Zeitgenossen mit Charakter: Ley Typ M8 8/36 PS

Die Automobilfabrikation des Maschinenbauers Ley aus dem thüringischen Arnstadt wird den meisten heutigen Zeitgenossen wohl nur vom Hörensagen bekannt sein.

Doch von den wenigen tausend Wagen, die ab 1905 unter der Marke Loreley und nach dem 1. Weltkrieg als Ley verkauft wurden, haben sich ausreichend originale Fotos gefunden, dass ich eine kleine „Ley“-Galerie in meinem Blog einrichten konnte.

Einige davon habe ich bereits vorgestellt, zuletzt den recht erfolgreichen Typ T6 6/16 bzw. 6/20 PS. Doch bot Ley parallel dazu auch ein wesentlich stärkeres 2-Liter-Modell an, das ab 1921 unter der Typbezeichnung M8 gebaut wurde.

Ob der bis 1927 gebaute Ley M8 von Anfang an bereits als 8/36 PS-Typ firmierte oder als 8/25 PS oder zumindest 8/30 PS-Typ begann, lässt die mir zugängliche Literatur offen.

Jedenfalls fällt es schwer zu glauben, dass die Thüringer 1921 schon einen 8/36 PS-Wagen bauten, während die erfahrenere Rüsselsheimer Konkurrenz damals nur einen Opel 8/25 PS zustandebrachte. Der Leistungsunterschied erscheint arg groß.

Wie dem auch sei – noch interessanter als die Entwicklung der Motorisierung der Ley-Wagen des Typs M8 ist ihre formale Evolution, die sich im Deutschland der 1920er Jahre oft nur in Trippelschritten vollzog.

Als erstes Anschauungsobjekt eignet sich die folgende Aufnahme aus der schier unerschöpflichen Sammlung von Leser Klaas Dierks:

Ley_M8_bis_1924_Dierks_Galerie

Ley Typ M8; Originalfoto aus Sammlung Klaas Dierks,

Trotz einiger lagerungs- /altersbedingter Mängel des Abzugs erkennt man hier auf Anhieb die Merkmale eines Ley Typ M8 der frühen 1920er Jahre:

  • moderater Spitzkühler mit typischem Ley-Emblem (hier sogar mit „Ley“-Schriftzug)
  • fünf niedrige, breite Luftschlitze in der Motorhaube, leicht nach hinten versetzt
  • Bremstrommeln nur an der Hinterachse, innenliegender Bremshebel.

Untypisch (soweit sich das sagen lässt) sind die filigranen Drahtspeichenräder. Sie waren bei deutschen Autos bis in die Mittelklasse generell selten, stattdessen dominierten weniger empfindliche Stahlspeichenräder.

Interessant ist, dass hier zwar noch keine Vorderradbremse verbaut wurde – was für eine frühe Entstehung bis 1924 spricht – jedoch bereits Reibungsstoßdämpfer vorhanden waren (neben der vorderen Federaufnahme zu erkennen):

Ley_M8_bis_1924_Dierks_Frontpartie

Dabei kann es sich wie im Fall der sportlich-leichten Drahtspeichenräder um ein auf Wunsch erhältliches Zubehör gehandelt haben.

Die Stoßstange aus rustikal zurechtgebogenem Bandstahl folgt zeitgenössischen Vorbildern aus den USA und will nicht so recht zur Raffinesse des Ley passen.

Sehr schön zu sehen ist auf diesem Bildausschnitt neben dem geschwungenen „Ley“-Schriftzug am unteren Ende des Kühlers die leicht nach außen zeigende Stellung der Zusatzlampen unterhalb der Hauptscheinwerfer.

Damit wurde in Kurven gezielt der Straßenrand ausgeleuchtet, der damals meist unbefestigt war und entsprechend tückisch sein konnte.

Vom Kennzeichen ist leider nur ein Teil zu sehen, die Machart der Nummernschilds mit schwarzem Rahmen und schwarzer Schrift auf weißem Grund verweist aber auf eine Zulassung in Deutschland.

