Spurensuche in Deutschland: Steyr Typ XII Limousine

Mein Eindruck ist, dass die ausgezeichneten Wagen der bedeutenden österreichischen Vorkriegsproduzenten – also Austro-Daimler, Steyr und Puch – heute in der deutschen Klassikerszene unverdientermaßen ein Schattendasein führen.

Das ist schade, denn macht sich vor klassischer Kulisse wie dieser ein offener Gräf & Stift Typ SR2 nicht weit besser als die schwer gepanzerten Limousinen der „Dem deutschen Volke“ angeblich Dienenden?

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Gräf & Stift Typ SR2 vor dem Berliner Reichstag; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Während Berliner Politpersonal (wie in Vorkriegszeiten) für sich selbst PS-starke Prestigefahrzeuge aus heimischer Produktion reklamiert – und den Finanziers des Ganzen Elektroautos mit Minimalmobilität vorschreiben möchte – war die deutsche Hauptstadt in den 1920er Jahren in automobiler Hinsicht ein Hort der Freiheit.

Nirgends sonst hierzulande standen so viele internationale Hersteller zur Auswahl – ohne dass dem Käufer selbsternannte Lenker eines angeblichen „Weltklimas“ mit Verdammnis drohten.

Neben den unvermeidlichen US-Fabrikaten, die Ende der 1920er mehr als ein Drittel des nach Mobilität dürstenden deutschen Marktes bedienten, hatten in Berlin einst auch österreichische Firmen eine prominente Position inne.

Hier haben wir die Vertretung von Austro-Daimler und Steyr in Berlin:

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Ausstellungsraum von Austro-Daimler und Steyr in Berlin; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Leider konnte ich den genauen Ort dieser reizvollen Aufnahme bislang nicht ausfindig machen. Weder am Kurfürstendamm noch „Unter den Linden“, wo sich die besten Adressen in Berlin ein Stelldichein gaben, wurde ich bislang fündig.

Vielleicht helfen die Namen der Bank H. Hentz & Co und des in Berlin mit eigener PKW-Produktion präsenten US-Autobauers Overland einem sachkundigen Leser weiter.

Nachtrag: Leser Klaas Dierks gab mir den Hinweis, dass sich der Ausstellungsraum tatsächlich an der Adresse „Unter den Linden 69“ befand – als Quelle dafür nennt er das Berliner Adressverzeichnis von 1932. Der Sitz der Vertriebsgesellschaft dagegen befand sich in Berlin-Halensee.

Einstweilen befassen wir uns näher mit dem Steyr, der wie bestellt vor der Berliner Niederlassung der österreichischen Muttergesellschaft geparkt ist – gewissermaßen ein früher Fall von „Product Placement“:

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Leser meines Blogs werden sich vielleicht an einen opulent bebilderten Eintrag erinnern, der einen solchen Steyr des Typs XII auf einer Italienreise zeigte.

Das 1925 vorgestellte neue Modell aus Steyr mit kleinem, aber feinen Sechszylinder (kopfgesteuert) errang sich einen hervorragenden internationalen Ruf, unter anderem aufgrund der unabhängigen Aufhängung der Hinterräder.

Ein Qualitätsausweis besonderer Art war es, wenn sich ein neuer Wagentyp auch in der Taxibranche durchsetzte. Dieses in Berlin laufende Landaulet auf Basis eines Steyr Typ XII habe ich bereits vor einiger Zeit hier vorgestellt:

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Steyr Typ XII Landaulet; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

So bemerkenswert der Aufbau bei diesem Steyr Typ XII aus Berlin ist, so mäßig ist die Qualität des Abzugs – der im Original noch übler aussah, aber aufgrund der raren Karosserieversion eine Bearbeitung verdiente.

Doch wie so oft wird man bei der Spurensuche in der Welt der Vorkriegsautos in deutschen Landen früher oder später wieder fündig – auch beim Steyr Typ XII, der bis 1929 in mehr als 11.000 Exemplaren gebaut wurde.

Und dieses Mal stimmt alles: die Qualität des Abzugs, die wiederum ungewöhnliche Karosserie, die Örtlichkeit und das menschliche Element, das diesen Fotos erst das Leben einhaucht, das sie so faszinierend macht:

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Steyr Typ XII Limousine; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Nun mag man sagen, dass das doch bloß eine banale Limousine auf Basis des Typs Steyr XII sei. Ganz so banal kann der Aufbau aber nicht sein, so konventionell er auch anmutet. In der Literatur habe ich jedenfalls keine Entsprechung gefunden.

Ich vermute, dass dieser Steyr dort eingekleidet wurde, wo der Wagen auch zugelassen wurde – nämlich im Raum Duisburg. Dafür spricht jedenfalls das Kennzeichen „IY 50030. Vielleicht erkennt jemand ja auch die Plakette des Karosserielieferanten:

Steyr_Typ_XII_Zulassung_Düsseldorf_Frontpartie

Nachtrag: Steyr-Spezialist Thomas Billcsich verwies mich darauf, dass dieser Aufbau von Lindner aus  Halle in Sachsen kam.

Der Steyr sieht bei näherer Betrachtung schon ein wenig „mitgenommen“ aus:

  • die Nabenkappe mit dem Firmenschriftzug ist zerdellt,
  • der in Fahrtrichtung rechte Kotflügel hat auch schon „Feindkontakt“ gehabt.
  • der Zustand der wohl nachgerüsteten Doppelstoßstange spricht ebenfalls für einige Jahre Großstadtbetrieb.

