Mehr als nur ein altes Auto: Citroen Type B2

Eigentlich geht es mir in meinem Blog darum, die Schönheit wirklich alter Automobile zu zelebrieren. Das muss nicht bedeuten, dass ein Fahrzeug so perfekt sein muss, als sei es gerade aus der Fabrikhalle gerollt.

Tatsächlich bevorzuge ich auch bei meinen eigenen historischen Fahrzeugen ein Erscheinungsbild, das eher dem einstigen Alltagszustand entspricht – dabei reicht die Bandbreite von gut gepflegt bis schwer patiniert, aber immer noch hübsch anzuschauen.

Das Auto, das ich heute anhand eines historischen Fotos vorstelle, fällt in eine eigene Kategorie, die man nur als heruntergekommen bezeichnen kann. Dennoch verdient auch ein solcher Zustand Sympathie, wenn er authentisch – also Ausdruck seiner Zeit – ist.

Wenn man beim Anblick des Wagens schlucken muss, um das es geht, liegt das nicht nur daran, wie verbraucht das Auto aussieht, sondern auch an den äußeren Umständen, die etwas Bedrückendes haben.

Ich habe vor einer ganzen Weile hier denselben Typ anhand eines Fotos präsentiert, das demgegenüber auf den ersten Blick aus einer heilen Welt stammt:

Citroen Type B2; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Dieses Foto entstand ausweislich der Beschriftung beim „Kloster Drakenburg“ im Winter 1941.

Zu diesem Zeitpunkt hatte sich der Angriff der deutschen Wehrmacht kurz vor Moskau festgefressen, das Heer litt unter unzureichender logistischer Vorbereitung, vor allem was Kleidung angeht, die Schutz vor zweistelligen Minusgraden bot.

Die Herren auf dieser Aufnahme ahnten offenbar nichts von dem Drama, das sich im Osten abspielte und das den Soldaten auf beiden Seiten furchtbare Opfer abverlangte.

Sie haben sich an einem sonnigen Wintertag um einen Wagen versammelt, der der Beschlagnahmung zu Beginn des Kriegs entgangen war, weil er wie praktisch alle Autos der 1920er Jahre veraltet, zu schwach und zu reparaturanfällig war.

Es handelt sich um den Type B2 von Citroën die 1921 vorgestellte Nachfolgeversion des Typs A, des ersten Automobils, das der französische Hersteller 1919 herausbrachte.

Firmeneigner André Citroën hatte nach Vorbild von Henry Fords Model „T“ ein Fahrzeug speziell für die Massenproduktion entwickeln lassen. Bekannter wurde allerdings erst der ab 1921 gebaute kleinere Typ 5CV, der ein noch größerer Erfolg war und das Vorbild für den späteren Opel 4 PS-Typ „Laubfrosch“ abgab.

Jedenfalls findet man zumindest hierzulande Aufnahmen dieses frühen Citroën eher selten. Das Foto, das ich heute präsentiere, stammt aus Frankreich, hat aber in Form einer zeitgenössischen Postkarte irgendwie den Weg nach Deutschland gefunden:

Citroen Type B2; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Diese Aufnahme macht es dem Betrachter nicht einfach: Das Auto ist in bemitleidenswertem Zustand, die Frontpartie ist heftig zerdellt und die Vorderräder wurden durch solche mit nicht originalen Dimensionen ersetzt.

Man fragt sich, was man anstellen muss, um im damals dünnen Verkehr die Schutzbleche so zuzurichten, wie das hier der Fall ist.

Die Antwort liegt für mich in einem gnadenlosen Einsatz irgendwo auf dem Lande, entweder auf einem Bauernhof oder in einem Handwerksbetrieb, wo schon mal etwas unbeabsichtigt auf das Auto fallen konnte oder beim Abstellen des Wagens im Weg war.

Kann jemand anhand des Nummernschilds – nach in Frankreich lange üblicher Manier hier von Hand gemalt – etwas zu Ort und Zeitpunkt der Zulassung sagen?

