Mensch & Maschine gut behütet: Phänomen-Geschichte

Nach 10 Jahren Bloggerei in Sachen Vorkriegsautos auf alten Fotos ist es für mich immer noch der schönste Lohn meiner Arbeit, wenn jemand dank der hier einsehbaren tausenden Aufnahmen das Fahrzeug identifizieren kann, mit dem einst ein Vorfahre den Weg durchs Dasein bewältigte.

Ich bitte in solchen Fällen darum, das Foto auch besprechen zu dürfen – von ganz wenigen Ausnahmen abgesehen, bekomme ich fast immer die Freigabe dafür.

Diesmal war es Hans-Werner Dicke aus Freudenberg im Siegerland, der mir eine Aufnahme übersandte, die seinen Großvater im 1. Weltkrieg zusammen mit einem Tourenwagen zeigt. Dank meiner Dokumentation konnte er das Auto selbst als „Phänomen“ identifizieren.

So bleibt mir diesmal nicht viel zu tun, außer den Wagen und die Situation geschichtlich „einzurahmen“. Die Phänomen-Werke aus Zittau hatten nach ihrem bekannten dreirädigen Phänomobil ab 1910 auch vollwertige Autos im Programm.

Recht verbreitet war der 1912 eingeführte Typ 10/28 PS, der einem vor allem auf Fotos aus dem 1. Weltkrieg begegnet – dieses Exemplar hatte ich bereits einmal vorgestellt:

Phänomen Tourenwagen (evtl. 10/28 PS); Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Diese Wagen wurden wie einige andere renommierte Fabrikate (Adler, Benz, Daimler, Opel, Protos, Stoewer…) vor allem als Offiziersautos eingesetzt. Für frontnahe Einsätze wie Aufklärungsfahrten wurde der leichte und kompakte Wanderer bevorzugt.

Auffallend an diesen Phänomen-Wagen ist, dass sie fast denselben birnenfömigen Kühler trugen wie beispielsweise zeitgenössische NSUs oder NAWs. Daher ist meist ein gut lesbarer Markenschriftzug auf dem Kühleremblem der Schlüssel zur Identifikation.

Das half auch Hans-Werner Dicke dabei, den Wagen seines Großvaters als einen solchen Phänomen zu erkennen. Hier haben wir die von ihm übersandte ausgezeichnete Aufnahme, auf der Mensch und Maschine eindrucksvoll für die Nachwelt festgehalten sind:

Phänomen Tourenwagen (evtl. 9/27 PS); Originalfoto aus Familienbesitz (H-W. Dicke)

Dass sich der Hüter der Maschine hier selbst so gut behütet präsentiert, darauf kommen wir noch zurück.

Zuvor will ich Ihr Augenmerk auf ein Detail auf dem Kühler lenken, welches sich neben dem Markenemblem befindet.

Dort hat nämlich jemand „9/27“ aufgemalt. Das erinnert mich an ein Foto von Leser Klaas Dierks, auf dem ein – von den elektrischen Parkleuchten abgesehen – ähnlicher Phänomen derselben Zeit zu sehen ist, der an derselben Stelle den Zusatz „14/35“ trägt:

Phänomen Tourenwagen (evtl. 14/35 PS); Originalfoto: Sammlung Klaas Dierks

Da die Bezeichnung der Militäreinheit, welche der Wagen angehörte, auf der Motorhaube vermerkt ist, vermute ich, dass es sich bei diesen Kürzeln um einen Hinweis auf die Motorisierung handelt.

Zwar sind weder ein Phänomen 9/27 PS noch ein 14/35 PS in der mir vorliegenden Literatur zu dieser bis 1945 existierenden Marke zu finden, doch das will nichts heißen.

Kurz vor dem 1. Weltkrieg fand sich bei anderen deutschen Herstellern wie Adler aus Frankfurt am Main die Motorisierung 9/24 PS, sodass eine Variante 9/27 PS als kurzlebiger Vorgänger des gut dokumentierten Phänomen 10/28 PS denkbar ist.

Ebenso würde ein Typ 14/35 PS wie auf dem Foto von Klaas Dierks die Lücke zwischen letzterem und dem Typ 16/45 PS füllen, den es ab Ende des 1. Weltkriegs gab.

Auch wenn das nur Indizien sind, ist die zeitliche Einordnung des Wagens, für den der Großvater von Hans-Werner Dicke verantwortlich war, klar. Nicht nur handelt es sich um eine Aufnahme nach Kriegsbeginn – erkennbar an den Tarnüberzügen der Scheinwerfer.

Auch die stählerne Kopfbedeckung gibt einen wertvollen Hinweis. Sie wurde wohl bewusst angelegt, obwohl das Foto fern der Front entstand und die übrige Ausrüstung abgelegt ist.

Das spricht meines Erachtens dafür, dass der Stahlhelm zum Aufnahmezeitpunkt noch Neuigkeitswert hatte und den Adressaten des Fotos daheim so signalisiert wurde: „Macht Euch keine Sorgen, ich bin dank dieser Neuerung auf allen meinen Fahrten gut behütet.“

Bei der Recherche zum Thema Stahlhelm musste ich feststellen, dass die deutschen Soldaten diesen erst im Lauf des Jahres 1916 erhielten.

Auf französischer Seite hatte man bereits ab Frühjahr 1915 auf die fürchterlichen Verluste bei den Mannschaften durch Artilleriebeschuss im Stellungskrieg reagiert. Die Briten zogen ab Herbst 1915 nach.

Auf deutscher Seite hatten es die Entscheider im fernen Berlin wohl nicht so eilig mit dem Schutz ihrer Soldaten. Erst Anfang 1916 lief die Ausgabe von Stahlhelmen an.

So lässt sich unsere heutige Aufnahme auf frühestens 1916 datieren. Hans-Werner Dickes Großvater hatte sich zu diesem Zeitpunkt bereits das Eiserne Kreuz für besondere Tapferkeit verdient, wie das Band im Knopfloch seiner Feldjacke verrät.

Wofür genau er ausgezeichnet worden war, das hat sich im Nebel der Geschichte verloren. Doch Hans-Werner Dicke konnte mir noch ein hübsches Detail berichten.

Sein Großvater überstand den Krieg und war danach Cheffahrer bei einer Firma in Freudenberg, die Leim aus Tierhäuten herstellte. Von dieser einst bedeutenden Industrie ist in Freudenberg nichts geblieben – außer einer Sache.

So ist im dortigen Technikmuseum die 1904 gebaute und einzig überlebende Dampmaschine der Freudenberger Industrie in einem historischen Bau gut behütet zu bewundern. Die kurzeitig 100 PS leistende einzylindrige Maschine war bis 1972 im Einsatz, rostete dann aber jahrzehntelang vor sich hin.

Den zähen Bemühungen einiger Technikenthusiasten ist es zu verdanken, dass die Maschine erhalten blieb, restauriert wurde und heute hier zusammen mit vielen anderen technischen Antiquitäten bewundert werden kann.

Es ist ein schöner Gedanke, dass etwas aus der Welt des Großvaters von Hans-Werner Dicke – was er vielleicht selbst gesehen hat – nach weit über 100 Jahren noch erhalten ist und im 21. Jahrhundert vom positiven Genius des Menschen kündet.

Das ist der eine Aspekt der heutigen Phänomen-Geschichte. Der andere ist dieser:

Mensch und Maschine, beide wollen gut behütet sein – im Krieg und im Frieden. Vor allem für letzteren gilt es, sich einzusetzen, auch wenn dabei ideologische Gräben und konfligierende Interessen zu überwinden sind.

Der Wille zum Gespräch mit der anderen Seite ist dafür unerlässlich. Das fällt leider manchen maßgeblichen Akteuren schwer, wohl weil es nicht sie sind, die im Zweifelsfall den Stahlhelm und die Konsequenzen fahrlässiger Selbstüberschätzung zu tragen haben…

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Eine komplizierte Geschichte: Wanderer W40-50 Limousine

Eine komplizierte Geschichte – darauf kann man sich vielleicht als Minimalkonsens einigen, wenn man den Beitrag Deutschlands zur europäischen Geschichte seit Gründung des Nationalstaats im späten 19. Jh. auf eine einfache Formel bringen will.

Dies spiegelt sich auch in der verwickelten Historie der Sechszylinder-Modelle der sächsischen Marke Wanderer in der zweiten Hälfte der 1930er Jahre wider.

Zuletzt hatte ich diese mit 2 bzw. 2,3 Liter Hubraum verfügbaren, zwar technisch konservativen, doch großzügigen Wagen anhand der offenen Versionen hier vorgestellt.

Bei dieser Cabriolet-Schau hatte ich eine Aufnahme ausgelassen, die ich heute nachreichen möchte, bevor wir uns den geschlossenen Varianten zuwenden:

Wanderer W40, 45 oder 50 Cabriolet; Fahrzeug der Wehrmacht, aufgenommen in Stalino (Ukraine)

Dieses schicke Wanderer-Sechszylindercabrio gehörte zu einem unbekannten deutschen Militärverband, der sich im 2. Weltkrieg in der Stadt Stalino an der Ostfront aufhielt.

Die in der Südostukraine gelegene Stadt wurde später in Donezk umbenannt. Von 1941 bis 1943 war Stalino in deutscher Hand und war der zentrale Ort in der Region, von dem aus ein systematischer Genozid stattfand.

Zwischen 300.000 und 350.000 Menschen – Juden, russische Kriegsgefangene und ukrainische Zivilisten – sollen damals Opfer von Massenerschießungen, Zwangsarbeit und Vergeltungsaktionen durch deutsche Kräfte geworden sein.

Das repräsentative Gebäude im Hintergrund war die damalige Gestapo-Zentrale am Pracht-Boulevard der Artema-Straße. In den dortigen Kellern fand mehr oder weniger das Gleiche statt wie zuvor, als der kommunistische NKWD dort „wirkte“:

Wanderer W40, 45 oder 50 Cabriolet; Fahrzeug der Wehrmacht, aufgenommen in Stalino (Ukraine); Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Diese Koinzidenz kann nicht überraschen, da alle totalitären Ideologien das nicht-konforme Individuum zum Feind haben und keine Mittel scheuen, ihre absolute Herrschaft durchzusetzen.

Die fixen Ideen, mit denen das jeweils „begründet“ wird und die dabei bevorzugten Farben, Symbole und Schlagworte sind Folklore für kleine Geister, die darauf hereinfallen.

Es gab und gibt letztlich nur den Gegensatz zwischen dem kollektivistischen, Gehorsam einfordernden Untertanenstaat und der auf freiwilliger Kooperation und Abstimmung beruhenden Bürgerrepublik, in der die Politiker (idealerweise) bloß Angestellte auf Zeit sind.

Daher interessieren auch die ganzen Attribute und Verortungen in einem Links-Mitte-Rechts-Schema nicht – entscheidend ist „auf dem Platz“, wie ein Fußballer mal sagte.

Nachdem wir dieses nie endende Thema gestreift haben, kommen wir nun zum abgeschlossenen Kapitel der Geschichte.

Denn nachfolgend bringe ich nur noch Fotos von Limousinen, wenngleich uns die Zeitgeschichte auch hier unweigerlich begleiten wird, immerhin weniger schockierend.

Im Gegenteil ganz schön anzuschauen ist doch dieses Dokument, das links eine Wanderer-Limousine zeigt:

Wanderer-Limousine, Typ W 40, 45 oder 50; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Welcher Motor hier unter der Haube arbeitete und wieviele Seitenfenster der Aufbau des Wanderer hatte – das muss offen bleiben und damit die genaue Zuschreibung als Typ 40, 45 oder 50.

Kaum einfacher ist die Sache im Fall der Wanderer-Limousine auf dem folgenden Foto. Der Wagen war im Dienst des Reichsarbeitsdienstes (RAD) – einer 1935 eingeführten Zwangsarbeitsorganisation für junge Deutsche mit militärischem Charakter – darauf deutet jedenfalls die Aufmachung des Herrn hin, der neben dem Auto posiert:

Wanderer-Limousine, Typ W 40 oder 50; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Kaum überraschend war die Effektivität des RAD meist gering. Er band hunderttausende junger Männer ohne marktgerechte Bezahlung in Propagandaprojekten wie Autobahnen für ein Volk ohne Autos, während die deutsche Industrie unter Arbeitskräftemangel litt.

Zum Auto ist Folgendes zu sagen: es wurde nach Beginn des 2. Weltkriegs aufgenommen, da es die dann vorgeschriebenen Tarnüberzüge auf den Scheinwerfern aufweist. Der Wagen sieht schon ziemlich mitgenommen aus – aber so ist das nun mal, wenn es nicht das eigene Fahrzeug ist, für das man verantwortlich ist.

Noch vor dem Krieg entstand folgendes Foto, auf dem wir solch einen Wanderer in gepflegtem oder gar neuwertigen Zustand sehen:

Wanderer-Limousine, Typ W 40 oder 45; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Auch hier kommen der kleine und der „große“ Sechszylinder in Betracht – wir haben es also mit einem W40 oder einem W45 zu tun. Nur wenn so eine Limousine sechs Seitenfenster hatte, handelte es sich um einen Typ W 50, der immer den 2,3 Liter-Motor besaß.

Einige dieser geräumigen und hochwertigen Wagen überstanden den 2. Weltkrieg.

Entweder blieben sie in Hand ziviler Nutzer mit entsprechender Erlaubnis oder sie kehrten wieder in Privatbesitz zurück, wenn vom Militär genutzte Exemplare nach Kriegsende herrenlos und mit leerem Tank irgendwo herumstanden.

Hier haben wir ein Beispiel mit Zulassung in der DDR in den späten 1950er Jahren:

Wanderer-Limousine, Typ W 40, 45 oder 50; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

In diesem Fall ist nun wieder alles möglich: W 40, 45 oder 50. Eigentlich kann es uns heute auch egal sein wie den damaligen Besitzern, denn jedes Auto war nach dem Krieg wertvoll.

Speziell im Vergleich zu den automobilen Hervorbringungen des Sozialismus in Ostdeutschland darf man sagen, dass ein Vorkriegswagen das Beste war, was man kriegen konnte, solange sich die Fuhre noch mit verbliebenen Ersatzteilbeständen am Laufen halten ließ und der Kraftstoffverbrauch nicht exorbitant war.

So konnte die junge Generation auch unter den zunehmend totalitären Verhältnissen der Deutschen Demokratischen Republik – merke: was auffallend betont wird, ist selten gegeben – durchaus ihren Spaß im Privaten haben.

Viele damalige Oldie-Besitzer hatten den Westdeutschen voraus, dass sie wussten, wo es in Zukunft lang gehen würde – jedenfalls in punkto Vorkriegsauto:

Wanderer-Limousine, Typ W 40, oder 45; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Da wir es hier mit einer Vierfenster-Limousine zu tun haben, können wir den Wanderer Typ W50 ausschließen.

Das hilft uns aber nicht viel, da wir immer noch nicht sagen können, ob unter der Haube der 2-Liter-Motor (W40) oder die 2,3 Liter-Variante (W45) arbeitete.

Oberflächlich zusätzlich kompliziert wird die Geschichte durch die nicht mehr originalen Stoßstangen (sie könnten von einem DKW stammen) und die nachgerüsteten Blinker.

Aber das passt zur verwickelten Geschichte unseres Landes, die einen begleitet, wenn man sich mit dem Fortleben dieser Vorkriegswagen über die Jahre und Jahrzehnte beschäftigt…

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The Winner Takes It All: „Neues“ vom BMW 326

Der Blogwart steht womöglich bei einigen Mitlesern dieses automobilen Online-Tagebuchs im Ruf, einen elitären Musikgeschmack zu haben, mit dem er gern hausieren geht.

Das stimmt, ist aber nur die eine Seite der Medaille. Nachdem er in der Werkstatt auf der Leiter turnend seine Malerarbeiten von amerikanischem Blues der 40er und 50er Jahre begleiten ließ – nebenbei eine endlos reizvolle Variation über das Thema des “ Verlassenwerdens und Verlassenwordenseins“ – läuft nun am Abend Beethovens letzte Klaviersonate Nr. 32.

Diese steht wie die von mir geschätzten Fugen und Kantaten von Bach im Ruf, schwere Kost zu sein – auch das stimmt, aber auch das ist nur eine Seite der Medaille.

Ausgerechnet Beethovens Nr. 32 bietet in der ewig langen Arietta immer wieder Passagen, in denen man meinen könnte, dass es sich um eine versonnene Improvisation eines Jazzers mit ausgeprägter Swing-Veranlagung handelt.

Ich erzähle das deshalb, weil für mich entscheidend ist, ob ein Musikstück handwerklich gut gemacht, intelligent strukturiert und auch nach dem hundertsten Mal noch ergreifend ist. Wie alt das Ganze ist, wie vermeintlich abgehoben oder wie populär – das ist mir völlig egal.

Zum Beweis bringe ich heute etwas, das dies in vielleicht überraschender Form illustrieren soll. Dazu müssen Sie sich nach längerer Pause allerdings erst auf den fatalsten Part der deutschen Geschichte einlassen – die Zeit des 2. Weltkriegs.

Ironischerweise stammen aus dieser Zeit jede Menge Autofotos, auf denen nur wenig auf die Zeitumstände hindeutet. Ganz gleich wie die Beteiligten zu der Sache standen, mussten sie ihr Leben bewältigen, gute Miene machen – ein Entkommen gab es ja nicht mehr.

Manch einer hatte etwas mehr Glück als andere und musste nicht als Frontsoldat dienen oder ausländische Arbeitssklaven beaufsichtigen wie etwa in den Frankfurter Adlerwerken – nebenbei ein verstörendes Beispiel dafür, dass die abartige Behandlung unterworfener Menschen nicht auf die Unglücklichen in den Todeslagern im Osten beschränkt war.

Einer der in dieser Zeit einigermaßen unbeschadet durchkam, soweit ich weiß, ist dieser freundliche junge Mann, der im Krieg als Fahrer eines hohen Wehrmachtsoffiziers (Generalmajor Dippolt) fungierte:

BMW 326 Cabriolet; Originalfoto aus Familienbesitz (Frank-Alexander Krämer)

Die Tarnblenden auf den serienmäßigen Scheinwerfern und der ergänzte „Notek“-Tarnscheinwerfer sind untrügliche Zeichen dafür, dass diese Aufnahme nach Beginn des 2. Weltkriegs entstanden sein muss.

Die Stander auf den Kotflügeln verwiesen auf die Funktion bzw. den Rang des Insassen, welcher den Wagen nutzte – im zivilen Betrieb waren sie verdeckt. Das war insbesondere dann der Fall, wenn der zuständige Fahrer „sein“ Auto privat nutzte, wie hier zu sehen.

Was der Anlass dafür war – Heimaturlaub oder eine heimatnahe Dienstfahrt, die man zu einem Besuch der Familie nutzte – das ist mir nicht bekannt. Wohl aber weiß ich, dass es sich um den Großvater von Frank-Alexander Krämer aus Landau in der Pfalz handelt.