Tatsächlich liefert das Foto selbst einen Hinweis darauf, dass dieser Steyr einst mitten in Duisburg lief und nicht im Umland:

Steyr_Typ_XII_Zulassung_Düsseldorf_Fahrer

„Händelstraße Ecke Oststraße“ steht auf dem massiv wirkenden Schild neben dem zeittypischen Blechschild mit dem Hinweis auf eine „Kraftwagenanlage“ – genau solch ein altes Stück befindet sich auch in meiner Fahrzeughalle.

In Duisburg landet man mit dieser Ortsangabe hier. Wie es scheint, ist dort einige Originalsubstanz erhalten geblieben – existiert möglicherweise die Garage noch?

Und wenn wir schon bei der Spurensuche sind: Was hat das Emblem zu bedeuten, das die Schirmmütze des Fahrers dieses Steyr Typ XII ziert?

Steyr_Typ_XII_Zulassung_Düsseldorf_Fahrer2

Leser Helmut Kasimirowicz aus Düsseldorf brachte mich darauf, dass es sich wahrscheinlich um einen Schirmmützenadler des ADAC handelt.

Nebenbei muss der wackere Steyr-Fahrer, der uns hier so selbstbewusst und zufrieden anschaut, ein großgewachsener Mann gewesen sein: Denn den Steyr mit immerhin knapp 1,75 m Gesamthöhe (in der Limousinenausführung) überragt er deutlich.

Was mag das Leben wohl für ihn noch bereitgehalten haben außer der sicher sehr anständigen Anstellung als Fahrer des Besitzers eines feinen Steyr-Typ XII? Das wird unsere Spurensuche wohl leider nicht mehr zutagefördern…

© Michael Schlenger, 2019. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

13 Gedanken zu „Spurensuche in Deutschland: Steyr Typ XII Limousine

  1. Hallo Hr. Schlenger!
    Die selbe Karosserie vom Steyr XII —Landaulet wurde auch für die Österr. Marke ÖAF ( Österreichische Automobil Fabrik ) gebaut. Ich habe so ein Fahrzeug Typ „1001 Taxameter „ vor Jahren aus Berlin nach Österreich importiert
    lg. Max Zottler

  2. Auch dafür danke. Hatte im ursprünglichen Beitrag die Steyr-Wagen auf den anderen Bilder irrtümlich als Typ XX angesprochen, aber durchweg den Typ XII gemeint (auf den ich ja auch verlinkt hatte). Ist nun im Titel und im Text geändert.

  3. Besten Dank – wieder etwas gelernt! Die Adresse in Halensee wurde mir auch von anderen Lesern bestätigt – der Ausstellungsraum befand sich jedoch in „Unter den Linden“ 69″.

  4. Noch eine Ergänzung:
    Vor den Toren der Vertretung steht ein Typ XX Phaeton (wie im Prospekt für Deutschland bezeichnet)
    Mit besten Grüßen
    Thomas Billicsich

  5. Sehr geehrter Herr Schlenger
    ,
    danke für ihren Blog zu Steyr. War einige Zeit auf hoher See und erst jetzt wo ich wieder festen Boden unter den Füßen habe kann ich ihnen antworten. Nach meinen Unterlagen nach war die Austro-Daimler-Steyr Vertriebsgesellschaft in Berlin-Halensee, Nestorstr. 23-25, J7(Hochmeister) 7561/62 zu finden.
    Diese Adresse ist zumindest auf einem Prospekt für Steyr XX angegeben.
    Steyr XX und XII sind schwierige Kapitel. Der Typ XII werde ca 12 000 mal am Fließband gebaut. Erst 1929 wurde der Typ 20 für ein Jahr gebaut dann kam die Wirtschaftskrise und es standen viele wagen auf Halde sodaß die Produktion eingestellt werden musste.. Der XII hat 1560 ccm Hubraum der XX ca. 2000 cm.
    Das Auto auf ihren Bilder ist ein Steyr XII Innenlenker Lindner mit einer Stahlkarosserie auf Holzgerippe der Firma Lindner bei Halle a.S. in Deutschland der auch in den Prospekten von Steyr angeboten wurde.
    Was ich nicht genau sehen kann ob es ein Rechts oder Linkslenker ist.In Österreich wurde vernünftiger Weise noch Links gefahren deshalb wurde die Mehrzahl der Fahrzeuge als Rechtslenker ausgeliefert aber es gab auch auf Wunsch Linkslenker.

    Besten Dank für ihren immer Interessanten Blog.
    Mit freundlichen Grüßen
    Thomas Billicsich

  6. Hallo,
    der für 1935 angegebene link aus dem Branchenteil des Berliner Adressbuches in Halensee verweist auf den Firmensitz, der nicht identisch ist mit dem Ort des Showrooms. der war UdL69. So steht es im namensverzeichnis und im Verzeichnis der Strassen und Gebäude des Berl. AdrB.
    Schöne Grüße,
    K.D.

  7. Hervorragend, danke für den Link!

  8. Herzlichen Dank, das hilft mir weiter!

  9. Welches ist Ihre Quelle?…
    Das Berliner Adressbuch von 1932.
    Gruß,
    D.

  10. Besten Dank! Das hatte ich anfänglich auch vermutet, aber kein Belegfoto bzw. keine solche Adresse einer Austro-Daimler-Vertretung finden können. Welche ist Ihre Quelle?

  11. Hallo Herr Schlenger,
    die gesuchte Adresse ist Berlin, Unter den Linden 69.
    Mit besten Grüßen,
    D.

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