Auf in den Süden! Italienreise 1930 im Steyr Typ XII

Im heutigen Blog-Eintrag geht es ausnahmsweise nicht um die Herausforderungen, die mit der Identifikation von Vorkriegsautos auf alten Fotos oft genug verbunden sind.

Dem Leser bleibt also einiges erspart:

  • das Nachzählen von Haubenschlitzen und Radbolzen,
  • das Entziffern von Markenemblemen und Typbezeichnungen,
  • das Abschätzen von Radständen und Motorisierungen,
  • die Unterscheidung von Flach-, Spitz- und Schnabelkühlern oder auch
  • die korrekte Ansprache von Karosserietypen.

Nein, heute geht es mit einem guten alten Bekannten auf eine Lustreise in den Süden, auf der wir den Wagen ganz nebenbei aus allen Richtungen und in den unterschiedlichsten Situationen kennenlernen werden.

Die Rede ist vom Steyr Typ XII – dem ab 1926 gebauten ersten Großserienerfolg der österreichischen Waffenschmiede. Folgende Aufnahme eines Cabrios aus der Sammlung von Leser Klaas Dierks habe ich hier bereits vorgestellt:

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Steyr Typ XII; Originalfoto aus Sammlung Klaas Dierks

Angetrieben wurde dieser bis 1929 in über 11.000 Exemplaren gebaute Wagen von einem lediglich 1,6 Liter messenden Sechszylindermotor, damals einer der kleinsten seiner Art.

Dabei handelte es sich jedoch um ein hochfeines Aggregat mit im Zylinderkopf strömungsgünstig platzierten Ventilen und kugelgelagerter Kurbelwelle. Der Papierform nach leistete es zwar nur 30 PS.

Dennoch war der Steyr Typ XII ein „Bergsteiger“, wie die Werbung ein Fahrzeug bezeichnete, das bei Steigungen nicht überhitzte und genügend Kraft besaß, um auch vollbesetzt Pässe zu überwinden – das machte ein vollwertiges Reiseauto aus.

Den Beweis dafür liefert eine ganze Reihe von Fotos, die von einer Reise nach Oberitalien im Jahr 1930 erzählen. Durch glückliche Fügung sind diese Aufnahmen nicht in alle Winde zerstreut worden, sondern haben als Konvolut überlebt.

So können wir nach fast 90 Jahren noch die Stationen einer Alpenüberquerung nachvollziehen, die von Graz in der Steiermark bis nach Verona führte.

Der Ausgangspunkt der Fahrt lässt sich aus dem Kennzeichen HVII – 39 erschließen, das auf den Fotos mehrfach zu sehen ist. Hier haben wir die erste erhaltene Aufnahme, die den Steyr bereits auf einer Schotterpiste irgendwo im Alpenraum zeigt:

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Steyr Typ XII; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Zur Identifikation des Wagens nur soviel: Die Kombination aus in zwei Reihen übereinander angebrachten Luftschlitzen und Scheibenrädern mit sehr großem Lochkreis findet sich so nur beim Steyr Typ XII.

Sehr wahrscheinlich wurde dieses Foto wie die übrigen vom vierten Mann an Bord geschossen, denn auf fast allen Aufnahmen ist ein Platz frei in dem Tourenwagen. An Gepäck hatte man nur das Allernötigste dabei; einen Kofferraum hatte der Steyr wie meisten offenen Wagen seiner Zeit nicht.

Immerhin wird man einiges in der Gepäckhalterung auf der linken Seite untergebracht haben, die wohl eigens für solche Touren angebracht worden war.

Weiter geht es nun, der Passhöhe entgegen. Ein kurzer Halt wird zum Studium der Karte genutzt, während der wackere Fotograf den Steyr schräg von hinten ablichtet – damals eine ungewöhnliche Perspektive:

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Steyr Typ XII; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Aus diesem Blickwinkel wirkt der Steyr wie die meisten Tourenwagen der zweiten Hälfte der 1920er Jahre fast vollkommen beliebig. Nur die Scheibenräder mit dem ungewöhnlich großen Lochkreis erlauben Rückschluss auf den Typ.

