Wer kennt noch die legendäre „Grüne Minna“? Ich kann mich dunkel erinnern, dass man damit früher die Polizeiautos zum Transport von Strafgefangenen bezeichnete.
Gesehen habe ich so etwas schon lange nicht mehr, aber ich meide die Brennpunkte der Kriminalität ja auch seit vielen Jahren, nachdem ich Berufsausbildung, Studium und weite Teile des Arbeitslebens in Frankfurt/Main zugebracht hatte.
Mag sein, dass man heute die meisten Delinquenten ohnehin laufen lässt, wenn man die Personalien aufgenommen hat, da ja „keine Fluchtgefahr“ bestehe. Im Knast scheint es auch keine freien Zimmer mehr zu geben, was man so hört und liest.
Jedenfalls war der Aufenthalt in der „Grünen Minna“ einst im wahrsten Sinne des Wortes eine inklusive Angelegenheit – exklusiv war daran nichts, schon gar nicht die Ausstattung.
Dafür kommen Sie, liebe Leser und unbescholtene Bürger, heute in den Genuss, enge Bekanntschaft mit einem exklusiven Polizeiauto der Vorkriegszeit zu machen. So unwahrscheinlich das klingt – speziell beim Stichwort „Wanderer“ – so zutreffend ist es doch.
Dieses exklusive und für Sie völlig risikofreie Vergnügen will freilich gut vorbereitet sein. Dazu machen wir uns erst einmal mit einem ganz normalen Wanderer-Tourenwagen der zweiten Hälfte der 1920er Jahre vertraut:

Wer nun der Ansicht ist, dass so ein großzügiges Cabriolet doch eine ziemlich exklusive Angelegenheit gewesen sein muss, liegt falsch. Denn erstens handelt es sich nicht um ein Cabriolet, sondern einen Tourenwagen und das war ein enormer Unterschied.
Worin genau der bestand, das wird heute nebenher anschaulich. Hier sei nur so viel gesagt: Ein solches Auto mit ungefüttertem Klappverdeck und ohne Kurbelfenster war lange Zeit mit die billigste Karosserievariante überhaupt, nur ein offener Zweisitzer war günstiger.
Im Unterschied zu heute war ein geschlossener Aufbau wegen des enormen Mehraufwands an Handarbeit die exklusivere Ausführung. Davon abgesehen war natürlich überhaupt jedes Automobil im damaligen Deutschland für sich bereits absolut exklusiv.
Nur eine dünne Schicht an weit überdurchschnittlich Gutsituierten konnte sich hierzulande ein Kraftfahrzeug leisten – eine echte Volksmotorisierung wie in den USA sollte es erst ab den 1960er Jahren geben.
Auch leistungsmäßig war man noch weit von „amerikanischen Verhältnissen“ entfernt. So begnügte sich dieser Wanderer mit 30 PS Höchstleistung aus 1,6 Litern Hubraum.
Ford’s Model A – das Einstiegsauto für wirklich jedermann in den USA – kam da bereits mit 40 PS daher. Ein solcher Wanderer dagegen war klar in der Mitteklasse angesiedelt. Dennoch wirkt er zumindest auf obigem Foto statt exklusiv eindeutig „inklusiv“ – denn mit niedergelegtem Verdeck lädt er doch geradezu zum Einsteigen ein.
Im Unterschied zu größeren Tourern bot der Wanderer allerdings im Regelfall nur vier Personen Platz, wie hier gut zu erkennen ist:
Übrigens ist dieser Wanderer 6/30 PS – intern als Typ W10-I bezeichnet – auch in anderer Hinsicht repräsentativ für den damaligen Stand des deutschen Automobilbaus in der Breite.
Bei seiner Markteinführung im Herbst 1926 verfügte er nämlich als erster Wanderer über Linkslenkung und Vierradbremsen, dem allgemeinen Trend folgend, der 1924 begann und kurz danach (von wenigen Ausnahmen abgesehen) abgeschlossen war.
Kommen wir nun zum versprochenen exklusiven Genuss eines Wanderer-Polizeiautos. Dazu machen wir einen kleinen Zeitsprung ins Jahr 1928. Technisch hatte sich bei den Wanderer-Vierzylinderwagen wenig getan – die Marke war stets konservativ.
Immerhin hatte Wanderer inzwischen auf den Trend zu stärkeren Motoren reagiert und aus dem 6/30 PS-Modell zusätzlich den stärkeren Typ 8/40 PS abgeleitet, der nun in die Nähe der Marke von 100 km/h kam.
Äußerlich behielt man die Linie weitgehend bei. Nur die Gestaltung der Luftschlitze änderte sich ab Ende 1927 – nunmehr finden sich zwei Gruppen davon symmetrisch verteilt:
Wenn dieser Wanderer-Tourenwagen dennoch völlig anders wirkt, hat dies nicht nur mit den neu gestalteten Luftschlitzen in der Motorhaube zu tun. Auch der davor posierende Polizist macht das Auto per se noch nicht ungewöhnlich.
Doch die einladende Anmutung ist dahin, und das ist einer ziemlich exklusiven Situation geschuldet. Nur selten sieht man nämlich einen solchen Tourer mit aufgespanntem Verdeck und vor allem mit den seitlich aufgesteckten „Scheiben“, die aus einem frühen Kunststoff bestanden, den ich als Zelluloid ansprechen würde.
Diese Lösung hatte den Vorteil niedrigeren Gewichts und geringerer Bruchgefährdung gegenüber Glasscheiben, doch natürlich neigten diese Steckscheiben zum Zerkratzen und zudem wurden sie im Lauf der Zeit blind.
Daher ist erst recht heute ein überlebender Tourenwagen, der noch seine originalen Steckscheiben besitzt, nach meinem Eindruck eine hochexklusive Angelegenheit.
Daneben gibt es aber noch ein weiteres Merkmal, welches diesem Auto und damit auch dem Foto eine beträchtliche Exklusivität verleiht – die Scheibenräder!
Sie lösten laut Literatur (Erdmann/Westermann, Wanderer-Automobile, Verlag Delius-Klasing, 2. Auflage 2011) erst im Sommer 1928 die bisherigen Stahlspeichenräder ab. Da der Wanderer 8/40 PS bereits im Oktober desselben Jahres auslief, haben wir den raren Fall, dass sich ein solcher Tourenwagen auf wenige Monate genau datieren lässt.
In der Gesamtheit betrachtet eine ziemlich exklusive Angelegenheit, finde ich.
Man könnte nunn einwenden, dass Wanderer nach dem Produktionsende des Typs 8/40 PS den kleinen Typ 6/30 PS mit exakt dessen Optik noch ein Dreivierteljahr lang weiterbaute. Dann wäre aber das Polizeiauto etwas schwach auf der Brust und nicht mehr ganz so exklusiv, also lassen wir das…
Michael Schlenger, 2023. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.
Na, das nenne ich einen exklusiven Aufenthalt in der Grünen Minna!
Die in 2 symmetrische Gruppen unterteilten Luftschlitze sind mir bei den Kraftwagen aus Siegmar-Schönau noch gar nicht so aufgefallen. Unweit dieser sächsischen Produktionsstätte fand allerdings auch mein etwa 15-20 Min. dauernder Aufenthalt in einer „grünen Minna“ statt, in der ich bis zum Eintreffen des Sanka auf der längs hinter dem Fahrerplatz angeordneten Sitzbank lag – denn die Besatzung eines Gefangenentransporters des sächsischen Justizvollzugs war mein Ersthelfer, als ich mit doppeltem Überschlag von der Autobahn flog.