Ei, was haben wir denn da? Paige-Tourer von 1926/27

Auch wenn Ostern noch viel zu weit entfernt ist für meinen Geschmack, kann ich doch heute schon zur großen Eiersuche aufrufen. Wie vieles in meinem Blog ist das nicht ganz ernst gemeint, aber auch nicht völlig abwegig.

Dabei trifft die Frage „Ei, was haben wir denn da?“ bereits auf das Fahrzeug selbst zu, welches ich dieses Mal präsentieren möchte.

Auch wenn ich mich inzwischen für halbgebildet hat, was die erschlagende Vielfalt an einstigen US-Automarken betrifft, brauchte ich im vorliegenden Fall doch eine Weile, bis ich die Lösung fand.

Dabei habe ich mich freilich auch ungeschickt angestellt – denn mir war ja klar, dass ich es mit einem amerikanischen Fabrikat der 1920er Jahre zu tun habe. Warum stöbere ich dann nicht einfach in der eigenen US-Auto-Galerie , wenn ich nicht weiß, was ich vor mir habe?

Denn dort sind inzwischen etliche Marken auch jenseits der üblichen Verdächtigen versammelt, wobei die meisten Aufnahmen Fahrzeug zeigen, welche einst in deutschen Landen oder zumindest in Europa unterwegs waren.

Mit diesem Material könnte ich – wenn ich denn wollte – eine Entsprechung zu der schönen Publikation „American Cars in Prewar England“ von Bryan Goodman verfassen, der ich übrigens meine ersten Erkenntnisse in Sachen US-Vorkriegswagen verdanke.

Denn so beliebt Amischlitten der Nachkriegszeit bei uns auch sind, so seltene Gäste sind ältere Exemplare, sieht man vom Ford Model A ab. Die einschlägigen Veranstaltungen zumindest im Westen der Republik lassen nicht annähernd die enorme Präsenz amerikanischer Vorkriegsautos auf deutschem Boden in den 1920/30er Jahre ahnen.

So steht man erst einmal auf dem Schlauch, wenn man ein deutsch beschriftetes Foto wie dieses vor sich hat:

Paige von 1926/27; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Erst der Erwerb der US-Vorkriegsauto-„Bibel“ mit dem Titel „Standard Catalog of American Cars“ von Kimes/Clarke ermöglichte mir irgendwann, solche Fälle zu lösen.

Hier waren einst deutsche Reisende in der kalten Jahreszeit in Südfrankreich unterwegs und zwar mit einem „Paige“-Tourenwagen des Modelljahrs 1926/27. Die zugehörige Geschichte habe ich vor fast drei Jahren hier erzählt.

Dort finden sich auch weitere Bilder des Wagens – außerdem können Sie nachvollziehen, wie ich das Fabrikat identifiziert habe und auf welche Quellen ich mich dabei stützen konnte.

Hätte ich ein fotografisches Gedächtnis, dann wäre mir wieder der Paige von 1926/27 als Kandidat für das Fahrzeug eingefallen, welches auf dieser Aufnahme zu sehen ist, die ich erst kürzlich erworben habe:

Paige von 1926/27; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Ist doch ein ganz einfacher Fall, wenn man erst einmal das erste Foto verinnerlicht hat oder in der eigenen Galerie nachschauen würde. Letzte Bestätigung lieferte das rautenförmige Emblem auf dem Kühler, das es so damals nur bei Paige-Wagen gab.

Diese damals auch in Deutschland durchaus präsente Marke bot ausschließlich gut motorisierte Sechs- bzw. Achtzylinderwagen an.

Diese wurden dank ihrer souveränen Leistung von 60 bis 80 PS gern als Reiseautos gefahren – speziell wenn es die Alpen zu überwinden galt. Mit schwächeren Antrieben ist das natürlich ebenfalls möglich, aber eine für Mensch und Maschine anstrengende Sache.

Wo genau in Deutschland dieser Tourer zugelassen war, dürfte sich nicht mehr klären lassen, da vor dem Buchstaben A die römischen Ziffern „I“, „II“ oder „III“ stehen könnten, was auf Berlin, München bzw. Stuttgart hinweisen würde.

Theoretisch denkbar wäre auch nur die Kennung „A“, was dann für Anhalt stehen würde – die Nummer würde dann zu Dessau passen. Doch ich bezweifle, dass Mitte der 1920er Jahre dort bereits fünfstellige Zahlen vergeben wurden wie für die 40er überliefert.

Letztlich ist das auch egal, entscheidend ist vielmehr, dass dieses Auto ein weiteres Beispiel für eine der heute weniger bekannten US-Marken ist, welche vor dem 2. Weltkrieg in Deutschland beachtliche Verkaufsaktivitäten entfalteten.

Im Fall von Paige endeten diese jedoch zwangsläufig mit dem Ende der Eigenständigkeit des Herstellers anno 1927 im Zuge der Übernahme durch Graham. Tatsächlich muss das obige Exemplar eines der letzten gewesen sein, die hierzulande verkauft wurden.

Denn es lässt sich aufgrund einiger Gestaltungsmerkmale am Vorderwagen klar dem Jahr 1926/27 zuordnen, während der Tourenwagenaufbau beliebig ist – vielleicht entstand er auch auf Initiative der zuständigen Importgesellschaft HANKO in Deutschland selbst.

