Luxus serienmäßig! Zwei Adler Landaulets um 1907

Traditionell wird Luxus mit Verschwendung in Verbindung gebracht – typischerweise von Leuten, die wenig einschlägige Praxiserfahrung haben.

Das ist ähnlich wie bei Zeitgenossen, die sich für eine Besteuerung von Vermögen in die Bresche werfen – nicht etwa, weil der Fiskus so klamm wäre, sondern weil es sie stört, dass andere ihnen etwas voraus haben. Nach dem Gewinn des Jackpots im Lotto wird diese Auffassung allerdings zuverlässig eine fundamentale Korrektur erfahren…

Meine Einstellung zum Luxus ist eine uneingeschränkt positive. Nicht nur meine ich, dass jenseits alltäglicher Notwendigkeiten der Spaß am Leben erst beginnt – ich gönne mir (und Ihnen) auch selber regelmäßig einigen Luxus.

Während sich das nicht auf meinen Geschmack bei klassischen Autos im Maßstab 1:1 bezieht – dort beschränke ich mich von jeher auf das untere Preissegment – gebe ich mich in diesem Blog gern hemmungslos dem schieren Überfluss hin.

Nicht nur ist die Beschäftigung als solche bereits eine Verschwendung von Zeit und Geld, auch mit den Gegenständen der Betrachtung gehe ich fahrlässig großzügig um.

Ein besonders verwerfliches Beispiel dafür bringe ich heute – denn diesmal präsentiere ich ungeheuren Luxus aus der Frühzeit des Autos gleich in Serie.

Ich kann mir diesen Luxus nicht nur leisten, ich bin hier paradoxerweise auch von blanker Not getrieben. Denn gerade bei den Wagen der Marke Adler aus Frankfurt am Main gehe ich förmlich in sehenswerten zeitgenössischen Fotos unter.

Das gilt nicht nur für die üblichen Verdächtigen der Frontantriebs-Fraktion der 1930er Jahre („Trumpf“ und „Trumpf Junior“) oder die ebenfalls sehr zahlreich dokumentierten „Ami“-Konkurrenten der späten 1920er Jahre („Standard 6“ und „Favorit“).

Nein, auch andernorts praktisch nicht oder nur sehr dürftig vertretene Adler-Modelle der Zeit vor 1925 finden sich auf hunderten Aufnahmen aus meiner Sammlung und aus denen von Gleichgesinnten, deren Schätze ich hier ebenfalls präsentieren darf.

Warum sonst keiner etwas aus der schieren Materialfülle bei dieser einst enorm bedeutenden deutschen Marke macht? Ich weiß und verstehe es nicht. Ich bin kein Adler-Spezialist und besitze nur ein Fahrrad der Marke von ca. 1950 (in ziegelrot, sonst sprechen mich die Adler-Räder weniger an als andere jener Zeit).

Dennoch ist meine nebenher in den letzten 10 Jahren aufgebaute Adler-Galerie die weltweit größte allgemein zugängliche ihrer Art. Sie ist weder vollständig noch vollkommen, was die Ansprache speziell der frühen Modelle angeht, aber es gibt sie und sie wächst stetig.

So bin ich in der komfortablen Lage, Ihnen heute Luxus aus dem Hause Adler gleich serienmäßig nachzubringen. Den Anfang macht dieses Landaulet nebst Chauffeur:

Adler Landaulet um 1907; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Dieser Wagen bot einst seinen sehr vermögenden Besitzern nicht nur den Luxus eines prinzipiell geschlossenen Passagierabteils, das am Heck jedoch ein zu öffnendes Verdeck für Fahrten bei schönem Wetter besaß.

Das Auto war auch mit seiner Dachreling darauf ausgelegt, Reisegepäck (und nicht nur Reservereifen) aufzunehmen. Der Chauffeur hingegen war bei allem Chic der „Uniform“ in dieser Klasse kein Luxus, sondern quasi serienmäßig, denn Selbstfahrer waren damals noch die Ausnahme.

Aber was ist denn unter diesem „damals“ zu verstehen?

Nun, bei üblicher Analyse lässt sich wie folgt vorgehen: Gasscheinwerfer bedeuten: vor 1920, rechtwinklig auf die Windschutzscheibe stoßende Haubenpartie bedeutet: vor 1910 und die hier wirklich noch passend benamten Kotflügel, die nicht direkt insTrittbrett übergehen, bedeutet ganz grob: vor 1908.

Unterstützt wird diese Datierung auf geradezu luxuriöse Weise. Denn auf der Rückseite des Originalabzugs sind Aufnahmeort und -jahr von alter Hand vermerkt: „Wandlitz 1908“.

Ist das nicht großartig? Jetzt müssen wir anhand von Vergleichsfotos „nur“ noch das frühestmögliche Baujahr dieses Wagens bestimmen. Auch das geht mit einiger Erfahrung.

Ab etwa 1906 findet sich bei Adler-Wagen diese Gestaltung der Vorderpartie – weitgehend unabhängig von der Motorisierung. Dass wir es mit einem Adler zu tun haben, verrät die Kühlerform in Verbindung mit dem damals markentypischen Einfüllstutzen (kein Witz).

Auch wenn der wohl recht großgewachsene Fahrer den Wagen eher moderat dimensioniert erscheinen lässt, deutet etwas auf einen Adler mit deutlich gehobener Leistung hin. Die Räder besitzen 12 statt nur 10 Speichen bei den schwächeren Modellen. Das ist ein HInweis auf einen stärkeren Motor, der bei dem schweren Aufbau auch ratsam war.

Ich würde hier auf ein Aggregat der 30 bis 40 PS-Klasse tippen (es gab noch weit stärkere von Adler, aber sie blieben sehr selten). Das war für einen ernstzunehmenden Reisewagen durchaus angemessen, speziell wenn man Touren in bergigen Regionen vorhatte.

Vergessen wir nicht: Wer so ein in monatelanger Handarbeit gebautes Landaulet orderte, der gab damals dafür den Gegenwert eines kleinen Hauses aus. Im Unterschied zu einem Arzt oder Geschäftsmann brauchte ein auf Repräsentation und Reisen erpichter reicher Besitzer nicht am Detail zu sparen, er konnte sich das volle Programm leisten.

Vor diesem Hintergrund mag es verwundern, dass ich heute Luxus aus dem Hause Adler „serienmäßig“ angekündigt hatte. Nun, zum einen kann ich mich herausreden, da bei einem solchen Landaulet aller erdenklicher Luxus ohnehin serienmäßig war.

Doch steckt wie immer mehr als nur ein Körnchen im Titel meines Blog-Eintrags – so ziemlich das einzige, worüber ich einen Moment nachdenke, den Rest schreibe ich meist herunter inspiriert von den Fotos selbst und in der Regel mit musikalischer Begleitung.

Tatsächlich scheint Adler diese majestätisch anmutenden Luxuswagen in gewisser Weise serienmäßig hergestellt zu haben. Darauf kam ich, nachdem ich das eingangs gezeigte Foto mit dem folgenden verglich:

Adler Landaulet um 1907; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Ignorieren wir für einen Moment die mächtigen Frontscheinwerfer – die Beleuchtungsausstattung war vor dem 1. Weltkrieg hochindividuell und wurde vom Käufer oft erst nach Erwerb des Wagens selbst ergänzt.

Aber ansonsten sehen wir jede Menge Übereinstimmungen, oder? Selbst die Speichenzahl der Räder und die Gestaltung von Trittbrettkästen und Dachreling stimmt überein.

Könnte es sich um denselben Wagen handeln? Das wäre nach bisheriger Erfahrung nicht auzuschließen. Wiederholt habe ich mit erheblichem Zeitabstand Fotos erworben, die ein identisches Auto zeigen.

Im vorliegenden Fall ist die Sache aber klar: Der Adler auf dem zweiten Foto war ein anderes Fahrzeug, weil er einen auch am Heck geschlossenen Aufbau besaß – als Chauffeur-Limousine würde man diese Ausführung ansprechen.

Aufgenommen wurde das Exemplar in Hückeswagen -. einem Ort, von dem ich zuvor noch nie gehört hatte. Davor präsentiert sich offenbar der stolze Besitzer – im Unterschied zum Chauffeur auf dem ersten Foto neben der Einstiegstür zum Passagierabteil.

Wir machen uns im 21. Jh. keine Vorstellung davon, wie exklusiv der Besitz eines derartigen Automobils vor bald 120 Jahren war. Auf heutige Verhältnisse übertragen entsprach ein solcher Wagen einem modernen Geschäftsflugzeug mit eher zwei Triebwerken als einem.

Man mag die ökonomischen Unterschiede der Gegenwart beklagen- sinnlos, wie ich meine, da sie eine Konstante in allen Gesellschaften sind, auch den angeblich egalitären.

Aber eines betone ich immer wieder. Mit dem Automobil für jedermann, das wir der amerikanischen Industrie verdanken, verfügen wir alle heute serienmäßig über einen Luxus, der einst Superreichen und gekrönten Häuptern vorbehalten war.

Denken Sie daran, wenn Sie das nächste Mal ihren Wagen starten, die Sitzheizung einschalten und am servounterstützten Lenkrad drehen. Vollgetankt an die tausend Kilometer Reisefreiheit – das ist der pure Luxus serienmäßig in unserer Zeit…

Copyright: Michael Schlenger, 2025. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

Vorkriegsspaß pur! Bilder von den „Classic Days“ 2025

Heute mute ich Ihnen im Blog eine Abweichung vom üblichen Schema zu – statt Vorkriegsfotos in Schwarzweiß gibt es heute Vorkriegsautos ganz in Farbe!

Denn am letzten Sonntag habe ich die Wiederauflage der seit 2006 abgehaltenen „Classic Days“ besucht, die an einem neuen Ort stattfand.

Wer mit den Classic Days noch die schönen Jahre auf Schloss Dyck bei Düsseldorf verbindet, wurde – was das Atmosphärische betrifft – nicht enttäuscht.

Das unweit gelegene Rittergut Birkhof mit seinem Englischen Garten und dem Charme eines alten Gutshofs mit Herrenhaus bietet wieder ein absolut würdiges Ambiente für edle und eigenwillige Karossen von den Anfängen bis in die Neuzeit:

Classic Days 2025; Bildrechte: Michael Schlenger

Gut zwei Stunden dauerte die Anfahrt aus der heimischen Wetterau, das Alltagsauto wurde auf dem weitläufigen Besucherparkplatz abgestellt und nach nur wenigen Minuten konnte man in eine andere Welt eintauchen – willkommen bei den Classic Days!

Entlang der Allee mit alten Bäumen, die Teil der 2,5 Kilometer langen Rundstrecke um das Rittergut ist, hatten bereits viele Gäste die begehrten Picknickplätze okkupiert und da stand auch schon das erste Vorkriegsauto!

Classic Days 2025; Bildrechte: Michael Schlenger

Ok, das war die Nachkriegsausführung des Citroen Traction Avant, aber das ist nur an kleinen Details zu erkennen – Konstruktion und Karosserie sind lupenreine Vorkriegszeit.

Die berühmte Gangster-Limousine war vielleicht das beste und zugleich eleganteste europäische Auto seiner Klasse der 1930er Jahre – ein vielversprechender Auftakt, fand ich.

