Von Paris in die Provinz: Delage Type DI

Heute unternehme ich einen Ausflug von Paris hinaus auf’s Land – nebenbei etwas, was den Franzosen seit Ausrufung der Corona-Pandemie 2020 auf eine so rigide Weise verwehrt wird, dass die ständig neu ausgewürfelten Maßnahmen hierzulande als bloße Posse erscheinen – mit robustem Auftritt will der gallische Zentralstaat vom Versagen in der Sache ablenken.

Paris war zwar vor 100 Jahren ebenfalls bereits eine Heimstatt ineffizienter und arroganter Bürokraten, doch ihr Wirken reichte noch nicht in jeden Haushalt und jedes Unternehmen hinein. So schlug in der Hauptstadt das Herz einer hochmodernen, oft mittelständisch geprägten Industrie, von der fast nichts übriggeblieben ist.

Im Automobilsektor gab es bis zum 1. Weltkrieg keinen so avancierten und vielfältigen Standort wie Paris. Dort sollte einst auch ein gewisser Louis Delâge sein Glück machen.

Nach einem Aufenthalt bei Peugeot gründete der junge Ingenieur, der aus dem Städtchen Cognac in der westfranzösischen Provinz stammte, im Jahr 1905 seine eigene Automarke.

Binnen kürzester Zeit machten die Delage-Wagen, die anfänglich noch Motoren von DeDion-Bouton besaßen, mit hervorragender Qualität und zahlreichen Rennsiegen von sich reden – Sporterfolge waren damals die beste Werbung für einen neuen Hersteller.

In der Serienproduktion konzentrierte sich bei Delage auf die Leichtgewichtsklasse – die „voitures légères“, die in folgender Reklame von ca. 1912 hervorgehoben werden:

Delage-Reklame um 1912; Orignal aus Sammlung Michael Schlenger

Allerdings sollte man diese „leichten Wagen“ nicht mit Kleinautos verwechseln – es konnten durchaus repräsentative Automobile mit Aufbauten für bis zu sieben Personen sein, jedoch mit kompakten Motoren, die deutlich weniger leisteten als zeitgenössische schwere Wagen.

Daneben gab es freilich auch leichte Zweisitzer wie dieses Exemplar, das ich 2015 anlässlich der Veteranenausfahrt „Kronprinz Wilhelm Rasanz“ am Niederrhein aufgenommen habe. Man präge sich für später das typische Markenemblem ein:

Delage Zweisitzer um 1912; aufgenommen im Mai 2015 während der „Kronprinz Wilhelm Rasanz“

Bis zum 1. Weltkrieg gewannen die Delage-Autos ständig an Leistungsvermögen und Ansehen – 1914 verließen deutlich über 100 Fahrzeuge im Monat das Werk in Courbevoie im Nordwesten von Paris.

Noch vor Kriegsende erhielt ein neuer großer Delage die Zulassung – der Typ CO mit 4,5 Liter-Sechszylinder. Dieser mit luxuriösen Aufbauten erhältliche Wagen sollte ab 1918 zunächste das einzige Delage-Modell sein.

Rasch zeigte sich, dass man angesichts der von vier Jahren Krieg geschwächten Wirtschaft erschwinglichere Modelle ins Programm aufnehmen musste – so kamen 1920 bzw. 1921 die Vierzylindertypen DO und DE auf den Markt.

Je nach Perspektive sind die Delages der frühen 1920er Jahre schwer auseinanderzuhalten – einerseits machten die Manufakturaufbauten fast jeden Wagen zum Einzelstück, andererseits unterschied sich die Kühlerpartie der einzelnen Typen im wesentlichen nur durch die Größe.

Es hat mich daher einige Zeit gekostet, mich dem mutmaßlichen Typ dieses Delage anzunähern, der einst weit entfernt von Paris irgendwo im Süden des Landes auf einer staubigen Piste abgelichtet worden war:

Delage Typ DI; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Selbst wenn sich das Auto nicht identifizieren ließe, wäre das eine malerisches und durchaus sammelnswertes Zeugnis einer Reise aus der großen Stadt in die Provinz – vermutlich die an Italien angrenzende „Provence“ oder das Pyrenäengebiet.

Dass dieser Wagen tatsächlich aus Paris stammte, erkennt man erst auf den zweiten Blick. Verräterisch ist dabei nicht unbedingt das Nummernschild, das vielleicht ein Kenner entziffern kann, sondern vor allem die Kühlerpartie.

Dort prangt nämlich – hier nur schwer erkennbar – das Emblem von Delage mit Sitz in Courbevoie/Paris, was auf dem Originalabzug zum Glück etwas besser wiedergeben ist. Man darf davon ausgehen, dass die meisten Delage-Wagen auch in Paris verkauft wurden, wenngleich die Marke bereits seit 1910 auch in England präsent war.

Damals wie heute konzentrierten sich in Frankreich Macht und Geld auf die Hauptstadt und so könnte man in diesen Herrschaften Angehörige der Pariser Oberschicht vermuten:

Die Frage, um was es für ein Modell sich handelt, ist nur annäherungsweise zu beantworten. Wie gesagt, die Kühlerform war bei allen Delages der frühen 1920er Jahre identisch und die Länge des Chassis ist aus diesem Blickwinkel nicht abzuschätzen.