Frank – seines Zeichens Archäologe und Mitinhaber einer Grabungsfirma – ist wie sein Großvater ein großer Autoenthusiast und seine diesbezüglichen Interessen (und Schrauberobjekte) reichen von der Vorkriegszeit bis in die 1960er Jahre.

Er hat mir neben der eingangs gezeigten Aufnahme auch das folgende schöne Foto zur Verfügung gestellt, das seine Großmutter zeigt – vermutlich am selben Tag:

BMW 326 Cabriolet; Originalfoto aus Familienbesitz (Frank-Alexander Krämer)

Diese sympathischen Zeugnisse sollen über nichts von dem hinwegtäuschen, was in jener Zeit in deutschem Namen und leider mit erheblicher Begeisterung vieler Beteiligter geschah.

Doch diese Bilder stehen in ihrer puren Menschlichkeit für sich und wie immer genießen die darauf abgebildeten Personen den „Benefit of the Doubt“ – für sie gilt also erst einmal die Unschuldsvermutung wie für uns selbst, wären wir damals an ihrer Stelle gewesen.

„Benefit of the Doubt“ wäre zwar ein perfekter Songtitel, aber ganz so weit sind wir noch nicht. Erst einmal müssen wir klären, dass der vom Militär beschlagnahmte Wagen, den Frank-Alexander Krämers Großvater steuerte, ein BMW des Typs 326 war.

Das war der ab 1936 gebaute optimierte 6-Zylinder BMW mit nun für einen Wagen dieses Kalibers adäquaten 50 PS aus 2 Litern Hubraum und Spitze 115 km/h. Bis 1941 blieb er im Programm, doch das Exemplar wurde ausweislich der zivilen Zulassung noch vor Kriegsbeginn gefertigt.

Hier sehen wir (rechts) ein letztes Mal den von Franks Großvater gesteuerten BMW irgendwo im Niemandsland am Ende des Winters:

BMW 326 Cabriolet; Originalfoto aus Familienbesitz (Frank-Alexander Krämer)

Franks Großvater wurde 1943 an der Ostfront verwundet, zerschossenes Knie, was ihm wohl das Leben rettete. Nach dem Krieg gründete er eine Fahrschule in Landau, der wer weiß wieviele Ortsansässige ihren Führerschein verdankten.

Doch was aus dem schönen BMW 326 Cabriolet wurde, für das er eine zeitlang verantwortlich war, das wissen wir nicht. In einem anderen Fall wissen wir allerdings sehr genau, was daraus wurde.

Und damit wären wir schon fast am Ende – des 2. Weltkriegs, als galt: „The Winner Takes it All“. Im Osten war das die Rote Armee, im Westen vor allem die US-Armee.

Zwei Angehörige der letztgenannten posieren hier mehr oder weniger lässig neben einem BMW 326, der kurz zuvor noch einem deutschen Zivilisten gehört hatte:

BMW 326 im Jahr 1945; Originalfoto: Sammlung Helmut Kasimirowicz (Düsseldorf)

Dieses bemerkenswerte Foto, das kurz nach Kriegsende entstanden sein muss, hat mir mir in digitaler Kopie Leser und Oldtimer-Pionier Helmut Kasimirowicz zur Verfügung gestellt.

Die beiden herrlich unkorrekt zurechtgemachten GIs auf dieser Aufnahme hatten offenbar einen solchen BMW einkassiert, den ein unbekannter Besitzer aus Württemberg über den Krieg gerettet hatte.

Tja, am Ende gilt: „The Winner Takes it All“ – ob es einem gefällt oder nicht. Im vorliegenden Fall gefällt mir das Dokument ganz ausgezeichnet.

Dass der von den Nationalsozialisten entfachte Furor Teutonicus unter aberwitzigen Opfern letztlich auch auf deutscher Seite von den Alliierten beendet wurde, ist im Einzelfall erschütternd, war aber im Ganzen betrachtet notwendig.

Am Ende hilft nur eines: Sich mit „The Winner Takes It All“ anzufreunden. Das tun wir, indem wir nun noch ein wenig der leichten Muse frönen. Denn mit genau diesem Titel landete 1980 die schwedische Gruppe ABBA einen ihrer vielen legendären Hits.

Es mag Sie überraschen, aber ich fand es schon immer großartig, was die vier aus dem hohen Norden ablieferten – Musik, Text und Inszenierung waren immer von einer Perfektion, die bis heute ihresgleichen sucht.

Fast 5 Minuten Lyrik und persönliches Drama – das ist ein Beispiel für ein Können, das mich über alle Zeiten hinweg inspiriert…

Nachtrag vom 15.11.2025: Anni-Frid Lyngstad – für mich die Interessantere der beiden Abba-Frontfrauen – ist die Tochter eines deutschen Wehrmachtssoldaten und einer Norwegerin. Heute wird sie 80 Jahre alt. So vergeht die Zeit, doch die Magie von einst bleibt bestehen, nicht nur im Hinblick auf die automobile Welt von gestern…

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Mit 105 ein „Youngtimer“: Vinot & Deguingand um 1920

Ich bin zwar erst 56, aber alt genug, um mich an Zeiten erinnern zu können, als ein 20 Jahre alter Wagen einfach nur als Gebrauchter oder alte Kiste bezeichnet wurde.

Ein begabter Zeitgenosse erfand dafür aber irgendwann die modische Bezeichnung „Youngtimer“, um ein neues Marktsegment zu kreieren, von dem die Leute glauben sollten, der begehrte Oldtimerstatus sei darin schon enthalten, man müsse nur noch etwas warten.

Die Vorstellung, dass jedes ordinäre Altvehikel durch bloßen Zeitablauf automatisch in den Oldtimer-Adelsstand erhoben wird, ist einigermaßen naiv. Es ist keine exakte Wissenschaft, aber die Leute und der Markt urteilen nicht nur anhand des bloßen Alters darüber, ob bei einem Autoklassiker ein ausreichender Nostalgiefaktor gegeben ist.

Mir fällt da als abschreckendes Beispiel der Talbot Samba in Cabrio-Ausführung ein, mit dem mich während meines Wehrdiensts 1988/89 ein Kamerad öfters mit in die Kaserne nach Rotenburg/Fulda nahm. Das Ding war gerade erst ein paar Jahre alt, wirkte aber schon damals wie das heillos veraltete Produkt einer sozialistischen Bananenrepublik.

An den Golf 2 in Dieselausführung – mein Fahrschulauto – erinnere ich mich ebenfalls mit Schaudern, weil das Armaturenbrett im Leerlauf schepperte und die deutschen Gestalter dieses Geräts die italienischen Design-Gene des Ur-Golf gründlich ausgemerzt hatten.

Bevor ich mir etwaige Freunde solcher Gruselgefährte der 80er zum Feind mache, ziehe ich mich besser in die sicheren Gefilde des Vorkriegsautomobils zurück. Denn tatsächlich würde jedes Kind bei jedem überlebenden Exemplar heute zuverlässig „Ein Oldtimer!“ ausrufen.

Das hat natürlich mit der speziellen Formgebung zu tun, die spätestens ab 1950 bei den meisten Herstellern Geschichte war. Einzelne Ausnahmen wie der Citroen Traction Avant, diverse MGs und Mercedes-Benz bestätigen lediglich die Regel.

Doch möchte ich einen Sonderfall zeigen – einen Vorkriegswagen, der sich trotz seines heutigen Alters von 105 Jahren lediglich als Youngtimer einordnen lässt – jedenfalls auf diesem Dokument:

Vinot & Deguingand um 1920; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Natürlich werden Sie jetzt sagen, dass ein Auto kaum besser den Stil eines echten Oldtimers verkörpern könnte als dieser Tourenwagen. Und von der reinen Papierform her haben Sie auch recht.

Denn dieses in die Jahre gekommene Gefährt lässt sich anhand des Markenemblems auf dem Kühlergrill – der von einem Oval umgebenen Buchstabenkombination „VD“ – als Vinot & Deguingand identifzieren.

Was klingt wie ein ehrwürdiges Chateau in der (aus meiner Sicht überschätzten) Weinregion des Bordeaux, war eine französische Autofirma, die von 1901 bis 1926 aktiv war.

Anhand der Kühlerform, der geraden Linie von Motorhaube und anschließendem Windlauf sowie der Kotflügelgestaltung würde ich das Exemplar auf meinem Foto als Modell von ca. 1920 ansprechen (vgl. Reklamen von 1919 bzw. 1921).

Vielleicht kann ein sachkundiger Leser den Typ näher eingrenzen, mir fehlt dafür die Expertise und die Zeit. Bei den in die tausend gehenden französischen Nischenmarken muss ich die weiße Flagge hissen.

Als obiges Foto entstand, hatte gerade die französische Regierung die weiße Flagge angesichts des raschen Durchbruchs der deutschen Angreifer im Sommer 1940 gehisst – bei aller Ungemach der anschließenden Besatzung letztlich eine weise Entscheidung, die dem Land weitgehende Zerstörung und gigantischen Blutzoll ersparte.

Nach der Kapitulation wurden allerorten deutsche Soldaten einquartiert und Autos, die man altersbedingt nicht mehr für die Truppe einkassieren konnte, dienten zumindest als beliebtes Fotomotiv für die „Landser“, von denen die meisten noch nie in einem PKW gesessen hatten. Deutschland war nämlich trotz des als Beschäftigungsmaßnahme dienenden Autobahnbaus im Vergleich zu Frankreich ein automobiles Entwicklungsland.

Solche Aufnahmen sind daher nicht selten, zumal in der Frühphase des 2. Weltkriegs noch reichlich Filmmaterial vorhanden war, das man für solche Aufnahmen verjuxen konnte.

Ein besonders hübsches Beispiel, das ebenfalls einen französischen Youngtimer unter deutscher Besatzung zeigt, ist das nachfolgende:

unbekanntes französisches Landaulet; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Blenden wir für einen Moment die Zeitumstände aus – ich bin der letzte, welcher für die deutschen Kriegsführung ab 1939 Sympathie aufbringen kann – man muss trotz allem in der Lage sein, den Einzelnen in einem Moment des Geschehens zu sehen.

Hätte dieser junge Luftwaffenoffizier nicht eher das Zeug zum Filmstar gehabt, anstatt mit seinen Kameraden seinem kriegerischen Handwerk nachzugehen?.

Die Paradoxie dieses Fotos liegt darin, dass man sich seines Reizes nicht entziehen kann und doch weiß, dass alles falsch und katastrophal war, was diese Männer seinerzeit mehr oder weniger gezwungenermaßen, mehr oder weniger begeistert taten.

Dieses Paradoxe hat vor Jahren ein amerikanisches Mitglied meiner Facebook-Vorkriegsautogruppe scherzhaft auf den Punkt gebracht: „The Germans should have won the war – they had the cooler cars and smarter uniforms„.

Das aus US-Mund will ich unwidersprochen stehenlassen. Auch der Humor ist ein Mittel, um irgendwann ein gesundes distanziertes Verhältnis zum Horror der Vergangenheit zu erlangen – Voraussetzung dafür, wieder ein normales Verhalten an den Tag zu legen, anstatt mit irrem Furor angebliche Buchstaben-Vergehen zu verfolgen…

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Keineswegs vom Militär „verschmäht“: Audi 225 Luxus

Legenden führen ein hartnäckiges Dasein – vermutlich mögen die meisten Leute erfundene Geschichten, die sich gut anhören und dem Chaos der Wirklichkeit vermeintlich Sinn oder zumindest Struktur verleihen.

Die Bereitwilligkeit der Masse, irgendwelche Geschichten von „Hohepriestern“ sofort zu glauben, ohne einmal den eigenen Denkapparat zu bemühen oder die eigene Erfahrung als Prüfstein heranzuziehen, ist von jeher eine der Grundlage von Elitenherrschaft.

Man findet diese Mechanismen, die sich bei einer überwiegend dem Herdenleben anhängenden Spezies wohl überwiegend bewährt haben – sonst gäbe es sie nicht – bereits bei unbedeutenden Themen und Fragestellungen.

Seitdem ich mich einigermaßen systematisch mit Vorkriegswagen beschäftige, belustigt mich die immer wieder in der Literatur zu findende Behauptung, das deutsche Militär habe im 2. Weltkrieg frontgetriebene Automobile „verschmäht“.

Es mag ja sein, dass irgendein frontfern am Schreibtisch kämpfender Beamter im Beschaffungswesen irgendwann mal ein Schriftstück in der Richtung verfasst hat, weil er irgendwo gelesen hatte, dass der Vorderradantrieb stärkerem Verschleiß unterliege.

Das war tatsächlich damals noch der Fall, was aber die Hersteller im In- und Ausland nicht davon abhielt, etliche Frontantriebswagen anzubieten – die auch gerne gekauft wurden.

Stoewer, DKW, Adler und Audi waren in Deutschland die Pioniere des Frontantriebs – und natürlich findet man die entsprechenden Fahrzeuge auch im Einsatz bei der Wehrmacht.

Die chronisch an Fahrzeugmangel leidende Truppe konnte es sich nicht leisten, auch nur irgendein PKW-Modell zu „verschmähen“, das aus den 30er Jahren stammte und wenigstens 20 PS leistete.

Die unzähligen einschlägigen Fotos der „Landser“ sind wie auch in anderer Hinsicht viel aussagekräftiger als offizielle Verlautbarungen.

Auch wenn die folgende Aufnahme erkennbar nach Dienstschluss entstand, hat man nicht den Eindruck, dass diese Herren ein distanziertes Verhältnis zu diesem schönen Vierfenster-Cabriolet hatten:

Audi Typ 225 Luxus, 4-Fenster-Cabriolet; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Die Tarnüberzüge auf den Frontscheinwerfern und der zusätzliche „Notek“-Tarnscheinwerfer neben dem linken Kotflügel sprechen eine eindeutige Sprache: Als dieses Foto gemacht wurde, war der 2. Weltkrieg in vollem Gange.

Während die Tarnbeleuchtung seit Kriegsausbruch auch für die noch in Privathand verbliebenen PKWs vorgeschrieben war, verrät das Kürzel „WH“ auf dem Nummernschild, dass dieses Fahrzeug einer Heeresabteilung der Wehrmacht angehörte.

Dass prestigesüchtige deutsche Offiziere auch an der Front gerne solche Luxus-Cabriolets fuhren, überrascht noch nicht – der Hang zum Irrationalen gilt ja als deutscher Wesenszug.

Aber dieses Exemplar war schon etwas Besonderes, könnte man meinen. Denn es handelt sich eindeutig um den frontgetriebenen Audi des Typs 225, von dem in dieser Ausführung nur ein paar hundert Stück entstanden.

Solche eigentlich nur zum gepflegten Reisen gedachten Nischenfahrzeuge waren schon wegen der Ersatzteilversorgung der Alptraum jedes Logistikers. Und dann noch dieser „umstrittene“ Frontantrieb.

Tatsächlich nahm die Wehrmacht alles, was sie auf dem Sektor bekommen konnte. Die kleinen DKWs mit Frontantrieb wurden meist heimatnah bei der Truppe eingesetzt, während man die ebenfalls frontgetriebenen Typen von Adler auch bei Kampfeinheiten antrifft.

Lachen musste ich gerade wieder, als ich im Audi-Standardwerk von Kirchberg/Hornung (Verlag Delius Klasing) noch einmal das Kapitel zum Typ 225 Luxus überflog. Da stand es schon wieder, dass „die Militärs normalerweise Autos mit Frontantrieb verschmähten„.

Das Ganze garniert mit einem Foto eines Audi 225 Luxus-Cabrios der Luftwaffe bei der Besetzung Belgiens im Sommer 1940 (siehe S. 172).

Nachdem man auch Frankreich einkassiert hatte, beschlagnahmte man tausende frontgetriebener Citroen „Traction Avant“, mit denen es im Jahr darauf mit Hurrah gen Russland ging. Das erwartbar fatale Ergebnis ändert nichts daran, dass die „Praktiker“ in der Wehrmacht frontgetriebene Wagen schätzten – gerade den Citroen.

Noch im Mai 1945 begegnet man auf Filmaufnahmen, die kapitulierende deutsche Einheiten in der Tschechoslowakei zeigen, diese hervorragenden Fahrzeuge – und das nach über vier Jahren Kriegseinsatz.

Von den weit weniger zahlreichen frontgetriebenen Audis haben indessen kaum welche das Aufflammen des „Furor Teutonicus“ im 2. Weltkrieg überlebt. Rund zwei Dutzend davon gibt es laut Literatur heute noch, die meisten davon 4-Fenster-Cabriolets wie auf dem heute gezeigten Foto, das wohl irgendwo beim Feldzug im Westen entstand.

So: Wer jetzt noch einmal im Zusammenhang mit Fronttrieblern etwas von „verschmäht“ erzählt, wird wegen Defätismus umgehend zur Frontbewährung abgestellt…

Michael Schlenger, 2025. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

Bemerkenswerte Randerscheinung: Citroen B14

Als ich mich als Bub für Autos zu interessieren begann – war mein Anschauungsmaterial zunächst das, was es auf dem Weg zur Grundschule zu besichtigen gab.

Ich erinnere mich an den VW Typ 3 unseres Nachbarn zur Rechten – eines Arbeiters, der in den 1970er Jahren für seine Familie ein zweistöckiges Haus bauen konnte – damals mit viel Fleiß machbar.

Der Nachbar zur Linken fuhr einen Audi 60 – er war pensionierter Flugkapitän und hatte als Testpilot im 2. Weltkrieg alles Mögliche geflogen. Mein älterer Bruder hat ihn mal für ein Schulprojekt dazu interviewt, vielleicht gibt’s die Kassette mit seiner Story noch…

Gegenüber wohnte ein Kriegsversehrter, ebenfalls Arbeiter und noch so einer, der mit Frau und Kind ein anständiges Haus mit großem Garten besaß. Irgendwann gönnte er sich einen gebrauchten 70er-Jahre-Mercedes (W114/115), den er selbst wieder aufmöbelte.

Weiter unten an „unserer“ Straße gab es – wenn ich mich recht entsinne – einen der genialen Renaults mit Heckklappe, die deutsche Fabrikate alt aussehen ließen. Ich meine außerdem, dort auch öfters einen flotten Chevrolet Camaro gesehen zu haben.

Doch in Sachen Citroen – und darum geht es heute – kann ich mich vor allem an ein Modell CX in braun-metallic erinnern. Er gehört dem Gatten einer guten Bekannten meiner Mutter, einer Grundschullehrerin aus unserem Ort.

Dieses Gerät mit seiner einzigartigen Linienführung begeisterte mich. Leider wurde der Citroen nach einigen Jahren durch einen weißen Mercedes 200 Diesel (W124) ersetzt. Immerhin hielt in der Nachbarschaft ein Jäger seinem wackeren Lada Niva die Treue.