Zwischen jeder Menge Wagen aller nur denkbarer Marken ging es schnurstracks und voller Vorfreude Richtung Fahrerlager, wo gerade eine Horde früher Rennsportwagen warmlief.

Auf dem Weg dorthin entdeckte ich das wohl älteste Fahrzeug vor Ort – einen Daimler „Mercedes“ von ca. 1910, wenn ich es richtig in Erinnerung habe, vielleicht war es auch 1912. Hinter dem Steinschlaggitter sieht man den Mercedes-Stern – noch ohne Lorbeerkranz, denn der kam erst nach der späteren Fusion mit Benz hinzu:

Classic Days 2025; Bildrechte: Michael Schlenger

Von nun an geht es halbwegs chronologisch weiter – irgendeine Struktur braucht der Mensch, an der er sich festhalten kann – gerade wenn man von Sinneseindrücken überflutet wird.

Das gilt speziell, wenn man am Morgen von heißen Abgasen umwabert wird und die Luft vibriert, während einer seinen 1914 Premier-Rennwagen aus der Box holt und mit Bärenkräften am servofreien Lenkrad wuchtet:

Classic Days 2025; Bildrechte: Michael Schlenger

Hier bekommt man einen ersten Eindruck davon, was die Classic Days – neben vielen Attraktionen – so einzigartig macht. Denn hier werden die alten Eisen wirklich gefahren, und man kann das hautnah miterleben, von der Box bis auf die Strecke.

Während die Motoren warmlaufen, stehen die Besitzer gerne Rede und Antwort und man kommt direkt an die Fahrzeuge heran – das kenne ich so nur vom Goodwood Revival in England, wo eine ähnliche hochverdichtete Atmosphäre herrscht:

Classic Days 2025; Bildrechte: Michael Schlenger

Hier haben wir einen als Rennsportversion zurechtgemachten „Elgin“ von 1917 – einer erst im Vorjahr gegründeten US-Automarke.

Solche auf Serienmodellen basierende Fahrzeuge dieses kurzlebigen amerikanischen Herstellers kamen unter anderem in Indianapolis zum Einsatz.

Dieses Exemplar mit Reihensechszylinder und offenem Ventiltrieb repräsentiert das recht eindrucksvoll, wenn auch mit späteren Anbauteilen wie dem wohl britischen SU-Vergaser:

Classic Days 2025; Bildrechte: Michael Schlenger

Von hier aus geht es weiter in den Innenhof des Ritterguts, wo das Herrenhaus noch sehr authentisch mit den früheren Betriebsgebäuden verbunden ist.

Man sieht hier neben der repräsentativen Fassade auch die Nutzbauten und bekommt eine schöne Vorstellung davon, wie sich so ein Gut einst für den Besucher darstellte.

Wäre der Hof kopfsteingepflastert, wäre das Idyll für mich vollkommen, aber man kann nicht alles haben. Jedenfalls ergeben bei den Classic Days auf Gut Birkhof historische Achitektur und klassische Automobile ein gelungenes Gesamtkunstwerk:

Classic Days 2025; Bildrechte: Michael Schlenger

Der Innenhof ist wie einst auf Schloss Dyck für die Sportwagen der Zwischenkriegszeit reserviert – und wieder sind alle Zutaten für eine echte Zeitreise vorhanden, wenn auch noch Platz für weitere Exemplare wäre.

Doch schon diesmal warteten einige Überraschungen auf den Vorkriegsenthusiasten.

Wann bekommt man neben den üblichen britischen Verdächtigen einen französischen „Rally“ in deutschen Landen zu Gesicht? Die Classic Days und langjährige Freunde in der Vorkriegsszene (Gruß an Michael Buller) machen’s möglich:.

Classic Days 2025; Bildrechte: Michael Schlenger

„Rally, Rally…“, mögen jetzt manche denken – das sagt mir doch etwas. Stimmt, diese feine französische Marke der zweiten Reihe hatte ich bereits in den Anfängen meines Blogs vor rund 10 Jahren besprochen (hier).

So vergeht die Zeit – aber die guten Dinge, sie bleiben (wenn wir auf sie achten und etwas dafür tun).

So können wir auch anno 2025 wieder einen Rally bewundern, der im Stil den Bugattis seiner Zeit nahekam, wenn auch weniger leistungsstark war.

Ich würde trotzdem einen nehmen, denn hier man muss sich damit nicht fragen lassen: „Ist der echt oder ein Nachbau aus Argentinien?“

Classic Days 2025; Bildrechte: Michael Schlenger

Ein tolles Gerät, nicht wahr? Wir begegnen dem Rally noch ein weiteres Mal bei unserem Rundgang – und dann in Fahrt!

Erst schauen wir uns noch eine Weile im Innenhof um, es gibt da einiges zu sehen, was das Herz höherschlagen lässt, wobei sich immer wieder reizvolle Momente ergeben.

Dabei ist es gar nicht immer so wichtig, um was für ein Fahrzeug genau es sich handelt – als unverbesserlicher Ästhet ist mir oft die reine Wirkung wichtiger als das penible Vermerken von Marke, Typ, Baujahr usw. – etwa in diesem Fall:

Classic Days 2025; Bildrechte: Michael Schlenger

Mitunter ist aber auch unübersehbar, womit man es zu tun hat.

Nein, ich meine ausnahmsweise nicht den schönen MG von Michael Buller links im Bild, den viele in der Szene kennen.

Vielmehr gefällt mir hier die stilvolle Begegnung der Zweibeiner am Rande, ebenfalls typisch für die Classic Days, wo auch etliche Teilnehmer selbst Darsteller in der Zeitreise sind:

Classic Days 2025; Bildrechte: Michael Schlenger

Zu einem Retrotrip in die Sportszene der Zwanziger gehört natürlich auch einer der einst allgegenwärtigen Amilcars aus Frankreich – vielleicht das Cyclecar schlechthin und auch bei deutschen Enthusiasten damals sehr beliebt.

Hier haben wir (rechts) ein frühes Exemplar noch mit alter französischer Kennung auf dem Kühler, aber mit neu aufgebauter Karosserie nach eigenem Gusto – erlaubt ist, was gefällt, das war schon vor 100 Jahren nicht anders:

Classic Days 2025; Bildrechte: Michael Schlenger

Daneben sind als Kontrastprogamm natürlich einige großvolumige Bentleys zu besichtigen, die auch regelmäßig zur Ausfahrt auf die Rundstrecke gehen.

Gäste aus Großbritannien sind wie immer ebenso dabei wie eingefleischte Markenfreunde aus deutschen Landen.

Sie vereint die Begeisterung für die „schnellsten Lastwagen der Welt“, ein ironisches Bonmot, das Ettore Bugatti zugeschrieben wird:

Classic Days 2025; Bildrechte: Michael Schlenger

Man bekommt bei den Classic Days immer wieder einen anderen Blickwinkel auf vermeintlich Bekanntes präsentiert – die Vielfalt der Vorkriegsautos ist unermesslich und stellt die Moderne mühelos in den Schatten.

Neben den aufgeladenen PS-Monstern von Bentley, bei denen das Auspuffgrollen von schieren Kraft kündet, findet sich von derselben Marke und aus derselben Zeit auch etwas so Filigranes und kultiviert Laufendes wie dieser originale Tourenwagen:

Classic Days 2025; Bildrechte: Michael Schlenger

Eine klassische Karosserie wie diese ist bei den überlebenden Bentleys seltener anzutreffen als die mit späteren Sportaufbauten versehenen Specials, so faszinierend diese oft sind.

Bei der Gelegenheit meine übliche Behauptung: „Tourer sind langweilig – außer wenn das Verdeck montiert ist“, dann sind sie im wahrsten Sinne des Wortes optisch überaus spannende Exemplare.

Classic Days 2025; Bildrechte: Michael Schlenger

Bevor es bzb gleich zu den Concours-Autos – den „Jewels in the Park“ – geht, schauen wir noch, was unterdessen aus dem Fahrerlager auf die Rundstrecke geht.

Der Kurs rund ums Rittergut und mitten hindurch erlaubt den Zuschauern viele reizvolle Blicke auf die Wagen in Bewegung – beim Start, in voller Fahrt und beim gepflegten Defilee kurz vor der Rückkehr:

Classic Days 2025; Bildrechte: Michael Schlenger
Classic Days 2025; Bildrechte: Michael Schlenger
Classic Days 2025; Bildrechte: Michael Schlenger
Classic Days 2025; Bildrechte: Michael Schlenger
Classic Days 2025; Bildrechte: Michael Schlenger

Die Wirkung dieser Sportwagen in Aktion gehört zu den besonderen Reizen der Classic Days. Dabei wird dem jeweiligen Streckenverlauf angemessen gefahren – aber durchaus engagiert, das ist kein bloßes Rollen knapp über Leerlaufdrehzahl.

Wenig ist so atemberaubend, wie wenn ein mächtiger Kompressor-Mercedes der 1920er Jahre um die Kurve kommt und er für einen Moment direkt auf einen zuhält.

Classic Days 2025; Bildrechte: Michael Schlenger

Nach diesem von Staub und Benzindust geadelten Spektakel, das man den Tag über mehrfach erleben kann – auch mit Nachkriegsautos – begibt man sich zur Einkehr in den Schatten der majestätischen Baumriesen im Englischen Garten, wo zwanglos die schönsten Karossen wie Skulpturen arrangiert sind – ganz ohne Absperrungen.

Was könnte hier stimmiger sein als eine Auswahl herrschaftlicher Rolls-Royce oder Bentleys mit enorm großzügigen Limousinen- oder Cabrio-Aufbauten?

Classic Days 2025; Bildrechte: Michael Schlenger
Classic Days 2025; Bildrechte: Michael Schlenger
Classic Days 2025; Bildrechte: Michael Schlenger
Classic Days 2025; Bildrechte: Michael Schlenger
Classic Days 2025; Bildrechte: Michael Schlenger

An diesen Zeugen einer untergegangenen Welt kann man sich kaum sattsehen.

Schlicht meisterhaft zu nennen ist die Kunst, diese riesigen Automobile mit ihrem unerreichten Platz im Innenraum so gestalten, dass man ihre Größe nicht als unangenehm wahrnimmt – im Gegenteil hat man den Eindruck, dass die Proportionen perfekt sind.

Gegen diese Giganten wirkt auf einmal sogar ein US-Vertreter der Vorkriegszeit beinahe kompakt – wobei wir es hier auch nicht mit einem Amiwagen der üblichen Verdächtigen zu tun haben. Vielmehr sehen wir hier ein technisch wie ästhetisch außergewöhnliches Fahrzeug – den frontgetriebenen Cord L-29, der von 1929-31 gebaut wurde:

Classic Days 2025; Bildrechte: Michael Schlenger

Leider kam diesem spektakulären Wagen mit modernem Fahrwerk und 125 PS-Achtzylindermotor der Börsencrash und die Weltwirtschaftskrise in die Quere.

Umso eindrucksvoller, dass ein derartiges Juwel bei den Classic Days einfach so am Wegesrand unter freiem Himmel zu finden ist. Das ist auch im Stillstand ein wichtiger Unterschied zur Präsentation bei Kunstlicht in Museen mit bisweilen sich störend aufdrängender moderner Architektur.