Interessanter finde ich aber eine andere Sache – welche erst den Titel „Ei, was haben wir denn da?“ motivierte, nämlich die eigentümlichen Scheinwerfer:

Nach Vergleichen mit einigen anderen Aufnahmen von Paige-Wagen der Jahre 1926/27 war klar, dass dieses „dicke Ei“ zumindest nicht zur Standardausrüstung gehörte.

Von deutschen Herstellern jener Zeit, die oft die Scheinwerfer von Importfahrzeugen lieferten, stammte dieses Teil aber auch nicht.

Allerdings war ich bei meiner Bildrecherche auf immerhin eine US-Reklame von 1927 gestoßen, welche einen Paige mit diesen Leuchten zeigte. Damit war klar, dass ich in den Staaten weitersuchen musste. Mittels einiger Suchbegriffe wurde ich online schnell fündig.

Demnach waren diese nicht zufällig an das einschlägige Sportgerät beim „American Football“ erinnernden Teile Mitte der 1920er bei US-Fahrzeugen auf Wunsch erhältlich.

Gefertigt wurden sie von einem Hersteller namens Edmunds & Jones unter der Bezeichnung Type 20. Wer sich für den Aufbau dieser Konstruktion interessiert, kann diesen hier studieren.

Aufgrund ihrer speziellen und für amerikanische Augen besonders reizvollen Ästhetik hatten diese Scheinwerfer nach dem Krieg recht gute Überlebenschancen und werden bis heute gern an Vorkriegswagen verbaut, um einen speziellen Look zu erzielen.

Dass einst ein deutscher Käufer seinen Paige ausgerechnet mit diesen nur als Extra erhältlichen Scheinwerfern haben wollte, ist schon bemerkenswert.

Denkbar ist natürlich ein amerikanischer Besitzer, der geschäftlich bedingt in Deutschland ansässig war. Aber vielleicht mochte auch ein deutscher Landsmann schlicht diese Optik, die weniger gut als wir informierte Passanten ausrufen ließ „Ei, was haben wir denn da?„…

Michael Schlenger, 2024. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

4 Gedanken zu „Ei, was haben wir denn da? Paige-Tourer von 1926/27

  1. Zu diesem formvollendeten und höchste Wertigkeit ausstrahlenden Amerikanerwagen, dessen Design mich halb an Packard, halb an Vauxhall erinnert, habe ich noch dies gefunden :

    https://www.wcroberts.org/Paige_History/1927_Paige.html
    Dort findet sich auch die fünfjährige Dualität von Paige-Jewett beschrieben, wobei Jewett das untere Preissegment bediente. Obwohl 1925 eine für europäische Verhältnisse stattliche Jahresproduktion von 39.114 Stück erzielt wurde, war deren Basissegment chancenlos gegen Ford und Chevrolet, zumal mit Pontiac und DeSoto weitere Anbieter im $ 999-Segment aufwarteten. Unter den Achtzylinder-Karosserien mit dem Lycoming 8-85 finde ich in offener Bauweise nur den Rumbleseat Roadster mit Schwiegermuttersitz, daher dürfte dieser fünfsitzige Phaeton-Tourer doch ein 6-75 Sechszylinder sein.

  2. Das besondere an diesem Scheinwerfer-Ei ist, dass es sich hierbei schon um eine frühe Form des Ellipsoidscheinwerfers handelt (vielleicht der erste überhaupt?). Das Licht der Glühlampe sitzt hier in einem elliptischen und nicht parabelförmigen Reflektor und wird in einen zweiten Brennpunkt gebündelt und von dort mittels einer Linse auf die Straße projiziert. Um eine Blendwirkung für den Gegenverkehr zu vermeiden ist in der unteren Hälfte eine gelbe Milchglasblende eingesetzt. Ellipsoidscheinwerfer finden sich ab ca. Bj. 2000 in vielen Fahrzeugen (außer in manchen mit LED-Licht) und haben die alten Parabolscheinwerfer die eigentlich auch zur Zeit des Paige in den 1920ern Standard waren längst abgelöst. Eine Erklärung der Wirkweise findet sich hier: https://www.kfztech.de/kfztechnik/elo/licht/ellipsoid.htm

  3. Ursprünglich war dieser Schweinwerfer eine Seltenheit (vgl. die Masse an historischen Fotos), aber die (aufgrund der Form) weit überdurchschnittliche Überlebensquote weckt heute den Eindruck, dass er recht gängig war. Ein ähnliches Phänomen wie bei der Präsenz bestimmter Marken bei heutigen Klassikertreffen. Auf die Details des Innenlebens hatte ich im Text verlinkt.

  4. Solche Scheinwerfer gibt es auf dem amerikanischen Markt zuhauf. Logisch, daß sich im hinteren Teil die Glühbirne mit Reflektor befindet und das wird auch meist gezeigt. Nun muß es aber dazwischen irgendwas optisches geben, welches das Licht auf die doch recht kleine Austrittsfläche zentriert und bündelt. Irgendwas zum Abblenden müsste da auch verbaut sein, wenn ich mir auch nicht denken kann wie das funktionieren soll.

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