Sie sehen: für mich waren ausländische Fabrikate schon früh selbstverständlicher Bestandteil meiner automobilen Sozialisation.

Den Kult um deutsche Automobile habe ich nie verstanden, so sehr mich das Großwerden im 1963er VW „Export“ mit Faltschiebedach beeinflusst hat, den meine Mutter viele Jahre fuhr.

So waren für mich Alfas und Jaguars, später auch Mazdas und Hondas nie eine Randerscheinung, sondern selbstverständliche Bewohner des faszinierenden internationalen Autozoos in der guten alten Bundesrepublik, in der ich aufwuchs.

Doch gab es auch Zeiten, in denen ein Citroen – meine Nachbarn fahren gleich zwei davon wie viele, die günstige Autos suchen – nur eine Randerscheinung in Deutschland war.

Das passende historische Foto dazu sehen Sie hier:

Citroen B14; Aufnahme aus dem 2. Weltkrieg; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Wo genau das Auto aufgenommen wurde, kann ich nicht sagen – die Ziegelbauweise verweist allgemein auf Norddeutschland. Der Zulassungsbezirk des der hier am Rand zu sehenden Wagens, lässt sich allerdings bestimmen.

Dem Nummernschild nach zu urteilen war diese Limousine im westfälischen Coesfeld zugelassen. Dass ich damit wenig anfangen kann, mag am Schicksal der Kleinstadt liegen.

Der militärisch irrelevante Ort wurde wenige Wochen vor Ende des 2. Weltrkriegs durch Bomber der Westalliierten dem Erdboden gleichgemacht – weil man es konnte.

Auch die Synagoge, die an die vertriebenen bzw. ermordeten Bürger jüdischer Abstammung erinnert, wurde beschädigt. Sie gehört zu den wenigen erhaltenen historischen Bauten im heutigen Coesfeld.

Vor diesem fatalen Hintergrund begegnet uns hier ein Wagen mit der ab 1939 im sogenannten Deutschen Reich vorgeschriebenen Tarnbeleuchtung:

Citroen B14; Aufnahme aus dem 2. Weltkrieg; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Die Ansprache des Herstellers dieser Limousine aus den späten 1920er Jahren ist keine Kunst – hier haben wir zweifellos einen Citroen vor uns.

Die französische Marke hatte 1927 eine Produktionslinie in Köln aufgebaut, um vom Potenzial des deutschen Markts zu profitieren, der von den produktionstechnisch meist rückständigen lokalen Herstellern nicht ausreichend mit Autos versorgt werden konnte.

Das hier zu sehende Modell wurde allerdings seinerzeit nicht in so großen Stückzahlen gebaut, dass man von mehr als einer Randerscheinung sprechen kann.

Das Fehlen einer Stoßstange und die unten spitz zulaufende Windschutzscheibe sind Indizien dafür, dass wir es mit dem Modell B14 zu tun haben. Davon wurden zwischen 1926 und 1928 insgesamt fast 140.000 Exemplare gebaut.

Die Kölner Produktion wird in der Literatur auf knapp 9.000 Wagen beziffert. Damit musste dieser Citroen wie auch die Nachfolger C4 und C6 eine Randerscheinung in deutschen Landen bleiben.

Dass wir einem solchen Auto im 2. Weltkrieg irgendwo in Westfalen begegnen, ist daher einerseits ein bemerkenswerter Zufall. Andererseits wundert es nicht, da die meisten privaten PKW jüngeren Baudatums für militärische Zwecke eingezogen wurden.

So war dieser Citroen vielleicht doch mehr als eine Randerscheinung. Wagen wie dieser gehörten zu den wenigen, die im 2. Weltkrieg einigen privilegierten „Volksgenossen“ an der „Heimatfront“ ein Minimum an Individualmobilität jenseits des Fahrrads ermöglichten…

Michael Schlenger, 2025. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

Kurzer Urlaub vom Krieg: Citroen B10 Tourer

Klingt doch eigentlich vielversprechend, der heutige Titel, nicht wahr? Können wir nicht alle ein zumindest kurzes Gegenprogramm zu den täglich neuen Bildern vom Krieg irgendwo auf dem Planeten vertragen?

Gewiss, aber bedenken Sie: Ausgerechnet beim Thema Vorkriegsautos kommt man um Bilder aus dem Krieg nicht herum, auch wenn private Aufnahmen von echten Kämpfen oder deren Ergebnis weit seltener gemacht wurden als Fotos entspannter Situationen.

Zivile Vorkriegsautos begegnen einem tausendfach auf Aufnahmen aus dem 1. und noch mehr aus dem 2. Weltkrieg. Viele solcher Dokumente in meinem Fundus zeigen interessante deutsche oder erbeutete französische und amerikanische PKW an der Ostfront.

Doch werden Sie verstehen, dass ich solche Aufnahmen erst wieder bringen will, wenn sich das Verhältnis zu einstigen Kriegsgegner Russland wieder entspannt hat – etwas, das ich uns allen für das Jahr 2025 wünsche.

Leichter fällt mir die Sache bei Dokumenten von der West- und Südfront, wo deutsche Truppen (reguläre eingeschlossen) nicht ganz so gewütet haben, auch wenn von dort ebenfalls Kriegsverbrechen in einer Vielzahl bekannt sind, dass einem übel werden kann.

Doch das Dokument, das ich heute präsentiere, lässt solches zumindest für eine Weile vergessen, obwohl uns am Ende die Realität des Kriegs einholen wird. Es wird also nur ein kurzer Urlaub vom Krieg werden, aber immerhin:

Citroen B2; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Na, was sagen Sie dazu? Ist es das, was Sie sich von einem Kurzurlaub erhoffen?

Zwei junge Männer bei sommerlichen Temperaturen in einem stark angejahrten Tourenwagen, bei dem keine ordnungsgemäße Zulassung zu vermuten ist.

Der Mann am Steuer hat sich mit einem großen Strohhut ausstaffiert und wirkt wenig vertrauenerweckend. Gefiel es ihm nicht, so „auf Urlaub“ dokumentiert zu werden?

Merkwürdig mutet auch die dunkle Figur mit Flügeln an, die an der Windschutzscheibe befestigt ist. Was ist von diesem finsteren Maskottchen zu halten?

Ich habe keine Idee, bin aber ohnehin der Meinung, dass der gut gebräunte junge Herr in kurzer Hose hier die Hauptrolle spielt. Mit athletischem Körperbau und sympathischem Lachen kann er sich durchaus sehen lassen, auch wenn eine Sonnenbrille für meinen Geschmack auf Fotos stets zuviel verbirgt.

Aber gut, es war Sommer, man hatte ein Auto und so unternahm man in gelöster Stimmung einen Ausflug. Die umseitige Bemerkung in deutscher Sprache „Am Kanal“ verrät indessen, dass wir es hier nicht mit gut aufgelegten Franzosen zu tun haben, die mit Vaters altem Citroen eine Spritztour gemacht haben.

Nein, das waren nach der Lage der Dinge deutsche Soldaten, die nach der Kapitulation Frankreichs im Sommer 1940 einen kurzen Urlaub vom Krieg genossen. Aus jener Zeit begegnen einem immer wieder ähnliche Aufnahmen mit vor Ort „geborgten“ alten französischen Autos, deren Besitzer nicht die Reifen hatten verschwinden lassen.

Im vorliegenden Fall haben wir es mit einem Citroen wohl des Typs B10 zu tun. Dabei handelte es sich um den nun mit Ganzstahlaufbau versehenen, sonst sehr ähnlichen Nachfolger des Typs B2 (1921-26). Gebaut wurde das Modell nur 1924/25, bevor es vom wiederum optisch sehr ähnlichen B12 mit Vierradbremsen abgelöst wurde.

Ganz ausschließen kann ich im vorliegenden Fall daher weder den Typ B2 noch den B12 (da nicht zu erkennen ist, ob der Wagen bereits Vorderradbremsen besaß). Der Citroen B10 ist aber insofern hervorhebenswert, als er der erste mit Ganzstahlkarosserie im Fließbandverfahren gebaute Wagen Europas war.

Anno 1940, als die heute präsentierte Aufnahme entstand, war so ein Citroen der 1920er Jahre zwar von gestern, aber auf dem Land existierten noch viele davon und oft behielt man die alten Wagen einfach, wenn man Platz hatte, selbst wenn man sie nicht mehr fuhr.

Sofern alle Teile vorhanden waren, ließ sich so ein simples Auto mit ein paar Handgriffen an Vergaser und Motor sowie mit frischem Benzin und Kühlwasser leicht wieder in Betrieb nehmen. Genau das scheinen die jungen Herren hier getan zu haben.

Lange wird das Urlaubsglück nicht angehalten haben, soviel ist klar. In der Spätphase des 2. Weltkriegs gestalteten sich die Kurzurlaube in Frankreich eingesetzter deutscher Soldaten ohnehin anders. Badeurlaub „am Kanal“ war nach der Landung der Alliierten 1944 passé. Man war dann froh, wenn man für ein, zwei Wochen nach Hause durfte.

Oft genug erwiesen sich solche kurzen Auszeiten vom Krieg als die letzten. So war das auch im Frühjahr 1944, als der Vater einer Leserin meines Blogs noch einmal nach Hause durfte. Sie ist das bleibende Ergebnis dieses kurzen Aufenthalts und feiert dieser Tage ihren 80. Geburtstag. Noch als sie „unterwegs „war, fiel ihr Vater an der Westfront.

Man sieht, das Thema „Kurzer Urlaub vom Krieg“ kann ein durchaus zwiespältiges sein. Aber heute wollen wir uns die Stimmung nicht verderben lassen und wollen das Leben feiern – nicht nur auf alten Fotos, sondern ganz im Hier und Jetzt.

Michael Schlenger, 2024. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

Rüstige Senioren sind gefragt! Opel 30/50 PS

Die Schrumpfung des Erwerbstätigenpotenzials – ergänzt durch die noch schneller sinkende Zahl der Erwerbswilligen – verlangt zunehmend Kreativität, wenn der Laden in deutschen Landen halbwegs am Laufen gehalten werden soll.

Nicht zufällig werden für deutsche Rentner die Möglichkeit des Nebenverdiensts immer großzügiger gestaltet, denn rüstige Senioren sind gefragt und die Renten sind mickrig.

Man muss ja nicht so weit gehen wie zu Zeiten der römischen Republik vor Einführung der Berufsarmee ab etwa 100 v. Chr.

Damals griff man man bei den wehrpflichtigen Bürgern neben den „iuniores“ – den bis 45-jährigen – notfalls auf die „seniores“ zu, also die Älteren. Diese konnten auch mal über 60 sein – entscheidend war die Fähigkeit zum bewaffneten Einsatz.

Was aus der Spätphase des 2. Weltkrieg bekannt ist, als das nationalsozialistische Regime neben Kindern auch alte Männer in den Kampf schickte, sofern diese nicht von einzelnen Militärs wieder nach Hause geschickt wurden – das gab es auch bereits im 1. Weltkrieg – allerdings in einer wenig beachteten Variante.

Denn offenbar schreckte man damals nicht davor zurück, noch auf rüstige Senioren in Form von Veteranenautos zuzugreifen!

Leser Jürgen Klein stellte mir in digitaler Form das passende „Beweisfoto“ zur Verfügung:

Opel 30/50 PS von 1909 im 1. Weltkrieg; Originalfoto: Sammlung Jürgen Klein

Wenn Sie diese rund 110 Jahre alte Aufnahme ratlos lässt und Sie nur ein altertümliches Automobil mit einem lederbejackten Chauffeur sehen, dann muss ich für Aufklärung sorgen.

Der quasi an seinem Arbeitsplatz aufgenommene Herr ist nämlich bei näherer Betrachtung als Mitglied der Kraftfahrertruppe des deutschen Heeres zu erkennen.

Diese Männer trugen im 1. Weltkrieg ein auf dem Jackenkragen angebrachtes Emblem in Form der Silhouette eines Automobils mit geschlossenem Aufbau. Die übrige Kleidung war – von Koppel und „Knobelbechern“ abgesehen – an die rustikale Lederkluft damaliger Chauffeure angelehnt:

Leser meines Blogs wissen natürlich, dass ein Automobil ab 1914 wesentlich moderner aussah.

Der Übergang von Motorhaube zur Windschutzscheibe war dann harmonisch gestaltet, die Partie zwischen Trittbrett und Aufbau war geschlossen, sodass man Chassisrahmen und Trittbrett nicht mehr sah. Auch das Fahrerabteil besaß nunmehr Türen.

Ein geeignetes Vergleichsfoto ist dieses, welches einen großen Opel von 1913/14 ebenfalls im 1. Weltkrieg im von deutschen Truppen besetzten St. Quentin in Frankreich zeigt:

Opel 29/70 PS von 1913/14 im 1. Weltkrieg; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Zwei Dinge hatten die Wagen auf den beiden Fotos jedoch gemeinsam:

Zum einen sind sie an der leichten Neigung der durchgehenden Reihe von Luftschlitzen in der Motorhaube als Opel zu erkennen.

Zum anderen zählten sie bei Erscheinen jeweils zu den Spitzenmodellen der Rüsselsheimer Marke, welche damals noch das gesamte Spektrum vom leichten Einsteigermodell bis zur schweren Luxuskarosse abdeckte. Beides kennt man von Opel schon lange nicht mehr…

Der in St. Quentin vor dem Rathaus abgelichtete Wagen dürfte die 70 PS starke Ausführung mit 7,3 Liter großem Vierzylindermotor gewesen sein.

Dieses Modell löste ab 1910 die veralteten Typen 30/50 PS bzw 35/60 PS ab, welche bei vergleichbarem oder sogar noch größerem Hubraum weit weniger leistungsfähig waren, aber zu ihrer Zeit Automobile der Spitzenklasse darstellten.

Wahrscheinlich sehen wir so einen Veteranen von anno 1909 auf dem Foto von Jürgen Klein. Damals entsprachen 5 Jahre einer ganzen Autogeneration in technischer wie gestalterischer Hinsicht.

Das erklärt, weshalb die eingangs gezeigte große Opel-Limousine im 1. Weltkrieg wie aus einer anderen Zeit wirkte. Sie zählte zwar zu den Rentnern, war aber in der Praxis noch so rüstig, wie man sich das beim Militär mit seiner chronischen Knappheit an geeignetem Material nur wünschen konnte.

Wer auch immer mit diesem Vertreter der Senioren-Fraktion unterwegs war, wird keinen Mangel bemerkt haben. Der Wagen war bei guter Instandhaltung in Bestform und wer wollte nicht auf einen Veteranen vertrauen, wenn es darauf ankam?

Dass es die Menschheit nicht gelernt hat, ihre Konflikte anders zu lösen und immer wieder Kriege provoziert oder vom Zaun gebrochen werden, das steht auf einem anderen Blatt.

Hoffen, wir, dass es in unseren Tagen einigen rüstigen Senioren gelingt, demnächst einen Waffenstillstand vor Europas Haustür zuwegezubringen und jüngeren Heißspornen zuvorzukommen, die nicht wissen, wovon sie reden und was sie riskieren…

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Was gibt’s zum Frühstück? Alte Mercedes – in Maßen…

Als ich noch Abonnent einer als Intelligenzblatt geltenden Zeitung aus Frankfurt am Main war, konsumierte ich regelmäßig deren Inhalt von vorne bis hinten (außer dem Sportteil) auf meinen täglichen Bahnfahrten in die Finanzmetropole und zurück.

Morgens waren Politik, Wirtschaft und Finanzen Pflicht – abends gab es dann Feuilleton, Technik & Motor, Wissenschaft & Kunst usw. zur Erbauung.

Dass ich damals darüber belehrt worden wäre, in welch‘ kleinen Häusern „wir“ glücklich sein sollen oder wie zurückgebliebene Männer mit erfolgreichen Frauen umgehen sollten, daran kann ich mich nicht erinnern – auch nicht, dass es keine gesunde Bräune gäbe und Eier zum Frühstück ungesund seien…

Rund 12 Jahre ist es her, dass ich mein Abonnement aufgrund der Tendenz in Richtung politischer Korrektheit kündigte. Seither schaue ich nur noch in die Online-Ausgabe der Gazette gleichen Namens, um anhand der Überschriften zu wissen, wozu ich mich andernorts informieren sollte.

Die oberlehrerhaft vorgetragenen Anweisungen zur richtigen Lebensweise nehme ich dabei lächelnd zur Kenntnis und frage mich, wer dafür zu zahlen bereit ist. Was es zum Frühstück gibt, das weiß ich schon selbst: Einen doppelten Espresso, ein großes Glas Vollmilch und/oder Orangensaft und dann bis mittags erst einmal nichts – denn ich habe zu tun.

Da das sicher ungesund ist, rate ich an dieser Stelle ausdrücklich davon ab. Vielmehr lege ich Ihnen heute ans Herz, im Sinne einer ausgewogenen geistigen Ernährung zum Frühstück einmal alte Mercedes zu genießen – aber bitte in Maßen und nur in Papierform!

Zum genussvollen Auftakt empfehle ich den Konsum dieser Anzeige von Ende 1911:

Daimler „Mercedes“-Reklame aus: Berliner Illustrirte Zeitung, Dezember 1911; Original aus Sammlung Michael Schlenger

Da bekommt man doch glatt Appetit auf mehr, nicht wahr?

Herrlich, dass man sich hier ganz auf den Genuss der grafisch meisterhaft ausgeführten Anzeige konzentrieren kann. Kein Wort dazu, was man von den „Mercedes“-Wagen der Daimler-Motoren-Gesellschaft halten soll – keine bemühte Werbeprosa, keine von einem biederen Angestellten ausgedachten Botschaften, der mit der Straßenbahn ins Büro fuhr.

Sie ahnen, warum diese Reklame so wirkungsvoll ist – schlicht weil ein Mercedes anno 1911 keinen rhetorischen Rollator brauchte, um seinen Nimbus am Markt aufrechtzuhalten.

„Mercedes“, das war damals eine Garantie für das Beste im Automobilbau in deutschen Landen, der Name war bereits die ganze Botschaft.

Bei der Gelegenheit ignorieren Sie bitte den Hinweis auf die Gestaltung des „Windlaufs“, welcher den Übergang zwischen Motorhaube und Passagierraum harmonisch gestaltete.

Sie wissen, dass sich dieses Element ab 1910 bei allen deutschen Fabrikaten durchsetzte – bloß: ein neuer Leser hat das vielleicht noch nicht mitbekommen, daher die Litanei.

Schon 1913 waren die nun ansteigende Motorhaube und Windlauf zu einem optischen Ganzen verschmolzen – so ist das prinzipiell auch heute noch, sofern die Haube nicht direkt bis an die Frontscheibe reicht. Schauen Sie einfach in der Garage nach.