Besondere Aufmerksamkeit verdient die Seitenpartie, da sie Details zeigt, die bei etwas späteren Wagen desselben Typs verschwunden sind:

Ley_M8_bis_1924_Dierks_Seitenpartie

Bedingt durch die Montage der zwei (!) Reservereifen hinter dem Vorderschutzblech ist hier kein Platz für eine Fahrertür.

Das wirft die Frage auf, weshalb die Ersatzräder nicht auf der anderen Seite angebracht wurden. Nun, dann hätte es der Beifahrer beim Einsteigen schwerer gehabt als der Fahrer – damals stand der Komfort der Passagiere noch im Vordergrund.

Dasselbe gilt für das großzügige Platzangebot im Heck des Wagens. Für ausreichende Beinlänge war im Fonds von Vorkriegsautos stets gesorgt – speziell zu Zeiten, als  die  Besitzer hinten saßen und über einen angestellten Chauffeur verfügten.

Hier wurde durch einen Kunstgriff auch für zusätzliche Breite gesorgt. So kragt die Karosserie im hinteren Bereich deutlich über den Schweller hinaus, der den Rahmen kaschiert. Weiter vorne verengt sich der Aufbau dann zunehmend.

Besitzer von Vorkriegsautos, die auf „großem Fuß“ leben, wissen, wie eng es im Bereich der Pedalerie bei solchen frühen Wagen werden kann.

Passend zur Überschrift sollen auch die Zeitgenossen gewürdigt werden, die einst in diesem Ley Typ M8 unterwegs waren:

Ley_M8_bis_1924_Dierks_Insassen

Wie die Ley-Wagen jener Zeit sind auch die Insassen eigenständige Charaktere – das erkennt man schon daran, dass hier jeder Kopf auf andere Weise gegen den Fahrtwind gewappnet ist.

Bei dem gebräunten Herrn mit Nickelbrille könnte es sich um den eigentlichen Fahrer gehandelt haben. Dafür spräche die „Prinz-Heinrich“-Mütze und das Fehlen einer auf der Rückbank solcher offener Wagen anzuratenden Schutzbrille.

Genau eine solche trägt dagegen der Beifahrer, der sie wie die Dame am Steuer eigentlich nicht unbedingt bräuchte, da vorn die Windschutzscheibe ausreichend Augenschutz bietet.

Wer übrigens außer der „Sunlicht“-Reklame auf der Werbetafel weitere Marken erkennen kann, kann dies über die Kommentarfunktion kundtun. Ich freue mich immer über Details, die aufmerksame Leser bemerken und die ich übersehen habe.

Nachtrag: Leser Matthias Schmidt aus Dresden macht mich darauf aufmerksam, dass die Anzeigentafel auch eine Reklame des Kaufhauses Renner aus seiner Heimatstadt zeigt. Somit wird dieses Foto im Umland der sächsischen Metropole entstanden sein.

Nun aber zum Vergleichsstück – einem auf den ersten Blick ganz ähnlichen Ley Typ M8 auf einem Foto aus meiner eigenen Sammlung:

Ley_M8_1924_Pk_07-1930_Galerie

Ley Typ M8; Originalaufnahme aus Sammlung Michael Schlenger

Auch hier sehen wie einen moderaten Spitzkühler mit „Ley“-Emblem sowie fünf etwas nach hinten versetzte Luftschlitze in der Motorhaube.

Die übrigen Details erscheinen ebenfalls recht ähnlich.

Doch schaut man hier genauer hin, treten zahlreiche Unterschiede zutage – teils formaler, teils technischer Art. Beginnen wir auch hier am Vorderwagen:

Ley_M8_1924_Pk_07-1930_Frontpartie

Der wohl augenfälligste Unterschied gegenüber dem Ley M8 auf dem ersten Foto ist der nach hinten ausschwingende Vorderkotflügel, in den das Reserverrad eingelassen ist. Diese Lösung war nicht nur platzsparend, sondern wirkte auch gefälliger.

Im Vergleich zu den Drahtspeichenrädern kommen die lackierten Stahlspeichenräder hier zwar stämmiger daher, fügen sich aber gut in das Gesamtbild ein.

Hinter den Speichen des uns zugewandten Vorderrads ist – wenn nicht alles täuscht – der Umriss einer Bremstrommel zu erkennen. Ihr Durchmesser scheint dem der Trommel an der Hinterachse zu ähneln.