Leider nähern wir uns nun schon dem Ende unseres Rundgangs über das Gelände der Classic Days mit der Vorkriegsbrille. Doch einen Höhepunkt kann ich noch bieten und das ist die Rotte von Specials auf Basis von American La France-Chassis.

Diese opulent motorisierten Geräte dienten in ihrem ersten Leben als Feuerwehrautos, bevor sie als ideale Basis für spektakuläre Umbauten im Stil historischer Rennwagen der Zeit vor dem 1. Weltkrieg entdeckt wurden.

Auch in Deutschland finden sich Anhänger dieser keine Furcht kennenden und fantasiebegabten Fraktion. Sie waren mit ihren Fahrzeugen auf eigener Achse aus dem Süden der Republik angereist:

Classic Days 2025; Bildrechte: Michael Schlenger
Classic Days 2025; Bildrechte: Michael Schlenger
Classic Days 2025; Bildrechte: Michael Schlenger
Classic Days 2025; Bildrechte: Michael Schlenger

Kurz vor Ende der Classic Days am Sonntag machte sich die Meute wieder auf den Heimweg, nicht ohne noch drei Ehrerunden auf der Hausstrecke von Rittergut Birkhof zu drehen – zur grenzenlosen Begeisterung des Publikums:

Classic Days 2025; Bildrechte: Michael Schlenger

Damit sagen wir „adieu“ den Classic Days 2025, nicht ohne dem Team von Marcus Herfort für die großartige Veranstaltung zu danken, bei der die Vorkriegsfreunde in einer Weise auf ihre Kosten kommen wie kaum anderswo in Deutschland.

Mein Fazit ist positiv, der Termin im nächsten Jahr ist schon vermerkt – wir kommen wieder in der Hoffnung, dass noch mehr Vorkriegswagen den Weg dorthin finden und die Tradition der Classic Days auf Schloss Dyck fortschreiben!

Classic Days 2025; Bildrechte: Michael Schlenger

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Fund des Monats: Ein „Mors“ Landaulet um 1910

Der Fund des Monats Juni ist ein besonders entspannender, jedenfalls für mich.

Zur gelösten Stimmung mag das Inhalieren der Dämpfe des „Bondex“-Holzöls im Farbton Palisander beigetragen haben, welches ich bei allen Hölzern im Außenbereich unseres Anwesens zu applizieren pflege. Das Zeug verarbeitet sich hervorragend, kriecht in jeden Winkel und deckt nach zwei Gängen gut für einige Jahre.

Vor allem gefällt mir der lebendige tiefbraune Farbton mit einem Schuss Rot darin. Denn für mich zählen rund ums Haus alle drei Aspekte gleichermaßen – Dauerhaftigkeit, Funktionalität und Schönheit – welche schon der römische Baumeister Vitruvius im 1 Jh. v. Chr. in seiner Arbeit „De architectura“ betonte.

Noch beschwingt von den ätherischen Ölen, mit denen ich am nachmittag im Hof hantierte, ging es abends nach Anbruch der Dunkelheit barfuß durch denselben. Die Steine strahlten noch die Wärme von satten 16 Sonnenstunden ab und am Himmel glänzte die schmale, aber stetig wachsende Sichel von Frau Luna, wie wir den Mond zu nennen pflegen.

Abgesehen von ein paar Grillen, die fleißig ihrer Arbeit nachgehen, ist es draußen ruhig geworden. Die Wärme bremst die Aktivität und scheint nach einer Weile der Gewöhnung bei den meisten eine entspannende Wirkung zu haben.

Zeit ganz tief einzutauchen ins Dunkel der Vergangenheit, diesmal geht es zurück bis in die Zeit kurz vor dem 1. Weltkrieg. Damals wurde im Fotogeschäft Haase im thüringischen Bad Berka unweit von Weimar dieser Abzug angefertigt:

Mors Landaulet von ca. 1910; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Düster-unheimlich wirkt dieser archaisch daherkommende Wagen mit typischem Aufbau als „Landaulet“ – also mit zu öffnender Dachpartie nur über der hinteren Sitzbank.

Zur Anmutung zu passen scheint vordergründig der Name des Herstellers, den ich aus dem Studium der Kühlerform ableiten konnte – der Wagen war ein französischer „Mors“.

Der Lateiner denkt bei diesem Namen an den Tod – nicht verkehrt, sich desselben als ständigen Begleiter gewärtig zu sein, um jeden Tag das Beste aus dem Dasein zu machen.

Doch im vorliegenden Fall war der Name schlicht der des Gründers der Marke – Emile Mors – der wohl nicht über die lateinische Bedeutung des Namens und mögliche Assoziationen nachgedacht hatte.

Die Rennwagen von Mors waren tatsächlich „tödliche“ Waffen im frühen Autorennsport und die Erfolge der Marke fanden international Widerhall.

Unter Führung eines gewissen André Citroen gewann die Marke ab 1908 weiter an Profil und „Mors“-Wagen fanden mordsmäßigen Absatz in Europa und sogar in den USA, wo es wahrlich nicht an Autoherstellern mangelte.

So verwundert es am Ende dann doch nicht, dass dieses Exemplar, das ich auf ca. 1910 datieren würde, in deutschen Landen einen (sehr) vermögenden Käufer fand.

Das architektonische Umfeld scheint mir zu Mitteldeutschland zu passen, doch wo genau dieses Exemplar abgelichtet wurde, das konnte ich nicht ermitteln.

Aber darin sind ja einige meiner Leser versierter als ich und so verlasse ich mich ganz entspannt auf Ihre Kompetenz, liebe Vorkriegsautofreunde, während sich allmählich kühle Luft aus der nahen Au im Haus breitmacht…

So lässt sich das Dasein genießen, solange es währt.

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Offen für den Fortschritt: Stoewer Typ G4 um 1909

Bei der Beschäftigung mit den ganz frühen Automobilen bekommt man am ehesten eine Vorstellung davon, was der Fortschritt für eine großartige Sache sein kann.

Von Jahr zu Jahr kam es damals zu Neuerungen, die Leistung, Alltagsnutzen und Komfort erhöhten – und das alles ohne zentrale Lenkung, politische Zielvorgaben oder gar Anweisungen, was eine spezielle ideologische Haltung angeht.

Das vollzog sich in allen Automobilnationen so, ganz gleich, wie unterschiedlich ihre gesellschaftlichen Verhältnisse, Machtstrukturen und ideellen Traditionen waren.

Durch kreative Mehrung des Kundennutzens Geld und Ansehen erwerben, das war und ist die ultimative Motivation jedes Fortschritts bei den Dingen, die unser Leben leichter, schöner, abwechslungsreicher und sicherer machen.

Die Marke Stoewer aus Stettin verkörperte diesen Geist in geradezu idealer Weise. Niemand hatte die Gebrüder Stoewer Ende des 19. Jh, dazu motiviert, Autos zu bauen, niemand hatte sie dazu mit Planvorgaben gezwungen oder mit Subventionen gelockt.

Interessanterweise gehörte Stoewer auch zu den deutschen Herstellern, die sehr früh eigene Wege beschritten und nicht erst einmal französische Fabrikate kopierten oder in Lizenz bauten (wie beispielsweise Opel).

Keine 10 Jahre nach dem ersten Stoewer-Automobil brachten die Stettiner ihr erstes in großer Serie gebautes Modell auf den Markt – den Typ G4:

Stoewer Typ G4 ab 1908; Originalfoto: Sammlung Klaas Dierks

Der nur 1,6 Liter messende Vierzylindermotor des Wagens leistete anfangs 12 PS, ab 1909, dann schon 16 PS, 1910 waren schließlich bei identischem Hubraum 20 PS drin.

Auch äußerlich vollzog sich damals der Fortschritt rapide. Auf obiger Aufnahme ist die Lücke zwischen der höhenverstellbaren Windschutzscheibe noch mit einem Leder verdeckt.

Das Ganze wirkt improvisiert, man war noch auf der Suche nach einer Lösung für den Übergang zwischen Motorhaube und Innenraum.

Doch schon auf der zweiten Aufnahme eines Stoewer Typ G4, die mir ebenfalls Leser Klaas Dierks zur Verfügung gestellt hat, zeichnet sich eine stabilere Konstruktion ab:

Stoewer Typ G4 ab 1908; Originalfoto: Sammlung Klaas Dierks

Von dem erwähnten Detail abgesehen, handelt es sich um dasselbe Modell. Doch solche Verbesserungen in der laufenden Produktion waren damals ganz normal.

Stoewer baute bis 1910 fast 1.100 Exemplare dieses leichten Vierzylinderwagens und man darf davon ausgehen, dass die Autos von Jahr zu Jahr besser wurden.

Das zweite Foto gefälllt mir aber auch deshalb so gut, weil seine Insassen genau den Geist zu verkörpern scheinen, um den es mir heute geht: Offenheit für echten Fortschritt, der sich am Menschen misst.

Die Aufnahme entstand 1909 irgendwo im Baltikum – mehr wissen wir nicht. Man mag sich nicht ausmalen, was den einzelnen Personen noch blühte – nicht an Fortschritt in technischer und ästhethischer Hinsicht, sondern was das Geschehen im großen Ganzen angeht, das im 20. Jh. leider überwiegend das genaue Gegenteil von Fortschritt war, obwohl es doch maßgeblich von sich progressiv gebenden Kräften bestimmt wurde.

Vielleicht sehen Sie Ihr Alltagsauto nun mit anderen Augen, wenn Sie das nächste Mal einsteigen und sich vergegenwärtigen, was für ein Wunderwerk des Fortschritts diese Maschine im Wesentlichen immer noch ist…

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So wandelbar wie der April: Darracq 6,5 CV von 1901/02

Lange gab sich der April dieses Jahres in meiner Gegend – der klimatisch begünstigten Wetterau zwischen Frankfurt/Main und dem Gießener Becken – so frühlingshaft, wie ich das mag. Einige Tage lang schaffte die Sonne sogar Temperaturen um die 20 Grad herbeizuzaubern, wenngleich die Luft natürlich kühl blieb.

Das typische April-Wetter schien sich nicht einstellen zu wollen und schon wurde davon fabuliert, dass es wieder einmal so warm wie noch nie zuvor sei. Pünktlich zu diesem haltlosen Gerede stürzte die Temperatur diese Woche regelrecht ab.

Die Wetterfrösche nahmen das zwar zur Kenntnis, vergaßen aber dabei wohl, aus dem Fenster zu schauen und statt irgendwelchen Computer-„Wettermodellen“ ihrer Erfahrung zu vertrauen. Kein Niederschlag wurde prognostiziert, während sich über dem Taunus bereits alles dunkelgrau zuzog. Ein paar Stunden später ging anhaltender kräftiger Regen nieder…

So ist von jeher der April – er macht, was er will, so der Volksmund. Allerdings ist der beschriebene Wetterabschwung zu Ostern von jeher ein verlässlicher Klassiker.

Ein ähnlich zur spontanen Verwandlung befähigter Klassiker ist der Wagen, den ich heute anhand zweier Fotos aus der Sammlung von Leser Jörg Pielmann präsentieren kann.