Der Zustand des Citroën lässt mich vermuten, dass er nach dem 2. Weltkrieg aufgenommen wurde, als im von Kämpfen zwischen deutschen und alliierten Truppen vielerorts verwüsteten Frankreich Autos absolute Mangelware waren.

Dafür würden auch die auf den Vorderkotflügeln angebrachten Blinker sprechen, die eventuell ein Zubehörteil waren oder von einem anderen Wagen stammten.

Offensichtlich waren keine Reifen mehr in der originalen Dimension verfügbar, weshalb man Räder eines anderen Autos mit passendem Lochkreis montierte, deren Reifen breiter waren und einen geringeren Durchmesser aufwiesen.

Auch das lässt mich vermuten, dass das Foto erst kurz nach dem 2. Weltkrieg entstand. Ein weiteres Indiz findet sich auf dem nächsten Ausschnitt, das kaum weniger verstörend ist als der Anblick der schwer mitgenommenen Frontpartie des Citroën:

Hier ist zu erkennen, dass der Wagen auf der rechten Seite zwei Türen besaß. Aus meiner Sicht ist das ein Merkmal, anhand dessen sich der Citroën Type B2 vom stilistisch sehr ähnlichen, aber kleineren Typ 5CV unterscheiden lässt.

Offenbar stammt auch das Hinterrad von einem Fremdfabrikat. Solche Felgen mit Radkappen besaßen frühe Citroëns nicht.

Was aber eher den Blick auf sich zieht, ist der finster dreinschauende Mann mit Schiebermütze, der zwei kleine Jungen festhält. Sein Gesichtsausdruck ist hier vorsichtig mit „säuerlich“ zu bezeichnen.

Man fragt sich, was sich hinter dieser wenig sympathischen Physiognomie verbirgt. Der Gesichtsfarbe nach zu urteilen, handelt es sich um einen Landwirt oder einen im Freien arbeitenden Handwerker.

Sein Alltag scheint nicht leicht gewesen zu sein und als Hobby-Psychologe möchte man ihm einen Hang zum Jähzorn zuschreiben, so wie er in die Kamera schaut. Vielleicht ist er aber auch nur unvorteilhaft wiedergegeben.

Immerhin scheint seine Beschäftigung lukrativ genug gewesen zu sein, um einen alten Citroën zu ermöglichen, was keineswegs selbstverständlich war. Doch unübersehbar waren nicht die Mittel vorhanden, um das Auto mehr als notdürftig am Leben zu erhalten.

Wenn die beiden Kinder etwas verwahrlost erscheinen, sollte man diesen Eindruck nicht überbewerten. Sie wurden damals allgemein nicht so verwöhnt wie heute und mussten alte Sachen von Geschwistern auftragen oder bekamen improvisierte Kleidung verpasst.

Das vermutlich gummierte Mäntelchen des uns freundlich anschauenen Jungen im Vordergrund könnte ein weiterer Hinweis auf die frühe Nachkriegszeit sein. Möglich aber auch, dass man hier schlicht vorhandene alte Materialien verwendet hat.

Sein mutmaßlicher Bruder auf dem Trittbrett schaut ängstlich drein. Sein Kittel scheint erst recht improvisiert zu sein und er trägt einen Verband über dem linken Auge. Vielleicht wollte man bei ihm eine Fehlstellung eines Auges korrigieren,

So prekär die Verhältnisse dieser Familie auf uns oft verwöhnte Menschen des 21. Jahrhunderts auch wirken, muss man die Aufnahme im rechten Kontext sehen: Offenbar besaß man nicht nur ein altes Auto, sondern auch eine Kamera und konnte sich teures Filmmaterial leisten – das war bis in die 1950er Jahre alles andere als selbstverständlich.

Letztlich sieht man auf diesem Foto weit mehr als nur ein altes Auto, das Anlass zum Nachdenken gibt. Der Wohlstand unserer Zeit wurde mit Härten erarbeitet und erkauft, an denen viele heute zerbrechen würden, die meinen ihr Dasein beklagen zu müssen.