Das ist interessanter Befund: Möglicherweise waren die letzten Spitzkühlermodelle dieses Typs, die 1924/25 durch modernisierte Wagen mit Flachkühler ersetzt wurden, bereits ab Werk ebenfalls mit Vorderradbremsen ausgestattet.

Dasselbe Phänomen findet sich übrigens am Presto Typ D 9/30PS, der ausweislich zeitgenössischer Werbung zuletzt ebenfalls Vierradbremsen besaß, ohne dass die Literatur dies erwähnt.

Aufmerksamen Betrachtern dieses Bildausschnitts wird der Taxameter nicht entgangen sein, der am Frontscheibenrahmen angebracht ist. Wenn ein Wagentyp im harten Droschkenbetrieb eingesetzt wurde, was das ein Qualitätsausweis.

In der Tat besaßen die Ley-Automobile einen ausgezeichneten Ruf. Ob der hier abgebildete Ley M8 von Anfang im Taxibetrieb unterwegs war, ist aber ungewiss.

Das Foto lief nämlich erst im Juli 1930 als Postkarte. Demnach war der Ley wahrscheinlich schon etliche Jahre alt, als er auf Zelluloid gebannt wurde.

Möglicherweise gibt die Uniform des Soldaten (wenn es einer war) neben dem Wagen einen Hinweis auf das frühestmögliche Entstehungsdatum dieser Aufnahme:

Ley_M8_1924_Pk_07-1930_Insassen

Die Insassen des Ley bieten ein opulentes Spektrum an Charakteren. Vorn rechts am Steuer der wackere Fahrer, der die Verbindung zu seinem Ley mit einem entsprechenden Emblem an der Schirmmütze kundtut.

Auf dem Beifahrersitz wendet sich ein wohlgenährter Schnauzbartträger der Kamera zu. Der helle Anzug weist ihn als Flaneur aus, der viel Zeit für leibliche Genüsse hat…

Auf der Rückbank sitzt zusammengesackt sein Gegenstück im fortgeschrittenen Alter und in ungesund wirkender Verfassung – sein Schneider wird ihm demnächst eine neue Weste anfertigen müssen, wenn nicht vorzeitiges Ableben dies überflüssig macht.

Solide wie der Fahrer wirkt der zweite Schirmmützenträger im Wagen – eventuell wie dieser Angestellter eines florierenden Droschkenbetriebs.

Am sympathischsten kommt mir der gelöst wirkende ältere Herr auf der Rückbank vor. Seiner Barttracht nach zu urteilen ist er noch in der Kaiserzeit großgeworden.

Vielleicht bezieht er als ehemaliger Staatsbediensteter eine solide Pension und genießt nun im Alter die Vorzüge motorisierter Fortbewegung, deren Kindertage er als junger Bursche bewusst miterlebt hat.

Alles, was auf diesem alten Abzug festgehalten wurde, ist längst vergangen – sicher auch der Ley Typ M8 in der frühen Spitzkühlerversion. Mir ist lediglich bekannt, dass von der ab 1924/25 gebauten Flachkühlerversion zumindest ein Exemplar noch existiert.

Es würde mich aber nicht wundern, wenn sich in Skandinavien, in Osteuropa oder in Australien noch ein Spitzkühler-Ley erhalten hätte und wir es bloß nicht wissen, dass ein derartig charakterstarker Zeitgenosse auf vier Rädern noch unter uns weilt…

© Michael Schlenger, 2019. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

3 Gedanken zu „Zeitgenossen mit Charakter: Ley Typ M8 8/36 PS

  1. Einem weiteren Leser verdanke ich den Hinweis auf die Werbung des Kaufhauses Renner aus Dresden – somit dürfte die Aufnahme nicht weit davon entstanden sein.

  2. Klasse, danke! Wusste doch, dass sich auch dafür ein Kenner findet…

  3. Rechts neben der Sunlicht Werbung wird noch für „Casanova Cigaretten“ geworben. Der Entwurf des rauchenden Hundes stammt von Ludwig Hohlwein.
    Gruß Ralf

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