Fund des Monats: Ein Austro-Fiat Typ 1001

Für den Fund des Monats April 2020 hätte ich zwar spektakulärere Kandidaten in petto. Doch ist der Vorkriegswagen, den ich heute präsentiere, außergewöhnlich genug, um auch den Ansprüchen verwöhnter Kenner historischer Automobile zu genügen, so hoffe ich.

Gern wüsste ich jedenfalls, wer auf Anhieb in der Lage wäre, den Tourenwagen auf folgendem Foto zu identifizieren – österreichische Enthusiasten einmal ausgenommen:

Austro-Fiat Typ 1001 Tourenwagen; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Dieser schöne Abzug, der einen klassischen Tourenwagen der späten 1920er Jahre zeigt, wurde einst vom „Photo-Kunst-Salon J. Weitzmann“ in der Praterstraße 9 in Wien angefertigt (mehr zu dem Atelier siehe hier).

Der Stempel des Fotoateliers war ein erster Hinweis auf die Herkunft des Autos – denn dass es sich um kein deutsches Fabrikat handelt, war rasch klar.

Doch was könnte das für eine Marke sein? Das unscharf wiedergegebene Logo auf der Radkappe wie auch die Plakette des Karosserielieferanten sagten mir zunächst nichts:

Mein erster Gedanke war, dass es sich um ein Modell von Steyr handeln könnte – denn der Typ XII der Marke weist eine gewisse Ähnlichkeit auf – das merkwürdige Logo wollte jedoch nicht passen.

Bis ich den Wagen endlich identifizieren konnte, ging einige Zeit ins Land. In solchen Fällen kehre ich immer wieder zu solchen Rätselfotos zurück in der Hoffnung, dass ich in der Zwischenzeit irgendwo etwas gesehen habe, das mich daran erinnert.

Mitunter kann es Jahre dauern, bis man Erfolg mit dieser Technik hat. Oft bedarf es erst eines neuen Buchs oder Vergleichsfotos von Sammlerkollegen, die einen auf die richtige Spur bringen. Manchmal hilft es auch, bereits vorhandene Literatur durchzublättern.

Auf die eine oder andere Weise – genau weiß ich es nicht mehr – bin ich auf die Lösung gestoßen . Jedenfalls stellte sich heraus, dass der Wagen einst als Austro-Fiat firmierte.

Bevor ich Näheres zum Typ verrate, ein Exkurs zur Historie des Markennamens. Wie man sich denken kann, war Austro-Fiat eine Bezeichnung, die vom Turiner Fiat-Werk zum Vertrieb seiner Produkte in Österreich verwendet worden war.

Tatsächlich hatten die Italiener bereits 1907 im Wiener Stadtteil Floridsdorf die Österreichische Fiat-Werke Aktiengesellschaft gegründet. Dabei ging es keineswegs nur um den Bau von Fiat-Automobilen, sondern auch andere Produkte des Konzerns, beispielsweise Schiffs- und später Flugmotoren.

Nach anfänglicher Montage von Konstruktionen aus Turin scheint man ab 1910 beim Wiener Ableger zunehmend eigenständiger geworden zu sein. Inwieweit die bis zum 1. Weltkrieg gefertigten Modelle – insbesondere der Typ C1 – bereits „Eigengewächse“ waren, konnte ich auf die schnelle nicht ermitteln.

Nach dem 1. Weltkrieg jedenfalls nahm man wieder Kontakt mit dem Turiner Mutterkonzern auf und erneuerte das Vertragsverhältnis. Unklar ist mir, inwieweit die ab 1919 gebauten Austro-Fiats noch den Entwicklungen in Turin folgten. Vielleicht weiß jemand eine Quelle dazu.

Mein Eindruck aus der dünnen mir vorliegenden Literatur (vor allem: „Österreichische Kraftfahrzeuge“, von: Seper/Krackowizer/Brusatti, 1982) ist der, dass man in Wien die Vorkriegsmodelle eigenständig weiterentwickelte.

Dazu würden zwei Dinge passen: Zum einen erfolgte 1921 die Umbennung in Österreichische Automobil-Fabriks-Aktiengesellschaft, zum anderen bestand eine Kooperation mit zwei anderen österreichischen Herstellern: Austro-Daimler und Puch.