Gleichgeblieben war 1913 in der „Mercedes“-Werbung der Flachkühler und der Verzicht auf unnötige Belehrungen zu den Meriten der Marke:

Daimler „Mercedes“-Reklame von 1913 aus der Zeitschrift: „Motor“; Original aus Sammlung Michael Schlenger

Das Jahr 1913 war freilich in einer Hinsicht von Bedeutung für das Erscheinungsbild der „Mercedes“-Wagen selbst, ohne dass dies Daimler eigens betonte.

So wich der traditionelle Flachkühler nun einem schnittigen Spitzühler, auf dem der zuvor mittig angebrachte „Mercedes“-Stern nun beiderseitig glänzte.

Unnötige Worte zu den Autos selbst verlor man nach wie vor nicht:

Daimler „Mercedes“-Reklame von 1913/14; Original aus Sammlung Michael Schlenger

Auffallend ist neben dem Spitzkühler die neuartige Weise der Abbildung des Wagens als dreidimensionales Objekt und die Lässigkeit der Darstellung. Nicht viel anders pflegte man Vorkriegsautos noch Jahrzehnte später in Comics zu zeichnen.

Diese Spitzkühler-Mercedes begleiteten den Zeitungsleser – sofern er sich diesen Luxus leisten konnte – in Werbeanzeigen den ganzen 1. Weltkrieg über.

Hier haben wir als Beispiel eine Reklame aus der Kriegszeit, die einen Mercedes und im Hintergrund ein Jagdflugzeug mit markant hervorstechendem Reihenmotor zeigt, welcher damals typischerweise ebenfalls von Daimler zugeliefert wurde:

Daimler „Mercedes“-Reklame ab 1914; Original aus Sammlung Michael Schlenger

Immer noch kein Wort zu den Stärken von Daimler – so sah gekonnte Autowerbung vor rund 110 Jahren aus.

Eines sei hier noch angemerkt: Während das abgebildete Fahrzeug bereits elektrische Parkleuchten besaß, die im Windlauf angebracht waren, sind die Frontscheinwerfer noch gasbetrieben. Darauf kommen wir später zurück.

Zuvor muss ich allerdings noch ein Kriegsfoto einflechten, da sonst die verwöhnten Geschmäcker der Auffassung sein könnten, dass ich sie zum Frühstück ja „nur“ mit alter Reklame abspeisen wollte.

Keine Sorge, auf dem Speiseplan steht heute auch gehaltvollere Kost, und zwar in für uns Nachgeborene leicht verdaulicher Form einer Feldpostkarte von 1916, welche einen 6-Zylinder-Mercedes zeigt:

Daimler „Mercedes“, Feldpostkarte von April 1916; Original aus Sammlung Michael Schlenger

Die seitlich aus der Motorhaube austretenden Auspuffrohre sind ein Hinweis auf einen Sechszylinderwagen – hier wohl ein mittleres Modell. Die ganz großen Mercedes jener Zeit sind an drei dieser Auspuffrohre zu erkennen.

Damit dieses Frühstückbuffet nicht zu einseitig wird und Ihnen die schweren Karossen aus dem Hause Daimler nicht am Ende unangenehm im Magen liegen, sei als nächster Gang diese Reklame empfohlen, welche einen unerwartet leichten Mercedes zeigt:

Daimler „Mercedes“-Reklame ab 1919; Original aus Sammlung Michael Schlenger

Mit diesem schlicht und leicht anmutenden Tourer mit wirkungsvoller Zweifarblackierung sind wir in der Zeit direkt nach dem 1. Weltkrieg angelangt.

Daimler bot damals in technischer Hinsicht zunächst wenig Neues – wie die meisten deutschen Hersteller. Doch der Aufbau verweist klar auf die frühen 1920er Jahre.

Nun soll man aber gerade beim Frühstück nicht zuviel zu sich nehmen, weshalb ich Ihnen an dieser Stelle ungern weitere Genüsse auftischen will.

Da mir daran liegt, dass meine Leser hier jedesmal schlauer werden – sofern möglich bei so vielen klugen Köpfen vor den Bildschirmen – bringe ich zur besseren Verdauung zum Abschluss dieses Foto eines Mercedes-Veteranen, der 1925 abgelichtet wurde:

Daimler „Mercedes“ Droschke; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Nachdem ich Ihnen zuvor eine – wie ich meine – üppige Auswahl präsentiert habe, sollten Sie nun in der Lage sein, sich von diesem Mercedes ein eigenes Bild zu machen. Nur ein Hinweis: Lassen Sie sich von der nachgerüsteten elektrischen Lichtanlage nicht täuschen.

Wenn Sie genau hinsehen, lockt bei richtiger Auflösung ein Aufenthalt in der „Frühstücksstube“, in der Sie von mehr oder weniger sympathischem Personal erwartet werden und wo Sie nebenher ein Exemplar der „Wanne-Eickler-Zeitung“ studieren können.

Ob das anno 1925 magenverträglicher war als die Presselektüre rund 100 Jahre später oder gar die heute verordnete einseitige Daimler-Diät, das werden wir wohl nie erfahren…

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Ausgedient? Von wegen! Ein Sizaire & Naudin von 1913/14

Wer meinen Blog schon länger verfolgt, der weiß längst, dass ich zum Kulturpessismisus tendiere. Das Treiben der progressiven Kräfte seit 1968 scheint mir ungeachtet einiger bedenkenswerter Motive nur wenige konstruktive Ergebnisse gezeitigt zu haben.

Allerdings gelingt es mir hin und wieder, mich daran zu erinnern, dass wir doch in gewisser Weise in der besten aller Welten leben. Denn auch wenn uralte Kulturkompetenzen zu verlottern scheinen, so gibt es nur wenig, was wirklich ganz und auf Dauer verlorengeht.

Tatsächlich ist uns nahezu alles, was der Mensch irgendwo in der weiten Welt je geschaffen hat, in einer Weise zugänglich, wie das nie zuvor der Fall war. Manches überlebt in der Nische, in Subkulturen, in konservativen Kreisen.

So haben die jahrhundertealte Violine oder das erst einige Jahrzehnte alte analoge Schlagzeug neuere Entwicklungen wie den Synthesizer überstanden. Ähnlich hat die E-Gitarre den Reiz der akustischen Klampfe nicht wirklich schmälern können. Kerze und Edison-Leuchte sind immer noch verfügbar, während moderne LED-Lampen die tristen von Brüssel verordneten „Energiespar“-Laternen längst obsolet gemacht haben.

Was von offizieller Seite oder durch technische Neuerungen aussortiert wird, lebt häufig genug weiter, erhält eine neue, vielleicht andere Daseinsform. Anderes wird nach einer Zeit des Vergessens wiederentdeckt, erlebt eine Renaissance wie etwa die Schallplatte.

Wir dürfen daher zuversichtlich sein, dass es auch künftig noch hocheffiziente Brennwert-Gasthermen, ultrasparsame Dieselmotoren und Benzinaggregate mit blitzsauberen Abgasen geben wird – ganz egal, inwieweit und wo sich Batterieautos ausbreiten oder was irgendwelche Planwirtschaftler als nächste große Sache im Mobilitätssektor vorgeben.

Von Beamten oder Technokraten zum alten Eisen abgestempelt, außer Dienst gestellt, ausgemustert zu werden – das muss längst nicht das Ende bedeuten, im Gegenteil.

Denn eines lässt sich nicht per Dekret beenden: Das menschliche Talent, sich an neue Situationen anzupassen, mit vermeintlich Überholtem etwas Neues anzufangen, alten Dingen neues Leben einzuhauchen, ihnen neue Nutzungen und Freude abzugewinnen.

Zu diesen Gedanken inspirierte mich das folgende Foto, welches mir Leser Klaas Dierks vor einiger Zeit in digitaler Form übermittelte, verbunden mit der Frage, wie der abgebildete Wagen einzuordnen sei:

Sizaire & Naudin Sporttourer von 1913/14; Originalfoto: Sammlung Klaas Dierks

Dass der Name des Herstellers – Sizaire & Naudin – bestens lesbar auf dem Kühler prangt, hilft nur auf den ersten Blick weiter.

Versuchen Sie einmal im Netz ein Foto zu finden, das einen Wagen des nur von 1905-1921 aktiven französischen Herstellers mit genau diesem Kühler zeigt. Ich habe mich angesichts dieser Schwierigkeiten zunächst einmal an stilistischen Details orientiert.

Der sportliche Aufbau als Zweisitzer mit Rundheck und die Halterungen für Karbidgas-Scheinwerfer verweisen schon einmal auf die Zeit vor dem 1. Weltkrieg. Allerdings brauchen wir in dieser Epoche nicht weit zurückzugehen.

Denn die leicht ansteigende und dann stufenlos in den „Windlauf“ vor der Frontscheibe übergehende Motorhaube ist ein starkes Indiz für eine Entstehung ab etwa 1912.

Das passt recht gut zur Einführung größerer Vierzylindermodelle bei Sizaire & Naudin ab 1911, welche von der Marke Ballot gebaute Motoren erhielten.

Damit endete die Phase des Baus kompakter Zweisitzer mit Einzylindermotoren und ab dann scheint man auch eine neue Kühlerform eingeführt zu haben. Merkwürdigerweise ist diese kaum dokumentiert, jedenfalls online.

Letztlich fand ich aber doch ein Beispiel für einen solchen Wagen mit identischer Kühlergestaltung, der auf 1913/14 datiert ist. Demnach war das Auto auf dem Foto von Klaas Dierks technisch wie stilistisch bei Erscheinen auf der Höhe der Zeit.

Doch zum Zeitpunkt der Aufnahme war das nicht mehr der Fall – der Wagen war wohl „ausgemustert“ worden zu sein, im wahrsten Sinne des Wortes.

Beim näheren Blick auf die Motorhaube erkennt man eine grob übermalte Partie an einer Stelle, wo bei PKW im Dienst des deutschen Heeres im 1. Weltkrieg der Bezeichnung der Armee-Einheit aufgebracht war, welcher der Wagen angehörte.

Meine Vermutung ist folgende: Der Sizaire & Naudin wurde während des deutschen Feldzugs in Belgien und Frankreich erbeutet und in den Wagenpark eingegliedert. Wahrscheinlich gelangte er zu einer Einheit, die auf deutschem Boden stationiert war.

Das würde erklären, dass das Auto nach Kriegsende nicht in die alte Heimat zurückkehrte, sondern aus dem Armeedienst entlassen wurde und einen deutschen Besitzer fand.

Dieser scheint mit dem Ex-Militärfahrzeug ebenso zufrieden zu sein wie ich mit meinem Peugeot 202-Pritschenwagen, welcher ebenfalls einst beim Heer diente.

Heute wird er nur noch ab und zu zur Freude der Mitmenschen eingesetzt wie hier beim Oldtimertag in Bad Nauheim – dabei war das von offizieller Seite gar nicht vorgesehen…

Peugeot 202 beim Oldtimertag in Bad Nauheim; Bildrechte Peter Emling

Wir sehen daran: Manche Dinge – wahrscheinlich die meisten – sind nicht annähernd vorhersehbar, ganz gleich welches große Licht einst einen Plan gemacht hat…

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Das Ende der Geschichte? BMW 326 Limousine

Auf der Liste der dümmsten Bücher aller Zeiten rangiert für mich eines weit oben – „Das Ende der Geschichte„, veröffentlicht 1992 von einem US-Professor namens Francis Fukuyama.

Unter dem Eindruck des Untergangs der Sowjetunion und der Auflösung des Ostblocks mit Einparteienherrschaft und Planwirtschaft gelangte der Autor zu der These, dass nun der Weg frei sei zum globalen und finalen Siegeszug von Demokratie und liberalen Gesellschaften.

In Anlehnung an einen anderen von zuviel Schreibtischaufenthalt geschädigten Autoren – einen arbeitsscheuen Schnorrer namens Karl Marx – meinte Fukuyama, dass die menschliche Gesellschaft gesetzmäßig einem Endzustand zustrebe, der nun absehbar sein.

Diese Behauptung verdient nicht einmal die Bezeichnung als These – denn einer solchen liegen empirische Beobachtungen zugrunde, die damit vereinbar sind. Dabei hätte Fukuyama sich nur an sein erstes Studienfach erinnern müssen, klassische Altertumswissenschaften.

Sofern er nicht die einschlägigen Vorlesungen geschwänzt hat, hätte er sich erinnern müssen, dass es schon in der griechischen Antike demokratische Experimente gab, die selbst das moderne Schweizer Modell mühelos in den Schatten stellten.

Die Denker Griechenlands kannten bereits alle bis heute praktizierten Staatsformen und hatten deren Vor- und Nachteile erörtert. Auch das Konzept der Checks & Balances zur Begrenzung von Macht hatte man vorgedacht.

In Athen war man auf dieser Basis so weit gegangen, dass das Volk unliebsame Politiker via Scherbengericht aus dem Verkehr ziehen konnte – nach Ansicht mancher eine charmante Idee.

Man hatte auch berücksichtigt, dass es dem Entstehen ein Eigenleben entwickelnder Strukturen wie Parteien und politischer Seilschaften vorzubauen galt. Dazu vergab man zeitweilig öffentliche Ämter an unbescholtene Bürger, die per Los bestimmt wurden.

Doch selbst die ausgefuchsten Demokratien im antiken Griechenland, von denen es so viele Spielarten gab wie heute, wichen früher oder später autoritäreren Staatsformen.

In unseren Tagen wird das angebliche „Ende der Geschichte“ durch bemerkenswert stabile Autokratien wie in China in Frage gestellt. Gleichzeitig wirft die Entstehung einer von niemandem im Volk so bestellten Technokratenherrschaft in der Europäischen Union Fragen nach der Nachhaltigkeit demokratischer Strukturen auf.

Da dies arg ernüchternd klingt, will ich nun zum eigentlichen Thema kommen und mich der These vom „Ende der Geschichte“ anhand eines anderen Anschauungsobjekts widmen.

Die Rede ist vom BMW 326 – einem 1936 eingeführten Sechszylindermodell, das ich schon einmal anhand einiger Fotos besprochen hatte – einige Leser erinnern sich vielleicht an diese Aufnahme der Ausführung als Limousine:

BMW 326 Limousine; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Mit diesem geräumigen und gutaussehenden Modell war BMW nach wenigen Jahren endgültig in der gehobenen Mittelklasse angekommen.

Trotz der äußeren Ähnlichkeit fehlten dem 326 aber die sportlichen Attribute des legendären BMW 327 bzw. 328, der ab 1937 mit seinem 80 PS-Motor international Furore machte.

Der BMW 326 war eher als Konkurrent zum Fiat 1500 zu betrachten, der allerdings dieselben Fahrleistungen aus einem deutlich kompakteren und ebenfalls kopfgesteuerten Sechszylinder schöpfte. Wie der Fiat war der BMW als komfortabler Reisewagen ausgelegt.

Hier haben wir ein Exemplar mit der markanten Doppelstoßstange und der geteilten Frontscheibe mit Zulassung im südhessischen Heppenheim:

BMW 326 Limousine; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Worüber mag die junge Frau wohl sinniert haben, die neben dem BMW aufgenommen wurde – vielleicht darüber, wie „die Geschichte“ wohl weitergeht?

Wie es nun weitergeht, diese Frage konnte allerdings auch ganz konkret auf das Auto bezogene Züge annehmen – nämlich dann, wenn ein BMW 326 streikte, was eigentlich nicht geschehen sollte, zumal es sich um ein beinahe neues Automobil handelte.

Doch im Fall dieses im Raum Berlin zugelassenen Exemplars bereitet irgendetwas unter der Motorhaube dem Fahrer erkennbar Kopfzerbrechen:

BMW 326 Limousine; Originalfoto: Sammlung Klaas Dierks

Vermutlich war dieser Moment noch nicht das Ende der Geschichte – denn bei den damaligen Autos ließen sich Probleme meist schnell lokalisieren und beheben.

Wie die Geschichte für die meisten BMWs des Typs 326 kurze Zeit später weiterging, das ist indessen klar. Denn sofern die Besitzer keine unabweisbaren Gründe vorweisen konnten, mussten sie ihre Wagen ab Kriegsbeginn 1939 an das Militär abliefern.

Für die Illustration des weiteren Fortgangs hätte ich gern auf ein Foto zurückgegriffen, welches wiederum eine Limousine des BMW 326 zeigt. Dummerweise finden sich in meinem Bestand nur Aufnahmen von Cabriolet-Ausführungen, welche beim Militär zum Einsatz kamen.

Eine Aufnahme immerhin zeigt eine solche Version in geschlossenem Zustand, und zur Dokumentation soll dieses Exemplar genügen, mit dem sich ein Gefreiter der Luftwaffe hat ablichten lassen:

BMW 326 Cabriolet; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Man kann hier gut erkennen, was den eingezogene Zivilwagen bei der Truppe blühte. Der hochglänzende Lack wich einer matteren Ausführung und die Chromteile bekamen meist ebenfalls eine Farbschicht verpasst, die aber im Einsatz bald wieder abblätterte.

So sorgt hier die hintere Radkappe fast schon wieder für eine glänzende Erscheinung, auch wenn der Wagen ansonsten bereits einige Spuren der Nutzung erkennen lässt. Welches Ende die Geschichte für viele beim deutschen Militär eingesetzten Zivil-PKW nahm, muss man nicht eigens ausführen.

Dank der für BMW-Verhältnisse recht hohen Stückzahlen des 326 (knapp 16.000) blieben bei Kriegsende aber noch etliche Exemplare übrig.

Außerdem hatten manche private Nutzer wie zum Beispiel Ärzte ihre Wagen über den Krieg retten können. So war die bedingungslose Kapitulation im Mai 1945 – die „Stunde Null“ oder auch „Der Zusammenbruch“ wider Erwarten doch nicht das Ende der Geschichte.

Das galt sowohl für Deutschland – trotz der riesigen Gebietsverluste, zerbombten Städte und dauerhaften Besetzung – als auch für die wackeren BMWs des Typs 326.

Dokumentieren möchte ich dies anhand einer weiteren Limousine. welche irgendwo Ende der 1940er oder Anfang der 1950er Jahre fotografiert wurde:

BMW 326 Limousine; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Die Doppelstoßstangen sind irgendwann verlorengegangen, ebenso die Radkappen. Daher vermute ich, dass es sich um ein zuvor vom Militär genutztes Fahrzeug handelte, das bei Kriegsende herrenlos war und irgendwann neue Papiere und Besitzer erhielt.

Was im Mai 1945 in weiten Teilen Deutschlands wie das Ende der Geschichte erschienen haben mag, stellte sich ab Gründung der Bundesrepublik und dank der konsequenten marktwirtschaftlichen Reformen, die Deutschland den entscheidenden Startvorteil gegenüber den Nachbarn gaben, letztlich als erfolgreicher Neuanfang heraus.

Heute stehen wir,. so scheint es, an einem erneuten Wendepunkt der Geschichte: Von den einstigen Erfolgsfaktoren der Bundesrepublik ist fast nichts mehr übrig und die Krisensymptome sind allerorten unübersehbar.

