Rätselhaftes Trio: Ein „Dixi“-Tourer um 1909

Mit der thüringischen Marke Dixi habe ich mich in meinem Blog schon öfters beschäftigt – meist anhand der recht verbreiteten G-Typen der 1920er Jahre sowie des Austin 7-Lizenznachbaus 3/15 PS Typ DA1.

Von den frühen Modellen vor dem 1. Weltkrieg konnte ich bislang nur einen Dixi T7 von 1905 dingfest machen (Porträt hier).

Die schillernde Vielfalt der übrigen bis zum 1. Weltkrieg gebauten Dixi-Modelle wird näherungsweise in Halwart Schraders Klassiker „BMW-Automobile“ deutlich, das ein umfangreiches Kapitel zu den Eisenacher Dixi-Werken umfasst, wo nach Übernahme der Marke die ersten BMWs gebaut werden sollten.

Das Dixi-Kapitel ist zwar mit vielen Werksaufnahmen und Prospektabbildungen garniert, doch darf an deren Zuschreibung angesichts teilweise identischer Abbildungen bei unterschiedlichen Typen gezweifelt werden.

Umso erfreulicher, wenn doch einmal zeitgenössische Fotos solcher frühen Dixi-Automobile auftauchen, die die Wagen im Alltag zeigen – auch wenn dabei einige Unwägbarkeiten mit im Spiel sind. So haben wir es heute mit einem Trio zu tun, das sich zwar am Ende erstaunlich offen zu erkennen gibt, aber dennoch rätselhaft bleibt.

Den Anfang macht diese prachtvolle Aufnahme, die vor der gewaltigen Festung Königstein in Sachsen entstand:

Dixi Tourenwagen von ca. 1905/06; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Die Festungsanlage gehört mit ihrer großartigen Lage und den Bauphasen vom Mittelalter bis in die Barockzeit zu den herausragenden Sehenswürdigkeiten des Elbsandsteingebirges.

Der Tourenwagen davor verliert sich beinahe in der Aufnahme, die im Original ein noch größeres Panorama umfasst. Bei näherer Betrachtung zeigt sich jedoch, dass wir es mit einem durchaus repräsentativen Fahrzeug zu tun haben.

Dem Aussehen nach würde man hier auf etwa 1905/06 tippen. Schauen wir genauer hin:

Dixi Tourenwagen von ca. 1905/06; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Man präge sich hier folgendes ein: die Stellung des geöffneten Verdecks, die Gestaltung der Karosserieflanke mit geschwungenem unteren Türabschluss, auf der Beifahrerseite angebrachter Ballhupe und einem großen Kasten am vorderen Ende des Trittbretts.

Festzuhalten ist außer dem die senkrechte, sehr hohe Windschutzscheibe, die wohl keine Verstellmöglichkeiten bot. Nicht zuletzt präge man sich die beiden Insassen ein – der Dritte im Trio dürfte sich zu diesem Zeitpunkt hinter der Kamera befunden haben.

Zusammen mit dieser Aufnahme habe ich das folgende Foto erworben, das vom Papier und der Alterung her dazu zu passen scheint. Es zeigt einen ganz ähnlich wirkenden Wagen, aber diesmal schräg von hinten aufgenommen:

Dixi Tourenwagen um 1909; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Man ist spontan geneigt, hier dasselbe Auto zu sehen – doch auch wenn die Aufnahmen demselben Konvolut entstammen, ist das nicht der Fall.

So liegt das geöffnete Verdeck hier flacher auf, die Werkzeugkiste befindet sich am hinteren Ende des Trittbretts, davor sind zwei Reservereifen angebracht. Vor allem aber erscheint die Windschutzscheibe hier niedriger und ist schräg fixiert.

Könnte aber nicht einer der Insassen aus dem Wagen auf dem ersten Foto hier mit von der Partie sein? Nun, auszuschließen ist das nicht, vielleicht sind sogar beide hier zu sehen. Doch kann dies auch täuschen, da die den funktionellen Anforderungen angepasste Reisekleidung das Erscheinungsbild dominiert.

Ein Zusammenhang zwischen dem Trio auf diesem Foto und dem vorherigen bleibt gleichwohl möglich. Nur was den Wagen angeht, ist der Unterschied gegeben.

Auf ein Detail sei hier noch verwiesen. Wirft man einen Blick auf das Kennzeichen am Heck, scheint dort „CG“ und dann in der zweiten Zeile „302“ stehen. Wirkt erst einmal ungewöhnlich für ein deutsches Nummernschild.