Die erste Aufnahme passt zum schönen Wetter, das wir bis vor kurzem genießen durften:

Darracq 6,5 CV von 1901/02; Originalfoto: Sammlung Jörg Pielmann

Spontan mag mancher hier an einen frühen Renault denken – auch dieser Hersteller verwendete eine ähnlich gestaltete Motorhaube und sollte lange daran festhalten.

Doch bei Renault gab es nach meinem Eindruck nie einen „Schlangenkühler“ unterhalb des Rahmens und vor dem Motor. Vielmehr verwendete man anfänglich beiderseits der Haube angebrachte Kühlsäulen (siehe meinen Blog-Eintrag hier), bevor der Kühler hinter den Motor wanderte.

Auch das Fehlen von Luftschlitzen im Vorderteil der Motorhaube ist ein Hinweis auf ein anderes Fabrikat – das findet sich so beim ersten Erfolgsmodell der französischen Marke Darracq, dem Typ C 6,5 CV von 1901.

Die Firma gehörte zusammen mit De Dion-Bouton, Panhard und Peugeot zu den Pionieren des in größeren Serien hergestellten Gebrauchswagens. Die Fabrikate dieser Hersteller gaben das Vorbild für eine Vielzahl von Nachbauten in anderen Ländern ab – im Fall von Darracq ist vor allem der Opel 9 HP von 1902/03 ein bekanntes Beispiel.

Doch – wie gesagt – die glatte Haubenfront findet sich so nur bei ganz frühen Darracqs, die einen kompakten 6,5 PS leistenden Einzylindermotor und Kardanantrieb besaßen.

Übrigens finden sich nur wenige Vergleichsfotos, auf denen dieser Typ mit den hier zu sehenden Drahtspeichenrädern abgebildet ist. Darin deutet sich das Thema der Wandelbarkeit ein erstes Mal an. So ganz war keiner dieser Wagen identisch mit anderen Exemplaren desselben Typs – kein Wunder bei einer Produktion von über 1.000 Stück.

Die eigentliche Verwandlung war freilich die eines solchen Tourenwagens – damals auch als Tonneau bezeichnet – in ein wohlbedachtes Reiseauto, das die Insassen zumindest teilweise vor den Unbilden des Wetters schützte:

Darracq 6,5 CV von 1901/02; Originalfoto: Sammlung Jörg Pielmann

Vielleicht werden Sie jetzt sagen, dass hier doch eher eine Art Sonnensegel über den Insassen schwebt, das auf längeren Fahrten den Teint speziell der Damen schützte.

Doch bei einem unverhofften April–Schauer wird man auch für den wenigen Schutz dankbar gewesen sein, den diese Konstruktion bot. Unterdessen war dieser Aufbau bei trockenen Verhältnissen natürlich in jeder Hinsicht offen für den üblichen Straßenstaub, was übrigens die Dominanz heller Reisemäntel in jener Zeit erklärt – man sah den Schmutz so weniger.

Viel mehr kann ich zu diesen schönen Dokumenten nicht sagen, ich bin froh, dass ich sie einigermaßen einordnen konnte, was schon anspruchsvoll genug ist – ganz frühe Automobile sind eine Wissenschaft für sich.

Doch sie verdienen es, dass man sich bei aller Fremdartigkeit immer wieder einmal damit beschäftigt, denn diese Fahrzeuge markieren den eigentlichen Beginn des Autos als ernstzunehmendes Fortbewegungsmittel – nicht nur als Kuriosum oder Sportgerät.

Ich zumindest mag die abwechslungsreichen, immer wieder überraschenden Zeugen dieser Epoche – mehr als das Wetter-Durcheinander, was der April zu bieten hat. So oder so hoffe ich, dass sie die Osterfeiertage genießen können und sich ein wenig mehr, als es der Alltag sonst ermöglicht, den schönen und erfreulichen Dingen des Daseins widmen können.

Wenn Sie sich dabei auch wieder in meinem Blog oder in meine Fotogalerien verirren, bin ich der letzte, der diese Aktivität als unangemessene Störung der Feiertagsruhe betrachten würde. Irgendwie braucht doch jeder solche Momente der Sammlung und Erbauung…

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Verlierertyp am Mont Ventoux: Ein Pilain von 1906

Hatte ich nicht erst kürzlich hier einen Wagen der französischen Marke Pilain als „Fund des Monats“ präsentiert – zusammen mit einem jungen Mann, der wirkte wie auf der Gewinnerseite der Gesellschaft stehend?

Gewiss, aber es ist nun wirklich nicht mein Fehler, wenn ich Ihnen heute einen wenige Jahre zuvor entstandenen Pilain mit dem Stigma des Verlierers präsentieren muss.

Da gibt es nichts zu beschönigen, denn Verlierertyen mag doch niemand, oder? Das gilt vor allem, wenn einer erst als großer Sieger vorgeführt wird, sich aber dann als Versager auf ganzer Linie entpuppt.

Solche Losertypen gibt es nicht nur in der Gegenwart – man fand und findet sie überall, wo es um Wettbewerb geht – einer entscheidenden Triebfeder der menschlichen Entwicklung, die abseits der rauhen Alltags-Wirklichkeit auch im sportlichen Messen Ausdruck findet.

Kaum war das Automobil erfunden, suchten furchtlose Zeitgenossen nach allerlei Möglichkeiten, sich gegenseitig im Rennen zu besiegen – für die technische Entwicklung bis in die jüngere Zeit eine fruchtbare Angelegenheit.

So kam man anno 1902 in Frankreich auf die Idee, ein Bergrennen am 1.900 Meter hohen Mont Ventoux in der Provence abzuhalten. Dabei gingen die Wagen nacheinander auf die knapp 22 Kilometer lange Strecke, wobei 1.600 Höhenmeter zu überwinden waren.

Benötigte der Sieger des ersten Rennens noch über 27 Minuten für die Strecke, schaffte das bereits 1905 der Italiener Allessandro Cagno auf Fiat in sagenhaften 18 Minuten und 30 Sekunden. Wirklich drastisch und dauerhaft unterboten wurde das erst ab 1930.

1906 brauchte der Sieger Collomb deutlich länger als der Vorjahressieger – nämlich fast 25 Minuten und das trotz eines 100 PS-Wagens. Hier ist er laut eines zeitgenössischen Fotos in einer Kehre im unteren Bereich des Mont Ventoux zu sehen:

Bergrennen am Mont Ventoux 1906; Zeitschriftenabbildung aus Sammlung Michael Schlenger

Könnte es am wenig sportlichen, schweren Tourenwagenaufbau gelegen haben, dass sich dieser Wagen nur mit großer Kraftanstrengung um die Kurve manövrieren ließ?

Ich ging der Sache nach, zumal ich an der Kühlerform mit dem markanten Ausschnitt für die Anlasserkurbel hier einen weiteren Pilain zu erkennen meinte. Damit sollte ich richtig liegen, aber auf andere Weise, als ich erwartet hatte.

Zwar wurde der abgebildete Wagen in der Bildunterschrift ausdrücklich mit dem Rennfahrer Collomb in Verbindung gebracht, der „mit seinem 100 PS-Wagen die Konkurrenz der Rennfahrzeuge am Monte Ventoux gewann“.

Allerdings ist in der Chronik des Bergrennens am Mont Ventoux (hier) nachzulesen, dass Collomb 1906 den Sieg auf einem Wagen der Marke Rochet-Schneider davongetragen hatte. Dieser sah ganz anders aus.

Der Hinweis eines Spezialisten für Vorkriegsrennen ergab, dass 1906 zwar tatsächlich auch ein Pilain antrat – und das wird wohl der abgebildete Wagen gewesen sein.

Leider landete der Pilain damals auf dem letzten Platz. So erwies sich der vermeintliche strahlende Sieger mit fast 120 Jahren Verspätung als veritabler Losertyp.

Anno 1906 wird es kaum einer mitbekommen haben, dass hier mit einem falschen Bild gearbeitet wurde – heute geht das mit dem Entzaubern von Blendern zwar viel schneller, aber besser wird die Sache dadurch auch nicht…

Michael Schlenger, 2025. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

Nichts auf die Kette gekriegt? Ein Panhard um 1904/05

Eigentlich wollte ich heute abend nur rasch einen unverfänglichen Eintrag in meinem Blog vornehmen – irgendetwas, was das Herz des Vorkriegsklassiker-Freunds anspricht und allgemein das Auge des ästhetisch sensiblen Menschen erfreut.

Doch habe ich den Fehler gemacht, zuvor noch kurz in die Nachrichten zu schauen – im Netz, versteht sich, denn „Fernsehen“ tue ich seit rund 35 Jahren nicht.

Während andernorts die Kettensäge bemüht wird, um einen wuchernden Staatsapparat zurechtzustutzen, der trotz gigantischer Einnahmen seine Kernaufgaben vernachlässigt, hält die Lobby der öffentlich Bediensteten in deutschen Landen noch eine Ausweitung des Bürokraten-Stadels um weitere 570.000 Amtsschimmel für geboten, also locker 30 % mehr.

Ich musste kurz schlucken, ein ungesunder liberaler Reflex, doch dann besann ich mich. Denn natürlich: praktisch alle Dinge, die wir täglich nutzen, sind ausschließlich dem Erfindungsgeist von Beamten und staatlicher Lenkung zu verdanken.

Wir hätten in den letzten 125 Jahren rein gar nichts auf die Kette gekriegt – wie man unter Anhängern eines mechanistischen Weltbilds zu sagen pflegt – wenn nicht die steuerfinanzierten Inhaber überlegenen Wissens und weitsichtigen Planer uns die Richtung gewiesen hätten. Ja, so muss es gewesen sein.

Nach diesem Moment der Besinnung war es ein Leichtes, das passende Autofoto zu finden, welches genau das eindrucksvoll illustriert:

Panhard Tonneau von ca. 1904/05; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

So eine mit irrational spekulierendem Privatkapital und völlig ohne Plan und Aufsicht agierende Firma wie der französische Autopionier Panhard kriegte mit seinen Gefährten Anfang des 20. Jh. doch einfach nichts auf die Kette!

Das ist schon daran zu ersehen, dass die Kette, welche die Motorkaft auf die Hinterachse übertrag – Kardanantrieb gab’s bei Panhard erst ab 1908 – tatsächlich mit einer Verlängerung des Heckkotflügels davor bewahrt wurde, dass einer der Insassen seinen Café au Lait „to go“ darauf kleckerte oder dergleichen.

Spaß beiseite – natürlich diente diese Behausung der Antriebskette dem Schutz der Insassen und der Karosserie. Erfunden haben muss das wohl ein Beamter in Paris, so wie auch die Entwicklung von Knautschzone, Sicherheitsgurt und ABS bekanntermaßen ausschließlich der Kreativität staatlicher Schreibtischtäter zu verdanken sind.

Sie sehen, ich gebe mich heute ganz und gar als dankbarer Untertan. Mal sehen, wie lange ich das durchhalte, denn ich wurde in der guten alten Tante BRD noch zum Selberdenken und zur Skepsis gegenüber der Obrigkeit erzogen.

Zurück zur Kette und deren segensreicher Funktion – nicht nur, aber besonders auch in ihrer Verwendung in Sägegeräten, wie jeder Gartenbesitzer weiß, selbst wenn er ohne entsprechenden Führerschein zurechtzukommen weiß.