Nur eines ist gewiss: „Das Ende der Geschichte“ gibt es nicht. Immer entsteht wieder etwas Neues, das möglicherweise wenig gemein hat mit dem Bisherigen.

Über welche Zeiträume und wie sich das auswirkt, ist ungewiss. Die Geschichte lehrt uns, dass Phasen des Niedergangs lange anhalten können. In manchen Fällen steht am Ende die Bedeutungslosigkeit wie etwa in Griechenland, wo einst alles seinen Anfang nahm…

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Verschollenes Familienmitglied: Wanderer 5/15 PS „Nv“

Heute unternehmen wir einen Ausflug in eine Familiengeschichte der besonderen Art – und das in zweierlei Hinsicht.

Die eine der beiden Stories ist die des ersten Serienautos der sächsischen Marke Wanderer, das die Typbezeichnung W3 trug und bei Erscheinen 1913 als Wanderer 5/12 PS firmierte:

Wanderer W3 5/12 PS; Originalreklame von 1913/14 aus Sammlung Michael Schlenger

Dass der Kleinwagen hier trotz gewisser künstlerischer Freiheiten in allen wesentlichen Details akkurat wiedergegeben ist, werden wir gleich sehen.

Wichtig für das Verständnis der weitverzweigten Familiengeschichte des Wanderer W3 ist der Hinweis, dass dieses Modell anfänglich in zwei Varianten erhältlich war – mit zwei Sitzen hintereinander und Mittellenkung (Typ H) wie abgebildet oder mit zwei nebeneinanderliegenden Sitzen mit Rechtslenkung (Typ N).

Präzise ist diese Reklame auch in der Wiedergabe der Gestaltung von Kühler, freistehenden Kotflügeln, Tankdeckel vor der Frontscheibe und unten abgerundetem Scheibenabschluss.

Zum Vergleich sei auf diese Aufnahme eines Wanderer W3 5/12 PS Typ „H“ verwiesen:

Wanderer W3 5/12 PS (Version H), Bauzeit: 1913/14; Originalfoto aus Sammlung Matthias Schmidt (Dresden)

Auch das Schwestermodell N mit nebeneinanderliegenden Sitzen werden wir noch kennenlernen. Zuvor müssen wir uns allerdings mit der nächsten Generation des Wanderer W3 vertraut machen, welche 1915 das Licht der Welt erblickte.

Zu dieser Zeit tobte bereits der Erste Weltkrieg, in dem sich der leichte, wendige und anspruchslose Wagen rasch einen Ruf als ideales Fahrzeug für Kurier- und Aufklärungsfahrten machte.

Wanderer W3 5/15 PS, Bauzeit: ab 1914; Originalreklame aus Sammlung Michael Schlenger

Dementsprechend zeigt das nächste Foto den Wanderer bereits im Militäreinsatz und nun in der erwähnten überarbeiteten Form als Wanderer W3-II 5/15 PS.

Erkennbar ist dieses neue Familienmitglied an folgenden Details: gerader unterer Scheibenabschluss, Spritzblech zwischen Trittbrett und Chassisrahmen und nach unten gezogenes Ende des hinteren Kotflügels:

Wanderer W3-II 5/15 PS (Version H), Bauzeit: ab Frühjahr 1915; Originalfoto aus Sammlung Matthias Schmidt (Dresden)

Der Wanderer war trotz dieser Überabeitung weiterhin ebenfalls als Version H (2 Sitze hintereinander) erhältlich – wie auf obigem Foto zu sehen – und als Version N mit 2 nebeneinander angeordneten Sitzen .

Wie die Ausführung N aussah, das lässt sich anhand dieses schönen Exemplars eines W3-II 5/15 PS im Detail besichtigen. Am augenfälligsten ist der kürzere Innenraum mit nun rechts angebrachten Lenkrad:

Wanderer W3-II 5/15 PS (Version N), Bauzeit: ab Frühjahr 1915; Originalfoto aus Sammlung Matthias Schmidt (Dresden)

Wie es scheint und auch naheliegt, war die Windschutzscheibe breiter und der Aufbau war weiter angelegt, um zwei Personen nebeneinander Platz zu geben.

Für eine rationelle Fertigung war dieses Nebeneinander in der Wanderer-Familie vielleicht nicht die beste Idee – dennoch wurde der W3-II mit seinem auf 15 PS erstarkten Motor in einigen tausend Exemplaren gebaut, nachdem es vom Erstling W3 5/12 PS nur rund 600 gegeben hatte.

Hauptabnehmer bzw. alleiniger Abnehmer bis 1918 war das Militär, weshalb die meisten zeitgenössischen Fotos den Wanderer W3 in einem entsprechenden Kontext zeigen.

So verwundert es nicht, dass uns das nächste Mitglied der Wanderer W3-Familie wiederum mit Soldaten begegnet – davon ist der am Volant als Mitglied der Kraftfahrtruppe zu erkennen (der Kragenspiegel mit einem stilisierten Auto verrät es):

Wanderer W3/II 5/15 PS (Version N), Bauzeit: ab Frühjahr 1915; Originalfoto aus Sammlung Martin Möbus

Diese Aufnahme aus dem Fundus von Restaurierungs-Spezialist Martin Möbus ist deshalb interessant, weil sie ein ab 1917 neu hinzugekommenes Mitglied der Wanderer-Familie zeigt – die nunmehr dreisitzige Version „Nv“.

Kennzeichnend war, dass der linke der beiden nebeneinander angeordneten Sitze so weit nach hinten versetzt (daher „v“) war, dass davor ein ausklappbarer Notsitz Platz hatte. Die größere Zahl an Luftschlitzen ist ebenfalls typisch für die in der Spätphase des Kriegs gebauten Wanderer-Wagen – vielleicht den besonderen Einsatzbedingungen geschuldet.

Mir scheint die Ausführung Nv eine kriegsbedingte Notlösung gewesen zu sein. Laut Literatur soll sich die Version Nv aber nach Kriegsende bis zum Auslaufen der Produktion anno 1921 zur häufigsten Ausführung des Wanderer W3 entwickelt haben.

Der bis dato hauptsächlich vom Militär genutzte Wanderer sollte also später noch eine achtbare Zivilkarriere hinlegen – der VW „Käfer“ lässt grüßen.

Ein schönes Beispiel für dieses Kapitel der Wanderer Historie schickte mir kürzlich Kay-Uwe Walther aus Gera in Thüringen zu. Und damit beginnt nun die eingangs angekündigte zweite Familiengeschichte, die sich mit diesem Modell verbindet.

Am Anfang stand die an mich gerichtete Frage, um was für ein Modell genau es sich bei diesem Wagen handelt, wobei klar war, dass die Basis ein Wanderer war:

Wanderer W3/III 5/15 PS Version „Nv“; Originalfoto aus Familienbesitz (Kay Uwe Walther, Gera)

Ich konnte das schöne Fahrzeug als ein Exemplar des zuvor erwähnten dreisitzigen Typs „Nv“ identifizieren. Schaut man genau hin, lässt sich erkennen, dass die üppig gepolsterten Sitze seitlich zueinander versetzt sind und das Lenkrad in Fahrtrichtung rechts angebracht war, wie das Standard bei deutschen Autos bis Mitte der 1920er Jahre war.

Die elektrischen Scheinwerfer – die Schüsselform ist ein untrüglicher Hinweis darauf – deuten auf ein Baujahr nach Ende des 1. Weltkriegs hin.

Auffallend ist außerdem das Fehlen des zuvor mittig vor der Scheibe angebrachten Tankverschlusses. Die mir vorliegende Literatur schweigt sich dazu aus. Denkbar, dass der Tank ins Heck verlagert worden war wie beim ab 1920 gebauten neuen W6 6/18 PS.

Eine andere Hypothese ist die, dass es sich bereits um den weiterentwickelten Typ W8 5/15 PS handelt, der ab 1921 als Nachfolger des W3 5/15 PS vorgestellt wurde.

Während beim Motor der Ventiltrieb völlig neu konstruiert worden war (kopfgesteuert statt seitengesteuert), waren der späte W3 und der frühe W8 äußerlich kaum zu unterscheiden, zumal die Abmessungen nahezu identisch waren.

Erst ab 1923 erhielt der W8 eine überarbeitete Karosserie mit nunmehr gerundeten Vorderkotflügeln und einem kastenförmigen Schwellerblech anstelle des schrägstehenden Spritzblechs unterhalb des Aufbaus.

Somit bleibt die genaue Zuordnung dieses Mitglieds der Wanderer-Familie in der 5 PS-Kategorie geheimnisvoll. Sollte es sich gar um einen verschollene Verwandten handeln?

Nun, in einer Hinsicht trifft es jedenfalls zu, dass wir es mit einem verlorenen Sohn der Familie zu tun haben. Denn laut Überlieferung in der Familie von Kay-Uwe Walther blieb der Wanderer bis zum 2. Weltkrieg das einzige Auto, über das man verfügte.

Irgendwann nach Kriegsausbruch soll der Wanderer in der dreisitzigen Version „Nv“ dann vom Militär beschlagnahmt worden sein und ist seither verschollen.

Zwar wurden nach meinem Eindruck systematisch nur Zivil-PKW ab etwa Baujahr 1930 für die Zwecke der Wehrmacht eingezogen. Doch ist nicht auszuschließen, dass man für den lokalen Bedarf in Kasernen oder auf Flugplätzen an der „Heimatfront“ bisweilen auch auf ältere, noch gut erhaltene Modelle zurückgriff.

Leider ist Kay-Uwe Walters Großvater, der diese Geschichte erzählt hat, nicht mehr unter uns, sodass der genaue Hergang offenbleiben muss. Aber immerhin lässt sich diese Familiengeschichte eines frühen Automobils für deutsche Verhältnisse ungewöhnlich lange verfolgen, bis sie irgendwann in den Kriegswirren abbricht.

Dafür und für die Inspiration, mich wieder einmal intensiver mit dem Wanderer W3 zu beschäftigen, der im Volksmund auch als „Puppchen“ firmierte, sei Kay-Uwe Walther herzlich gedankt.

Nun ist es schon wieder einige Zeit nach Mitternacht, der Mond leuchtet freundlich vom Himmel, es ist mild draußen und nun ist die Zeit für ein anderes draußen wanderndes Familienmitglied – eines mit vier Pfoten statt Rädern. Es heißt Ellie, aber sein Spitzname lautet – welch‘ Zufall: „Püppchen“!

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Glanz und Elend: Opel-Sportmodell von 1913/14

Heute war ein großartiger Tag – der näherrückende Herbst gönnte sich eine Verschnaufpause. In der hessischen Wetterau, in der ich von einem Wiesbadener Intermezzo abgesehen seit über 50 Jahren lebe, herrschte Kaiserwetter.

Dazu passend hatte ich das Vergnügen, mit einem Oldtimer-Kameraden aus der Region in einem seiner „Gebrauchtwagen“ auf die angenehmste Weise an einen Ort chauffiert zu werden, den ich allen Freunden historischer Automobile nur ans Herz legen kann.

Die Rede ist von der Central-Garage in Bad Homburg, in der dank der Großzügigkeit des Besitzers wechselnde Klassiker-Ausstellungen stattfinden, die über die Region hinaus ihresgleichen suchen.

Aktuell wird dort das Gordon-Bennett-Rennen des Jahres 1904 dokumentiert, welches wohl das grandioseste lokale Geschehen seit der Römerzeit war, die mit dem Saalburg-Kastell ein einzigartiges Monument hinterlassen hat.

Auf der Hin- und Rückfahrt hatten wir Gelegenheit für alle möglichen Themen, dabei kam auch die Firma Opel zur Sprache. Wir waren uns einig, dass die Rüsselsheimer mit dem „Kapitän“ Ende der 1930er Jahre ein Meisterstück abgeliefert hatten, auf das später nichts Vergleichbares mehr folgen sollte.

Erst recht, wenn man die Klasse der ganz frühen Opel-Wagen betrachtet, kommt man nicht umhin, von Glanz und Elend einer einst hochkarätigen Marke zu sprechen.

Unvergessen der Opel Kadett D Diesel, den meine Mutter als Nachfolger ihres geliebten 1963er Export-Käfers von ihrem Gatten verordnet bekam – neben dem Golf 2 Diesel, mit dem ich meinen Führerschein gemacht hatte, das in jeder Hinsicht miserabelste Auto, das ich gefahren bin – außen und innen hässlich, unendlich lahm, zudem rostig und und unzuverlässig.

Dass Opel vor dem 1. Weltkrieg Luxuswagen auf höchstem Niveau baute, wer weiß das heute noch? Doch gerade in der damaligen Zeit lagen Glanz und Elend nahe beieinander.

Daran musste ich heute denken, als ein fast perfekter Tag zuendeging. Vom erhebenden Besuch der Central-Garage zurückgekehrt, baute ich mein 50er Jahre „Stricker“-Sportrad fertig und unternahm eine knapp 30 km umfassende Testfahrt.

Zunächst lief alles gut, das Teil lief in der Ebene locker über 30 km/h (zwei innerorts angebrachte Tempoanzeigen bewiesen das), es war windstill und die Sonne lachte vom Himmel. Nur der Sattel sollte etwas höher sein, dachte ich.

Zur Halbzeit hielt ich an und da ich etwas Werkzeug dabei hatte, verstellte ich die Sattelhöhe. Allerdings: Beim Festziehen der Sattelklemme ging das Gewinde vor die Hunde, sodass der Sattel nur in der niedrigsten Position – also auf Höhe des Oberrohrs – zum Stillstand kam.

So nahe liegen also Glanz und Elend, dachte ich, während ich erniedrigt die Rückfahrt antrat. Aber mit dem Schnitt konnte ich bei der Ankunft im heimischen Hof dennoch zufrieden sein. Das Sattelproblem war schnell gelöst und anschließend ging es noch zum Nachbarn, der mit einer veritablen Oldtimer-Presse gerade herrlich frischen Apfelsaft herstellte.

Nach so einem Tag verlieren alle Zumutungen der Gegenwart ihren Schrecken, jedenfalls für eine Weile. Und dann bekommt man von einem Leser und Sammlerkollegen ein Foto zugesandt, welches das Thema Glanz und Elend allzuperfekt verkörpert:

Opel Sportmodell von 1913/14: Originalfoto: Sammlung Klaas Dierks

Diese außerordentliche Aufnahme hat mir Klaas Dierks in der ihm eigenen Großzügigkeit zur Veröffentlichung bereitgestellt – wie immer in der Erwartung, dass ich dem darauf abgebildeten Auto gerecht werde.

Ich meine, dass mir das möglich ist, auch wenn ich zugeben muss, dass ich ein derartiges Automobil noch nie gesehen habe. Allerdings sagte mir mein Bauchgefühl, dass dieses Fahrzeug mit sportlich geschnittenem Tourenwagenaufbau ein Opel aus der Zeit direkt vor dem 1. Weltkrieg sein dürfte.

Zwar wirkt der Kühler zunächst untypisch, doch die schrägstehenden Luftschlitze in der Motorhaube lieferten zumindest ein Indiz dafür, dass es sich um einen Opel handeln könnte – wobei auch andere Hersteller wie Horch ähnliche Details aufwiesen.

Fündig wurde ich dann im Standardwerk „Opel Fahrzeugchronik Band 1 – 1899-1951“ von Eckhardt Bartels und Rainer Manthey. Dort findet sich ein Opel-Sportmodell mit genau diesem eigenwilligen Kühler, das 1913/14 mit verschiedenen Motorisierungen gebaut wurde.

Im vorliegenden Fall erscheint der Typ 11/35 PS naheliegend – die noch stärkeren 50- bzw. 70-PS-Modelle scheinen keine solchen filigranen Drahtspeichenräder besessen zu haben.

Soviel zum Glanz – nun zum Elend: Die Männer, welche den mutmaßlichen Opel mit Sportaufbau umstehen, waren Mitglieder der Freiwilligen Kriegskrankenpflege im 1. Weltkrieg. Vermutlich waren das nicht fronttaugliche Bürger, die gleichwohl ihren Teil leisten wollten – hier zur Linderung des Elends der Verwundeten und Verstümmelten, welche der Krieg zwischen den seit 1914 plötzlich verfeindeten europäischen Staaten hinterließ.

Betrachtet man den friedlichen sportlichen Wettbewerb zwischen den aufstrebenden Automobilnationen Deutschland und Österreich auf der einen Seite sowie Frankreich und England (später Amerika) auf der anderen Seite in den Jahren vor Kriegsausbruch, kann man nur verzweifeln ob des Weges, den die Geschichte eingeschlagen hat.

Glanz und Elend – nicht nur in Sachen Opel ein aktuelles Thema….

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Überbrückungs-Helfer: Jawa „Minor“ Cabrio

Heute las ich in der Online-Ausgabe eines ehemaligen Frankfurter Intelligenzblatts, dass die deutsche Bundeswehr noch Jahrzehnte brauche, um „kriegstüchtig“ zu werden. Das ist ja zur Abwechslung einmal eine gute Nachricht, dachte ich.

Denn mir würde es völlig genügen, lediglich den überzeugenden Eindruck hinreichender Verteidigungsbereitschaft zu machen, was das eigene Territorium angeht. Dazu habe ich einmal selbst beigetragen – anno 1988/89 bei den Panzergrenadieren in Rotenburg/Fulda direkt am „Eisenern Vorhang“.

Die Truppe war freilich schon damals nur bedingt einsatzfähig – man pflegte zu sagen, wir hätten den Feind so lange aufzuhalten, bis richtiges Militär eintrifft. Immerhin waren genügend junge änner vorhanden, um bei den regelmäßigen Hochwassern in Rotenburg anzupacken.

Wir Wehrdienstleister fungierten also in doppelter Hinsicht als Überbrückungs-Helfer. Daran möchte ich mit dem heute vorgestellten Autofoto anknüpfen. Die zweite Hälfte der Inspiration dazu lieferte der teilweise Zusammenbruch einer Elbbrücke in Dresden.

Angeblich gibt es tausende als „maroder“ eingestufter Brückenbauwerke in Deutschland, welche die Steuerzahler täglich ahnungslos passieren – zum Glück bisher ohne Unfälle.

Wie wäre es da, dachte ich mir, wenn man die vorgesehene Ertüchtigung junger kräftiger Männer für wirklich konstruktive (und vordringlichere) Zwecke nutzt? Wenn man schon Panzer rollen lassen will, könnte man ja erst einmal die Infrastruktur ertüchtigen.

Wenn sie bis jetzt durchgehalten haben, fragen Sie sich vielleicht: „Wie bekommt er jetzt bloß die Kurve zum Jawa Minor? Und was hat es mit der Rolle als Überbrückungs-Helfer auf sich?

Die Lösung finden Sie hier:

Jawa „Minor“; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Sicher sehen Sie nun, auf was ich hinauswollte. Schon lange habe ich auf eine Gelegenheit gewartet, um diese außergewöhnliche Aufnahme zu zeigen.