Doch der Eindruck täuscht nicht, denn auf dem dritten Foto aus dieser kleinen Serie ist dasselbe Kennzeichen zu sehen, diesmal von vorn und etwas deutlicher:

Dixi um 1909; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Auch wenn sich unser Herrentrio hier wieder etwas anders darstellt, ist wiederum eine Schnittmenge gegeben. Nun passen auch die schräggestellte Windschutzscheibe, die Reservereifen und die Neigung des niedergelegten Verdecks.

Rätselhaft bleibt manche Übereinstimmung mit dem Wagen auf dem ersten Foto: Auch hier ist am vorderen Ende des Trittbretts ein Kasten zu sehen, oberhalb der Ersatzreifen lugt ein Teil des Hupenballs hervor. Zudem würde die Windschutzscheibe hochgeklappt wohl wieder so groß wirken wie bei dem Wagen auf der ersten Aufnahme – verwirrend.

Doch findet sich hier ein weiterer klarer Unterschied: die Gestaltung der Vorderschutzbleche, die hier vorn nicht gerade und kastenförmig auslaufen, sondern abgerundet sind und außerdem einen inneren Spritzschutz besitzen:

Dixi-Tourenwagen um 1909; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Nun erscheinen besagte Innenkotflügel nachträglich angebracht, und die Schutzbleche selbst könnten gegenüber der ersten Aufnahme verändert worden sein.

Doch weitere Unterschiede betreffen den hier geschwungenen oberen Abschluss der Schottwand zwischen Motorraum und Fahrerabteil. Andererseits finden sich wie auf dem ersten Foto ebenfalls merkwürdige Scheinwerfer am hinteren Ende der Vorderkotflügel.

Man ist hin- und hergerissen – haben die beiden Wagen am Ende doch mehr miteinander gemeinsam als nur die Insassen (oder einige davon)?.

Klar ist nur eines: Der Tourenwagen auf dem dritten Foto ist ein Dixi, auch wenn ich im ersten Reflex an die Marke „Dux“ der Leipziger Polyphonwerke dachte – aber da war der Wunsch nach einer solchen Rarität Vater des Gedankens.

Für den ab 1908 recht häufig gebauten kompakten Typ R8 mit 1,6-Liter-Motor wirkt der Wagen zu groß. Auch die zehn statt nur acht Speichen in den Vorderrädern sind ein Indiz für eine stärkere Motorisierung.

Dummerweise kommen hier gleich mehrere Modelle in Frage, da Dixi zu jener Zeit eine kaum überschaubare Palette an Vierzylindermodellen mit Hubräumen bis zu 7,3 Litern (Typ U35) anbot.

Aus meiner Sicht ist es kaum mehr möglich, den Typ exakt zu bestimmen, was aber nicht weiter schlimm ist, da allein schon ein solches Foto mit einem eindeutig als früher Dixi zu erkennenden Wagen ein erfreulicher Fund ist.

Das das Kennzeichen mit dem auf dem zweiten Foto übereinstimmt, hätten wir zudem den raren Fall, dass ein und derselbe Wagen in Front- und Heckansicht dokumentiert ist.

Zu dem Nummernschild selbst noch ein Wort. Ich hielt es anfänglich für ein ausländisches, doch ein Blick in Andreas Herzfelds unverzichtbares Werk „Deutsche Kfz-Kennzeichen, Band 1, Deutschland bis 1945“ lieferte die Lösung.

Unser Herrentrio mit dem großzügigen Dixi-Tourenwagen stammte aus dem Bundesstaat des Deutschen Reichs Sachsen-Coburg-Gotha, wo ab Ende 1906 die Kennung „CG“ verwendet wurde.

Reiselustig scheinen die Herren aus dem Herzogtum gewesen zu sein – und Vertrauen in die Zuverlässigkeit ihres Dixi hatten sie ebenfalls. Denn das dritte Foto dieser schönen Reihe zeigt sie im grandiosen Mittelrheintal bei Kaub:

Just im Moment der Aufnahme rauscht hier ein prächtiger Schaufelraddampfer vor der Burg Pfalzgrafenstein vorbei, die mitten im Fluss liegt und wie die Loreley einst und heute zu den magischen Orten am Mittelrhein zählt, an denen man gern anhält und den Kontrast aus urwüchsiger Natur und menschengemachter Kulturlandschaft genießt.

Dazu passen perfekt rätselhafte Relikte wie dieses Fototrio, das ich heute behandelt habe und dessen Gehalt ich ein wenig unterschätzt hatte, als ich zu schreiben begann.

