Fund des Monats: Chiribiri „Monza“ von 1925

Was ich heute in meiner Rubrik „Fund des Monats“ präsentiere, kommt auf den ersten Blick unscheinbar daher. Doch entpuppte sich der Wagen, um den es geht, nach einiger Recherche als veritabler Leckerbissen.

Entdeckt hat das Originalfoto ein Leser und zuverlässiger „Lieferant“ von Qualitätsaufnahmen der Vorkriegszeit: Klaas Dierks aus Hamburg. Selbst in der Welt von Fotografie und Film zuhause, hat er ein Auge für handwerklich hochwertige Aufnahmen und zugleich einen Instinkt für Rares auf vier Rädern.

Falls er einmal nicht weiß, was er an Land gezogen hat, fragt er mich gern um meine Meinung. Oft kann ich auf Anhieb weiterhelfen, genauso oft muss ich aber voerst passen.

So war das auch bei diesem schönen Dokument:

Chiribiri „Monza“; Originalfoto aus Sammlung Klaas Dierks

So schlicht sahen viele Tourenwagen um die Mitte der 1920er Jahre aus. Vorbei war damals bei vielen Herstellern – auch im deutschsprachigen Raum – die Zeit der opulenten Tulpenkarosserien und schnittigen Spitzkühler.

Eine nüchterne, mitunter ans Belanglose grenzende Formensprache hatte Einzug gehalten – nicht zufällig parallel zur Tendenz hin zu Sachlichkeit in der Architektur.

Leider ist das Markenemblem auf dem Kühler auch auf dem Originalabzug nicht fein genug aufgelöst, um lesbar zu sein.

Auch die Kühlerfigur hilft nicht weiter – ein Buddha, den der Besitzer vermutlich selbst angebracht hat – vermutlich in ironischer Absicht, denn „In-sich-ruhen“ war bei diesem Wagen überhaupt nicht angezeigt, wie noch zu sehen sein wird:

Feiner gestaltet als bei vergleichbaren Tourern jener Zeit sind die Vorderkotflügel. Auch fiel mir eine gewisse Ähnlichkeit der Seitenteile der Motorhaube mit zeitgenössischen Fiat-Modellen auf.

Mein vorläufiges Votum war daher: „um die Mitte der 1920er Jahre, wahrscheinlich ein italienischer Nischenhersteller„. Das sollte sich am Ende auch als richtig erweisen, nur auf die Marke wäre ich selbst nie gekommen.

An dieser Stelle kommt Claus Hinrich Wulff aus Berlin ins Spiel. Er ist Spezialist für Kühlerembleme obskurer Autohersteller, die er auf seiner Website präsentiert.

Auf meine Frage, was das für ein Wagen auf dem Foto von Klaas Dierks sein könne, wusste er eine Antwort – sie lautete: Chiribiri. Was wie eine Fantasiebezeichnung klingt, ist schlicht ein italienischer Familienname (ausgesprochen „Kiribiri“).

Ab 1905 begegnen wir einem aus Venedig stammender Techniker dieses Namens – Antonio Chiribiri – bei mehreren italienischen Automobilherstellern: Isotta Fraschini, Brixia-Züst und Fabbrica Junior Torinese Automobili (ja, die hieß wirklich so).

Bei keinem Unternehmen hielt es ihn lang. Chiribiri entdeckte 1909 seine Leidenschaft für das neu erfundene Flugzeug und gründete nach kurzem Aufenhalt bei Italiens erstem Flugzeugbauer Officine Miller in Turin 1911 eine eigene Firma für Luftfahrzeuge, die Fabbrica Torinese Velivoli Chiribiri.

Chiribiri baute ab 1912 kurzzeitig selbstentwickelte Flugzeuge, nach Ausbruch des 1. Weltkriegs dann französische Gnome-Rhone-Flugmotoren in Lizenz.

Noch 1914 war Chiribiri außerdem in den Automobilbau eingestiegen. Die Produktion von Wagen der 1,1- und 1,3-Liter-Klasse endete jedoch 1917.

Ab 1919 brachte Chiribiri dann den neuentwickelten 1,6-Liter-Typ „Unico“ heraus, der sich durch ein am Hinterachsdifferential angeflanschtes Getriebe auszeichnete – wohl der erste Vertreter dieser Bauweise überhaupt.

Mit Sportversionen dieses Typs heimste Chiribiri bis 1922 einige Erfolge ein, bevor man das neue Modell „Roma“ herausbrachte. Damit setzte niemand Geringeres als Tazio Nuvolari – einer der besten Rennfahrer aller Zeiten – die Erfolgsgeschichte von Chiribiri fort.

Schon 1923 gab es einen Nachfolger, nun mit aufwendiger Ventilsteuerung über zwei obenliegende Nockenwellen. Bereits die Serienausführung leistete beachtliche 45 PS aus nur 1500 ccm Hubraum – die höherdrehende Sportversion „Spinto“ kam auf 65 PS.

