Puzzle mit Fehlstellen: Adler-Kleinwagen 1906-1909

Es ist eine Weile her, dass ich den Adler-Freunden unter den monatlich über 3.000 Besuchern meines Blogs etwas zu ihrer Lieblingsmarke aus meinem Fundus an historischen Fotos und Reklamen bieten konnte.

Nun ist es wieder so weit und als Entschädigung für’s Warten tauche ich diesmal tief in die Frühgeschichte der einst hochgeschätzten Marke aus Frankfurt am Main ein.

Da die Adler-PKW-Typen bis etwa 1920 nur unzureichend dokumentiert sind, besteht dabei die Gefahr, etwas zu übersehen, was mir nicht bekannt ist, oder falsche Schlüsse aus dem mir Vorliegenden zu ziehen.

Stellen Sie sich vor, Sie haben ein altes Haus geeerbt, auf dessen Speicher sich vieles aus der langen Zeit seiner Nutzung erhalten hat. Wenn Sie abends Zeit haben, streifen Sie dort mit einer Taschenlampe umher, öffnen staubbedeckte Truhen, leuchten in mit Spinnweben überzogene Ecken hinein, durchsuchen neugierig die Schubladen alter Kommoden, die seit Jahrzehnten unberührt umherstehen.

Nach und nach finden Sie dabei verstreute und teils verblichene Teile eines alten Puzzles, und je mehr sie davon entdecken, desto klarer tritt das ursprüngliche Motiv zutage. Doch während vieles zusammenpasst, fehlt auch ganz offensichtlich einiges und manches Stück will sich gar nicht in das Bild einfügen.

Genau so verhält es sich mit den Fotos und Dokumenten, die ich bisher zu den Adler-Kleinwagen zusammentragen konnte, die zwischen 1906 und 1910 anzusiedeln sind. Das Bild, das sich daraus ergibt, ist zwangsläufig unvollständig und in Teilen auch widersprüchlich, doch ist die Sache gerade deshalb so spannend.

Das erste Puzzlestück transportiert uns ins Jahr 1906, als bei Adler nach einiger Zeit der Abstinenz auf diesem Sektor ein neues Kleinwagenmodell entwickelt wurde:

Reklame von 1906/07 für den Adler Kleinwagen 4/8 PS; Original aus Sammlung Michael Schlenger

Hier wird das neue 4/8 PS-Kleinauto von Adler mit 2-Zylinder-Motor angepriesen. Die (meist älteren) Literaturangaben zu seiner Entstehung gehen zwar etwas auseinander. Nach aktuellem Kenntnistand kam es aber bereits 1906 auf den Markt.

Obige Reklame für das Modell erwähnt am unteren Ende auch eine Grand Prix-Auszeichnung, die man 1906 in Mailand gewonnen hat.

Interessant ist, dass die Reklame im Zusammenhang mit dem 4/8 PS-Modell gleich drei Karosserievarianten erwähnt – neben Zwei- und Viersitzern auch einen Lieferwagenaufbau. In der älteren Literatur ist nur vom Zweisitzer die Rede.

Das ist beispielsweise im Adler-Standardwerk von Werner Oswald der Fall, doch ist in selbigem auch ein historisches Foto eines Adler 4/8 PS-Viersitzers abgebildet.

Die dort wiedergegebene Aufnahme ist sehr hilfreich, da sie die Karosseriegröße in Relation zu den Insassen veranschaulicht. Eine ganz ähnliche Situation haben wir hier:

Adler 4/8 oder 5/8 PS; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Zwar ist das Bild von mäßiger Qualität, doch die Proportionen „passen“ und von der Frontpartie ist genug zu sehen, um diesen Wagen ebenfalls als Adler-Kleinwagen ab 1906 ansprechen zu können.

Dass dieses unscheinbare Puzzlestück tatsächlich ins Bild dieses frühen Typs passt, zeigt gleich das nächste erhaltene Dokument, nun in hervorragender Bildqualität und aus sehr reizvoller Perspektive:

Adler 4/8 oder 5/8 PS; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Der eingehende Vergleich des Aufbaus zeigt, dass die beiden Wagen „aus demselben Stall“ stammen – mit dem Vorteil, dass man bei der zweiten Aufnahme die Adler-typische Ausführung der Motorhaube studieren kann.

Die wohl 10 Luftschlitze in der Haube passen gut zu den Gegebenheiten auf den wenigen anderen verfügbaren Bildern des Adler 4/8 PS.

Wie auf eingangs gezeigter Reklame vermerkt, besaß dieser einen Zweizylindermotor, damals in der Kleinwagenklasse nicht unüblich. Bemerkenswert ist aber die Anordnung der Zylinder in V-Form und der Verzicht auf eine aktive Steuerung des Einlassventils. Dieses wurde vielmehr durch den Unterdruck des abwärts laufenden Kolbens in der Ansaugphase automatisch geöffnet – 1906 eigentlich schon veraltet.

