Ein Jaguar Mk IV bei der Deutschen Kriegsmarine

Oft hört man, dass sich historische Autotypen leichter auseinanderhalten ließen als der formlose Einheitsbrei, der den Käufern heute verordnet wird. Natürlich erkennt auch ein ungeschultes Auge auf Anhieb einen VW Käfer, einen Fiat 500 oder eine Citroen DS – solche Stilikonen waren sogar als Rohkarosserie zu identifizieren.

Doch was die Autos der 1950er bis 70er Jahre an Charakter boten, war vorher keinesfalls immer gegeben. Wagen der späten 1920er und frühen 1930er Jahre sind in der Seitenansicht oft schwer auf Anhieb zu identifizieren. Viele europäische Typen folgten damals der von der Automobilindustrie in den USA vorgegebenen Mode.

Erst in den späten 1930er Jahren besannen sich die europäischen Marken auf eine eigene Formensprache. Mit einem Mal waren Fahrzeuge von Citroen oder Peugeot, Fiat oder Tatra auf den ersten Blick als solche erkennbar. Selbst die Modelle der in der Auto-Union zusammengefassten Marken Audi, DKW, Horch und Wanderer hatten ein eigenes Gesicht.

Daneben gab es in Großbritannien eine Automobilkultur, deren Erzeugnisse sehr „eigen“ waren. Man sieht vielen britischen Wagen ihre Herkunft an, ohne dass sich genau sagen lässt, warum – hier ein besonders interessantes Beispiel:

Jaguar_Mk_IV

© Originalfoto eines Jaguar Mk IV, 1940er Jahre; Bildquelle: Sammlung Michael Schlenger

Dieses Foto stammt aus dem Nachlass eines Offiziers der Deutschen Kriegsmarine, der im 2. Weltkrieg in Frankreich stationiert war. Die Buchstabenkombination „WM“ auf dem Kennzeichen steht für „Wehrmacht Marine“ und die Zahl gehört zum Nummernkreis des „Kommandierenden Admirals Frankreich“.

Zivilfahrzeuge, die im Krieg als Stabswagen eingezogen wurden, gab es tausendfach. Doch die Linien verraten, dass das kein deutsches Auto ist. Ein Jaguar, dachte der Verfasser, obwohl kein Markenname zu sehen ist. Der Verkäufer des Fotos wusste nicht, was er da hatte, und war mit dem gebotenen Preis einverstanden.

Die Recherche ergab, dass das abgebildete Fahrzeug ein Jaguar des Typs Mk IV 1.5 Litre mit Vierzylindermotor (Hubraum: 1,6 später 1,8 Liter) sein muss. Der ab 1935 gebaute Wagen trug als erstes Modell des Herstellers S.S. Cars Ltd. den Namen Jaguar. Ein markanter Unterschied zu den Sechszylindermodellen sind die freistehenden (nicht in die Kotflügel integrierten) Positionsleuchten.

Die Tarnscheinwerfer entsprechen nicht den auf deutscher Seite üblichen Bauteilen. So scheinen statt Überzügen zur Begrenzung des Lichtaustritts spezielle Scheinwerfergläser verbaut worden zu sein. Die Umgebung lässt ein Dünengelände erkennen, was für einen Aufnahmeort in Nordfrankreich spricht, wo die deutsche Kriegsmarine von 1940 bis 1944 zahlreiche Stützpunkte hatte.

Wie aber gelangte ein Jaguar Mk IV im 2. Weltkrieg nach Frankreich und in deutsche Hand? Da vom Jaguar Mk IV nur einige tausend Exemplare gebaut und kaum exportiert wurden, ist die naheliegendste Erklärung: ein Beutefahrzeug!

Nach der Kriegserklärung Frankreichs und Englands gegenüber dem Deutschen Reich im Jahr 1939 gelangten mit dem britischen Expeditionskorps bis 1940 tausende in England requirierte Zivilfahrzeuge nach Frankreich. Wie auf deutscher und französischer Seite auch verfügte die englische Armee nicht über genügend Kraftfahrzeuge; für Offiziere wurden massenhaft Privatwagen beschlagnahmt.

Der Jaguar dürfte von einem englischen Militärangehörigen genutzt worden sein, dessen Einheit mit den britischen Truppen im Mai 1940 bei Dünkirchen eingekesselt wurde. Zwar gelang die Evakuierung des Großteils des englischen Expeditionskorps über den Ärmelkanal. Doch mussten schwere Waffen und tausende von Fahrzeugen zurückgelassen werden.

Wahrscheinlich wurde der abgebildete Jaguar im Sommer 1940 in Frankreich erbeutet und in den Fahrzeugbestand der Wehrmacht eingegliedert. Das Heer war an einem so seltenen Wagen kaum interessiert, da im Unterschied zu den erbeuteten französischen Citroen, Renault und Peugeot keine Ersatzteile verfügbar waren.

Der Jaguar wurde aber von dem in Frankreich stationierten Kriegsmarine-Offizier geschätzt – das eigens angefertigte Foto spricht dafür. Ob der Wagen die erbitterten Kämpfe in Nordfrankreich nach der Invasion der Alliierten im Sommer 1944 überlebt hat, wissen wir nicht. Jedenfalls ist das Bild ein frühes Zeugnis eines deutschen Jaguar-Liebhabers.

Nach dem Krieg wurde das Modell Mk IV bis 1949 kaum verändert weitergebaut. Hier ein besonders schönes Exemplar, das 2014 auf der Classic Gala in Schwetzingen zu sehen war:

© Jaguar Mk IV in Schwetzingen, 2014 Bildrechte: Michael Schlenger

Und wer partout nicht genug von diesem klassischen Jaguar der 1930/40er Jahre bekommen kann, dem wird sicher das folgende Video eines Exemplars von 1947 gefallen, das auf Michael Helds Konto geht. Das Auto verfügt noch über seine originale Lederinnenaustattung und den seltenen Werkzeugsatz:

© Videoquelle: Youtube; Coypright: Michael Held

Kommentar verfassenAntwort abbrechen