Deutschland-Achter: Ansichten des Röhr 8 Typ RA

Der Deutschland-Achter genießt unter Freunden des Rudersports seit Jahrzehnten hohes Ansehen. Es gibt wenige Sportarten, in denen die deutsche Nationalmannschaft seit über 50 Jahren fast durchgängig Leistungen auf Weltklasseniveau bietet.

Vermutlich ist die Zusammensetzung des deutschen Ruderteams für Diversitäts-Fanatiker eine mindestens so große Provokation wie diejenige der Handball-Nationalmannschaft.

Solche „Kritik“ wird meist von Zeitgenossen erhoben, die selbst nichts können außer ganz selbstverständliche Zustände anzuprangern – außer bei US-Basketballteams, natürlich. Merkwürdige Zeiten, in denen Hautfarbe und Herkunft wieder problematisiert werden…

Um einen Deutschland-Achter ganz anderer Art geht es in meinem heutigen Blog-Eintrag, wenngleich ich am Ende noch die Kurve zum Rudersport zu kriegen beabsichtige…

Zunächst ganz unscheinbar kommt das Objekt daher, das heute im Mittelpunkt steht:

Röhr 8 Typ RA; Originalfoto aus Sammlung Marcus Bengsch

Von diesem nicht nur auf den ersten Blick sehr amerikanisch wirkenden Automobil sind drei Aufnahmen erhalten, die mir Leser Marcus Bengsch zur Verfügung gestellt hat.

Foto Nr. 1 lässt zwar technisch sehr zu wünschen übrig, doch zeigt es alle Merkmale eines US-Wagens der späten 1920er und frühen 1930er Jahre. Damals gaben die preisgünstigen und gut ausgestatteten „Amerikaner-Wagen“ den Ton an hierzulande, nicht nur stückzahlenmäßig, sondern auch in formaler Hinsicht.

Wer als einheimischer Hersteller etwas gegen die Konkurrenz aus Übersee ausrichten wollte, musste sich eng am Vorbild der hochmodernen US-Autoindustrie orientieren. Dazu gehört neben dem akribischen Kopieren amerikanischer Linienführung das Angebot von Sechs- und Achtzylindermotoren.

Während die meisten hiesigen Autobauer passable Sechszylinder zustandebekamen – so etwas hatten vor allem Opel und Protos schon vor dem 1. Weltkrieg in Serie gebaut – stellte die Konstruktion eines Achtzylinders eine Herausforderung dar.

Dem sächsischen Horch-Werken gelang es mit hohem Investitionsaufwand, auf diesem Feld glänzene Ergebnisse zu erzielen, doch für eine Massenfabrikation nach US-Vorbild reichte es am Ende auch dort nicht.

Der Wagen, um den es heute geht, ist ein weiteres Beispiel für den Versuch, es den Amerikanern auf dem Gebiet des Achtzylinders gleichzutun. Und solch ein Auto ist auf dem eingangs gezeigten Foto zu sehen.

Hier nun dasselbe Fahrzeug in einer deutlich besseren Aufnahme:

Röhr 8 Typ RA; Originalfoto aus Sammlung Marcus Bengsch

Man muss zugeben – dieses Auto macht einiges her und man könnte es glatt für ein amerikanisches Importfahrzeug halten.

Dass es sich „nur“ um das Produkt einer Manufaktur aus dem südhessischen Ober-Ramstadt handelte, möchte man kaum glauben. Die Rede ist von der Röhr Auto AG.

Namensgeber Hans Gustav Röhr war wie viele Köpfe in der Automobilgeschichte ein Naturtalent, was Neuerungen angeht. Für die Umsetzung im Detail hatte er einen begabten Ingenieur an seiner Seite, der ihn zeitlebens begleitete: Joseph Dauben.

Nach einigen Stationen im Anschluss an den 1. Weltkrieg verfolgten die beiden das Projekt eines neuartigen Automobils, das geringes Gewicht, niedrigen Schwerpunkt und überlegene Straßenlage durch Schwingachsen vereinte.