Ich würde aber das sehr große Luxusmodell CO ausschließen, ebenso die frühen Vierzylindertypen DO und DE. So scheinen die hier nur zu ahnenden feinen Luftschlitze in der Motorhaube erst bei deren Nachfolger DI eingeführt worden zu sein – jedoch auch dort nicht von Beginn der Produktion (1923) an, sondern etwas später.

An der Rechtslenkung scheint Delage bis Auslaufen des recht häufig gebauten Typs DI im Jahr 1927 festgehalten zu haben. Auch in Sachen Motorleistung blieb man konservativ: Mit 30-35 PS bot Delage damals nicht mehr als deutsche Autos vergleichbarer Größe.

Vielleicht kann ja ein Leser meine These bezüglich Typ (DI) und Baujahr (um 1925) bestätigen oder gegebenfalls korrigieren. Erfreulich wäre es auch, ließe sich der Aufnahmeort identifizieren, den ich hier in kolorierter Form wiedergebe:

Viel anders wird es in diesem Bergdorf heute vermutlich nicht aussehen, lediglich wird der Tourismus genügend Geld aus der großen Stadt in die Provinz gespült haben, um die Mauern zu sichern und das Stadbild etwas herauszuputzen.

Den Reisenden mit dem Delage habe ich ebenfalls ein farbiges Make-Up verpasst, wenngleich das Ergebnis stellenweise ein wenig zu „schillernd“ ausgefallen ist:

Immerhin vermittelt dieser Ausschnitt etwas von der Atmosphäre eines heißen Sommertags, welche die Franzosen eventuell bald wieder genießen dürfen – wenn Paris einsieht, dass man ein Volk nicht dauerhaft einsperren und die Provinz von den Reisenden abschotten kann, die wichtiger Teil ihrer Lebensgrundlage sind…

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6 Gedanken zu „Von Paris in die Provinz: Delage Type DI

  1. Jetzt habe ich doch noch einen vielversprechenden Kandidaten für den Aufnahmeort gefunden

    Coursegoules, Frankreich
    https://goo.gl/maps/wHAa1GgbZK5ySWr87

    Zwar verdecken Bäme jetzt den Blick auf den Ort, aber ich glaube das könnte passen, bitte schauen sie doch selbst, ob das passen würde….

  2. … es hat mir keine Ruhe gelassen! Natürlich sieht da jedes Dorf ähnlich aus. Ich glaube, dass ich ein Foto des Ortes und grob die Region gefunden habe. Allerdings gelingt es mir nicht, das Bild auf der Karte zuzuordnen. Denke, das man sogar die Straße sieht auf der das Bild gemacht worden sein könnte. Schauen sie mal, vielleicht kommen sie ja weiter…

    https://www.google.com/maps/@43.7677076,6.8147552,3a,75y,90t/data=!3m11!1e2!3m9!1sAF1QipPK9t3wrLK9a4nH_4Nk6osJi47fXYJx0Nd946rl!2e10!3e12!6shttps:%2F%2Flh5.googleusercontent.com%2Fp%2FAF1QipPK9t3wrLK9a4nH_4Nk6osJi47fXYJx0Nd946rl%3Dw365-h273-k-no!7i4032!8i3024!9m2!1b1!2i22

  3. Danke für die Mühe! Diese Bergdörfer sehen vermutlich alle ziemlich ähnlich aus…

  4. Hallo, fast hatte ich gedacht, dass ich mit der Identifikation des Aufnahmeortes wieder Glück hätte. Der Raum Nizza sprach dann auch noch dafür. Ich hatte auf das Dorf Brantes (https://www.google.de/maps/place/Col+des+Aires/@44.1925389,5.346271,3a,75y,90t/data=!3m8!1e2!3m6!1sAF1QipMHtKfqfTp62LSBpvGRvJtXd6nGcNVooD3oW7Gn!2e10!3e12!6shttps:%2F%2Flh5.googleusercontent.com%2Fp%2FAF1QipMHtKfqfTp62LSBpvGRvJtXd6nGcNVooD3oW7Gn%3Dw203-h135-k-no!7i4000!8i2667!4m13!1m7!3m6!1s0x12ca66c75bed94db:0x40819a5fd8fc5d0!2s84390+Brantes,+Frankreich!3b1!8m2!3d44.193209!4d5.333613!3m4!1s0x12ca66d130b93a95:0x7281c7126d85bae!8m2!3d44.1925389!4d5.346271) getippt. Die Häuser mit den zugemauerten Fenstern sahen verdächtig ähnlich aus. Der Turm hat zwar weniger Fenster und ein ähnliches Dach… aber gut. Trotzdem findet sich nirgendwo die Straße mit der richtigen Perspektive. Also eher nein, vielleicht aber etwas in der Nähe. Auch bei der Hafenstadt in Italien von DKW hat meine ausführliche Suche leider nix gebracht und ich hab erstmal aufgegeben 🙂 Viele Grüße aus Dresden Peter Oesterreich

  5. Danke, Michael! Zulassung in Paris wäre ja auch zu schön gewesen. 1927 passt von der Tendenz noch, jünger kann der Wagen kaum sein.

  6. Hallo Michael, nein, ist nicht Paris. M10 steht für die Region Marseille-Nizza, die damals noch zusammengehörte. Wenn die erste Ziffer eine „6“ ist dann stammt die Zulassung aus März/April
    1927. Was natürlich nicht automatisch auf das Baujahr schliessen lässt, denn das Fahrzeug konnte gebraucht aus einnem anderen Departement gekommen sein.

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