Chiribiri erlangte mit den Rennerfolgen und den auch „zivil“ erhältlichen Wagen einiges Renommee. Selbst in Deutschland gab es offensichtlich eine Vertriebsgesellschaft:

Chribiri-Reklame um 1925, Grafik von R. Zopf; Quelle: https://poster-auctioneer.com/realisierte_preise/view_real_price/Zopf-R-Chiribiri-112527

Auch wenn der Chiribirri auf dieser grafisch reizvollen Reklame stark stilisiert ist, hat der Künstler ein wichtiges Detail getreu wiedergegeben – die Vorderradbremsen.

Welche Früchte der Vertrieb des Chiribiri „Monza“ in Deutschland getragen hat, dürfte nicht mehr in Erfahrung zu bringen sein. Doch zumindest das Foto von Klaas Dierks ist ein Beleg dafür, dass dieser leistungsfähige Wagen auch hierzulande Freunde fand.

Zwar ist das Nummernschild nicht zu erkennen, man wird aber nicht fehlgehen, in dem jungen Mann am Lenkrad keinen Italiener, auch keinen Franzosen oder Briten zu sehen:

Ich würde hier bei aller Vorsicht auf eine norddeutsche Abkunft des ernst in die Ferne schauenden Mannes mit typischer zweireihiger Lederjacke und Ballonmütze tippen.

Auf diesem Ausschnitt fühlt man sich wohl nicht zufällig an den zeitgleichen Lancia Lambda erinnert, der sich ebenfalls durch einen sehr niedrigen Aufbau auszeichnete. Bei deutschen Herstellern findet sich eine so schlanke Linienführung damals nur selten.

Für diejenigen, die noch Zweifel an der Identifikation des Wagens als Chiribiri „Monza“ gehen, sei auf folgende Reklame von 1925 verwiesen, die präzise dieses Modell zeigt:

Chribiri-Reklame von 1925; Quelle: https://www.drive2.com/b/758788/

Das abgebildete Auto stimmt ganz mit dem Wagen auf dem heute vorgestellten Foto überein – auch die Vorderradbremsen sind in beiden Fällen zu erkennen.

Der in der Reklame neben dem „Monza“ erwähnte Chiribiri „Milano“ war eine einfachere Ausführung, deren 1,5 Liter-Motor einen konventionellen Ventiltrieb (seitengesteuert) besaß und auch optisch behäbiger daherkam.

Da es unwahrscheinlich ist, das Chiribiri in der Reklame von 1925 ausgerechnet dieses Basimodell mit kaum mehr als 20 PS zeigte, darf man die Ansprache des Chiribi auf dem Foto als die sportlichere Ausführung „Monza“ für sehr wahrscheinlich halten.

Im übrigen ließ sich Chiribiri seine äußerst sorgfältig verarbeiteten Wagen (ein Erbe der einstigen Flugzeugproduktion) teuer bezahlen. Für das nicht gerade mit Temperament gesegnete Modell „Milano“ gab es am deutschen Markt genügend Alternativen.

Nein, hier hatte sich jemand bewusst für einen rassigen Chiribiri „Monza“ entschieden und als Herrenfahrer posierend ablichten lassen.

Was mag aus dem Wagen geworden sein? Hat jemand zumindest den feinen kopfgesteuerten Motor ausgebaut, als das Auto auf dem Schrott landete? Vielleicht schlummern ja noch irgendwo Teile davon – so etwas soll es geben.

Sicher ist nur, was aus der Firma von Antonio Chiribiri wurde. Nachdem man mit der Rennversion „Monza Corsa“ ein 180 km/h schnelles Geschoss auf die Räder gestellt hatte, das unter anderem bei der Targa Florio auf Sizilien antrat, ging es wirtschaftlich mit dem Unternehmen bergab.

Die Straßenversion des „Monza“ wurde 1927 eingestellt, der bravere „Milano“, seinerzeit von Taxifahrern für seine Zuverlässigkeit geschätzt, lief 1928 aus. 1929 erfolgte dann die Liquidation der Firma.

Die Fabrik bestand unter anderer Regie fort, doch musste Antonio Chriribirri zum Glück nicht mehr erleben, dass sie bei einem alliierten Bombenangriff auf Turin 1943 mitsamt dem Firmenarchiv zerstört wurde.

So sind Fotos wie das hier gezeigte neben alten Reklamen und einer handvoll überlebender Wagen die letzten Zeugen des einst so ambitionierten Schaffens von Chiribiri.

© Michael Schlenger, 2020. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

3 Gedanken zu „Fund des Monats: Chiribiri „Monza“ von 1925

  1. 1927 nahm Paul Bischoff aus Hannover auf einem Chiribiri erfolgreich beim Wiesbadener Automobilturinier teil. Im Rennen „Rund um den Neroberg“ wurde er Klassensieger in der Tourenwagenklasse bis 1½ Liter. Ernes Merck schied hier mit ihrem Mercedes(-Benz) in dieser Klasse an zweiter Stelle liegend kruz vor Schluss aus.
    Die Zeit für 37,5 km (3 Runden) der kurvenreichen Strecke war mit 33:23,4 Minuten durchaus bewekenswert.

  2. Thanks for sharing, very much appreciated!

Kommentar verfassen