Nachtrag: Der Wagen auf dem ersten Foto – das vor der Festung Königstein – entstand, zeigt sehr wahrscheinlich ebenfalls einen Dixi, aber wohl ein etwas früheres Modell um 1905/06. Vielleicht bekommen wir doch noch mehr dazu heraus…

© Michael Schlenger, 2020. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

6 Gedanken zu „Rätselhaftes Trio: Ein „Dixi“-Tourer um 1909

  1. Lieber Helmut, ich hatte den Dixi gestern abend zunächst als Dux angesprochen, was auch beinahe hätte sein können. Beim nochmaligen Blick auf den Kühler sah ich dann den „i-Punkt“ und musste den Beitrag heute morgen rasch neu schreiben…Ist aber trotzdem gelungen, hoffe ich!

  2. Vielen Dank für die sachkundige Einordnung, Herr Doht. Ihre Feststellung: „Einen wirklichen Aufschluss könnte nur der Blick in die Motorraum geben.“, gilt ja für viele deutsche Wagen jener Zeit – insbesondere Adler und Benz. Aber eine ungefähre Einordnung nach Entstehungszeit und Größenklasse ist schon ein Erfolg und jede weitere Aufnahme kann als Puzzlestück dienen. Ansonsten kann man sich auch so an diesen prächtigen und bisweilen erstaunlich stark motorisierten Automobilen der Frühzeit erfreuen…

  3. Besten Dank, Herr Klioba. Ich hatte mich irrtümlich von der Lage Coburgs verleiten lassen und nicht an Gotha gedacht. Nun wissen wir es ganz genau, woher das Auto kam – sehr schön!

  4. Das Herrentrio vor dem Dixi stammt nicht aus Oberfranken, sondern aus der thüringischen Stadt Gotha. Dort war der Wagen mit dem Kennzeichen CG-302 auf den Buchdruckereibesitzer Alfred Nehrlich zugelassen. In der amtlichen Auflistung von 1909 war das Fahrzeug als „Lxw.“ (= Luxuswagen) gekennzeichnet. Sein älterer Bruder Gaston, Mitbesitzer der Stollbergschen Buchdruckerei, die das Gothaische Tageblatt herausgab, besaß übrigens laut Liste einen „Lxw.“ mit dem Kennzeichen CG-303. Alfred Nehrlich hatte jedoch nicht lange Freude an seinem Wagen, da er bereits 1914 im Alter von 36 Jahren starb.

  5. Die Fotos sind wirklich herrlich und eine echte Rarität.
    Die Identifikation von Dixi- Automobilen ist immer sehr schwierig, da es die verschiedensten Karosserieformen auf unterschiedliche Fahrgestellen gab.
    Wenn die Jahreszahl 1905/06 stimmt, können mit Sicherheit die Typen der „R-Serie“ ausgeschlossen werden, denn die wurden erst ab 1908 produziert.
    Ich würde das Fahrzeug auf Bild 1 als Dixi S14 der ersten Serien mit der Motorisierung 14/20 PS einordnen. Gebaut wurden dies Typen von 1905-1907 und sind eine Weiterentwicklung des ersten Dixi S12 von Willy Seck.
    Bei den beiden anderen Bilder bin für eine Klassifizierung als Dixi S15, auch als Dixi 14/24 PS bekannt. Der vergrößerte Wagen ist eine Weiterentwicklung des Konstrukteurs Georg Schwarz und wurde mit den Innenkotflügeln bei Wettbewerben eingesetzt, wie zur Hekomer-Fahrt 1907. Es ist aber nicht auszuschließen, dass sich unter der Motorhaube auch der größere Motor mit 40 bzw. 45 PS befinden könnte. Dann wäre es ein Dixi U30 als Dixi 22/40 PS bzw. 26/45 PS. Beide Dixi-Typen wurden zeitgleich gebaut und teilweise mit der selben Karosserie ausgeliefert. Einen wirklichen Aufschluss könnte nur der Blick in die Motorraum geben.
    Den ebenso der zeitgleich parallel gebauten Typ Dixi T25 mit 32 PS-Motor schließe ich auf Grund der hinter Einstiegstür aus, aber auch da gab es immer wieder kundenspezifische Sonderwünsche der Ausführung….
    Ich plädiere also beim 2 Dixi für einen Dixi S15.
    Das Nummernschild CG passt auch, denn in Gotha befand sich der größte Dixi-Händler für Thüringen, Oscar Büchel, und auch der Herzog von Sachsen-Coburg-Gotha für Dixi-Limousinen.
    Bei der Vielschichtigkeit der Typen, Ausführungen und Karosserieformen beim Dixi muss man allerdings immer sagen: Alle Angeben ohne Gewähr.

    Matthias Doht

  6. Guten Morgen,

    jetzt bin ich aber nach dem heuten Facebook Eintrag ein wenig verwirrt. Habe ich was verpasst oder überlesen?

    Schönes Wochenende

    Beste Grüße aus einem trüben und kalten Düsseldorf

    Helmut Kasi

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