Das Mitführen von gleich zwei Reserverädern war auf solchen Touren ratsam, wenn man längere Stops zum Reifenflicken vermeiden wollte.Wer genau hinschaut, sieht hier außerdem, dass der obere Teil der Frontscheibe fast waagerecht ausgestellt ist.

Es muss also sommerlich warm gewesen sein, als dieser Steyr unverdrossen über die Alpen kraxelte. Dennoch waren unterwegs noch kleinere Hindernisse zu beseitigen:

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Steyr Typ XII; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Wie es scheint, nahm man solche Unterbrechungen sportlich – wer hätte einem auch sonst den Weg freimachen sollen?

Dass es überhaupt Straßen gab, auf denen man im Automobil das Hochgebirge bereisen konnte, das war damals eine große Errungenschaft. In Zeiten verrottender oder nicht fertigwerdender Infrastruktur hierzulande kann man das Können der Ingenieure und Arbeiter zu damaliger Zeit gar nicht hoch genug einschätzen.

So, inzwischen ist der Weg wieder freigeräumt und die Stimmung entsprechend ausgelassen. Nur unser unbekannter Fotograf geht diszipliniert seiner Arbeit nach:

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Steyr Typ XII; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Das ist wiederum eine ungewöhnliche, aber durchaus reizvolle Aufnahme. Der Steyr steht zwar im Vordergrund, seine Karosserielinie weist aber in den Mittelgrund auf die drei Passagiere, die Schabernack in den Schneeresten treiben.

Die schneefreien Höhen im Hintergrund bestätigen, dass Hochsommer ist, wo sich nur an wenigen Stellen Schnee halten kann. Weshalb das gerade hier der Fall war, erschließt sich nicht, da die schneebedeckte Partie der prallen Sonne ausgesetzt ist.

Egal, wir haben noch etliche Kilometer vor uns, wenngleich die größten Hürden überwunden sind. Hier ist der Steyr jedenfalls wieder unterhalb der Baumgrenze unterwegs:

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Steyr Typ XII; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Aus dieser Perspektive könnte man den Wagen glatt für einen Fiat oder ein anderes italienisches Fabrikat wie Ansaldo, Lancia oder O.M. halten, wenn man nur die Kühlerpartie betrachtet. Doch die zur Frontscheibe hin ebene – nicht der Kühlersilhouette folgende Karosseriepartie – spricht dagegen.

Dank des Kennzeichens wissen wir außerdem, dass das Foto wiederum den Grazer Steyr Typ XII auf dem Weg nach Italien zeigt. Unterwegs wird noch einmal Halt gemacht, diesmal an einem Monument, das die Grenze zwischen Österreich und dem 1918 Italien zugeschlagenenen Südtirol markieren könnte.

Erkennt jemand dieses Denkmal, das stilistisch auf jeden Fall den 1920er Jahren entstammt?

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Steyr Typ XII; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Nun steht dem Weg ins gelobte Land nichts mehr entgegen und schon die nächste Aufnahme dürfte in einer oberitalienischen Stadt entstanden sein.

Jedenfalls sind das Portal mit den nur grob behauenen Bossenquadern und das darüber befindliche Relief typisch für die italienische Renaissance. Wer auf dem Denkmal daneben zu sehen ist, wird aber wohl nur ein Lokalpatriot beantworten können, es macht einen etwas provinziellen Eindruck:

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Steyr Typ XII; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Interessant an dieser Aufnahme ist, dass die Insassen des Steyr mit einem Mal das Verdeck montiert haben, obwohl es weiterhin trocken ist. Offenbar brannte die italienische Sonne doch zu heftig

Hier bekommt man eine Ahnung davon, weshalb in Italien Cabriolets traditionell weniger begehrt sind als nördlich der Alpen.

Doch schon einige Kilometer weiter besann man sich anders und legte das Verdeck wieder nieder – möglicherweise wollte man die reizvolle Gegend uneingeschränkt  genießen können – hier wohl am Gardasee:

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Steyr Type XII; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Erkennt jemand zufällig den Ort?

Allzuviel dürfte sich an der Uferbebauung mit den schattenspendenden Arkaden nicht geändert haben, auch wenn das zweimastige Segelboot und die Kutsche mit Maultier davor sicher längst Geschichte sind.