Heute passen die Tagesnachrichten dazu, wie ich meine, auch wenn das Umfeld zum Entstehungszeitpunkt des Fotos ein völlig anderes war.

Was sehen wir hier? Nun, offenbar mehr oder weniger bekleidete junge Männer bei Arbeiten an einer Behelfsbrücke über einen schmalen Fluß. Verstärkung oder zumindest Besuch bekommen haben diese Überbrückungs-Helfer durch ein außergewöhnliches Auto.

Auf den Wagen – einen Zweitaktwagen der tschechischen Marke Jawa von 1938/39 – komme ich noch zu sprechen. Zuvor widmen wir uns der Frage, wann und wo die Aufnahme entstanden sein könnte.

Orientiert man sich am eigentümlichen Kennzeichen und am Fehlen von Tarnscheinwerfern, würde man ein deutsches Armeefahrzeug aus dem 2. Weltkrieg ausschließen. Doch tatsächlich handelt es sich genau darum. Wie kann das sein?

Nun, bekanntlich griff die Wehrmacht im Sommer 1940 Frankreich an, nachdem die angeblichen Verbündeten Polens dessen Besetzung 1939 tatenlos zugeschaut hatten.

Hier sehen wir, wie sich der Westfeldzug aus Perspektive hinter der Front nachrückender deutscher Soldaten darstellte – aufgenommen beim Übergang über die Maas:

Übergang einer deutschen Heereseinheit über die Maas im Sommer 1940; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Hier kann man auf dem Nummmernschild des vorausfahrenden Wagens das Kürzel „WH“ erkennen, welches Heeres-Fahrzeuge der Wehrmacht kennzeichnete.

Allerdings wurden speziell die größtenteils von privaten Besitzern stammenden PKW-Bestände oft so hektisch zusammengezogen, dass das vorgeschriebene Militärkennzeichen erst irgendwann nach Beginn des Einsatzes vergeben wurde.

Bis dahin wurden einfach die zivilen Nummernschilder weiterverwendet, und das auch bei Autos, die in besetzten Gebieten beschlagnahmt oder vom Gegner erbeutet worden waren.

Mit so einer Situation scheinen wir es im Fall des Jawa „Minor“ zu tun haben – ich vermute, dass das Kennzeichen noch die laufende zivile tschechische Nummer zeigt, wenngleich davor eigentlich noch ein Buchstabe stehen sollte.

Auch für das Fehlen von Tarnscheinwerfern gibt es eine Erklärung. In besetzten Gebieten, in denen nicht mehr gekämpft wurde und deutsche Luftfüberlegenheit bestand, wurde bisweilen auf die an sich vorgeschriebene Abtarnung der Beleuchtung verzichtet.

Diese Annahme bestätigt sich bei einem Blick auf die umseitige Beschriftung der Aufnahme: „Frankreich, 1942“ ist dort lapidar vermerkt. Zu diesem Zeitpunkt schwiegen in Frankreich längst die Waffen und gegnerische Kampfflugzeuge waren im Hinterland die Ausnahme.

Dessen ungeachtet bleibt so ein tschechischer Jawa im deutschen Kriegsdienst ein eher ungewöhnlicher Anblick. Das lag allerdings nicht an einer etwaigen Abneigung der Militärs – ganz im Gegenteil.

Generell nahm man angesichts chronischer Fahrzeugknappheit alles, was man kriegen konnte, sofern das Baujahr nicht vor Anfang der 1930er Jahre lag. Entgegen bisweilen zu findender Behauptungen kamen auch Fronttriebler und Zweitakter in Betracht.

Der erst kurz vor Kriegsbeginn in Serie gegangene Jawa „Minor“ ist ein Beispiel für Letzteres. Das Fahrzeug wog nur 6-700 kg (je nach Aufbau) und der 600ccm-Motor leistete 18-19 PS – für diesen Hubraum ein sehr guter Wert.

Ein Spitzentempo von 90 km/h war damit erreichbar und dank Zweitakttechnik war das Aggregat anspruchslos, was die Benzinqualität angeht. Nicht zufällig nutzte die Wehrmacht in großer Stückzahl auch Zweitaktmotorräder wie die DKW NZ 350.

Wenn ich es richtig sehe, war der 600ccm-Motor des Jawa „Minor“ kein DKW-Lizenznachbau mehr wie im Fall des Jawa 700 und das Leistungsvermögen des kleinen Aggregats spricht für das vergleichbare Können der tschechischen Ingenieure.

Welche Funktion „unser“ 1942 in Frankreich aufgenommener Jawa genau hatte und zu welcher Einheit er gehörte, wird sich nicht mehr ermitteln lassen. Jedenfalls war auch er einer von tausenden Überbrückungs-Helfern im defizitären Fuhrpark der Wehrmacht.

Mit seinem minimalistischen Antrieb und eingebauten Tempolimit könnte der Jawa heute ein politisch korrektes Fortbewegungsmittel für einen Offiziellen darstellen, der den zähen Bau unzähliger Behelfsbrücken beaufsichtigt, ohne die hierzulande bald nicht mehr viel läuft.

Aber nein, für diese Aufgabe wäre dieses Cabriolet entschieden zu schick – wenn es schon retour geht, dann bitte ein Fahrrad als Helfer bei der Überbrückung der kurzen Distanz bis zum nächsten durch systematische Vernachlässigung verursachten Bauschaden…

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Souverän durch’s Chaos: Adler 1,7 & 2 Liter Cabriolet

Als Schulbub hatte ich in der Familie den Ruf als Leseratte weg. Irgendwie hatte ich schon vor der Grundschule zu lesen gelernt – wohl hatte ich meinen älteren Bruder bei den Hausaufgaben genervt, bis er mir verriet, wie das ging.

Ich las alles, dessen ich habhaft werden konnte – erst im heimischen Bücherschrank, später in der Stadbibliothek. Zu den Werken, die neben Archäologie und Science Fiction früh Eindruck bei mir hinterließen, gehörten Gustav Schwabs „Sagen des Klassischen Altertums“.

Darin waren die Mythen der alten Griechen und Römer in komprimierter Form enthalten – wenn ich mich recht entsinne im klassischen Stil von Johann Heinrich Voss (1751-1826). Irgendwann las ich auch dessen komplette Übertragung von Homers Ilias und Odyssee – der Werke, die am Anfang der europäischen Literatur stehen und bis heute fortwirken.

Der König von Ithaka, der mit seiner List den Griechen vor Troja nach 10 Jahren Belagerung zum Sieg verhalf, gehört für mich zu den großartigsten Figuren der Literaturgeschichte. Denn nach der Überwältigung der Trojaner sollte er auf dem Heimweg nach und nach alles verlieren, seine Flotte, seine Kameraden und beinahe das nackte Leben.

10 Jahre irrte er umher, den Launen der Götter unterworfen, nur mit Athene als Verbündeter. Praktisch mittellos landete er schließlich an den heimischen Gestaden.

Wie er von alten Weggefährten erkannt wird und schließlich mit tödlicher Präzision unter den Freiern aufräumt, die seine Frau bedrängen, und am Ende einen einzigen verschont, das gehört zu den atemberaubendsten Episoden in der Literatur.

Souverän durchs Chaos des Daseins – das gilt für meinen Heros Odysseus ebenso wie für das Fahrzeug, das ich heute anhand eines Bilderreigens präsentiere, der Sie am Ende hoffentlich ebenso sprachlos zurücklässt wie mich einst die Lektüre Homers.

Eine ehrgeizige Nummer, werden Sie jetzt denken. Und Sie haben recht: Denn die Modelle 1,7 bzw. 2 Liter des Traditionshauses Adler aus Frankfurt am Main boten neben dem Frontantrieb technisch nichts, was sie irgendwie vor der Konkurrenz auszeichnete.

Und trotz der modern gestalteten Kühlerpartie erschien die Limousinenausführung wenig aufregend – die mittig geteilte Frontscheibe wirkte schroff und der Aufbau abweisend:

Adler 1,7 Liter Limousine; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Gleichwohl hatte der 1936 in dieser Form vorgestellte Adler unzweifelhafte Nehmerqualitäten – der Dulder Odysseus lässt an dieser Stelle das erste Mal grüßen.

Dieses um 1960 entstandene Foto zeigt ein Exemplar mit geschlossener Karosserie und niederländischer Zulassung. Bei der Gelegenheit sei angemerkt, dass die glatten Scheibenräder der einzige Hinweis auf die Motorisierung sind.

Die 1938 eingeführte stärkere 2 Liter-Version ist praktisch nur dadurch zu unterscheiden, dass sie gelochte Felgen besaß. Das sah dann so aus:

Adler 2 Liter Limousine; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Ein nettes Foto irgendwo an einer Tankstelle aufgenommen kurz vor oder nach dem 2. Weltkrieg. Der Adler wirkt hier trotz untadeliger Proportionen immer noch wenig einladend.

Das wird sich gleich ändern, denn auf der mindestens 10-jährigen Odyssee, die ich nun gemeinsam mit Ihnen unternehmen will, begegnet uns der Adler nur noch in der Erscheinungsform als Cabriolet, die eine Klasse für sich war.

Man bekommt eine erste Ahnung davon auf dieser Abbildung:

Adler 1,7 Liter Cabriolet; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Befreit von dem düsteren Dachaufbau präsentiert sich der Adler hier mit einem Mal fast luftig und leicht – die Heiterkeit der jungen Dame davor tut ein übriges.

Sie war offenbar mit der besseren Hälfte unterwegs auf Urlaubsreise und wir begegnen ihr gleich noch einmal.

Hätte ich nicht beide Aufnahmen zusammen erworben, wäre ich vermutlich nie darauf gekommen, dass auch dieses Foto einen solchen Adler zeigt:

Adler 1,7 Liter Cabriolet; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Hier ging es einst hoch hinaus und man konnte sich damals nicht ausmalen, welche Odyssee einem in den nächsten Jahren bevorstand.

Doch bis dahin war man frohen Mutes, denn es ging vermeintlich herrlichen Zeiten entgegen in deutschen Landen – wenn man nicht zum Feindbild der Herrschenden zählte. .

Dieser junge Herr konnte sein Glück kaum fassen, war er doch nicht nur mit einem schicken Adler-Cabrio unterwegs, hier sogar in der sportlichen 2-Fenster-Ausführung – sondern hatte gleich zwei Grazien als Begleiterin – was konnte da noch schiefgehen?

Adler 1,7 Liter oder 2 Liter Cabriolet; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Ob es diese spezielle Ausführung nicht nur für den Adler 1,7 Liter, sondern auch die spätere 2-Liter-Version gab, das werden sicher sachkundige Leser beantworten können (bitte Kommentarfunktion nutzen).

Motorenseitig war man mit der 2-Liter-Ausführung natürlich weit angemessener unterwegs – mit 45 PS statt lediglich 38 PS war nun echtes Autobahntempo möglich.

Das Cabrio bewegte der Kenner freilich bevorzugt auf Landstraßen, wo es entschieden mehr zu sehen gab wie in diesem Fall eine Burg am Rhein:

Adler 2 Liter Cabriolet; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Was könnte einem hier schon die gute Laune verderben – es läuft doch gerade alles so gut, man ist Herr über Raum und Zeit und es gibt kein Hindernis, das man nicht mit List und der notwendigen Härte überwinden könnte, nicht wahr?

So wie Odysseus und seine Kameraden sich in ihrem Sieg über die Trojaner sonnten und nicht an das Morgen dachten, so selbstgewiss wirken diese Herren, die an der Ostfront – ich vermute anno 1939 in Polen – die Relikte zurückliegender Kämpfe besichtigen:

Adler 2 Liter Cabriolet; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Das Adler 2-Liter Cabriolet trägt das deutsche Hoheitszeichen, um nicht der eigenen Luftwaffe zum Opfer zu fallen – ein klares Indiz für die Frühphase des Kriegs, in der umfassende militärische Überlegenheit gegeben war.

Ob das verwahrloste Pferd im Vordergrund kurz zuvor noch als Zugtier für das verlassene Artilleriegeschütz dienen musste, ist ungewiss. Vielleicht hatte jemand es aus Mitleid losgebunden.

Vielleicht gehörte es aber auch zu einem Hof in der Nähe, dessen Bewohner vor der Walze deutschen Vernichtungswillens geflohen waren, der im Osten gnadenlos war.

Im selben Kontext ist folgende Aufnahme zu verorten, die einen im aufgeweichten Boden festgefahrenen Adler 2 Liter des deutschen Heers zeigt – wieder in der Ausführung als 4-Fenster-Cabrio:

Adler 2 Liter Cabriolet; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Grundsätzlich waren die Fronttriebler unter solchen Bedingungen eher im Vorteil. Nicht zufällig wurden nach der Kapitulation Frankreichs anno 1940 zahllose Citroen mit Vorderradantrieb in den Fuhrpark des deutschen Militärs eingegliedert.

Irgendwann im weiteren Kriegsverlauf entstand ein weiteres Foto, das den Adler eines Arztes zeigt – mit Zulassung im Landkreis Turek im besetzten Polen.

Der Name des Bubs auf dem Kühler ist überliefert – er wurde Kläuschen gerufen:

Adler 1,7 Liter oder 2 Liter Cabriolet; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Das schöne Foto darf nicht darüber hinwegtäuschen, wie die polnische Bevölkerung damals unter der deutschen Militärherrschaft litt – speziell Menschen jüdischer Herkunft wurden als Arbeitssklaven ausgebeutet (wie im nahegelegenen Ghetto Litzmannstadt) und in der Spätphase des Kriegs zu Hunderttausenden ermordet.

Das macht nicht jeden Zeitgenossen auf solchen Fotos zum Verbrecher, schon gar nicht die KInder. Doch die Ungeheuerlichkeiten, die im Osten von Deutschen en masse begangen wurden, sollten bis in unsere Tage im Bewusstsein bleiben und zu äußerster Zurückhaltung mahnen, was Belehrungsinstinkte gegenüber den Völkern Osteuropas betrifft.

Irgendwann war der deutsche Siegeszug am Ende, und wendete sich mit ebensolcher Härte und Unerbittlichkeit gegen die einstigen „Herrenmenschen“. Mit den vereinten Kräften der Vereinigten Staaten und der Sowjetunion wurden die deutschen Aggressoren zurückgeschlagen – im günstigsten Fall kehrten sie mittellos heim.

Während Odysseus aus seiner Tragödie am Ende einen Sieg machte, galt es für die Überlebenden des Chaos der Zeit nach 1945 ihr Leben wieder in zivile Bahnen zu lenken.

Nur wenige hatten das Glück, dabei auf einen Überlebenden der automobilen Gattung zurückgreifen zu können – hier wieder ein Adler 2 Liter Cabrio mit österreichischer Nachkriegszulassung:

Adler 2 Liter Cabriolet; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Was kann nach dieser 10-jährigen Reise durch die Wirren der Zeit noch kommen?

Nun, ein Dokument, das positiver ist als das deprimierende Fazit deutschen „Wirkens“ im Osten Europas und anderswo, welches unsere nach dem Krieg formulierte Verpflichtung zum Frieden begründete, aber in diesen Tagen in Vergessenheit zu geraten droht .

Erinnern wir uns nochmals an den tragischen Helden Odysseus, dem erst 10 Jahre nach Kriegsende die Heimkehr beschieden sein sollte – wie einst den letzten deutschen Kriegsgefangenen in der Sowjetunion.

Bei ihrer Rückkehr war die Welt eine andere geworden und man hatte nichts als Kampf und Chaos erlebt – nichts gelernt, was konstruktiv und kreativ war.

Doch zuhause wartete vielleicht jemand auf einen – wie einst Penelope auf Odysseus.

Sie war nach so langer Zeit nicht mehr die Jugendfrischeste, um es vorsichtig auszudrücken. Das Drama der Jahre hatte auch sie gezeichnet und doch: Ihre Zuversicht war unverbrüchlich, dass „Er“ eines Tages zurückkehren wird.

10 Jahre hatte sie gewartet und sie hatte die ganze Zeit über den alten Adler 2 Liter in der Cabrio-Ausführung gehütet – vor den Häschern versteckt, die scharf auf ihn waren.

Damit hatten die beiden einst die schönsten Reisen unternommen und wenigstens das sollte aus der Welt von gestern erhalten bleiben und einen Neuanfang ermöglichen.

So, jetzt lachen sie bitte nicht, denn die Penelope in meiner heutigen Geschichte lebte nicht auf Ithaka, sondern in Schmadebeck im Landkreis Rostock und sie hieß schlicht Rosa Köpcke.

Sie war eine biedere Landfrau, als sie in den 1950er Jahren (oder später) vor diesem Adler posierte.

Adler 2 Liter Cabriolet; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Wir machen uns keine Vorstellung davon, was sie in den Jahren davor erlebt hatte – also stellen wir uns einfach vor, dass an diesem Tag ihr Mann zurückkehrte.

Der Adler ist hier wie aus dem Ei gepellt und zeugt vom menschlichen Willen, dass auch nach dem Chaos irgendwann wieder die schönen Dinge des Lebens Einzug halten sollen – und sei es in Form eines alten Autos, mit dem man gemeinsame Erinnerungen verknüpft…

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Noch rechtzeitig ausgewandert: Ein Dixi von 1914

Im Sommer 1914 spielten die sogenannten Eliten Europas mit dem Feuer – und konnten schon bald die Flammen, die sie mit auf Konfrontation angelegten Bündnissen und naiver Selbstüberschätzung entfacht hatten, nicht mehr löschen.

Am Ende standen fast alle Kriegsparteien als Verlierer da – vielleicht abgesehen von Italien und Rumänien, die ihr Territorium ab 1918 auf fragwürdige Weise erweitern konnten.

Zu den Gewinnern zählten neben den Vereinigten Staaten letztlich nur diejeinigen, die rechtzeitig ausgewandert waren – sofern sie nicht von den Kolonialmächten England und Frankreich als Kanonenfutter wieder zurück nach Europa geschickt wurden.

Dieses finstere Kapitel in der Geschichte Kanadas, Australiens und Neuseelands sowie Indiens und etlicher afrikanischer Staaten wird gern übergangen, dabei sprechen die Soldatenfriedhöfe in Frankreich auch in der Hinsicht eine erschütternde Sprache: Eine ganze Generation junger Männer aus aller Welt wurde für einen Krieg verheizt, dessen Ziel schon nach den ersten Monaten keiner der Schreibtischtäter mehr benennen konnte.

Dass Kriege eine fatale Eigendynamik entwickeln, aus der schwer bis unmöglich wieder herauszukommen ist, weil die Entscheider davon nicht direkt betroffen sind, sollte auch den neuerdings in Europa wieder fleißigen Kriegsertüchtigern zu denken geben.

Doch leider lehrt die Geschichte nur eines: dass die Menschen nur aus dem lernen, was sie am eigenen Leib erfahren haben – und die letzte Generation, für die das noch gilt, verlässt uns gerade. So mag man auf den Teppichetagen von heute wohl die Fehler von anno 1914 wiederholen oder andere kolossale Dummheiten begehen, die Dritte bezahlen müssen.

