Offene Frage: Hanomag „Rekord“ oder „Sturm“

Mein heutiger Blog-Eintrag befasst sich mit zwei alten Bekannten – dem Vierzylindertyp „Rekord“ und dem Sechszylindermodell „Sturm“ von Hanomag aus den 1930er Jahren.

Von den beiden Ausführungen, die abgesehen von Motorisierung und Radstand sehr vieles gemeinsam hatten, habe ich schon etliche Exemplare anhand historischer Originalfotos vorgestellt.

Zwar schlummern in meinem Fundus mittlerweile auch einige Aufnahmen hinreißender Spezialversionen beider Typen, doch mit solchen Schätzen geht man besser nicht zu verschwenderisch um.

So bleiben wir heute bei vollkommen serienmäßigen Ausführungen des Hanomag „Rekord“ bzw. „Sturm“, doch immerhin kann ich in beiden Fällen „neue“ Fotos davon zeigen. Das erste ist – ausschnittsweise – hier zu sehen:

Hanomag „Sturm“ Limousine; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Die Kühlerpartie mit dem typischen Hanomag-Emblem – nicht zu verwechseln mit dem breiteren und filigraneren Adler der gleichnamigen Frankfurter Firma – lässt keinen Zweifel zu, was den Hersteller angeht.

Die seitlichen Luftklappen in der Motorhaube sind eindeutiger Hinweis darauf, dass wir keinen „Garant“ oder „Kurier“ aus dem Hause Hanomag vor uns haben, sondern mindestens einen „Rekord“ oder vielleicht sogar einen „Sturm“.

Dummerweise sahen die beiden letztgenannten Modelle von vorne fast identisch aus, sofern nicht ein entsprechender Schriftzug auf dem Kühlergrill verrät, was man nun genau vor sich hat.

Im vorliegenden Fall ist zwar unten rechts ein solcher Schriftzug zu erahnen, er ist aber von der massiven Halterung des mittig angebrachten Nebelscheinwerfers verdeckt. Dieser ist übrigens anhand seiner weit unten liegenden Position und der leichten Neigung nach vorn als solcher zu identifizieren.

Ansonsten sieht man einiges „Lametta“ an diesem Hanomag mit Zulassung in der Hansestadt Hamburg – schön, dass man bis heute an dieser traditionsreichen Bezeichnung und dem entsprechenden Kürzel „HH“ festgehalten hat.

Unterhalb der beiden Hauptscheinwerfer haben wir zwei große verchromte Hupen, auf der in Fahrtrichtung rechten Kühlerseite prangt das Emblem des DDAC, in dem die nationalsozialistische Regierung die zuvor unabhängigen deutschen Automobilclubs zwangsvereint hatte.

Außerdem erahnt man einen Wimpel mit dem damaligen deutschen Hoheitszeichen. Das konnte auch ein politisches Bekenntnis sein, musste es aber nicht. Mir widerstrebt es jedenfalls, unsere Vorfahren vom Schreibtisch aus mit über achtzig Jahren Verspätung unter Generalverdacht zu stellen, das ist einfach billig und schäbig.

Kommen wir zum eigentlichen Knackpunkt: Ist das nun ein Hanomag „Rekord“ oder ein „Sturm“? Ich meine, es muss sich um das große Sechszylindermodell handeln. Schauen wir nochmals genauer hin:

Nebenbei bemerkt: Dies ist ein winziger Ausschnitt des originalen Kleinbildfotos, das ich am Ende in ganzer Pracht zeigen werde – ich finde es phänomenal, wie detailreich ein solcher Schnappschuss eines mutmaßlichen Amateurfotografen damals sein konnte.

So sind hier zwei entscheidende Details wiedergegeben: Zum einen scheint die hintere Luftklappe hinter der Motorhaube angebracht zu sein, deren Ende am Oberteil gut zu erkennen ist. Zum anderen wirkt es so, als ginge das Trittbrett in eine seitliche „Schürze“ am Vorderkotflügel über.

Zugegeben, das klingt ziemlich abstrakt, doch oft kommt es bei historischen Autofotos auf genau solche winzigen Unterschiede an, will man den genauen Typ bestimmen.

