Reizende Ansichten: Renault KZ 10 CV von 1926

Reizend – das ist vermutlich nicht das erste Attribut, das einem einfällt, wenn es um das ab 1923 gebaute Volumenmodell KZ 10 CV von Renault geht.

Von dem Fahrzeug, das auch im deutschsprachigen Raum einige Verbreitung fand, haben wir hier und hier bereits Exemplare vorgestellt. Man würde diese robusten Alltagsfahrzeuge als eigenwillig einstufen, aber reizend?

Insbesondere die monströse Limousine auf dem folgenden, bislang noch nicht gezeigten Foto macht es einem schwer, dem Typ KZ von Renault etwas abzugewinnen:

Renault_Typ_KZ_10_Limousine_Galerie

Renault Typ KZ 10 CV; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Denkt man sich die hier ungeschlacht wirkende Haube weg und einen konventionellen, senkrecht stehenden Kühlergrill (vor dem Motor!) dazu, könnte das ein ansehnlicher Wagen sein.

Der Verfasser hegt den Verdacht, dass hier jemand einem Renault nachträglich eine Manufakturkarosserie im Stil amerikanischer Wagen um 1925 verpasst hat. Das würde erklären, warum die Frontpartie wie ein Fremdkörper wirkt.

Dass der Renault KZ 10 CV mit seinem braven 2,1 Liter-Vierzylinder aber durchaus seine Reize aufweisen konnte, das wollen wir heute anhand von gleich drei historischen Originalaufnahmen zeigen.

Sie zeigen denselben Wagen am gleichen Aufnahmeort, wohl irgendwo in Deutschland. Hier hätten wir Foto Nr. 1:

Renault_KZ_10_3_Galerie

Renault Typ KZ 10 CV; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Auch wenn man hier noch nicht von einer Schönheit sprechen würde, so wirkt der Renault als offener Viersitzer aus dieser Perspektive schon viel ansprechender.

Zu dem harmonischen Gesamteindruck tragen drei Elemente bei:

  • Die Frontscheibe steht schräg und korrespondiert so mit der Neigung der Motorhaube. Bei der Limousine dagegen steht sie streng senkrecht.
  • Die seitliche Haubenlinie setzt sich ohne Unterbrechung auf gleicher Höhe bis zum Verdeck fort und gibt dem Wagen eine sachliche, doch stimmige Kontur.
  • Unterstützt wird der Eindruck eines gelungenen Ganzen auch durch die schwarze Lackierung, durch die die seitlichen Luftschlitze weniger auffallen.

Das sympathische Gesamtbild mag auch durch die Insassen unterstützt werden, die sich vor einem großen Fabrik- oder Speichergebäude haben ablichten lassen:

Renault_KZ_10_3_Ausschnitt

Gern wüsste man, ob das Kabel, das vom Lenkrad zum Armaturenbrett führt, nachträglich angebracht wurde und welcher Funktion es diente.

Der am Lenkrad angebrachte Mechanismus zur Zündzeitpunktverstellung dürfte damit jedenfalls nichts zu tun haben. Oder etwa doch?

Wie auch immer, aus dieser Perspektive und in dieser Ausführung hat der Renault KZ 10 CV einige Reize zu bieten. Diesen Eindruck bestätigt auch die zweite Aufnahme aus der kleinen Reihe:

Renault_KZ_10_1_Galerie

Renault Typ KZ 10 CV; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Der Wagen hat sich hier nicht vom Fleck bewegt, doch auf einmal ist da ein dritter Insasse, der neben der jungen Dame auf der Rückbank ein wenig verschmitzt dreinschaut.

Könnte die Aufnahme mit Stativ und Selbstauslöser entstanden sein? Die absolut identische Perspektive spricht dafür. Möglicherweise ist das erste Foto probehalber noch von Hand, aber schon vom Stativ aus gemacht worden, und zwar vom dritten Insassen.

Weil die Menschen, die sich einst mit ihren Wagen haben aufnehmen lassen, einen Großteil des Charmes dieser alten Fotos ausmachen, auch hier ein näherer Blick:

Renault_KZ_10_1_Ausschnitt

In welcher Beziehung die Insassen zueinander standen, wissen wir nicht. Jedenfalls waren sie offenbar mit sich und der Welt im Reinen, als dieses Foto vor rund 90 Jahren entstand.

Zur Feier des Tages hat sich der Fahrer eine Zigarre gegönnt, die man hier besser zwischen seinen Fingern erkennt als auf dem ersten Foto.

Die beiden Aufnahmen wären für sich genommen schon Dokumente, die das Attribut reizvoll verdienen, doch haben wir noch eine dritte, die wirklich eine außergewöhnliche Ansicht des Renault Typ KZ 10 CV zeigt:

Renault_KZ_10_2_GalerieIst das nicht ein tolles Foto? So skurril die Frontpartie des Renault auch wirkt, strahlt sie einen eigentümlichen Reiz aus.

Man fühlt sich an Schöpfungen aus den Abenteuerromanen des großen Visonärs Jules Verne erinnert. Kapitän Nemo, der geheimnisvolle Besitzer und Bewohner des Unterseeboots Nautilus, wäre beim Landgang sicher in so einem Wagen gefahren.

