboten wurde:

Steyr_Tourenwagen_Linz_1936_Ausschnitt2

An dem 12/50 PS Typ mit 3,3 Liter großem 6-Zylindermotor fällt vor allem der Spitzkühler ins Auge. Dieses expressive Element stammt noch aus der Zeit vor dem 1. Weltkrieg und stand für Schnittigkeit und sportlichen Auftritt.

Auf dem Papier war der Steyr Typ VII in der Tat für ein damals beachtliches Spitzentempo von fast 120 km/h gut. Ausfahren ließ sich das aber in der Praxis kaum – dem standen das Fahrwerk und der Zustand der Straßen entgegen.

Doch für Ausfahrten und Reisen mit voller Besetzung – bis zu sieben Personen – war der Steyr gut motorisiert, gerade auch in bergigem Terrain.

Die filigranen Drahtspeichenräder – unterstreichen das gediegene Erscheinungsbild ebenso wie der elegante Schwung der seitlichen Karosserielinie. Dadurch erhielt der langgestreckte Wagen eine dem Auge schmeichelnde Spannung.

Ebenso gefällig wirken die abgerundeten Türen, die sich mangels außen angebrachter Türgriffe perfekt in den gewölbten Karosseriekörper einfügen.

Ganz anders dagegen der Eindruck des parallel ab 1926 gebauten kompakten Steyr des Typs XII mit nur 1,6 Liter messendem 6-Zylinder (6/30 PS):

Steyr_Tourenwagen_Linz_1936_Ausschnitt

Der auffallende Spitzkühler ist hier einem banalen Flachkühler gewichen.

Die Wölbung der Haubenpartie und des Abschnitts vor der Frontscheibe ist weitgehend abgeflacht und die scharfe Kante an der Seite ist einem weicheren Übergang gewichen. Der Eindruck der Belanglosigkeit wird durch den über die gesamte Wagenlänge fast waagerechten Karosserieverlauf verstärkt.

Wären da nicht die beiden aufgesetzten Türgriffe, die der Seitenlinie gewissermaßen Glanzpunkte aufsetzen, müsste man fast von einer langweiligen Kiste sprechen.

Dabei ging es durchaus anders, sofern man sich für eine anspruchsvollere Karosserieausführung des Steyr Typ XII entschied wie diese Herrschaften hier:

Steyr_Typ_XII_Kur_06-1929_Sammlung_Klaas_Dierks_Galerie

Steyr Typ XII, Originalfoto von Klaas Dierks

Hier stören zwar die scheußliche Zubehörstoßstange und der seitlich auf dem Schutzblech angebrachte Reisekoffer – doch ist in der seitlichen Linienführung eine gewisse kühle Eleganz zu erkennen.

Allerdings ist auch hier zu konstatieren, dass dem Aufbau in formaler Hinsicht die beinahe bildhauerische Raffinesse fehlt, die die Vorgänger auszeichnet. Hier haben wir nochmals einen Steyr des Typs VII, der den Unterschied noch deutlicher macht:

Steyr_Typ_VII_Franzensbad_08-1929_Ausschnitt

Dieser Wagen wirkt schon im Stand schnell und bietet mit der gekonnten Kombination unterschiedlicher formaler Elemente dem Auge Abwechslung und dennoch ein schlüssiges Gesamtbild.

Raffiniert ist hier etwa der leichte Anstieg des oberen Kühlerausschnitts, der die Horizontale der Haubenpartie bricht wie der Bug eines Schnellboots, das die Wogen zerteilt.

Gut zu erkennen ist hier auch das Nebeneinander von horizontal und geschwungenen verlaufenden Linien, etwa an der Unterseite der Türen.

An vielen Spitzkühlermodellen der 1920er Jahre ist noch eine in die Vorkriesgzeit zurückreichende Tradition der Gestaltung lebendig, die sich am Abwechslungsreichtum der Linienführung in der Natur orientierte und entsprechend mit Bögen und Wölbungen arbeitete, um eine Oberfläche lebendig durchzugestalten.

Das Regiment des rechten Winkels, wie es sich ab den 1920er Jahren in Form der Bauhaus-Ideologie durchzusetzen begann und bis heute in der Architektur wütet und unsere Städte zu öden Versammlungen von Kistenbauten macht, konnte sich zum Glück nicht dauerhaft in der Automobilgestaltung durchsetzen.

Nach dem Intermezzo in der zweiten Hälfte der 1920er Jahre, das von einem (noch zu besprechenden) monströsen Entwurf des Bauhausgründers Gropius für Adler gekrönt war, gewann in den 1930er Jahren wieder die Freude an spannungsreichen, schwelgenden Formen und raffinierter Gliederung die Oberhand.