Bei näherem Hinsehen sehen wir an dem Panhard weitere Verwendungen und zwar an den Vorderrädern. Natürlich nicht zwecks Antrieb derselben, sondern schlicht zum Abstreifen von Dreck oder Sonstigem, was man nicht gegen den Kotflügel prallen lassen wollte.

Dass sich dieser Geistesblitz nicht bewährt hat, ist daraus zu ersehen, dass er sich nur kurz auf Fotos früher Automobile zeigt. Aber man hat damals sehr vieles ausprobiert, auch tatsächlich oder scheinbar Abwegiges.

Diesem unkontrollierten Suchprozess im Bestreben, aus der damals noch recht neuen Erfindung des Automobils das Beste für die Praxis herauszuholen, verdanken wir 100 % dessen, was moderne Autos nützlich, zuverlässig und komfortabel macht.

Ach ja, die Firma Panhard war daran ganz maßgeblich beteiligt zusammen mit anderen französischen Firmen wie Darracq, Renault und Peugeot, die das Auto erst zu einer Sache gemacht haben, das für immer Menschen eine Bereicherung ihres Daseins wurde und nicht ein reines Kuriosum oder Reichenhobby blieb.

Der Vollständigkeit halber sei angemerkt, dass der Panhard auf meinem Foto um 1904/05 entstanden sein dürfte und wahrscheinlich eines der damals in hunderten Exemplaren pro Jahr hergestellten 8CV-Modelle mit 1,8 Liter-Dreizylindermotor war.

Kurios, dass man schon einmal bei solchen Aggregaten war – bloß dass sie einst am Anfang einer Entwicklung standen, die auf „schneller, höher, weiter“ abzielte und nicht auf das von modernen Ideologen gepredigte Schrumpfen in die Armut und Bedeutungslosigkeit.

Zum Glück finden alle Übertreibungen früher oder später ihre Korrektiv. Leider dauert es in deutschen Landen meist etwas länger, bis man die Kurve bekommt und wieder etwas auf die Kette kriegt. Das wird ohne beherzte Schritte und Schnitte nicht gehen…

Eine Sache noch: Wer sich für die Marke Panhard (eigentlich Panhard & Levassor) interessiert, wird in folgender Publikation eine Quelle finden, die auf 255 Seiten alles in den Schatten stellt, was zu irgendeinem frühen deutschen Hersteller zu finden ist:

Bernhard Vermeylen: „Panhard & Levassor – entre tradition et modernité„, 2005

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Spurensuche: Beckmann-Automobile (von 1911-1924)

Ende August 2024 – heute war ein schöner warmer Sommertag von der Art, wie er sich in Deutschland dieses Jahr etwas rar gemacht hat. Gegen Abend beim Gießen der stets durstigen Oleander im Hof machte sich plötzlich unerwartete Kühle breit – das Thermometer sank auf nur noch 18 Grad und es begann früh zu dunkeln.

Unsere Katze Ellie saß verloren im großen Garten, auf den Boden geduckt und schaute mich fragend an: „Wo ist denn der Sommer hin, eben war er doch noch da?“

Da wurde mir bewusst, dass der Herbst vor der Tür steht und wie immer um diese Zeit stellte sich leise Melancholie ein.

Was hatte man sich alles vorgenommen, vieles geplant – und mit einem Mal merkt man, dass die Dinge und die Zeit ihr Eigenleben haben und es anders kommt als erhofft. Dieses Erleben ist eine Konstante im Dasein, damit souverän umzugehen, ist Lebenskunst.

In gewisser Weise gefiel mir sogar die Stimmung, die sich einstellte, denn sie passte perfekt zur letzten Folge der Beckmann-Spurensuche, die ich gemeinsam mit Beckmann-Urenkel Christian Börner seit gut einem Jahr hier unternehme.

Auch diese letzte Folge mit der merkwürdig anmutenden, von 1911-2024 reichenden Spanne ist aus Sicht von Christian Börner von Wehmut geprägt, denn dieser Abschied sollte eigentlich ein Wiedersehen der besonderen Art sein – doch daraus wurde leider nichts.

Damit übergebe ich an Christian Börner:

„Kennen Sie das? Sie freuen sich auf etwas ganz Besonderes, für Sie Einmaliges und dann kommt es im letzten Augenblick ganz anders. Seit 38 Jahren hattee ich auf den Tag hingefiebert, an dem ich zum ersten Mal ein einsatzfähiges Auto aus der Produktion meines Urgroßvaters Paul Beckmann, dem Autobauer aus Breslau sehen und quasi „in Besitz nehmen“ kann und als Beifahrer darin mitfahren kann. Das war für mich über Jahrzehnte meines Lebens eine Vision, die sich buchstäblich im allerletzten Augenblick aufgelöst hat.

Das nun folgende Geschehen weist beinahe romanhafte Höhen und Tiefen auf und illustruiert für mich par excellence, warum die Beschäftigung mit Vorkriegsautomobilen eine so spannende, aber auch strapaziöse Sache sein kann. Nun wieder Christian Börner:

„Auch wenn wir im Rahmen der Beckmann-Spurensuche eigentlich bereits am Ende der Firmengeschichte anno 1927 angelangt waren, müssen wir für die heutige Zeitreise zunächst in das Jahr 1911 zurück.

Dieses Jahr war für Beckmann zwar nicht von besonderen Ereignissen geprägt, Produktion und Vertrieb liefen offenbar problemlos. Erst aus der Gegenwartsperspektive kam damals etwas im Wortsinn Bedeutsames ins Rollen im Breslauer Werk.

Dort wurde nämlich anno 1911 wurde ein siebensitziger Doppel-Phaeton (oder Tourenwagen) des vierzylindrigen Spitzentyps 21/45 PS fertiggestellt und einem unbekannt gebliebenen Kunden ausgehändigt.

Gut drei Jahre später – nach Ausbruch des 1. Weltkriegs – wurde das Auto für das deutsche Militär beschlagnahmt. Während die Masse der Soldaten mit Eisenbahn und Pferdefuhrwerk transportiert wurde bzw. zu Fuß ins Verderben marschierte, wurden für Offiziere, Melder und Kuriere in großer Zahl Automobile benötigt.“

Hier haben wir exemplarisch einen etwas jüngeren und deutlich kleineren Beckmann-Tourer im Militärdienst:

„So wurde auch der prächtige Beckmann 21/45 PS Tourenwagen als Heereskraftwagen eingesetzt – wo und wie genau ist unbekannt.

Erst 1920 gab es wieder ein Lebenszeichen von dem Fahrzeug. Anstatt ihn dem ursprünglichen Besitzer zurückzugeben wurde er zwecks Beschaffung wertvoller Devisen zusammen mit über 20.000 anderen Wagen aus deutschem Militärbestand exportiert.

Dazu wurden notwendige Reparaturen vorgenommen und die äußerlich nicht mehr moderne Karosserie durch eine zeitgemäße ersetzt. Solchermaßen fit für ein neues Autoleben gemacht, landete „unser“ Beckmann 10/45 PS in die schwedische Provinz Västernorrlands,wo er im Dezember 1920 auf einen Großhändler zugelassen wurde.

1924 wurde der Beckmann weiterverkauft, aber schon im Jahr darauf stillgelegt. Laut den erhaltenen Zulassungsdokumenten wurde er verschrottet, aber das galt nur für die Karosserie. Chassis, Motor, Getriebe und einiges mehr wurden tatsächlich eingelagert und dämmerten (bzw.) rosteten einer besseren Zukunft entgegen.“

Als noch 1944 in Breslau geborener Urenkel von Paul Beckmann hatte Christian Börner das sprichwörtliche Benzin im Blut, das einen wahren Automobil-Enthusiasten ausmacht. Bereits mit 18 Jahren, also 1962, begann er immer intensiver nach überlebenden Beckmann-Autos zu forschen.

„Damalige Recherchen waren mühsam und zeitaufwendig, denn sie erfolgten ausschließlich postalisch, meine Bemühungen blieben überwiegend ohne Antwort.

Dann, nach 24 Jahren des Suchens, der erste Lichtblick: Ich erfuhr, dass ein Landwirt und Oldtimer-Sammler in Lagan/Südschweden Reste eines Beckmanns besitzt. Also nichts wie hin!

Was fand ich dort 1986 vor? Fragmente des erwähnten 21/45 PS-Autos von 1911, wenn auch in bedauernswertem Zustand:

Beckmann 21/45 PS von 1911 im Jahr 1986; Bildrechte: Christian Börner

Wie man gut erkennen kann, hatte der damalige Besitzer begonnen, das Chassis und die Radnaben zu entrosten und zu lackieren. Von der Karosserie waren nur die Vorderkotflügel erhalten geblieben. Wichtiger war aber der kaum wiederzubeschaffende Beckmann-Kühler.

Erfreulicherweise hatte sich auch das Nummernschild der schwedischen Erstzulassung aus dem Jahr 1920 erhalten:

Beckmann 21/45 PS von 1911 im Jahr 1986; Bildrechte: Christian Börner

Und dann natürlich noch der komplette Motor mit seinen zwei mächtigen Zylinderblöcken – das unersetzliche Herz des Beckmann, dessen Leistung hauptsächlich dem großen Hubraum zu verdanken war:

Beckmann 21/45 PS von 1911 im Jahr 1986; Bildrechte: Christian Börner

Getriebe sowie die Gestänge von Schaltung und Handbremse waren ebenso vorhanden wie beide Achsen – technisch gesehen war also alles Wesentliche vorhanden.

Für versierte Oldtimer-Restauratoren, die vor einer Wiederherstellung der verlorenen Karosserie und des Inenraums nicht zurckschrecken, eine beinahe „ideale“ Basis.

Aber schon an diesem Punkt zeigte sich, dass die Dinge im Leben bisweilen nicht die erhoffte Richtung nehmen:

Der Besitzer hatte mir den Wiederaufbau zugesagt, hielt sein Versprechen aber nicht ein und trennte sich rund 20 Jahre später wieder von dem Chassis.

Auf Umwegen in Schweden und Dänemark fand sich schließlich ein Käufer für den Beckmann, und zwar in Norwegen. Es war 2006, als der heutige Besitzer, Rune Aschim aus Oslo, den Mut aufbrachte und damit begann, aus den Fragmenten wieder ein Automobil zu machen.

Der nunmehrige Besitzer des Beckmanns und ich als Urenkel des Herstellers lernten sich kennen und fieberten gemeinsam der Revitalisierung in kleinen Schritten entgegen.“

Hier haben wir zur Illustration des dabei im Detail Geleisteten eine Aufnahme des komplett überholten Motors:

Beckmann 21/45 PS von 1911, Motor in restauriertem Zustand; Bildrechte: Runde Aschim

Die größte Herausforderung war freilich der komplette Neuaufbau einer an zeitgenössischen Vorbildern Tourenwagen-Karosserie.

Die Rekonstruktion kam aufgrund unerwarteter Schwierigkeiten erst im Juni 2024 zum Abschluss als ein für Christian Börner wichtiges Ereignis bedrohlich näherrückte. Hier haben wir den beeindruckenden Aufbau im Frühjahr 2024 vor uns:

Beckmann 21/45 PS von 1911 mit rekontruierter Karrosserie; Bildrechte: Runde Aschim

Wieder Christian Börner:

Seine erste Bewährungsprobe sollte der wiedererstandene Beckmann-Tourer bei der Herkomer-Konkurrenz 2024 bestehen. Diese Traditionsveranstaltung findet alle zwei Jahre statt und es dürfen nur Fahrzeuge vor Baujahr 1930 teilnehmen).