Genug davon – wir wollen uns heute mit einem Zeitzeugen beschäftigen, der im Sommer 1914 noch einmal davon gekommen ist – während es seinem Kameraden nicht gelungen ist.

Die Rede ist von einem Tourenwagen der Eisenacher Fahrzeugwerke, deren Automobile unter dem griffigen Markennamen Dixi verkauft wurden. Hier sehen wir einen davon:

Benz und Dixi-Tourenwagen ab 1914; Originalfoto: Sammlung Jason Palmer (Australien)

Moment mal, werden jetzt die Kenner sagen – hier ist doch eindeutig ein Benz zu sehen und links daneben ein Opel oder Dürkopp – jedenfalls der Kühlerform nach zu urteilen.

Tja, was den Benz betrifft, ist der Fall in der Tat klar. Die Marke zählt neben Daimler, NAG, Opel, Protos, Stoewer und Wanderer zu den häufigsten, die auf deutschen Fotos aus dem 1. Weltkrieg vertreten sind.

Speziell Benz-Automobile wurden so oft abgelichtet, dass ich noch längst nicht alle entsprechenden Fotos aus meinem Fundus oder dem von Sammlerkollegen hier gezeigt habe – das wäre auf die Dauer langweilig, so unglaublich das klingt.

Im vorliegenden Fall wollen wir aber auch dem Benz Gerechtigkeit zuteil werden lassen – offenbar ein mittelgroßes Flachkühlermodell aus der Zeit ab 1913/14, worauf die elektrischen Parkleuchten unterhalb der Windschutzscheibe hindeuten:

Die Interpretation von Details wie der Kennung vor dem Kühler und des runden Gegenstands neben dem in Fahrtrichtung links befindlichen Vorderrads überlasse ich gern sachkundigen Lesern – ich schätze fundierte Ergänzungen und auch Korrekturen sehr.

Vielleicht findet ja sogar jemand heraus, in wessen „Garage“ das deutsche Heer hier irgendwo in Belgien oder Frankreich ungebeten „eingezogen“ war.

Noch spannender bleibt aber die Frage, was es mit dem zweiten Wagen auf sich hat, der am Rand der Szene steht, aber für mich das viel interessantere Gefährt ist.

Jason Palmer aus Australien – selber Sammler von Vorkriegsfahrzeugen und Kenner früher europäischer Fabrikate – ist der Ansicht, dass wir hier einen Dixi von anno 1914 sehen:

Naja, wird jetzt vielleicht einer selbstgewiss denken, ein Opel oder Dürkopp hatte doch einen ganz ähnlichen Kühler und überhaupt: Wo findet man denn Dokumente, die zeigen, dass Dixi damals ebenfalls so einen birnenförmigen Kühler verbaute?

Wer sich leichtfertig auf die bisher verfügbare (teils veraltete) Literatur verlässt, der kann leicht übersehen, das Dixi ab 1913/14 tatsächlich zu einer neuen Kühlerform überging. Ob das bei allen Modellen der Fall war und ob womöglich – wie bei Benz – neue und alte Form parallel angeboten wurden, das kann ich bislang nicht sagen.

Jedenfalls fand ich in der Literatur (Dixi-Kapitel aus: H. Schrader, BMW-Automobile) nur eine einzige Prospektabbildung, die einen Dixi aus der Zeit kurz vor dem 1. Weltkrieg mit genau so einem Kühler zeigt (Typ S 16).

Das ist vielleicht etwas dünn, um als Beleg zu gelten, zumal reine Prospektabbildungen stets mit Vorsicht zu genießen sind, sind sie doch oft idealisierend oder zeigen in etlichen Fällen Ausführungen, die zwar angeboten, doch nie verkauft wurden.

Heute sind wir aber in der glücklichen Lage, dass uns Jason Palmer als Eigner des Fotos aus dem 1. Weltkrieg auch die Evidenz mitgeschickt hat, die den Fall sonnenklar macht.

Und nun halten Sie sich fest: Gerade noch rechtzeitig vor Ausbruch des 1. Weltkriegs verließ im August 1914 ein Dixi des Mittelklasse-Typs R12 per Schiff Europa und kam nach einigen Wochen im fernen Australien an, wo sein Aufbau von der Firma TJ Richards & Son in Adelaide vervollständigt wurde.

Das wissen wir deshalb so genau, weil dieses Auto noch im Originalzustand existiert:

Dixi-Tourenwagen Typ R12 von 1914; Bildrechte: Sammlung Jason Palmer (Australien)

Man sieht: Wer seinerzeit das Glück hatte, nach „down under“ auszuwandern, hatte eindeutig die besseren Überlebenschancen – zumindest, wenn es sich um einen automobilen Zeitgenossen handelt.

Überhaupt hat sich Australien – noch so ein Land, aus dem man in Europa praktisch nichts erfährt, außer wenn irgendwo mal wieder der Busch brennt – geradezu als „Safe Haven“ für heute rare europäische und speziell deutsche Wagen aus der Zeit vor dem 1. Weltkrieg erwiesen. Wir kommen bei Gelegenheit darauf zurück.

Ob nun der Dixi auf dem Foto aus dem 1. Weltkrieg ebenfalls ein Typ R12 oder ein anderes Modell aus der breiten Dixi-Palette anno 1914 war, sei dahingestellt. Jedenfalls hat die Einschätzung, dass es sich um einen Dixi und nichts anderes handelt, einiges für sich.

Damit übergebe ich das Wort an die Markenspezialisten…

Michael Schlenger, 2024. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

Gut genug für 20 Jahre: Stoewer „Greif“

Genug von den 20er Jahren? Ist es das, was Sie vielleicht denken? Natürlich nicht in Bezug auf die Gegenwart – es ist ja alles perfekt wie nie zuvor in unseren Tagen, nicht wahr?

Aber die 1920er, die werden in meinem Blog vielleicht dem einen oder anderen zuviel. Auch wenn ich diesen unbeabsichtigten Schwerpunkt erklären kann:

Die 30er haben zwar die großartigeren Karosserie-Kreationen hervorgebracht – doch die Markenvielfalt war schon damals infolge der Auslese der Weltwirtschaftskrise arg reduziert.

Gleichzeitig bietet die Frühzeit bis zum 1. Weltkrieg zwar die größte Auswahl an Konzepten und Fabrikaten, doch aufgrund der geringen Stückzahlen ist das noch vorhandene Material nicht so umfangreich – so ergibt sich ein natürlicher Fokus auf die 20er Jahre.

Dennoch soll es heute um eine andere Ausprägung von 20 Jahren gehen – nicht als Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts, sondern schlicht als Zeitraum von 20 Jahren.

Paradoxerweise wird die Welt in diesem Zeitraum zwar einmal auf den Kopf gestellt – doch eine Konstante begleitet uns dabei und bleibt erstaunlich auf der Höhe der Zeit.

Das Auto, das sich als „gut genug für 20 Jahre“ erwies, war der 1935 eingeführte Stoewer „Greif“ – anfänglich als „Greif Junior“ bezeichnet. Die aus der Insolvenzmasse von Röhr übernommene Konstruktion stammte ursprünglich von Tatra und ist kaum noch bekannt:

Ein luftgekühlter Vierzylinder mit 34 PS – war das nicht die Spezifikation des VW Käfer ab den 1960er Jahren? Nur mit dem Unterschied, dass der Hubraum 1,5 Liter statt 1,2 Liter beim VW betrug und der Stoewer „Greif“ nur 100 km/h schnell war – verglichen mit knapp 120 km/h beim Käfer (mein gut eingestellter 1200er schaffte das jedenfalls).

Aber: Anno 1935 gab es den VW nur als Vorserienexemplar und mit sparsamen 22 PS aus 1 Liter Hubraum. Damals war Stoewers Greif also eindeutig das bessere Auto und zudem tatsächlich zu kaufen, wenn auch für den Normalbürger unerschwinglich.

Dass der „Greif“ von Stoewer gut genug für die nächsten 20 Jahre war, das will ich mit einer Bilderserie illustrieren – die entgegen sonstiger Gewohnheit mit wenigen Worten auskommt.

Dabei unternehmen wir zugleich eine Zeitreise durch 20 Jahre deutscher Geschichte. Stellen Sie sich auf einige erstaunliche Begegnungen ein. Den Anfang macht diese elegante Limousine mit Berliner Zulassung:

Stoewer Greif; Originalfoto: Sammlung Klaas Dierks

Das Modell gab es außerdem als schicke Cabriolet-Limousine mit besonders schnittiger Optik, wie an diesem Exemplar aus Süddeutschland zu besichtigen:

Stoewer Greif; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Doch auch ein vollwertiges Cabriolet ohne die feststehenden Seitenteile der Cabriolimousine war zu bekommen – hier ein Beispiel wiederum aus dem Raum Berlin:

Stoewer Greif; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Ein adrettes Automobil war das, finden Sie nicht? Dabei kennt ihn heute kaum einer mehr.

Der Stoewer Greif wurde sogar in einem zeitgnössischen Tankstellenaushang eigens hervorgehoben – und zwar in ziemlich rasanter Form – bei dem es um Kraftstoffe für die damals in Deutschland gebräuchlichen Autotypen ging:

Standard-Reklame mit Abbildung einer Stoewer „Greif“-Limousine; Original: Sammlung Michael Schlenger

Eine weitere Aufnahme aus meinem Fundus zeigt wieder eine im Raum Berlin zugelassene Limousine dieses Typs. Hier gefällt mir vor allem der unzeitgemäße Haarschnitt des jungen Manns auf der Fahrerseite in Verbindung mit der verwegenen Krawatte:

Stoewer Greif; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Ein weiteres hübsches Dokument, das einen Stoewer „Greif“ in Friedenszeiten zeigt, ist das folgende, welches im schlesischen Liegnitz entstand. Zum Aufnahmezeitpunkt ging meine Mutter dort noch auf die Grundschule, während diese junge Dame schon volljährig war:

Stoewer Greif; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Damit hätten wir die ersten fünf Jahre der Karriere des Stoewer Greif abgedeckt.

Zwar endete im Jahr des Kriegsausbruchs 1939 die Produktion des Wagens – Stoewer baute von nun an Militärfahrzeuge – doch das Modell sollte noch ein langes Leben vor sich haben, auch wenn die Umstände denkbar ungünstig waren.

Hier sehen wir nun ein frisch für die Wehrmacht beschlagnahmtes ziviles Exemplar wohl im Jahr 1940 während des deutschen Angriffs auf Frankreich:

Stoewer Greif; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Zwei deutsche Soldaten bei der Morgenwäsche – was hier noch friedlich wirkt, stellt sich beim nächsten Dokument schon ganz anders dar. Hier sehen wir nämlich einen Stoewer Greif inmitten einer deutschen Militärkolonne während des Kriegs gegen die Sowjetunion:

Stoewer Greif; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Wie die Sache ausgeht, wenn es mit deutscher Arroganz gegen die angeblich primitiven Ostvölker geht, scheint heute bei vielen Zeitgenossen in Vergessenheit geraten zu sein.

Deshalb kann man nicht oft genug daran erinnern, was man auslöst, wenn man sich einmal leichtfertig auf die militärische Option (sofern man eine hat..) einlässt.

Daran ändert auch die vermeintliche Harmlosigkeit vieler Privataufnahmen aus Kriegszeiten nichts. Diese hier entstand im Mai 1944 – also vor genau 80 Jahren – irgendwo in Deutschland und zeigt einen Stoewer Greif im Dienst einer Luftwaffeneinheit:

Stoewer Greif; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Zu diesem Zeitpunkt war das Kriegsende nur noch ein Jahr entfernt, doch bis dahin sollte es auf deutscher Seite mehr Opfer geben als im gesamten bisherigen Kriegsverlauf.

Ob der bieder wirkende ältere Militär rechts – wohl ein Veteran des 1. Weltkriegs – „seine Jungs“ nach Möglichkeit schonte oder sie rücksichtslos verheizte, als die Front näherrückte – wer kann das wissen?

Der Krieg entfaltet seine eigene unheilvolle Dynamik – schon allein deshalb gilt es ihn möglichst zu vermeiden, sofern es nicht um das blanke Überleben eines Volkes geht.

Im Mai 1945 – rund 10 Jahre nach Erscheinen des Stoewer Greif – schwiegen zumindest in Europa die Waffen. Nicht allzulange Zeit danach entstand irgendwo in Hessen dieses Dokument, das zeigt, dass das Leben weiterging:

Stoewer Greif; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Selbst im zerbombten und in den letzten Kriegswochen zerschossenen Berlin oder dessen Umland scheint der andere oder andere Stoewer Greif irgendwie überlebt zu haben.

Jedenfalls sehen wir hier ein Exemplar, das 1952 im Grunewald abgelichtet wurde:

Stoewer Greif; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Die Cabrio-Limousine scheint die Kriegswirren gut überstanden zu haben, obwohl das Modell gern für das Militär einkassiert worden war und nur selten heil die Zeit überstand.

Noch bemerkenswerter finde ich aber etwas anderes: Der Wagen wirkt auch auf diesen Nachkriegsaufnahmen keineswegs „aus der Zeit gefallen“ oder einfacher gesagt: veraltet.

Erinnern wir uns: Anfang der 1950er Jahre war der VW Käfer nach mühsamem Beginn dank britischer Starthilfe allmählich ins Laufen gekommen. Aber damals war er immer noch dem Stoewer in vielen Belangen unterlegen.

Neben der besseren Motorisierung bot der Stoewer auch hydraulische Bremsen, während der Volkswagen – wenn ich mich nicht irre – noch mit seilzugbetätigten Bremsen unterwegs war. Natürlich funktioniert das, aber es hat schon seinen Grund, weshalb sich die Hydraulikbremse ab den 1920er Jahren – da sind sie wieder! – durchzusetzen begann.

Wie gut der Stoewer Greif auch nach 20 Jahren noch in die Zeit passte – von seiner Eleganz her – das illustriert das für heute letzte Foto, das Mitte der 1950er Jahre entstand:

Stoewer Greif; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

So sehr ich meinen Käfer für seine langjährigen Alltagsdienste (er gab erst bei 220.000 km mit erstem Motor auf) schätzte, könnte ich mir vorstellen, dass nach dem 2. Weltkrieg genausogut der Stoewer Greif das Rennen hätte machen können.

Doch das Werk in Stettin war ein Opfer des Kriegs geworden und nicht auf Großserienproduktion ausgelegt gewesen. Nur 4.000 Wagen des Stoewer Greif wurden zwischen 1935 und 1939 gebaut.

Eine ganze Reihe davon haben wir heute auf ihrem Weg durch die Zeiten begleitet und man darf wohl das Fazit ziehen, dass diese Konstruktion ohne weiteres „gut genug für 20 Jahre“ war, ohne dabei irgendwie alt auszusehen.

Sehen Sie es mir nach diesem Ausflug durch bewegte Zeiten nach, dass mich der nächste Blog-Eintrag wieder in die 20er Jahre zurückführt. Das ist auch nicht meine Schuld, vielmehr will der nächste Abschnitt der „Beckmann-Spurensuche“ angegangen werden…

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Einst Preußens Glanz… Horch Tourer von 1913/14

Die Geschichte von Preußen wird von ernsthaften Historikern heute ebenso differenziert betrachtet wie andere Epochen der europäischen Geschichte auch – weder glanzvoll verklärt, noch fanatisch verdammt.

So wollen wir es auch heute halten, wenn es um ein besonderes „Glanzstück“ Preußens geht – wir geben einfach wieder, was wir wissen, halten uns an die überlieferten Fakten, stellen keine kühnen Hypothesen auf und stricken keine Legenden.

Erst recht mit dem Abstand von über 100 Jahren können wir uns dem Gegenstand der heutigen Betrachtung unvoreingenommen nähern und seine unverkennbar glänzenden Seiten würdigen wie seine unübersehbaren Mängel erwähnen.

Dazu begeben wir uns – wenn auch nicht mitten ins Getümmel – so doch in das Umfeld der Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts, des Ersten Weltkriegs.

Die Möglichkeit zu diesem Zeitsprung in die Endphase von Preußens Glanz hat uns ein Sammler ermöglicht, der auf Fotografien jener Zeit spezialisiert ist.

Er kam auf mich zu und bat mich, das folgende Automobil zu identifizieren, von dem er nur wusste, dass es zum Stab der 105. Infanterie-Division gehörte:

Horch Tourenwagen von 1913/14; Originalfoto: Sammlung H. Wild

Eine im wahrsten Sinne glanzvolle Erscheinung, nicht wahr? Doch der preußische Adler auf der hinteren Tür sagt uns zuverlässig, dass wir uns in einer Zeit befinden, in der in Europa die Lichter ausgingen und auf allen Seiten die Kriegsfurien das Kommando übernahmen.

Doch auch wenn das Wappen, das ab 1871 zugleich das des Deutschen Reichs war, auf ein vom Militär genutztes Automobil hindeutet, scheint hier noch ein letztes Mal Preußens Glanz auf – und sei es nur in Form des Lacks dieses eindrucksvollen Gefährts.

Für einen Wagen im Dienst der Armee ist soviel Glanz eher untypisch, doch zeigen auch Beispiele aus der Frühphase des Zweiten Weltkriegs, dass von hohen Offizieren genutzte Wagen anfangs noch in Zivillackierung in den Einsatz fuhren.

Von daher ist anzunehmen, dass diese Aufnahme zu Kriegsbeginn und weit hinter der Front entstanden ist. Wo sich der auf der Rückseite des Fotos vermerkte Stab der 105. Infanterie-Division damals befand, das mögen Kenner ermitteln.

Mein Auftrag ist heute ein anderer, und für den verfüge ich über das nötige Handwerkszeug.

Der versierte Veteran in Sachen deutsche Vorkriegswagen wirft zunächst einen routinemäßigen Blick auf die Vorderpartie des ins Visier genommenen Fahrzeugs, um zu einer möglichst genauen Ansprache zu gelangen:

Festzuhalten ist hier Folgendes:

Der Wagen weist eine nahezu durchgehend horizontale Linie von Motorhaube und Windlauf – der Blechpartie vor der Frontscheibe – auf. Das findet sich bei deutschen Wagen meist erst kurz vor dem 1. Weltkrieg, selten schon 1912, aber gehäuft ab 1913.

Dass wir es mit keinem Wagen aus späterer Kriegsproduktion zu tun haben, dafür spricht, dass er noch über gasbetriebene Scheinwerfer verfügt.

Das sieht man diesen zwar nicht unmittelbar an, denn es sind aus diesem Blickwinkel keine Löcher zum Abzug der Verbrennungsabgase zu sehen. Doch die beiden am Vorderende des Trittbretts montierten Behälter sprechen eine eindeutige Sprache.

Darin wurde durch Reaktion von Calciumkarbid und Wasser das Gas Ethin (landläufig als Acetylen gezeichnet) produziert, welches in den Scheinwerfern verbrannt wurde.

