Gallier mit helvetischen Genen: Ein Zedel um 1920

Für den heutigen Blogeintrag hatte ich eigentlich ein majestätisches Automobil französischer Provenienz vorgesehen – stattdessen befasse ich mich mit einem ganz und gar bürgerlich erscheinenden Fahrzeug.

Immerhin stammt es ebenfalls aus Frankreich, wenngleich es kein reinrassiger Gallier mit Stammbaum bis zurück zu Vercingetorix ist. Vielmehr trägt es helvetische Gene in sich, doch das macht es interessant und – für mich als Bewunderer schweizerischen Bürger- und Geschäftssinns – zusätzlich sympathisch.

Man mag sich an dieser Stelle fragen, weshalb ausgerechnet die Schweizer mit ihrer technischen Exzellenz und Qualitätsversessenheit nur wenig zur Entwicklung des Automobils beigetragen haben.

Ich vermute, es hat nicht nur mit der geringen Größe des Landes zu tun, sondern auch mit dem allgemein noch niedrigen Entwicklungsstand zu Beginn des 20. Jahrhunderts, dass die Schweiz zunächst keinen ausreichenden Absatzmarkt darstellte.

Der Hersteller, um den es heute geht, ist der schlagende Beweis dafür, dass Wille und Können durchaus vorhanden waren, aber das Betätigungsfeld im eigenen Land fehlte. Dass ich das auf sehr gefällige Weise illustrieren kann, verdanke ich Leser Klaas Dierks.

Er schickte mir heute ein Foto zu, das er gerade an Land gezogen hatte, und wollte wissen, was für ein Auto das sei, das mit schweizerischem Kennzeichen darauf zu sehen ist:

Zedel um 1920; Originalfoto aus Sammlung Klaas Dierks

Die Aufnahme zeichnet sich durch das noble Ambiente aus – eine barocke Anlage, die ich weniger in der Schweiz als in Frankreich verorten würde – vielleicht erkennt jemand den Bau.

Der Tourenwagen ist geschickt platziert, er wurde gleichermaßen als Gefährte der Personen inszeniert, die daneben abgelichtet sind. Das Auto ist denkbar schlicht gezeichnet und würde in einem anderen Umfeld vielleicht etwas bieder wirken, doch so kommt er würdevoll daher – und im gehobenen Bürgertum dürfen wir auch die Insassen vermuten.

Aber was ist das nun für ein Fahrzeug? Zunächst lässt es sich anhand äußerlicher Merkmale zeitlich recht gut einordnen. So weist es noch einige stilistische Elemente der Zeit vor dem 1. Weltkrieg auf, die Gestaltung der Vorderkotflügel beispielsweise:

Andererseits verweisen die elektrischen Scheinwerfer und die moderne Form des Kühlers auf die Nachkriegszeit. Das Fehlen von Vorderradbremsen verrät, dass dieser Wagen vor Mitte der 1920er Jahre entstanden sein muss.

„Frühe 1920er Jahre“ würde ich an dieser Stelle als vorläufiges Fazit einer rein stilistischen Betrachtung ziehen. Doch zum Glück geht es noch etwas genauer.

Vermutlich haben Sie bereits das Emblem in der unteren Ecke des Kühlers bemerkt, das die Buchstaben Z und L enthält. Das stand aber nicht für „Zürcher Ladykiller“ oder was auch immer man dahinter vermuten könnte.

Vielmehr war das der Name des Herstellers, allerdings etwas anders ausgesprochen: „ZEDEL“. Hinter diesem Kürzel verbargen sich die Namen der beiden Gründer der Firma Zürcher & Lüthi & Cie SA, Ernest Zürcher und Hermann Lüthi.

Sie verlegten ihre Motorenproduktion 1903 ins unweit der schweizerischen Grenze gelegene Pontarlier in Frankreich, das den weit größeren Markt repräsentierte und den Verkauf ohne Einfuhrzölle ermöglichte. 1906 begann ZL dort mit der Fabrikation von Autos.