Vielleicht fragen Sie sich, warum ausgerechnet dort, mehr als eineinhalbtausend Kilometer südlich von Oslo, dem Wohnsitz des Besitzers?

Nun, es sollte eine Reminiszenz an den Erzeuger dieses Wagens, Paul Beckmann, sein. Denn wie in unserer Sourensuche berichtet hatte er an zwei (1906 und 1907) der insgesamt drei historischen Herkomer-Konkurrenzen erfolgreich teilgenommen, und zwar mit einem ähnlich starken Vorgängermodell. Sicher erinnern Sie sich:

Beckmann 40 PS-Modell von 1907; Originalfoto via Christian Börner

An dieser Stelle, kurz vor dem Ziel, geschah nun das, auf was ich eingangs anspielte – dass im Leben immer wieder die besten Vorhaben und die schönsten Szenarien auf eine Weise durchkreuzt werden, die uns deutlich macht, dass wir nicht Herr über alles im Dasein sind.

So berichtet Christian Börner weiter:

Genau eine Woche vor dem Rallyestart, für den der Wagen angemeldet war, stellte sich ein Beamter der norwegischen Zulassungsbehörde quer. Er sah die noch existierenden schwedischen Zulassungsdokumente der Jahre 1920 bis 1924 ein und stellte fest, dass diese nur auf das damals zugeteilte und erhaltene Kennzeichen AC607 (siehe Foto) abstellten, aber keine Chassisnummer beinhalteten. Diese geht zwar aus dem originalen Fabrikschild hervor, doch das genügte ihm nicht. Zu allem Überfluss verabschiedete sich der Beamte stante pede in seinen Sommerurlaub. Aus der Traum!

Man sieht, auch außerhalb Deutschlands gibt es Verwaltungsbeamte, die eines vergessen haben: Sie sind nicht das Aufsichtspersonal der Bürger, sondern deren Angestellte und werden von diesen gut dafür bezahlt, bestimmte wiederkehrende Verfahren fair, d.h. im Interesse des unbescholtenen Bürgers zu regeln.

Dazu gehört, dass man sich ein Gesamtbild der Situation macht, von vorhandenen Ermessensspielräumen Gebrauch zu machen und sich daran zu orientieren, was der Geist des Gesetzes ist. Der Zweck von Zulassungsbestimmungen ist nicht der, die Zulassung von Automobilen möglichst schwierig zu machen, sondern sie nachvollziehbar zu gestalten.

Wenn kein Risiko damit verbunden ist, kann in Fällen, die der Gesetzgeber nicht im Detail antizipieren konnte, der gesunde Menschenverstand eingesetzt werden, um eine auf plausiblen Kritierien fundierte Zulassung zu erlangen. Denn eine formal nachvollziehbare Zulassung ist der Zweck der Vorschriften, nicht deren Vereitlung durch möglichst strikte Auslegung einzelner Punkte, die im konkreten Einzelfall irrelevant sind.

Im Fall des Beckmann fragt man sich, was mit der Verweigerung der Zulassung durch einen einzelnen Staats“diener“ gewonnen bzw. welche Gefahr damit verhindert wurde. Es kann nicht der Zweck staatlicher Vorschriften sein, dass diese bzw. ihre subjektve Auslegung eine Eigendynamik entwickeln, welche der Lebenswirklichkeit der Bürger zuwiderläuft.

Wieder Christian Börner:

Nun steht der weltweit einzige noch erhaltene Beckmann-Wagen in Norwegen und keiner weiß, wie es weitergehen soll. Können Sie meine Enttäuschung und die des Besitzers nachvollziehen?“

Beckmann 21/45 PS von 1911 im Juli 2024

Zum Schluss möchte ich nochmals an Christian Börner übergeben, der übrigens doch an der Herkomer-Konkurrenz 2024 in einem anderen Wagen des Beckmann-Besitzers Rune Aschim teilgenommen hat – in einem herrlichen 12-Zylinder Packard.

Wie er mir mitteilte, hat dieses Erlebnis ein wenig den Schmerz gelindert, der sich aus dem geplatzten Traum ergab, welcher ihn jahrzehntelang begleitete. Vielleicht wird ja zu einem späteren Zeitpunkt doch noch etwas daraus.

Aus welchen Quellen habe ich als Chronist der Automobilfirma Otto Beckmann & Co eigentlich meine Informationen gesammelt? Mir stand leider nichts zur
Verfügung, was ich einem Firmennachlass oder in Original-Dokumenten am Ort des
Geschehens, also Breslau (heute) Wroclaw, hätte finden können. Dort ist bei Kriegsende bzw. danach alles verlorengegangen.

Was die zeitgenössische Literatur betrifft, vor allem Automobil-Periodika, so war einiges in Staats- und Universitätsbibliotheken zu finden, vor allem in der Bibliothek des Deutschen Museums in München. Dort habe ich über Jahre hinweg viel Freizeit investiert.

Die Nachkriegs-Fachliteratur zu Beckmann weist aber fast durchweg große Lücken und einige Fehler auf. Lediglich der Klassiker aller Bücher über alte Autos, die dreibändige Chronik des Nestors der deutschen Automobilhistoriker Hans-Heinrich von Fersen „Autos bzw. Sportwagen in Deutschland“, weist insgesamt 10 Seiten über Beckmann auf. Bei den zwei jüngeren Bänden von Halwart Schrader sind es 3 ½ Seiten, bei Oswald noch weniger.

Ausgerechnet die 640 Seiten umfassende „Chronik des Automobils“ von Hans-Otto Neubauer hat keine Zeile für Beckmann übrig – obwohl ich diesem damals mein bis dahin mageres Material zur Verfügung gestellt hatte.

Kurios ist, dass kein einziger dieser Autoren das richtige Jahr des Beginns des Beckmann’schen Automobilbaus genannt hat. Es erscheint mir sicher zu sein, dass alle deutschen Publikationen, die nach von Fersens Büchern erschienen sind, weitgehend von diesem „inspiriert“ worden sind (man könnte es auch Abschreiben nennen). Für das richtige Datum des Beginns des Automobilbaus bei Beckmann – 1898 – hätte man nur mal in die „Automobil-Welt“ von 1905 hineinzuschauen brauchen.

Bevor wir nun Abschied von der Firma Beckmann nehmen, möchte ich den Aufruf von Christian Börner nicht unerwähnt lassen, seiner unbedingt sehenswerten und heute wieder quícklebendigen Geburtsstadt einen Besuch abzustatten.

Er selbst hat dort bleibende Spuren hinterlassen in Form einer von ihm initiierten Gedenktafel, die am Standort der Firma Beckmann an diesen bemerkenwerten Teil der langen und wechselhaften Geschichte der Stadt erinnert.

Wer hätte das gedacht im Februar 1945, als die Familie Beckmann angesichts der vorrückenden Roten Armee wie die meisten Breslauer aus der anschließend heftig umkämpften Stadt fliehen musste?

Wie mir Christian Börner einmal schrieb, hing sein Leben als Einjähriger damals an einem seidenen Faden – buchstäblich mit Goldschmuck und Familiensilber erkaufte man sich auf dem Weg nach Westen das, was der Kleine zum Überleben benötigte.

Erst kürzlich ist Christian Börner 80 geworden und er ist voller Tatendrang. Ich bin dankbar, dass er mich an den Früchten seiner lebenslangen Spurensuche in Sachen Beckmann hat teilhaben lassen und hoffe, dass sich doch noch das eine oder andere Fragment findet.

Sie, liebe Leser, haben hoffentlich ebenfalls davon gehabt – noch einmal wird eine solche Fortsetzungsgeschichte quasi aus erster Hand nicht mehr möglich sein. Daher erlaube ich mir, Christian Börner unser aller Dank und Verehrung für sein Tun auszusprechen. Ich und mein Blog waren dabei nur das Medium.

Nun ist es wieder spät geworden, just in dem Moment ist unsere Katze Ellie hereingekommen – ihr ist’s nun wirklich zu frisch draußen. Ein paar schöne warme Tage wird es wohl noch geben, aber der Sommer neigt sich unweigerlich dem Ende zu.

Erwarten und planen wir generell nicht zuviel. Es kann jeden Tag alles ganz anders kommen. Lassen wir uns lieber überraschen, wenn uns Fortuna doch einmal hold ist – eine zeitlose Lehre, meine ich.

Michael Schlenger, 2024. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

Endlich unter der Haube! Ein „Piccolo“ um 1908

Bei der Hinleitung zum eigentlichen Gegenstand der heutigen automobilen Betrachtung fungiere ich ausnahmsweise als neutraler Betrachter.

So gehe ich als Nicht-Verheirateter der Frage nach, ob man die Damen möglichst schnell „unter die Haube“ bringen sollte oder besser lange auf die vermeintlich ideale Partie wartet.

Die Statistik ist unerbittlich: mindestens jede zweite Ehe in Deutschland wird früher oder später geschieden. Und das bedeutet ja nicht, dass die verbleibenden stets solide sind. Auch meine eigene Erfahrung in Familie und Bekanntenkreis unterstützt die Auffassung, dass die Hälfte aller Eheschließungen eine teure Fehlentscheidung darstellen.

Nun könnte man sagen, dass es sich wie bei Werbeausgaben verhält: man weiß aus Erfahrung, dass rund die Hälfte davon rausgeschmissenes Geld ist – bloß welche Hälfte?

Also: Wie sollen Heiratswillige vorab wissen, zu welcher der beiden Hälften sie gehören? Zu der, deren Bund für’s Leben das Versprochene hält, oder der, bei welcher sich die Treueschwüre als leere Worte entpuppen?

Das dürfte nahezu unmöglich sein, behaupte ich als Theoretiker in dieser Hinsicht. Aber ich kann eine Weisheit als Ökonom beisteuern: Der zu erwartende Nutzen ist für beide Seiten dann am größten, wenn die weibliche Hälfte möglichst schnell unter die Haube kommt.

Denn ob die Verbindung etwas taugt, erweist sich typischerweise nach einigen Jahren – der Volksmund dürfte da mit dem Bonmot vom verflixten Siebten Jahr tendenziell richtig liegen. Nach dieser Zeit ist man meist wirtschaftlich einmal durch Dick und Dünn gegangen und es hat sich erwiesen, ob die gemeinsame Aufzucht des Nachwuchs gelingt.

Im Fall A sind die Erfahrungen positiv und dann bestehen gute Chancen, dass die Verbindung ein Leben lang hält. Gerade kürzlich erzählte mir ein Oldtimer-Kamerad, dass seine Frau ihn nun schon 50 Jahre erträgt!

Mir sind einige weitere Beispiele bekannt, in denen es sich bewährt hat, möglichst früh unter die Haube zu kommen – meist mit Mitte bis Ende 20.

Jetzt zum Fall B: Zwei haben früh geheiratet und merken bald, dass sie doch nicht auf Dauer füreinander gemacht sind. Dann sind aber meist nicht bereits drei Kinder in der Welt und man kommt einigermaßen glimpflich aus der Nummer wieder heraus und kann sich in aller Ruhe auf die Suche nach Partner Nr. 2 machen, der die größere Erfolgsaussicht bietet.

