Gab’s nicht? Gab’s doch: NSU mit 6 Zylindern

PKW von NSU kennt man heute meist nur in Form des kompakten „Prinz“ der Nachkriegszeit und des hypermodernen „RO 80“ mit Wankelmotor.

Manch einer wird sich noch an die NSU-Fiats erinnern, die aber mit NSU nichts zu tun hatten, außer dass Fiat sie eng angelehnt an die italienischen Versionen im einstigen NSU-Werk in Heilbronn herstellte.

Dass NSU bereits von 1905 bis 1929 in Eigenregie Autos fertigte, ist heute kaum noch bekannt. Und so dürften auch nur noch Spezialisten wissen, dass NSU Ende der 1920er Jahre dem allgemeinen Trend zu 6-Zylinderwagen folgte:

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NSU 6/30 PS Tourenwagen; Originalreklame aus Sammlung Michael Schlenger

Zwar hatte NSU 1908/09 bereits einen Sechszylinderwagen im Angebot. Das war aber ein Modell, das nach Lizenz der belgischen Firma Pipe gebaut wurde, die wir hier ebenfalls gelegentlich vorstellen wollen.

Erst mit dem 1928 verfügbaren NSU 6/30 PS Modell aus obiger Reklame gelang der Bau eines komplett selbstentwickelten Sechszylinders.

Das nur 1,6 Liter messende Aggregat galt als sehr laufruhig, scheint aber eine zähe Charakteristik gehabt zu haben. Darauf verweist auch die erst bei 3.000 Umdrehungen anfallende Höchstleistung von 30 PS.

Die zuvor gebauten NSU-Vierzylindermodelle wiesen eine deutlich elastischere Charakteristik auf. Die in der Praxis wenig überzeugende Leistung scheint ein Grund für den Misserfolg des Typs 6/30 PS gewesen zu sein.

Wieviele davon während der einjährigen Bauzeit entstanden, ist auch dem Standardwerk „NSU Automobile“ von Klaus Arth nicht zu entnehmen.

Mehr als einige hundert werden es kaum gewesen sein. Umso erfreulicher ist nach rund 80 Jahren eine historische Originalaufnahme eines NSU 6/30 PS wie diese:

NSU 6/30 PS; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Dieses Bild ist ein Ausschnitt aus einer deutlich größeren Aufnahme, auf der anfänglich nur zu ahnen war, dass das Auto darauf ein NSU sein könnte.

Umseitig ist der Abzug wie folgt beschriftet: „August 1928 in Hardheim“. Das Foto wurde also einst in der Odenwaldregion geschossen, was gut zum Kennzeichen passt, das auf eine Zulassung im Raum Baden verweist.

Würde vorne auf dem Kühler nicht das NSU-Emblem prangen, könnte man das Auto auch für einen Fiat 512 halten. Bei der Gestaltung der Frontpartie scheint sich NSU eng an den international erfolgreichen Wagen aus Turin orientiert zu haben.

Dass wir es tatsächlich mit einem NSU des Typs 6/30 PS und nicht mit dem Nachfolger 7/34 PS zu tun haben, verraten nur wenige Details:

Die relativ kleinen Scheinwerfer waren wohl nur am 6/30 PS Modell zu finden, auf Bildern des 7/34 PS sieht man größere – wenn auch immer noch trommelförmige.

Den markanten Knick im Frontscheibenahmen, der den oberen Abschluss des Kühlers wiederholt, findet man nur beim NSU 6/30 PS und selbst dort nicht immer.

Die ausgeprägten Sicken in den Vorderschutzblechen sprechen ebenfalls eher für den Typ 6/30 als für den 7/34 PS, bei dem glattflächigere Formen überwogen.

Mit seiner klassischen Optik wirkt der NSU 6/30 PS unprätentiös, fast bescheiden. Wer aber glaubt, dass wir ein billiges Auto vor uns haben, täuscht sich.

Die Leute, die sich so etwas leisten konnten, mussten gutsituiert sein – die Insassen „unseres“ NSU 6/30 PS konnten sich glücklich schätzen und waren es ausweislich dieser Aufnahme wohl auch:

Der sorgfältig verarbeitete Wagen mit seiner komfortablen Innenaustattung (u.a. Lederpolsterung beim Tourer, beleuchtete Instrumente und 8-Tage-Uhr) kostete in der günstigsten Ausführung mehr als 20 Monatsgehälter eines Angestellten.

Ein heftiger Preis, auch wenn man dafür Sechszylinder-Laufkultur bekam. Die bot aber Opels Typ 7/34 PS weit billiger, weshalb sich dieser auch besser verkaufte (Bildbericht folgt).

So konnte der attraktiv gezeichnete NSU 6/30 PS aus dem Jahr 1928 das Schicksal der angeschlagenen Neckarsulmer Fahrzeugwerke ebenso wenig zum Besseren wenden wie der NSU 7/34 PS, der ihn 1929 ablöste

© Michael Schlenger, 2017. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://www.klassiker-runde-wetterau.com with appropriate and specific direction to the original content.

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