Raffinierter geht’s nicht: Opel 4/20 PS Zweisitzer

Beim Opel 4 PS-Modell der zweiten Hälfte der 1920er Jahre denkt der Kenner in erster Linie daran, dass die Rüsselsheimer damit zunächst nur ein Plagiat des erfolgreichen Citroen 5 CV-Kleinwagens ablieferten.

Für eine Traditionsmarke, die bis zum 1. Weltkrieg zu den führenden Herstellern Europas in allen Leistungsklassen gehörte, war dies ein Eingeständnis verlorengegangener Kompetenz.

In welcher Liga die heutige Brot-und-Butter-Marke Opel einst spielte, versinnbildlicht folgender Grand Prix-Wagen von 1913 – ja : Opel baute einst auch Rennwagen!

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Opel Grand-Prix Wagen von 1913 bei den Classic Days auf Schloss Dyck 2011; Bildrechte Michael Schlenger

Woran es lag, dass Opel – wie den meisten deutschen Herstellern – nach dem 1. Weltkrieg lange Zeit kein Anschluss an die internationale Automobilentwicklung gelang, ist eine spannende Frage.

Der Verfasser ist geneigt, den verlorenen Krieg – genauer: den von den USA gewonnenen Krieg – als Grund dafür anzunehmen, dass die meisten deutschen Marken die in den Vereinigten Staaten vorangetriebenene Rationalisierung der Autoproduktion aus falsch verstandenem Patriotismus ablehnten.

Dass die Anwendung „kapitalistischer Produktionsmethoden“ im Ergebnis dem „Proletariat“ eine Teilhabe am bis dato nur Vermögenden vorbehaltenen Luxusgut Automobil ermöglichte, störte im Mutterland der als Marxismus bekannten Geistesverwirrung kaum jemanden (Ausnahme: Brennabor).

Erst als sich die Konkurrenz anschickte, den deutschen Markt mit preisgünstigen Autos aus Massenproduktion zu überfluten, erkannten die mit Manufakturmethoden vor sich hin bastelnden Hersteller hierzulande die Zeichen der Zeit.

Opel kommt immerhin das Verdienst zu, mit dem ab 1924 gebauten 4 PS-Typ eine Antwort auf die Herausforderung gefunden zu haben. Vom französischen Original entfernte man sich während der bis 1931 reichenden Produktionsdauer zusehends.

Ende der 1920er Jahre bot Opel den in über 40.000 Exemplaren gebauten 4 PS-Typ in einer raffinierten Variante an, die nur wenig mit dem Ausgangsmodell zu tun hatte:

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Opel 4/20 PS Zweisitzer; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Die sechs Herren auf diesem Schnappschuss wussten vielleicht gar nicht, auf welcher Rarität sie da herumturnten.

Nur die Scheibenräder, die Form des Zierblechs auf dem Schweller und die Gestaltung des Windschutzscheibenrahmens deuten hier auf einen 4/20 PS-Opel in der ab 1929 gebauten Version hin.

Für den Verfasser überraschend ist, dass in der gängigen Literatur kein exaktes Vergleichsstück zu diesem Opel-Zweisitzer zu finden ist.

Das von der Frontscheibe ausgehende dunkel abgesetzte seitliche Band ist in genau dieser Ausführung – unterhalb der Türoberkante und ganz leicht nach hinten abfallend so gut wie nicht dokumentiert.

Im Netz finden sich zwar einige wenige überlebende Fahrzeuge mit diesen Details, doch historische Belegstücke sind wie gesagt Mangelware.

Zum Glück kann sich der Verfasser dieses Blogs auf einige Foto“lieferanten“ verlassen, die ein ausgezeichnetes Auge für Qualität und seltene Modelle haben. Einer davon ist Klaas Dierks, dem wir bereits zahlreiche exzellente Fotodokumente verdanken.

Aus seiner umfangreichen Sammlung hochwertiger Vintagefotos stammt auch das folgende, das man in der Literatur zu Opel-Wagen vergeblich suchen wird:

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Opel 4/20 PS Zweitsitzer von 1929/30; Originalfoto aus Sammlung Klaas Dierks

Hier sehen wir denselben Opel 4/20 PS-Typ wie auf der vorherigen Aufnahme, bloß ist dieser anhand der Frontpartie mit von Packard abgekupfertem Kühler eindeutig identifizierbar.

Eine raffiniertere Version des Opel 4/20 Modells, das zuletzt eine Höchstgeschwindigkeit von über 75 km/h ermöglichte und eine Reichweite von fast 400 Kilometern bot, wird man schwerlich finden.

Kein Wunder, dass sich die einstigen Besitzer, über die wir leider sonst nichts wissen, vor bald 80 Jahren stolz mit dem Opel (und mit Hund) ablichten ließen.

Heute macht das kein Mensch mehr mit seinem Opel, der ein belangloses Alltagsvehikel geworden ist – und genau in dieser veränderten Sicht auf das Automobil liegt der Reiz von Vorkriegsautos auf alten Fotos

© Michael Schlenger, 2018. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

Ein Gedanke zu „Raffinierter geht’s nicht: Opel 4/20 PS Zweisitzer

  1. Ein bedenkenswerter Aspekt! Ich wusste gar nicht, dass Opel direkt Reparationszahlungen leisten musste. Dann hätte wohl die deutsche Regierung das gesetzlich angeordnet (Quelle?)- im Versailler Vertrag war das auf Einzelfirmaebene ja vermutlich kaum geregelt. Mir ist übrigens in Werbungen deutscher Manufakturwagen der 1920er Jahre ein latent aggressiver Unterton gegen die amerikanische Großserienproduktion aufgefallen, der m.E. gut zur verbreiteten Verachtung des US-Kapitalismus passte. Mir scheint der Verzicht auf eine Adaption industrieller Fertigungsmethoden daher nicht nur aus der Not geboren gewesen zu sein. Dass deutsche Hersteller im Ausland Maschinen zur Serienfertigung gegen Devisen hätten kaufen müssen, halte ich für wenig wahrscheinlich. Im Krieg war auf deutscher Seite ja bereits alles Mögliche in Großserie gefertigt worden, dafür brauchte man sicher keine ausländische Expertise. Auszulastende Produktionskapazitäten waren allerorten reichlich vorhanden, doch fehlte es m.E. am strategischen Weitblick eines André Citroen, der gezielt einen Wagen für die Masse bauen wollte und das erfolgreich tat. An diesem Willen und der Einsicht in die notwendige Effizienz fehlte es aus meiner Sicht hierzulande (Ausnahme war Brennabor, wo man die Überlegenheit industrieller Fertigung nach US-Vorbild am frühesten sah). M.E. darf man die Folgen des verlorenen Krieges auf die Mentalität vieler Entscheider in Deutschland nicht unterschätzen (vgl. das auffallende Festhalten an veralteten gestalterischen Elementen der Vorkriegszeit). Eine ähnliche Phase der systematischen Geringschätzung des Fortschritts im Ausland hatte die deutsche Autoindustrie ja vor 1900 schon einmal durchlaufen. Mir scheint da einiges Überheblichkeitsgefühl mit im Spiel gewesen zu sein, das sich im (ungeliebten) Wettbwerb rächte. Auf jeden Fall eine spannende Thematik!

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