Schiebt man dagegen die Entscheidung, endlich „unter die Haube zu kommen“ auf die lange Bank, überwiegen nach meiner Wahrnehmung regelmäßig die gescheiterten Ehen.

Das Ticken der biologischen Uhr – übrigens nicht nur bei der holden Weiblichkeit, sondern auch bei unter Erwartungsdruck stehenden Herren – erhöht die Wahrscheinlichkeit der falschen Partnerwahl. Mir sind Fälle völliger Wahllosigkeit in der Hinsicht bekannt.

Hinzu kommt, dass die Damen ab einem gewissen Alter der Auffassung sind, nicht mehr „marktfähig“ zu sein und halten daher ohne Not an spät geschlossenen schlechten Ehen fest. Bisweilen kleben auch die Herren formal an der Bindung, da sie sich (und anderen gegenüber) das Scheitern nicht eingestehen wollen, anstatt ein neues Glück zu finden.

Langer Rede kurzer Sinn: Unter dem Aspekt des erwarteten Nutzens ist es optimal, möglichst früh unter die Haube zu kommen – freiwillig natürlich. Auch aus automobilhistorischer Sicht ist das Prinzip zu begrüßen. Sehen Sie einfach selbst:

„Piccolo“ Typ 5 PS, Bauzeit: 1904-07; Originalfoto: Sammlung Jörg Pielmann

Die schöne Aufnahme hat mir Leser Jörg Pielmann in digitaler Form zur Verfügung gestellt.

Viele von Ihnen sind dem Modell bereits in meinem Blog begegnet – es handelt sich um den von Ruppe & Sohn von 1904-07 gebauten „Piccolo“ mit luftgekühltem V2-Motor. Äußerlich gut zu erkennen ist dieses selbstkonstruierte Fahrzeug an dem in einer Trommel untergebrachten Ventilator vor den beiden freistehenden Zylindern.

Ausgehend von den formalen Elementen des modernen Automobils würde man dieses Gefährt noch nicht als vollwertiges Auto ansehen, wenngleich es dessen wesentliche Funktionen bereits erfüllte.

Was fehlt diesem noch wie eine Kutsche ohne Pferde erscheinenden „Piccolo“?

Nun, dass der Antrieb schnurstracks unter die Haube kommt, damit das Ganze wie ein richtiges Auto aussieht – nämlich so:

„Piccolo“ Typ 7 PS ab 1908; Originalfoto: Sammlung Jörg Pielmann

Man glaubt es kaum, aber technisch hat dieser etwas jüngere „Piccolo“ trotz ganz anderer Erscheinung noch vieles gemein mit der ersten Ausführung. Der Motor blieb fast unverändert, wies nur etwas mehr Hubraum und Leistung auf.

Aber es lohnte sich, den Antrieb des Piccolo „unter die Haube“ zu bekommen. Hätte Ruppe & Sohn mit diesem wichtigen Schritt zu lange gewartet, wäre die dauerhaften Erfolgsaussichten der Firma schlecht gewesen – ein offenliegender Motor war der Kundschaft kaum mehr zu vermitteln.

Rein funktionell wäre die Haube – und schon gar nicht die Kühlerattrappe davor – nicht notwendig gewesen. Doch auch eine Ehe wird selten nur rein formal geschlossen, sondern ist oft mit Drumherum verbunden, über dessen Sinn man geteilter Meinung sein kann.

Interessanterweise ist die Firma Ruppe & Sohn aus dem thüringischen Apolda ein hervorragendes Beispiel dafür, dass es eine gute Entscheidung war, seine Hoffnungen frühzeitig erst einmal ganz auf den „Piccolo“ zu setzen.

Denn so kam man frühzeitig „ins Geschäft“ – auch international – sammelte wertvolle Erfahrungen und konnte aus den Unvollkommenheiten des ersten Versuchs lernen. Denn auch wenn man den ursprünglichen Piccolo alsbald unter die Haube gebracht hatte, traten dessen Unvollkommenheiten im Wettbewerb immer deutlicher zutage.

So beendete man die Piccolo-Episode im Siebten Jahr – anno 1910 – und ging nun eine neue Partnerschaft ein, mit der die Firma Ruppe & Sohn deutlich glücklicher wurde.

Als idealer Partner der Wahl erwies sich der erfolgreiche Konstrukteur und Rennfahrer Karl Slevogt – eines der ganz großen deutschen Entwicklertalente jener Zeit. Ein umfassende Würdigung seines vielfältigen Schaffens findet sich auf Wolfgang Spitzbarths Website.

Mit den von Karl Slevogt entwickelten „Apollo“-Wagen begann für Ruppe & Sohn eine wahrlich glückliche Beziehung, der viele gelungene Sprößlinge entsprangen, die exemplarisch in meinem Blog und umfassend bei Wolfgang Spitzbarth hier dargestellt sind.

Damit wäre ich am Ende der heutigen Betrachtung. Vielleicht teilt ja der eine oder die andere meine These, dass es etwas für sich hat, möglichst früh unter die Haube zu kommen, wenn man die Chance auf den idealen Partner maximieren will.

Dass das Ganze auch in „wilder Ehe“ gelingen kann, auch dafür gibt es Beispiele – aber das wird vielleicht irgendwann einmal die Inspiration für einen anderen Blog-Eintrag, der auf Umwegen vom Hier und Jetzt zurück in die Welt von Gestern führt…

Michael Schlenger, 2024. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

Fund des Monats: Ein Darracq um 1903

Für Sie, liebe Leser, hat meine Rubrik „Fund des Monats“ zwei Vorteile:

Zum einen bekommen Sie etwas geboten, was es nicht alle Tage zu sehen gibt (bisweilen auch noch nie) und zwar gemessen am Standard meines Blogs – nicht an gängigen deutschsprachigen „Oldtimer-Publikationen“. Zum anderen komme ich im Regelfall ohne Umschweife zur Sache.

Für mich stellt die Kategorie nämlich – so paradox das klingen mag – eine Gelegenheit zur Entspannung dar. Denn meist spricht das vorgestellte Material einfach für sich und bedarf keiner mehr oder weniger gelungenen Einleitung.

Entweder das abgebildete Fahrzeug ist dermaßen selten, dass es kaum etwas Gesichertes dazu zu sagen gibt oder es stammt aus so ferner Zeit, dass mir ein persönlicher Zugang dazu schwerfällt.

Ein Beispiel ist das heute präsentierte Fahrzeug. Es entstand nach meiner oberflächlicher Recherche 1903 (+- 1Jahr). Man mag denken, dass das doch kaum möglich ist, ein dermaßen frühes Automobil so genau zu datieren. Doch genau das ist bei den Vertretern der Pionier-Ära fast immer der Fall, weil sich die Entwicklung damals unvorstellbar rasant vollzog.

Ein Zeitraum von zwei bis maximal fünf Jahren repräsentierte damals eine ganze Autogeneration. Das schlug sich in Details der Konstruktion wie in der Gestaltung so deutlich nieder, dass fast immer eine präzise Ansprache möglich ist.

Man muss freilich erst einmal eine Vorstellung davon haben, in welchem Zeitraum und in welcher Region man suchen muss, wenn man ein Foto findet, das so etwas zeigt:

Darracq um 1903; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Die technisch hervorragende und gut erhaltene Aufnahme wurde ungeachtet der dynamischen Pose des Fahrers im Stillstand angefertigt. Das erlaubt das Studium kleinster Details – eine entscheidende Hilfe bei der Identifikation von Hersteller und Baujahr.

Das Erscheinungsbild mit annähernd quaderförmiger Motorhaube und davor angebrachtem „Schlangen“kühler findet sich kurz nach Beginn des 20. Jh bei etlichen Herstellern – hauptsächlich bei französischen und belgischen Marken, die damals auf dem europäischen Kontinent führend waren.

Nach einigen Vergleichen entschied ich mich für die französische Firma Darracq, die nach Versuchen mit motorisierten Dreirädern anno 1900 ihr erstes richtiges Automobil mit vier Rädern auf den Markt brachte.

Das 1901 eingeführte Modell C mit anfänglich knapp 800ccm messendem Einzylindermotor brachte es dann in zweijähriger Bauzeit bereits auf eine vierstellige Stückzahl – ein damals aufsehenerregender Schritt, mit dem das Auto den Status des Kuriosums endgültig ablegte.

Wie die Konkurrenz von Renault gab sich Darracq erst gar nicht mit Kettenantrieb ab, sondern nutzte von Anfang an den modernen Kardanantrieb. Nur die Aufbauten – hier ein viersitziger Tonneau (oder auch Doppel-Phaeton) – waren noch ebenso wie bei anderen, technisch weniger avancierten Herstellern.

Auf die schnelle konnte ich leider nur wenig Gehaltvolles zu den Darracq-Modellen kurz nach der Jahrhundertwende finden.

Inbesondere stellt sich mir die Frage, weshalb auf den im Netz verfügbaren Fotos manche eine vorne schräg abfallende Motorhaube nach Vorbild von Renault besitzen (in Verbindung mit einem unten vor der Vorderachse angebrachten Schlangenkühler) und manche der Ausführung wie auf meiner Aufnahme entsprechen.

Wie es scheint, gab es bereits mindestens zwei Motorisierungen – 6CV und 9 CV – was den Unterschied erklären könnte. 1903 gab es dann noch eine 12 CV-Version, die ganz ähnlich aussah – vielleicht war das sogar das abgebildete Auto.

Wer mehr weiß, ist aufgerufen, uns über die Kommentarfunktion zu erhellen. Wir genießen unterdessen das Erlebnis dieser ganz frühen Automobile, die am Anfang einer großartigen Entwicklung stehen – des Motorfahrzeugs für jedermann.

Michael Schlenger, 2024. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

Ist das denn noch „Vorkrieg“? Ein Pontiac Six von 1939

Bisweilen erhalte ich freundliche Hinweise von Lesern, dass sie meine Ausflüge in die Welt der Vorkriegsautos zwar gerne lesen, aber zugleich eine stärkere Konzentration auf die Fragen der Entwicklung, Technik und Gestaltung wünschen.

Anders gesagt: Meine bisweilen mäandernden Hinführungen zum eigentlichen Thema gefallen nicht jedem. Das verstehe ich, kann und will es aber nicht ändern.

Ich verfasse hier keine Auftragsarbeiten, bei denen es irgendjemandes Wünsche zu berücksichtigen gilt – ein Blog ist eine subjektive Ausdrucksform und weil ich die Chose produziere und bezahle, bestimme ich auch Inhalt und Herangehensweise.

Mehr Grundsätzliches dazu in meinem Kommentar zum vorangegangenen Blog-Eintrag. Konkreteres in der Hinsicht heute anhand der Frage „Was ist eigentlich ein Vorkriegsauto?“

Diesen Beitrag hatte ich ohnehin geplant, und jetzt nutze ich die Gelegenheit dazu darzulegen, dass es beim Thema „Vorkriegsautos auf alten Fotos“ nicht um nüchterne akademische Abhandlungen geht – die finden Sie ggf. anderswo (oder auch nicht…).