1930 bot sich noch eine ausgesprochen malerische Situation, wie sie sich über Jahrhunderte kaum geändert hatte. Nur das Automobil im Vordergrund kündet davon, dass eine neue Epoche begonnen hatte, mit der vieles Althergebrachte obsolet wurde.

Gegenüber dieser pittoresken Ansicht stellt das letzte Foto dieser Serie auf den ersten Blick einen fast ernüchternden Kontrast dar:

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SteyrTyp XII; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Doch wer sich ein wenig in Italien auskennt, wird die Ansicht wiedererkennen. Die Aufnahme entstand nämlich auf einer der Brücken über die Etsch in der alten Römerstadt Verona – einem herausragenden Reiseziel in der Region Veneto.

Der Blick geht hier auf den Hügel S. Pietro, an dessen Hang das römische Theater (nicht zu verwechseln mit der Arena di Verona) liegt – eine sehenswerte Stätte mit einem feinen Museum, die mancher Besucher der an Kunst so reichen Stadt versäumt.

Ich hätte den Ort selbst vermutlich nicht erkannt, wenn ich nicht vor einigen Jahren aus gegenüberliegender Perspektive dieses Foto gemacht hätte:

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Colle S Pietro, Verona; Bildrechte: Michael Schlenger

Im Mittelgrund sieht man übrigens die in wesentlichen Teilen auf die Römerzeit zurückgehende Ponte Pietra.

Diese im Mittelalter erneuerte Bogenbrücke von vollendeter Harmonie wurde im April 1945 von zurückweichenden deutschen Militäreinheiten gesprengt.

1930, als unser wackerer Steyr aus Graz Halt in Verona machte, wusste noch niemand von den Ereignissen, die ein Jahrzehnt später halb Europa verheeren würden. Die Welt, die auf diesen schönen Reisefotos festgehalten ist, sollte bald untergehen.

Doch so wie die Veroneser ihre Römerbrücke in den 1950er Jahren unter Verwendung des Originalmaterials wiederaufbauten, so können auch wir im 21. Jh zumindest den Versuch unternehmen, das Beste zu bewahren, was vom guten alten Europa übriggeblieben ist – denn eine solche Epoche kehrt nicht wieder…

© Michael Schlenger, 2019. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

4 Gedanken zu „Auf in den Süden! Italienreise 1930 im Steyr Typ XII

  1. Besten Dank für die Information!

  2. Hallo Herr Schlenger,
    bei dem hier gezeigten Fahrzeug muss es sich, den Kühlerschlitzen nach zu urteilen, um einen Steyr nach Baujahr 1928 handeln, da in den Verkaufsprospekten von Steyr für Deutschland von 1928 der Steyr XII durchgehende Kühlerrippen, was im vorletzten (1928) oder letzten (1929) geändert wurde. Zudem wurde die Stange zwischen den Scheinwerfern, woran das vordere Kennzeichen befestigt ist, nachgerüstet, da diese in keinem Prospekt des Steyr XII zu sehen ist. Gegen den Steyr XX spricht, dass bei diesem die Stange zwischen den Scheinwerfern gebogen ist und das die obere und untere Reihe Kühlerlamellen durchgäning sind. Beim Steyr XII sind diese in einen vorderen und hinteren Teil aufgeteilt.
    Quelle: http://www.zuckerfabrik24.de/steyrpuch/steyrXII_1.htm
    Mit freundlichen Grüßen

    Philipp Oltmanns

  3. Klasse Ergänzung, vielen Dank!

  4. Lieber Herr Schlenger,
    danke für diese schöne Geschichte über den Steyr XII. Es ist wirklich ein Qualtätsfahrzeug. Die hintere Pendelachse ermöglicht die niedrige Karosserielinie weil das Differenzial fix im Chassis montiert ist und nur die Achshälften schwingen. Ergänzen möchte ich noch dass der Motor auch eine obenliegende Nockenwelle in Ledwinka Tradition hat der den Motor für den ersten Steyr konstruiert hat.
    Mit freundlichen Grüßen
    Thomas Billicsich

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