So halte ich es für wahrscheinlich, dass der Austro-Fiat auf dem heute vorgestellten Foto tatsächlich mehr österreichische als italienische Gene in sich trägt (siehe hier). Klar ist nur, dass es sich um den 1928 vorgestellten Typ 1001 mit 6/32 PS-Vierzylinder handelt.

In der mir vorliegenden Literatur findet sich kein entsprechendes Foto, wohl aber im Netz:

Austro-Fiat Typ 1001; Quelle: Coachbuild-Forum

Diese Quelle nennt auch den Hersteller der Karosserie – die Firma A. Weiser & Sohn, die 1920 von der Österreichische Fiat-Werke AG übernommen worden war.

Interessant ist, dass man in Wien auf Basis des Typs 1001 auch Nutzfahrzeugversionen baute – neben Taxis sogar leichte LKW.

Bis mindestens 1931 scheint der Austro-Fiat 1001 noch als PKW gebaut worden zu sein, später beschränkte man sich auf Nutzfahrzeuge. Wann der letzte Personenwagen des Typs 1001 das Werk in Wien-Floridstadt verließ, konnte ich nicht ermitteln.

Wahrscheinlich war es kein Tourenwagen mehr wie auf dem eingangs gezeigten Foto – dieser Aufbau war mittlerweile veraltet. Die Insassen des heute vorgestellten Austro-Fiat 1001 scheinen damit jedoch zufrieden gewesen zu sein:

Offenbar war der Wagen für eine Festivität geschmückt, vielleicht eine Hochzeit.

Auffallend die Ähnlichkeit zwischen den beiden Passagieren auf der Rückbank – wahrscheinlich Mutter und Tochter. Man sieht förmlich, wie das Mädchen als erwachsene Frau aussehen wird.

Ob der Fahrer ebenfalls zur Familie gehörte oder nur angestellt war – mitunter waren die Übergänge fließend – muss offenbleiben.

Auf jeden Fall ist das ein schönes Dokument, das zwar keine Sensation darstellt, aber für viele Leser wohl Neuland bedeutet und zudem einige Fragen aufwirft, die sich vielleicht irgendwann noch beantworten lassen…

Übrigens: Auf der famosen Website von Claus Wulff zu historischen Markenlogos und -emblemen finden sich auch mehrere Beispiele zu Austro-Fiat!

© Michael Schlenger, 2020. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

4 Gedanken zu „Fund des Monats: Ein Austro-Fiat Typ 1001

  1. Besten Dank für diese persönliche Geschichte, Herr Melkus!

  2. WIr hatten einen Austro Fiat 1001 Taxi für einige Jahre in unserer Familie.
    Mein Vater kaufte ihn ende der 50er Jahre und verwendete ihn als Alltagsauto.
    Nachdem er jahrelang in unserem Garten auf eine Restaurierung wartete, wurde er verkauft. Viel später entdeckte ich das Auto wieder und machte den Besitzer ausfindig. Es war immer noch der Herr der das Auto damals gekauft hatte. Leider ist es mir nicht gelungen ihn davon zu überzeugen das Auto an mich zurück zu verkaufen. Als Trost habe ich einige Jahre später einen Steyr XII erstanden den ich heute noch besitze.
    Grüße aus Salzburg

  3. Besten Dank für den Hinweis zum Anlass – sehr überzeugend! Das erwähnte Buch war mir schon begegnet, nun weiß ich, dass ich es mir zulegen sollte, habe nämlich noch ein weiteres Foto eines Austro-Fiat… Viele Grüße, Michael Schlenger

  4. Sehr geehrter Herr Schlenger,
    danke wieder einmal was Österreichisches. Der Anlass zum Foto war ein kirchlicher entweder Erstkommunion oder Firmung. Zu Austro-Fiat gibt es zwar kein eigenes Buch aber die MAN hat ja die Firma nach etlichen Fusionen bekommen und die Herausgabe des Buches „Von Austro-Fiat zur ÖAF Gräf & Stift“ 1994 unterstützt. Die Firma MAN produziert immer noch SpezialLKW in Wien. Auch ein 2.Buch „100 Jahre Fahrzeugbau in Wien“ enthält ein Kapitel zu AF.
    Herzliche Grüße aus Österreich
    Thomas Billicsich

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