Kein Wunder, dass man schon nach einem Jahr (1907) – das 4/8 PS-Modell durch den gleichstarken 5/8-Typ ersetzte, der nun einen etwas größeren Zweizylinder-Reihenmotor zeitgemäßer Bauart aufwies.

Äußerlich scheinen sich die aufeinanderfolgenden Typen wenig unterschieden zu haben. Einhellig nennen die Quellen einen von 2,20 m auf 2,50 gestiegenen Radstand sowie Holzspeichen statt solcher aus „Flachstahl“.

Leider lassen sich diese Unterschiede auf den mir vorliegenden Bildern nicht nachvollziehen, doch eines fällt auf: Es gab ein zeitgleiches Adler-Modell dieser Größenklasse, dessen Motorhaube mehr als die erwähnten zehn Luftschlitze besessen haben muss:

Adler 5/8 PS bzw. 5/9 PS; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Könnte es sich dabei um die Weiterentwicklung des 5/8 PS Modells gehandelt haben, den Adler 5/9 PS, dessen höhere Leistung auch einen größeren Kühlungsbedarf bedeutet hätte?

Bezüglich des Adler 5/9 PS herrscht in der Literatur ebenfalls Uneinigkeit. Manche Quellen springen vom 4/8 PS gleich auf den 5/9 PS, der aber eine 1908 eingeführte Evolutionsstufe des 5/8 PS-Modells war.

Werner Oswalds Adler-Buch datiert den 5/9 PS erst auf 1910, was unplausibel ist. Mit 2 Zylindern und weniger als 10 PS war damals kein Staat mehr zu machen und Adler hatte in der Kleinwagenklasse ab 1908/09 bereits einen 6/12 PS-Typ im Programm.

Einen solchen konnte übrigens auch das obige Foto zeigen – jedenfalls würde die größere Zahl der Luftschlitze dazu passen.

Jedenfalls endete die Ära der heute vorgestellten Kleinautos von Adler wohl 1909, was auch zum Erscheinungsbild der Wagen auf den erhaltenen Fotos passt – sie besitzen nämlich allesamt noch keinen „Windlauf“, wie er sich ab 1910 bei Adler durchweg findet.

Dass die kleinen Adler-Wagen jener Zeit in Einzelfällen ihre kurze Blütezeit überdauerten, das belegt das folgende Foto von Frank-Alexander Krämer aus Landau in der Pfalz:

Adler 5/9 PS in Landau (Pfalz); Originalabzug aus Sammlung Frank-Alexander Krämer

Dieses Foto stellt in mehrfacher Hinsicht einen Glücksfall dar. Nicht nur ist es schön zu sehen, dass einer dieser frühen Adler-Kleinwagen bis in die 1950er Jahre überlebt hat und eventuell noch heute existiert.

Man hat hier auch die bei so alten Fahrzeugen seltene Situation, dass dank des Markenschriftzugs am Hersteller kein Zweifel besteht und gleichzeitig aufgrund der günstigen Aufnahmeperspektive die Zahl der Luftschlitze gut bestimmbar ist (10-11).

Damit ergänzt dieses Puzzlestück perfekt die bisher gezeigten Dokumente von Adler Kleinwagen aus der Zeit vor 1910. Doch war eingangs auch von Puzzlestücken die Rede, die nicht zu den übrigen passen wollen, obwohl sie aus derselben Zeit stammen.

Genau so etwas habe ich mir für den Schluss aufgehoben:

Adler-Reklame von 1908; Original aus Sammlung Michael Schlenger

Diese Reklame ist ganz klar auf das Jahr 1908 zu datieren. Nicht nur wird darin auf eine Auszeichnung aus dem Februar desselben Jahres verwiesen, sondern auch das 6/12-PS-Vierzylindermodell erwähnt, das 1909 als 6/14 PS firmierte.

Zu diesem Zeitpunkt sollte der kleinste verfügbare Adler-PKW eigentlich das Modell 4/8 PS oder dessen Nachfolger 5/8 PS gewesen sein. Doch hier wird mit einem Mal ein weiteres kleines Zweizylindermodell erwähnt, der Typ 4/7 PS!

Wie passt das zu den anderen Puzzlestücken? Nun, das konnte mir Jörg Zborowska vom Adler Motor Veteranen Club erklären. Demnach entschied sich Adler 1908, wieder einen schwächeren Wagen als Einstiegsmodell anzubieten, besagten 4/7 PS Typ, der in der Literatur keine Erwähnung findet.

Fazit: Die Puzzleteile, aus denen hier irgendwann die Welt der frühen Adler-Modelle wiederauferstehen soll, sind weder vollständig, noch passen sie alle lückenlos zusammen. Doch mit weiteren Dokumenten und dem Wissen der Adler-Experten sollte sich das Bild nach und nach komplettieren lassen.

© Michael Schlenger, 2020. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

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