Der Ort, an dem einst unsere Aufnahme entstand, entfaltet seine lebendige und eindrucksvolle Wirkung auf den Reisenden ja ebenfalls nicht deshalb, weil die gewaltige Platzanlage von immergleichen Bauhaus-Rasterfassaden umsäumt wäre:

Steyr_Tourenwagen_Linz_1936_Galerie

So können wir am Ende auch die Originalaufnahme in voller Pracht zeigen, die Anlass zur heutigen Exkursion in die formalen Traditionen bzw. Tendenzen gab, die bei Steyr (und anderswo) Mitte der 1920er Jahre aufeinanderfolgten.

Man kann von Glück reden, dass sich die in den 1920er Jahren aufkommende verkopfte Sachlichkeit nicht dauerhaft in der Fahrzeuggestaltung durchgesetzt hat.

Die märchenhaft anmutenden großen Karosserieschöpfungen der 1930er Jahre und die hinreißenden Blechskulpturen italienischer Provenienz der 60er wären mit der betonköpfigen Bauhausdenke nämlich unmöglich gewesen…

© Michael Schlenger, 2018. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

2 Gedanken zu „Raffinesse trifft Sachlichkeit: Steyr Tourer in Linz

  1. Besten Dank für die Ergänzungen und die persönliche Perspektive, die ich sehr schätze! Ich wollte keineswegs den (insbesondere technisch überlegenen) Steyr XII schlechtreden, sondern an dem Beispiel eher die allgemeine Tendenz der Zeit darlegen, die auch bei anderen Wagen zu beobachten ist. Ob Benz, NAG oder Presto – mit dem Ende der expressiven Spitzkühlermodelle zog eine neue Sachlichkeit ein, die mir weniger zusagt als die aus meiner Sicht reichere und vielfältigere gestalterische Tradition der Vorkriegszeit – dasselbe gilt dann auch für die architektonischen Stile, die allesamt harmonieren – nur Bauten im Bauhausstil nehme ich als in einem historisch gewachsenen Ensemble stets als brutalen Bruch wahr…

  2. Sehr geehrter Herr Schlenger,

    danke für die Steyr Bilder aus Linz. Insgesamt sehe ich 4 Steyr XII. Dieser Steyr wurde zwischen 1924 und 1929 ca 11.500 mal gebaut was für des kleine Österreich eine Rekordzahl ist und daher auch auf vielen Aufnahmen besonders in Städten zu sehen ist. Ich sehe zwar keine Tafeln die einen Fahrpreis anzeigen vermute aber dass es sich um einen Standplatz für Mietfahrzeuge handelt.
    Steyr der Serie II/V/VII sind auf Bilder sehr schwer zu unterscheiden. Der als VII angesprochene Steyr kann auch ein älterer Typ V sein. VII wurden nach Prospekten wahlweise mit Flachkühler und Vorderradbremsen ausgeliefert. Auch würde ich nicht auf Drahtspeichenfelgen setzen. Die meisten Steyr wurden mit KPZ Stahlspeichenrädern ausgeliefert. Ich denke auf dem Bild auch diese zu sehen.Die dicke vernickelte Radnabe die auch am 2.Bild zu sehen ist spricht dafür.
    Ihre Meinung zur Gestaltung des Steyr XII kann ich nicht ganz teilen. Ich gebe auch zu ich bin parteiisch da ich seit ca 30 Jahren einen Steyr diesen Typs fahre. Er wurde als Herrenfahrer Modell angepriesen dh als einfach zu fahrendes Fahrzeug mit relativ geringen Pflegeaufwand.
    Und Luxus war jedes Fahrzeug im damaligen Österreich. Mit seinem 1560 ccm Motor mit 6 Zylindern mit oberliegender Nockenwelle und der Kurbelwelle in Kugellagern laufend hat er einen robusten Antrieb und seinem 4 Gang Getriebe ist für die Berge gebaut, was anderes wäre in Österreich nicht zu verkaufen gewesen.
    Das besondere ist aber die Pendelachse hinten die diese gerade und relativ tiefe Karosserielinie ermöglicht. Da das Differenzial fest mit dem Chassis verschraubt ist und nur die Achshälften schwingen konnte die Rückbank und damit auch die Karosserie über den Hinterrädern um den Raum den eine Starrachse als Federweg benötigt tiefer gelegt werden.
    Die großen Räder und die tiefe Karosserielinie ergeben von der Seite ein sehr stimmiges Bild und ein in meinen Augen einen ausgewogenen und eleganten Gesamteindruck zu dem der Flachkühler aus Alpaka als glänzendes Schmuckstück gut passt.

    Jede Zeit hat ihren Stil und ausgewogene Bauten im Bauhausstil haben auch ihren Qualität aber erst das miteinander verschiedener Stile macht den Reiz von Städten aus. Das Problem liegt heute in den Kubaturen wenn riesige mehrstöckige Bauten wahllos neben kleineren Stadthäusern hingestellt werden.

    Mit ihren Bildern und Texten machen sie mir immer eine Freude aber erlauben sie mir gelegentlich andere Gedankengänge einzufügen und zur Diskussion zu stellen.

    Mit freundlichen Grüßen
    Thomas Billicsich

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