Gleichzeitig zeugt die Aufnahme trotz des desolaten Zustands des Citroën davon, dass man wusste, was man an dem Wagen hatte. Er gehörte zur Familie wie ein alter Klepper, der schon reif für’s Gnadenbrot war, aber immer noch brav seinen Dienst verrichtete.

Ein Auto in diesem Zustand erzählt uns mehr von der Lebenswirklichkeit unserer Vorfahren als manches auf übertriebenen Hochglanz gebrachte Fahrzeug, das die Zeiten überdauert hat, dem aber jegliche Spuren der Zeit abgehen…

© Michael Schlenger, 2020. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

5 Gedanken zu „Mehr als nur ein altes Auto: Citroen Type B2

  1. Vom aktuellen Osterbericht zum Mathis Bateau fiel mir noch die Bootsheckform der Labourdette-Version des Citroën B2 ein, und suchend nach weiteren B2-Varianten landete ich hier beim automobilhistorischen Osterbericht 2020.
    Betreffs des Winterfotos von 1941 bei „Kloster Drakenburg“ wäre dies vielleicht die Klärung bzgl. der Bebauung dieses niedersächsischen Areals :

    https://kirchengemeindelexikon.de/einzelgemeinde/drakenburg/

    Es könnte sich also um den 1962 abgerissenen Pfarrhof handeln, oder um den nun gastronomisch geführten Gutshof des nach dem Schloßbrand verbliebenen Ritterguts, die damals wohl als baulich zur Kirche St. Johannis der Täufer zugehörig wirkten und daher als Kloster bezeichnet wurden. Und nun freute ich mich auf 2 weitere Bildberichte – den neuesten zum Durant 66 und den früheren zum Hanomag 3/18 PS !

  2. Danke Dir, Michael. Die Vorkriegskennzeichen behielten in Frankreich m.W. auch nach 1945 noch ihre Gültigkeit, sodass das Foto sowohl aus den 1930er Jahren als auch aus der Nachkriegszeit stammen kann.

  3. Wenn die Endung des Kennzeichens RE8 ist, dann ist es Paris März 1931, ist es RF8 dann sind wir im Juni 1932.

  4. Danke für den Kommentar und den Hinweis auf die spezielle Variante des Wagens – wieder was gelernt. Ich besitze selbst drei französische Vorkriegswagen, die in mehr oder minder starkem Gebrauchtzustand überlebt haben, allesamt für überschaubare Beträge erstanden. Frohe Ostern!

  5. Guten Tag Herr Schlenger,

    schön, dass Sie wieder das Thema Citroen in der Rundschau bringen. Autos in dem gezeigten Zustand kann man ab und zu noch in Frankreich finden. Das hat 2 Gründe: die Franzosen haben nicht so gründlich wie wir Deutschen alles Alte entsorgt, sondern eher irgendwo stehen lassen oder aufgehoben. Daher ist es so interessant, in Frankreich auf Oldtimermärkte zu gehen, man kann immer noch mit etwas Glück und Sucherei in Kisten für kleines Geld Ersatzteile für Autos der 20er und 30er Jahre finden. In Frankreich waren auch wesentlich mehr Autos unterwegs als in Deutschland, es war das meistmotorisierte Land nach USA (lt. Almanach Citroen 1933, siehe Statistiken).

    Die lädierten Kotflügel kommen von dem in der letzten Nutzungsphase sorglosen Umgang mit den Autos, wo der Fahrer beim Rangieren sicher irgendwo in engen Bereichen hängen blieb (Bäume, Ecken usw.).

    Die abgebildeten Wagen in Ihrem Beitrag sind vom Typ B2, dem Nachfolger des Typs A. Augenfälligstes Merkmal ist die stark nach vorne abfallende Motorhaube beim A, während beim B2 die Haube weitgehend waagerecht verlief. Beim A waren es nur 3 Luftschlitze am hinteren Teil der Haube, beim B anfangs auch, später dann aber waren sie durchgehend und schmaler. Anbei ein paar Bilder aus dem Bildband „Les garages Citroen“ von Fabien Sabatès und Wouter Jansen.

    Schöne Ostertage wünscht

    Martin Möbus

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