Das Verfahren wurde noch bis in die 1930er Jahren auch für Fahrräder genutzt, doch ab 1913/14 wurden bei Automobilen als Extra bereits die ersten elektrischen Scheinwerfer angeboten. Im Kriegsverlauf setzte sich die neue Technik durch und war ab etwa 1920 Standard – von einigen Kleinstwagen abgesehen.

Somit haben wir erste Indizien für eine Datierung in die Zeit von 1913/14. Weitere Hinweise liefern uns die drei schrägstehenden Luftschlitze in der hinteren Hälfte der Motorhaube.

Diese Konstellation findet man nach meinem Eindruck so nur bei Wagen der sächsischen Manufaktur Horch – hier am kleinen Modell 8/24 PS zu besichtigen:

Horch 8/24 PS; Originalfoto: Sammlung Matthias Schmidt (Dresden)

Dieses Dokument aus dem Fundus des Dresdener Sammlers Matthias Schmidt hat den Vorteil, dass es auch den Markenschriftzug auf dem Kühler und den „Schnabelkühler“ zeigt, den Horch 1913 einführte und der nur bis 1914 verbaut wurde.

Vergleichen Sie einmal die nach vorn sanft abfallende Form des Kühleroberteils mit der des eingangs gezeigten Wagens – auffallend ähnlich, nicht wahr?

Nur die Proportionen der beiden Wagen wollen nicht übereinstimmen, auch unterscheidet sich die Zahl der Bolzen an der vorderen Radnabe.

Das ist aber kein Grund, den heutigen glänzenden Kandidaten nicht ebenfalls als Horch von 1913/14 zu identifizieren. Denn wie damals üblich unterschieden sich die unterschiedlich motorisierten Modelle eines Herstellers meist nur in den Dimensionen.

Das kann man schön am folgenden Horch nachvollziehen, der ebenfalls mit drei schrägstehenden Luftschlitzen in der hinteren Haubenhälfte und Schnabelkühler daherkommt, aber wesentlich größer ist als der Typ 8/24 PS:

Horch Aufsatzlimousine von 1913/14; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Dass obiges Exemplar einen geschlossenen Aufbau trägt, können wir getrost ausblenden. Denn bei diesen frühen Automobilen war in der Regel nur der Vorderwagen marken- und typspezifisch, die übrige Karosserie konnte vom Kunden frei gewählt werden.

Festzuhalten ist hier auch die übereinstimmende Gestaltung der Radnaben. Von daher bin ich – im Rahmen des Möglichen – sicher, dass auch der heute vorgestellte Wagen aus dem Fuhrpark der 105. Infanterie-Division ein großer Horch von 1913/14 war.

Als Motorisierung kommen vor allem die beiden mittleren Vierzylinder 14/40 PS (3,6 Liter) und 18/50 PS (4,7 Liter) in Betracht. Denkbar ist außerdem der ab 1914 gebaute Hubraumriese 25/60 PS (6,4 Liter), der identische Außenabmessungen aufwies.

Viel mehr lässt sich nach meinem derzeitigen Kenntnisstand zu dem großen Tourer auf dem heute vorgestellten Wagen nicht sagen.

Wie man sieht, hatte er zum Aufnahmezeitpunkt vom einstigen Glanz schon ein wenig eingebüßt und die eine oder andere Formveränderung erfahren.

Nur der auf dem Trittbrett montierte Karabiner des deutschen Standardtyps K98k wirkt noch fabrikneu – er war für Notfälle vorgesehen:

Auch der preußische Adler erscheint hier noch frisch und unversehrt, doch waren seine Tage gezählt, als der Fotograf den Auslöser betätigte. Die damaligen Zeitgenossen und auch der Fahrer dieses Horch konnten das nicht wissen.

Wo mögen die Gedanken des Kraftfahrers am mächtigen Lenkrad zum Zeitpunkt der Aufnhame gewesen sein? Wohl daheim bei seiner Familie, für die diese Aufnahme vermutlich gemacht wurde.

Als Chauffeur irgendwelcher „hohen Tiere“ hatte er es vergleichsweise gut getroffen, während der Großteil seiner männlichen Altersgenossen in den Schützengräben täglich dem Tod ins Auge sahen.

Für die Männer dort war Preußens Glanz schon kurz nach Kriegsausbruch passé, als der große Horch-Tourer noch eine glänzende Erscheinung abgab.

Doch war es nur eine Frage der Zeit, bis auch dieser Wagen und die Abenteuer, die er erlebt haben mag, Geschichte waren.

Von diesen Horch-Automobilen jener Zeit, die nur in wenigen hundert Exemplaren entstanden und hohen Chargen vorbehalten waren, haben so gut wie keine die Zeiten überdauert.

So sind es nur solche Bilder, auf denen sie ein letztes Mal von Preußens Glanz künden…

Michael Schlenger, 2023. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

Ziert den Offizier und Gentleman: Delahaye 135 M

Regelmäßige Leser meines Blogs wissen, dass ich mich dem Zeitgeist zu entziehen pflege. Schon das Thema Vorkriegsauto ist ja alles andere als angesagt – im sich nach außen hin gern besonders progressiv gebenden Deutschland jedenfalls.

Allerdings huldige ich durchaus dem aktuellen Ideal der „Vielfalt“ – das in der teutonischen Praxis bestenfalls auf Beliebigkeit, häufiger aber auf Chaos hinausläuft. Allerdings betrachte ich „Diversity“ strikt aus dem Blickwinkel der Qualität im Besonderen wie im Alltäglichen.

Dass ich neben deutschen Fabrikaten regelmäßig auch ausländischen Marken Raum gebe, entspringt nicht etwa einer Geringschätzung des Eigenen und kritiklosen Verehrung des Exotischen, wie man sie ebenfalls in deutschen Landen beobachtet.

Man sollte jedoch nicht auf die Propaganda von einst hereinfallen und ausgerechnet die auf heimischer Scholle entstandenen Schöpfungen zwangsläufig für die besten halten.

Das stimmt schon nicht für das Selbstbild der „Dichter und Denker“ und erst recht nicht für die noch nie den Tatsachen entsprechende Sicht, deutsche Autos seien die besten überhaupt.

Wer in der Nachkriegszeit bei uns Fiat, Peugeot oder MG fuhr statt Volkswagen, Audi oder BMW, war weder ein vaterlandsloser Geselle noch in automobiler Hinsicht unbedarft. Üble Roster gab es überall, auch notorisch unzuverlässige Konstruktionen.

Doch mit etwas Aufmerksamkeit im Alltag oder auf Fernreisen bewegen ließen sie sich alle – kaputt gingen meist nur Kleinigkeiten an der Zündung oder bei der Kraftstoffzufuhr, das ließ sich unterwegs in Eigenarbeit regeln – man wusste, was man mitzuführen hatte.

In der Zwischenkriegszeit sah es kaum anders aus – wer kein deutsches Auto mochte oder dieses ihm für das Gebotene einfach zu teuer war, kaufte eben ein österreichisches, ein italienisches oder amerikanisches, durchaus auch ein französisches.

Das war gerade im letzteren Fall oft auch ein Stilfrage. Selbst in der Massenfabrikation brachte etwa Citroen mit dem legendären „Traction Avant“ eine Skulptur mit brillianten Fahrleistungen auf die Straße, wie sie nun einmal kein deutscher Hersteller bot.

Ich will die Qualitäten der meisterhaften Karosserien gewiss nicht in Frage stellen, die in den 1930er Jahren auf Chassis von Mercedes-Benz oder Horch entstanden, auch die hinreißend schönen BMWs jener Zeit gelten zurecht bis heute als Stilikonen.

Doch es gab daneben in Italien und Frankreich nun einmal Kreationen, die nur dort entstehen konnten und die über kulturelle (und ideologische) Grenzen hinweg begeisterten. Und genau so etwas darf ich heute präsentieren:

Delahaye 135 M; Originalfoto: Sammlung Jörg Pielmann

Dieser faszinierende Aufnahme verdanken wir Leser Jörg Pielmann.

Das Foto negiert gewissermaßen die Niederlage Frankreichs gegen das Deutsche Reich anno 1940. Denn hier sehen wir einen Offizier der Wehrmacht, der stolz vor einem – ausgerechnet! – französischen Beutefahrzeug posiert.

Militärisch musste man sich zwar den Deutschen geschlagen geben – was nebenbei wenig mit einem etwaigen Mangel an Masse oder Modernität des Materials zu tun hatte – doch triumphierten nach dem Waffenstillstand andere französische Qualitäten.

Was den Soldaten der deutschen Besatzungstruppen im glücklicherweise kampflos geräumten Paris, aber auch auf den unzähligen Schlössern auf dem Land an Kultiviertheit und Lebensart begegnete, war für die meisten ein unerhörtes Erlebnis.

Das hat die späteren Exzesse bei der Verfolgung jüdischer Franzosen (unter Mithilfe eigener Landsleute…) nicht verhindert, aber ich meine, dass man stets den Einzelfall betrachten sollte.

Ich wäre vermutlich anno 1940 ebenfalls ein blutjunger Infanterieoffizier wie mein Onkel Dieter gewesen, der damals mit seinem schlesischen Regiment in Frankreich einrückte – ich meine, es gibt sogar Fotos von ihm auf den Champs-Elysées in Paris.

Und vermutlich hätte ich ebenso wie der Soldat auf dem Foto von Jörg Pielmann jede Gelegenheit genutzt, beschlagnahmte französische Luxuswagen zu fahren oder mich zumindest daneben ablichten zu lassen.

Das lief anno 1945 unter anderen Vorzeichen auf der gegnerischen Seite genauso und vergessen wir nicht: Nicht nur in den besetzten Ländern wurden zivile Autos für den Militärdienst einkassiert – in Deutschland war das ebenso der Fall.

Nun aber zurück zu dem großartigen Coupé aus dem Hause Delahaye, dessen Stil man sofort in Frankreich verorten würde. Der sportlich angehauchte Typ als solcher blieb lange im Programm, er sollte sogar den Krieg überleben.

1935 wurde der Delehaye 135 eingeführt, von Anfang an mit einem kopfgesteuerten Sechszylindermotor, dessen Leistung von 95 auf später 130 PS stieg. Die Karosserien kamen von den feinsten Adressen Frankreichs.

Das Coupé auf dem heute vorgestellten Foto dürfte von ca. 1938 stammen. Wer weiß, von wem der Aufbau stammt, nutze bitte die Kommentarfunktion.

Gern wüsste man, was aus diesem hinreißenden Wagen geworden ist. Zwar ist er mit einem Kennzeichen der Wehrmacht (WH=Wehrmacht Heer) versehen, aber die Originallackierung musste nicht dem üblichen Heeresgrau weichen.

Vermutlich war der Delahaye für ein „hohes Tier“ beim deutschen Militär in Frankreich reserviert. Erkennt jemand anhand der Art Deco-Fassade im Hintergrund den Aufnahmeort?

Delahaye 135 M; Originalfoto: Sammlung Jörg Pielmann

Vermutlich hatte sich der damalige Nutzer des Wagens auf ein bequemes Leben als „Offizier und Gentleman“ westlich des Rheins eingerichtet. Den richtigen Wagen dafür hatte er jedenfalls zur Verfügung.

Kollaborateure beiderlei Geschlechts, die einem das Leben im besetzten Frankreich angenehm gestalten konnten, gab es zuhauf (erst nach dem Krieg waren alle in der Resistance…) und mancher Deutsche ließ sich gern auf Land und Leute ein.

Doch der Krieg nahm 1941 eine neue Dimension an – nun sollte es gegen Russland gehen (schon immer keine gute Idee).

Auch mein Onkel Dieter musste damals Abschied vom französischen Lotterleben nehmen und fand sich mit seinen Grenadieren an der Ostfront wieder. Eine schwere Verwundung ersparte ihm den späteren Untergang seines Regiments 1944 bei Mogilew.

Ob das dem Offizier und Gentleman auch so erging, der einst irgendwo in Frankreich diesen Delahaye als Dienstwagen bewegen durfte? Wurde der Wagen vielleicht ebenso wie er auf Eisenbahnwaggons verladen und ging irgendwo im Osten dem Verderben entgegen?

Michael Schlenger, 2023. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

Wunsch oder Wirklichkeit? Ein NAG B2 um 1910

Überwiegend fällt die Wirklichkeit nicht so aus, wie man sich das wünscht – eine Grundkonstante des Daseins und Basis des Geschäftsmodells von Trittbrettfahrern aller Art – Glaubensstifter, Heiratsschwindler und Visagisten.

Doch bisweilen übertrifft auch die Wirklichkeit die Welt der Wünsche, nämlich dann, wenn sich etwas ereignet, was man nicht für möglich gehalten hat. Das von Ludwig Erhard initiierte deutsche „Wirtschaftswunder“ der 1950/60er Jahre war so etwas.

Da wir in unseren Tagen von Vergleichbarem mangels qualifiziertem Regierungspersonal nur träumen können, müssen wir uns damit begnügen, dass uns im Privaten ab und zu etwas begegnet, das über unsere Vorstellungen und Erwartungen hinausgeht.

Ich weiß nicht, ob das bei dem Automobil der Fall ist, das ich Ihnen heute präsentieren möchte. Jedenfalls regt es dazu an, über Wunsch und Wirklichkeit zu sinnieren.

Man kann dieses rund 110 Jahre alte Dokument aber auch einfach so auf sich wirken lassen und sich seine ganz eigenen Gedanken darüber machen:

NAG um 1910; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Fremd wie ein Geschöpf aus einer fantastischen Urzeit schaut uns dieser Wagen an, und doch würde jeder dieses Fahrzeug sofort als Automobil ansprechen. So furchtbar viel hat sich nämlich an dieser genialen Erfindung nicht geändert.

Ja, aber inzwischen gibt es doch auch Elektroautos und die sehen schon anders aus, mag jetzt einer denken. Gewiss, das taten die Elektroautos aber damals auch.

Der Hersteller dieses Tourenwagens – NAG aus Berlin – hatte sogar selbst welche im Programm. Sie verkauften sich eine Weile recht gut, und das obwohl deren wohlhabende Käufer nicht einen Teil des Preises von ihren Mitbürgern zwangserstattet bekamen.

Einen solches NAG-Elektroauto stelle ich gelegentlich hier vor und ich darf schon jetzt sagen, dass ich mich darin verliebt habe – was mir beim Batteriewagenangebot unserer Tage bislang unmöglich erscheint (nicht nur wegen der aberwitzigen Kosten).

Wie gesagt, die altehrwürdige Berliner NAG war der Schöpfer des oben gezeigten recht großzügig dimensionierten Fahrzeugs. Zwar sind die Autos der seit 1903 mit Eigenkonstruktionen sehr erfolgreichen Marke an dem Rundkühler leicht zu erkennen.

Doch der genaue Typ ist meist nur anhand von Größenvergleichen einzugrenzen. Im vorliegenden Fall würde ich schon einmal das Einstiegsmodell N2 6/12 PS „Puck“ ausschließen – es war im Vergleich wesentlich kompakter:

NAG Typ N2 6/12 PS; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Zudem scheint der NAG auf meinem eingangs gezeigten Foto über eine etwas modernere Karosserie zu verfügen.

So besitzt sie bereits über einen „Windlauf“, also eine zur Frontscheibe bzw. zum Fahrerabteil hin ansteigende Blechkappe am hinteren Ende der Motorhaube.

Ab 1910 taucht dieses Element bei deutschen Serienautos auf, vorher fand es sich nur bei speziell für Sporteinsätze vorgesehene Wagen.

Genau dieses Detail wird uns noch einmal beschäftigen. Wir werfen erst einmal einen näheren Blick auf die Vorderpartie des aus idealer Perspektive fotografierten NAG:

An sich ist hier alles so, wie man es bei einem NAG aus der Zeit ab etwa 1905 erwarten würde. Ins Auge sticht jedoch die Plakette vorne am Kühlwassereinfüllstutzen.

Sie ist mir schon einmal begegnet, doch ist mir entfallen, auf welche Vereinigung sie hinweist – hier sind wieder sachkundige Leser gefragt.

Eventuell handelt es sich um einen Club von Sportsleuten, die bei Beginn des 1. Weltkriegs ihre Automobile dem Heer zur Verfügung stellten. Darauf deutet das auf dem Windlauf aufgemalte Kürzel und das Fehlen eines zivilen Kennzeichens hin.

Jetzt sind wir dem Punkt angelangt, an dem wir uns zwischen Wunsch und Wirklichkeit entscheiden müssen.

Schauen Sie sich doch einmal die Kühlerpartie direkt unterhalb des Einfüllstutzens an. Bilde ich es mir ein oder ist da tatsächlich „B2“ zu lesen gefolgt von einer nicht zu entziffernden Kombination aus Ziffern, die durch einen Schrägstrich getrennt sind?

Mag sein, dass mir mein Gehirn einen Streich spielt und der Wunsch in meinem Kopf etwas Wirklichkeit werden lässt, was es gar nicht gibt. Dabei mag eine Rolle spielen, dass es andere Fotos von im 1. Weltkrieg auf deutscher Seite eingesetzter PKW gibt, bei denen auf dem Kühler die offizielle Typbezeichnung aufgemalt war – warum auch immer.

Nun gab es von NAG ab 1907 einen Typ „B2“ mit (je nach Baujahr) variierenden Leistungsbezeichnungen: 40-45 PS, 31/50 PS, 29/55 PS, 26/45 PS. In jedem Fall handelte es sich dabei um einen großvolumigen Vierzylinder mit anfänglich 8, später 6,7 Litern.

Auch bei den Angaben zur Bauzeit geht es durcheinander (frühe NAG-Wagen sind wie bei vielen deutschen Autos üblich schlecht dokumentiert). Teilweise wird ein Bauzeitende von 1908 angegeben, teilweise aber auch 1909/10.

Denkbar ist nun Folgendes: Wir haben es entweder mit einem älteren NAG „B2“ zu tun, der 1910 einen modernen Aufbau mit „Windlauf“ erhielt – was öfters vorkam. Oder es handelt sich um ein Exemplar des ganz späten Typs B2a von 1910.

Vielleicht irre ich mich aber auch völlig und wir sehen hier doch einen der kleineren NAG, also einen N2 6/12PS „Puck“ oder einen frühen Vertreter seines Nachfolgers K2 6/18 PS.

Letztlich ist es aber auch gar nicht so wichtig, denn Aufnahmen solcher NAG-PKW im Kriegseinsatz sind keineswegs ungewöhnlich. NAG lieferte daneben vor allem Lastkraftwagen an das deutsche Militär, aber das ist eine andere Geschichte.

Mich interessiert am Ende Ihr Urteil, was die von mir wahrgenommene Beschriftung des Kühlers angeht – Wunsch oder Wirklichkeit bzw. Typvermerk oder Straßenschmutz?

Michael Schlenger, 2023. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.