Bis 1908 entstanden auch einige Exemplare in der Schweiz, aber offensichtlich lohnte sich die Produktion nicht. Nach dem 1. Weltkrieg (1919) entwickelte ZL zwei neue Typen mit Vierzylinder-Hülsenschiebermotor (nach Knight-Patent).

Da ZL 1923 von Donnet übernommen wurde und die dort weitergebauten Modelle als Donnet-Zedel firmierten, muss der ZL auf dem Foto einer dieser frühen Nachkriegstypen sein – ein C 11CV (2,1 Liter) oder ein P 15CV (3,2 Liter).

In beiden Fällen handelte es sich um Wagen traditioneller Bauart, die nur die relative Laufruhe ihrer ventillosen Schiebermotoren auszeichnete. Wäre da nicht der Kühler, hätte dieses Auto ein beliebiger Tourer sein kann, wie er so auch in Deutschland gebaut wurde.

Doch da wir wissen, dass es sich um einen Zedel aus Frankreich (mit schweizerischen Genen) handelt und das Umfeld so aristokratisch wirkt, besitzt dieses Fahrzeug einen gewissen Adel, den ein äußerlich ganz ähnlicher Brennabor Typ P etwa nicht hat.

Die einstigen Besitzer werden indessen in gediegenen bürgerlichen Verhältnissen gelebt haben – nicht vom Luxus verwöhnt, doch materiell weit überdurchschnittlich ausgestattet:

Wie steht es aber nun um reinrassige schweizerische Automobile der Vorkriegszeit? Nun, auch dazu hat sich etwas gefunden, doch zuvor habe ich noch einige andere Sachen in petto. Und eingangs erwähnter „echter“ Gallier will auch noch gewürdigt werden…

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3 Gedanken zu „Gallier mit helvetischen Genen: Ein Zedel um 1920

  1. Ja, das ist der Titel. Auch so ein Fall eines ( aus ausserschweizerischer Sicht) Nischenthemas durch akribische Recherche!
    Dann war das ja ein richtiger Glückstreffer!
    Sonst hätte ich das bestellt…. D.W.

  2. Sie meinen sicher „Voitures Suisses“ bzw. „Schweizer Autos“ von besagtem Autor, nicht wahr? Antiquarisch zwar verfügbar, aber derzeit nicht unter 100 EUR zu bekommen…

  3. Zum Thema Automobil- bau in der Schweiz :
    Die Schweizer könnens
    selbst kaum glauben –
    das in der Schweiz (Stand 1978) 70 Automobilhersteller dokumentiert sind !
    Das sagt uns ein exklusiver Dokumentar- und Bildband von Ernest Schmid, erschienen 1978 bei Auto-Jahr / Lausanne
    ISBN 2-87001-058-6
    In der Schweiz gedruckt
    (wie ausdrücklich vermerkt)
    Ich konnte dies in der Automobilhistoriker- Scene sicher weitgehend unbekannte Buch letztes Jahr bei Ebay sehr günstig erwerben.
    ZEDEL ist hier(naturgemäß) das letzte Kapitel, berücksichtigt in Bildern aber leider nur die Anfangszeit bis ca. 1910
    Zu dem dem Objekt des obigen Blogs:
    Distiguiert wäre vielleicht eine treffende
    Charakterisierung de
    dargestellten Wagen!
    Die angetretene Besatz- ung könnte eine reiselustige Schweizer
    Mittelstandsfamile sein,
    die die neugewonnene
    Mobilität nutzte „ussa z’cho“ wie es in der Schweiz hieß.
    Es fehlt nur der alte Herr (der ja vielleicht der Photograph war).
    Wie überhaupt man bei der Interpretation der
    „Randbedingungen“ hist. Autobilder sich immer die Situation aus Sicht des M… der Person hinter der Kamera mit- denken muß.
    D.W.

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