Diese seltene frontale Aufnahme eines Renault Typ KZ 10 CV haben wir wohl der jungen Dame zu verdanken, die eben noch im Wagen saß. Sie hat eine wirkungsvolle Perspektive gewählt und auch bei Belichtung und Schärfentiefe alles richtig gemacht.

Dank dieses Fotos lässt sich sagen, dass der Renault aus der Zeit zwischen 1923 und 1925 stammen muss. Ab 1926 wurde ein rautenförmiges Emblem auf der Haube montiert.

Auf noch ein Detail sei der Leser aufmerksam gemacht. Damit wir den beiden Herren auch richtig in die Augen schauen können, haben sie den Oberteil der Frontscheibe waagerecht gestellt.

Außerdem erkennen wir hier den Ring mit der Zündzeitpunktverstellung im Lenkrad. Damit wurde der Moment des Zündfunkens an die Drehzahl des Motors angepasst – nach Gefühl und nach Gehör.

Man kann an solchen Kleinigkeiten sehen, wie radikal anders die Automobile seinerzeit waren. Für Menschen, die von Natur aus zur Bequemlichkeit neigen, sind solche Vorkriegsfahrzeuge eine Zumutung – für Zeitgenossen, die in der bewussten Aktivität die Würze des Lebens sehen, ein Vergnügen!

© Michael Schlenger, 2018. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

 

 

 

 

4 Gedanken zu „Reizende Ansichten: Renault KZ 10 CV von 1926

  1. Hallo René, tatsächlich hatte ich bereits selbst leise Zweifel, ob wir hier nicht Wagen unterschiedlicher Größenklassen vor uns haben. An Karosseriedetails würde ich das nicht festmachen (die konnten gerade am Heck variieren), eher an den Proportionen, insbesondere dem Radstand, evtl. auch der Zahl und Größe der Luftschlitze. Muss daher erst einmal brauchbare Literatur beschaffen – vielleicht lässt sich der Tourer dann tatsächlich dem kleineren Typ zuordnen und dann gibt es einen neuen Blog-Artikel dazu und die Renault-Bildergalerie wird angepasst.
    Jetzt geht es aber erst einmal zu den Classic Days auf Schloss Dyck, daher geht’s im Blog erst am Montag weiter…

    Gruß
    Michael

  2. Hallo Michael,

    auch von mir einen großen Dank für deine tollen Bilder und interessanten Erklärungen.
    Auch ich hätte im Fall des Lenkradrings auf einen Hupenring getippt, bspw. von Fa. Zeiss gab es einen Namens Cotal.
    Beim Fahrzeugtyp selbst habe ich auch ein paar Zweifel, obwohl ich überhaupt kein Renault Experte bin. Die Proportionen des abgebildeten Fahrzeugs mit den 3 Insassen wollten bei mir nicht so recht zum Typ KZ passen. Wer einmal vor einem solchen Typen stand weiß, dass dies ein recht großes imposantes Fahrzeug ist. Bei diesem Fahrzeug wirken die Insassen schon relativ beengt. Ich würde hier eher auf den kleineren Renault Typ NN 6CV tippen.
    Gründe dafür sind zum einen der hier kürzere Radstand, welcher eher zum Foto passt sowie der kurze Karosserieüberhang hinter der Hinterachse, welcher beim KZ, meine ich, stärker ausfällt. Auch die Türen sind beim KZ wohl immer 4 mit deutlichem Abstand. Auf dem Foto erkenne ich leider vorn gar keinen Türausschnitt, was an der Fotoqualität liegen mag.
    Beim NN gab es auch Karosserien wo es auf einer Seite nur eine Tür gab.
    Ein Detail weist im Fotomodell jedoch noch wahrscheinlicher auf NN hin: das Dreispeichenlenkrad, im KZ wahren es zumindest auf Internetbildern wohl meist 5.
    Im Renault KZ 10CV gab es an diesem auch eine Zündungs- oder Handgasverstellung im Lenkrad, allerdings in Form eines nach unten gehenden Halbkreises, im NN gab es soetwas im Lenkrad gar nicht, was wiederum auf den nachgerüsteten Hupring deutet.

    Viele Grüße aus Esslingen,

    René

  3. Besten Dank für diese überzeugende Erklärung – an eine nachgerüstete Hupe hatte ich auch schon gedacht.

  4. Sehr geehrter Herr Schlenger,

    wie immer danke für ihre Bemühungen alte Bilder von alten Autos aufzutreiben, zu identifizieren und zu kommentieren.
    Bei dem Ring im Lenkrad würde ich eher auf eine Hupring tippen, deswegen auch die Leitung vom Lenkrad indes Fahrzeug. Die Leitung musste locker sein um die Drehung des Lenkrades folgen zu können. Die Betätigung für die elektrische Hupe war oft mit Kontakt an der Seite des Fahrers wie von der Ballhupe mit Gummiball gewohnt. Diese Ringe waren käufliches Zubehör.
    Die Zündverstellung erfolgte mechanisch mit Gestänge durch Verdrehen des Verteilers das konnte nicht mit Draht geschehen.

    Mit freundlichen Grüßen
    Thomas Billicsich

Kommentar verfassen