Die Serienfertigung begann in der 1926 übernommenen Fabrik der insolventen Falcon-Autowerke in Ober-Ramstadt bei Darmstadt. Statt des ursprünglich vorgesehenen Sechszylinders entschied man sich für die Entwicklung eines eigenen Achtzylinders.

So hervorragend der ab 1927 gebaut Röhr 8 in punkto Straßenlage war, so größenwahnsinnig war der Anspruch, die US-Autoindustrie auf einem Feld anzugreifen, auf dem sie viele Jahre Vorsprung hatte – dem Achtzylinder.

Offenbar war man bei Röhr – wie übrigens auch bei Adler und Brennabor – auf dem betriebswirtschaftlichen Auge weitgehend blind. So hätte bei nüchterner Betrachung klar sein müssen, dass die Amerikaner mit ihren gigantischen Stückzahlen auch in der Achtzylinder-Kategorie unerreichbare Skalenvorteile hatten.

So verspielte man den Wettbewerbsvorteil eines Chassis mit einzigartiger Straßenlage und hervorragendem Passagierkomfort, den die Amerikaner nicht bieten konnten, indem man sich mit einem Achtzylinder verausgabte, der sich als Fehlkonstruktion erwies.

Es half auch nicht, dass man den ursprünglichen Motor mit nur 2 Liter Hubraum und 40 PS – das entsprach der Leistung des vierzylindrigen Ford Model A – Anfang der 1930er Jahre auf 2,5 Liter Hubraum vergrößerte, sodass zuletzt wenigstens 55 PS anfielen.

Genau diese Ausführung – einen Röhr 8 Typ RA – zeigen die Fotos von Marcus Bengsch. Hier das dritte Exemplar, das nun auch das Kühleremblem erkennen lässt – eine „8“ mit angedeuteten Schwingen:

Röhr 8 Typ RA; Originalfoto aus Sammlung Marcus Bengsch

Hier sieht man den Lamellenkühler und die einteiligen, glattflächigen Vorderkotflügel, die für das Modell RA typisch waren, das ab 1931 gebaut wurde.

Das ist ein sehr schönes, melancholisch stimmendes Bild. Fast meint man, dass die junge Dame, die auf der Doppelstoßstange Platz genommen hatte, und der „nachdenklich“ zur Seite schauende Hund geahnt hätten, was mit diesem Wagen etwas zuendeging.

Denn bis Produktionsende 1933 konnten nur 322 Stück des Röhr 8 Typ RA abgesetzt werden. Mit diesem Modell war auch der Traum von einer eigenen Automobilproduktion von Hans Gustav Röhr und Joseph Dauben vorbei.

Wie es mit den beiden und den Röhr-Werken weiterging, ist in einem älteren Blog-Eintrag zu lesen (hier).

Mit dem Debakel des Röhr-Achtzylinders im Hinterkopf kehre ich nochmals zum Thema „Deutschland-Achter“ zurück. Es steht nämlich zumindest in der Vorkriegszeit für das Scheitern an der eigenen Ambition.

So wie es – vielleicht mit Ausnahme von HorchEnde der 1920er Jahre keinem deutschen Hersteller gelang, den amerikanischen Achtzylinder-Wagen Ebenbürtiges mit größeren Stückzahlen entgegenzusetzen, so erlitt auch der Deutschland-Achter wenige Jahre später Schiffbruch im Wettkampf mit den USA – bei der Olympiade 1936.

Folgender Film hält die Niederlage des Deutschland-Achter gegen das US-Team fest. Die amerikanische Perspektive ist zeittypisch nicht frei von Propaganda.

Dennoch ist es ein sehenswertes Dokument, das amerikanisches Filmmaterial mit den dynamischen Filmaufnahmen von Leni Riefenstahl verknüpft, die selbst kurz zu sehen ist und die für das Ambivalente jener Zeit steht wie nur wenige andere:

Hochgeladen von David Trujillo; Videoquelle: YouTube

© Michael Schlenger, 2020. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

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