Hier zum Vergleich eine Werksaufnahme eines Hanomag „Sturm“, die verdeutlichen sollte, was mit dem eben Gesagten gemeint ist:

Hanomag „Sturm“ Limousine; originales Werksfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Wir sehen nicht nur die erwähnte Luftklappe hinter dem Ende der Motorhaube – der Hanomag „Rekord“ hatte übrigens immer nur vier solcher Klappen – der „Sturm“ deren fünf oder – wie hier – sechs.

Auch ist deutlich zu erkennen, dass sich das Vorderende des Trittbretts in einer seitlichen „Schürze“ am Kotflügel fortsetzt, die den Blick ins wenig ansehnliche Innere des Radhauses kaschiert.

Wie sah diese Partie nun beim kleineren „Rekord“ aus? Nun, das lässt sich an diesem Foto nachvollziehen, das einen deutschen Soldaten – ein junger Infanterist im Rang eines Gefreiten – vor Kriegsausbruch neben „seinem“ Hanomag Rekord zeigt:

Hanomag „Rekord“ Limousine; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Wie erwähnt waren die vier seitlichen Luftklappen kennzeichnend für Hanomags Vierzylindermodell „Rekord“. Zudem fehlen bei serienmäßigen „Rekord“-Wagen des Maschinenbauers aus Hannover stets die beschriebenen vorderen Kotflügel“schürzen“.

Diese setzten sich ab 1934 zwar allgemein bei deutschen Serienwagen durch, doch musste der „Rekord“ auch noch in der späten, bis 1938 gebauten Ausführung (erkennbar u.a. an den gelochten Felgen) ohne sie auskommen:

Hanomag „Rekord“ Sechsfenster-Limousine; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

So spricht aus meiner Sicht die Evidenz dafür, dass der Hanomag mit Kennzeichen Hamburg, der einst so trefflich auf dem eingangs gezeigten Foto abgelichtet wurde, eher ein Modell „Sturm“ als ein „Rekord“ war.

Das bedeutete nicht nur Sechszylinder-Laufkultur, sondern auch 50-55 PS Spitzenleistung statt bloß 32-35 PS beim „Rekord, was sich in der Höchstgeschwindigkeit von 110-115km/h (ggü knapp 100 km/h) niederschlug.

Ein Hanomag „Sturm“ war damit ein echtes Autobahnauto, seinerzeit ein wichtiges Verkaufsargument, obwohl damals kaum etwas unterwegs war auf dem noch im Aufbau befindlichen deutschen Autobahnnetz.

Zum Abschluss bleibt dennoch eine Frage offen: Wo genau wurde diese Hanomag „Sturm“ Limousine einst abgelichtet? Ich habe einige deutsche Kirchen dieses eindrucksvollen „Kalibers“ durchprobiert, doch leider ohne Erfolg:

Hanomag „Sturm“ Limousine, Zulassung Hamburg; Originalabzug aus Sammlung Michael Schlenger

Nach meinen bisherigen Erfahrungen würde es mich sehr wundern, wenn nicht ein Leser spontan ausrufen würde: „Das ist doch der Dom in … und ich wohne gleich um die Ecke!“

Auch so etwas gehört zu den schönen Seiten eines Blogs für Vorkriegsautos…

Nachtrag: Die Kirche hat sich als die neugotische Hamburger Nikolaikirche herausgestellt, von der nach der Sprengung des 1943 durch Bomben stark beschädigten Hauptschiffs in der Nachkriegszeit nur noch der fast 150 Meter hohe Turm steht…

© Michael Schlenger, 2020. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

6 Gedanken zu „Offene Frage: Hanomag „Rekord“ oder „Sturm“

  1. Danke für den Hinweis!

  2. Besten Dank – wieder was gelernt!

  3. Ja, das hat sich inzwischen bestätigt!

  4. Aufgrund des Einzuge der Milchhandlung Hermann Martens in der Görttwiete 6 im Jahre 1935 ist das Foto ab Mitte 1935 bis September 1939 zu datieren.

  5. Hallo Herr Schlenger,
    zwei Anmerkungen zu Ihrem gewohnt informativen Blog-Beitrag:
    1.) Es handelt sich um die St. Nicolai-Kirche am Hopfenmarkt in HH.
    2.) Sollte das Foto mit dem Soldaten bis zum Jahr 1936 aufgenommen worden sein, ist der Dienstgrad Oberschütze. Erst im Laufe des Jahres 1936 wurde das Abzeichen zu dem des Gefreiten.

  6. Ist das nicht die Kirche St. Nikolai in Hamburg (vor der Zerstörung im letzten Krieg)?

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