Vielmehr kommt man oft nicht umhin, sich für eine ganz persönliche Sicht zu entscheiden, Sie zu erläutern und auch zur Diskussion zu stellen.

Jetzt werden manche sagen: Ist doch ganz klar, das hier ist ein Vorkriegswagen:

Adler 18/35 PS „Präsidentenwagen“ des ASC im Juni 2024 in Butzbach; Bildrechte: Michael Schlenger

Dieses herrliche Gefährt durfte ich kürzlich bei einer Ausfahrt des „Allgemeinen Schnauferl Clubs“ (ASC) in meinem Nachbarort Butzbach (Hessen) live erleben.

Wer angesichts eines solchen Meisterwerks des frühen Automobilbaus stur sachlich bleiben möchte, der ist ein armer Tropf, behaupte ich.

Dieses fast 120 alte, einst in den Adlerwerken zu Frankfurt am Main entstandene 18/35 PS-Modell ist eine Erscheinung aus einer anderen, längst untergegangenen Welt. Es in Bewegung zu erleben, ist ein geradezu mystisches Erlebnis.

Die Männer, die es geschaffen haben, die Menschen, die es einst im Alltag erlebten – sie sind allesamt verschwunden so wie weite Teile der Welt von damals – die großartigen und ebenso die verstörenden. Doch der Adler ist noch da, als wäre nichts gewesen.

Noch dazu begeistert der Umstand, dass er von jungen Leuten gefahren wird, wo diese sich doch angeblich nicht mehr für’s alte Blech interessieren. Im vorliegenden Fall weiß ich, dass das reine Erziehungssache ist – schon mit der Bemerkung mache ich mir nicht nur Freunde.

Kein Zweifel: Dies ist ein Vorkriegswagen, denn er verfügt über freistehende Kotflügel, eine klar davon abgegrenzte Hauben- und Kühlerpartie und überhaupt ist er aus einzelnen funktionellen Elementen zusammengesetzt.

Ganz anders dieses Fahrzeug, das ich bei derselben Gelegenheit aufgenommen habe. Es gehört einem ortsansässigen Enthusiasten, den ich nach Jahren wieder einmal zufällig traf. Er entschuldigte sich dafür, dass sein Wagen nicht perfekt sei, doch sehen Sie selbst:

Jaguar XK 120 in Butzbach im Juni 2024; Bildrechte: Michael Schlenger

Ein herrliches Auto – der Jaguar XK120 Roadster – aus meiner Sicht eines der schönsten der späten 1940er Jahre aus europäischer Produktion.

Doch auch wenn es motorenseitig das Aufregendste war, was damals zu bekommen war (2,4 Liter DOHC-Sechszylinder mit 160 PS) wirkt die Form noch von Vorkriegsautos beeinflusst.

Für mich gehört dieses Gerät zu den vollkommensten Beispielen der Synthese des Besten aus der Welt von Gestern und der Moderne. Dass der Jaguar XK 120 Ergebnis einer Nacht-und-Nebel-Aktion war, bestätigt meine Überzeugung, dass die besten Dinge unter großem Druck entstehen – er setzt die wirklich kreativen Kräfte des Menschen frei.

Das war schon wieder so eine unsachliche Behauptung – na und? So geht das nämlich dauernd, wenn man sich mit diesen Skulpturen aus Blech auseinandersetzt, die für manchen der eigentliche Ausdruck künstlerischer Meisterschaft der Neuzeit sind.

Wie schwierig es ist, eine objektive Grenze zwischen Vor- und Nachkriegsautos zu ziehen, das wurde mir (wieder einmal) klar, als ich bei einem kürzlichen Zwischenhalt aus dem Fenster des Hotels am Vierwaldstättersee in der Schweiz schaute:

Wagen des Luxemburger Morgan-Clubs in Beckenried, Juni 2024: Bildrechte: Michael Schlenger

Noch so eine unnötige Schleife in die Gegenwart, zudem aus der Perspektive unseres disziplinlosen Blog-Warts – das denkt jetzt vielleicht einer.

Gewiss, aber bis hier haben Sie doch durchgehalten, oder? Bleiben Sie dran, es geht am Ende schon in die Welt von Schwarz-und-Weiß, auch wenn das Thema sich als schwierig erweisen wird – soviel vorab.

Doch erst einmal nähern wir uns diesen Sportwagen des britischen Traditionsherstellers Morgan, der seit über 90 Jahren im Geschäft ist. Gebaut wurden und werden diese Wagen (teilweise) noch immer in Vorkriegsmanier, also mit blechbeplanktem Holzrahmen.

Das Ergebnis sah und sieht wie folgt aus:

Morgan-Roadster in Beckenried, Juni 2024: Bildrechte: Michael Schlenger

Aha, da haben wir einen in Deutschland zugelassenen Morgan, der sich der Ausfahrt der Luxemburger Kollegen angeschlossen hat, über die ich sonst nichts weiß – alles Zufall.

Mit Vergnügen nutze ich solche Beobachtungen am Wegesrande meines Daseins, um sie in meine Betrachtungen einzuflechten.

Was meinen Sie? Sind das nun Vorkriegswagen oder nicht? Formal sind sie jedenfalls deutlich früher als der 1948er Jaguar XK120 anzusiedeln, irgendwo in den 1930ern.

Doch nicht nur die Nachkriegsmotoren und der Komfort, den die Morgans boten und bieten, machen sie zu Schöpfungen der Nachkriegszeit.

So großartig das Fahrgefühl in diesen Wagen auch sein mag. Eines fehlt ihnen genau wie den zuhauf angebotenen Rekonstruktionen von Vorkriegswagen. Sie waren nicht „dabei“.

Was meine ich damit?

Jeder, der ein Faible für wirklich historische Gegenstände hat, Bücher des Barock, Musikinstrumente des 19. Jahrhunderts oder Artefakte aus dem Jugendstil, kennt die Magie des Antiken und kennt die Frage: Wer mag das einst besessen haben?

Und daran anknüpfend die menschliche Frage schlechthin: Was wurde aus den Besitzern, was ist ihnen in den Katastrophen der Vergangenheit widerfahren?

So, damit sind wir nun endlich dort angelangt, wohin ich eigentlich wollte – aber es ging nur auf diesem Umweg, sonst würde Ihnen das folgende Foto vielleicht banal vorkommen:

Pontiac Six im Mai 1939; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Ja, ist das denn noch ein Vorkriegswagen? Nach den bisherigen Betrachtungen fällt die Antwort wie in vielen existenziellen Fragen ambivalent aus: ja und nein.

Die Frontpartie dieses Autos wirkt bereits wie aus einem Guss, ein Kühler ist eigentlich nicht mehr als eigenständiges Element zu erkennen – die Kotflügel sind nicht mehr freistehend.

Dieser Wagen ist weit näher am Nachkriegs-Jaguar XK 120 als an den optisch auf Vorkrieg getrimmten Morgans – was kein Werturteil sein soll, ich mag die Dinger.

Aber: Der Datierung der Aufnahme nach ist der Fall klar. Das Auto wurde im Mai 1939 fotografiert und sein Konterfei gelangte per Post an die Verwandtschaft in Deutschland – wo es die Zeiten bis in unsere Tage überdauerte, mehr wissen wir nicht.

Entstanden ist dieses Zeitdokument in Fremont im US-Bundesstaat Nebraska, während der Wagen selbst im Bundesstaat Iowa zugelassen war. Identifizieren konnte ich das Auto als Pontiac „Six“ des Modelljahrs 1939 – der Wagen war also noch ziemlich neu.

Was macht diesen Pontiac bei aller Modernität der Erscheinungsform zu einem Vorkriegswagen? Das ist die zeitgeschichtliche Komponente, an der hier kein Weg vorbeiführt.

Denn wir dürfen annehmen, dass etwas mehr als fünf Jahre später – im Juni 1944 – irgend ein Mann, der diesen Pontiac gefahren oder gesehen oder in der Umgebung gelebt hat, an der Landung der US-Truppen in der Normandie beteiligt war.

Dort gab es einen nach der größten Stadt Nebraskas – Omaha – benannten Strandabschnitt. Was sich dort am 6. Juni an Horror auf beiden Seiten abspielte, ist schwer zu erfassen.

Die jungen US-Soldaten liefen aus den Landungsbooten ungedeckt in das deutsche Abwehrfeuer hinein – während ihre Gegner, mit denen sie in manchen Fällen verwandt waren, keine andere Wahl hatten, als die eigenen Stellungen und das eigene Leben zu verteidigen.

Das ist die Assoziation, die nur ein Foto eines Vorkriegsautos auszulösen vermag. Es ist der historische Ballast, den so ein Wagen mit sich schleppt, nicht Technik oder Formgebung.

Daher wird der perfekteste Neuaufbau nie ein Vorkriegsauto werden und umgekehrt ist selbst der erbärmlichste, x-fach umgebaute Überlebende immer noch ein Relikt der Vorkriegszeit.

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Klarer Aufstiegskandidat: Metallurgique Landaulet

Wer bei Aufstiegskandidaten reflexhaft an Fußball denkt, kommt heute leider nicht auf seine Kosten – den Kickerclub „Metallurgique Landaulet“ hat es nie gegeben.

Zudem liegt mir der Ballsport fern – ich habe darin nie sonderliche technische Fertigkeiten entwickelt.

Wenn es in der Schule oder danach auf den Bolzplatz ging, bestand mein Können darin, mehr Ausdauer als andere zu haben und Angreifern nicht von der Seite zu weichen, bis sie genervt den Ball abgaben.

Besonders lag mir der „Freistil“ – also vom Verteidiger zufällig selbst zum Angreifer zu werden und aus unmöglichen Situationen zu versuchen, einen Treffer zu erzielen. Denn den Ball gegen andere zu verteidigen, dazu fehlte mir die Technik.

Am besten gefiel mir das regellose Spiel im Bad Nauheimer Freibad mit US-GIs aus der Panzerkaserne im benachbarten Friedberg. Die Jungs aus den Staaten spielten so robust, wie sie das vom American Football kannten – bloß in Badehose und barfuß.

Das war genau mein Ding – nie habe ich mehr Spaß gehabt beim Fußball, als wenn man robust aufeinanderkracht und förmlich miteinander um den Ball ringt. Dabei ging es stets fair zu und an Verletzungen kann ich mich nicht erinnern.

So, das muss genügen, was die Fußball-Assoziationen angeht, die der Titel meines heutigen Blog-Eintrags wecken mag.

Wenn dort von Aufstieg die Rede ist, dann ist tatsächlich etwas ganz anderes gemeint – und der Kandidat dafür war alles andere als für den Sport gekleidet:

Metallurgique Landaulet; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Natürlich erkennen langjährige Leser diese Kühlerpartie auf Anhieb – einen solchen Spitzkühler mit pyramidenhaft gestaltetem Wasserkasten besaßen die Wagen der einst berühmten belgischen Marke Metallurgique.

Und wer meine amateurhaften und höchst subjektiv gefärbten Ausflüge in die unerschöpfliche Wunderwelt der Vorkriegsautos erst seit kurzem verfolgt, wird von nun an für immer wissen, woran man einen Metallurgique erkennt:

Haben Sie sich das eingeprägt? – Oder schielen sie mit einem Auge heimlich auf das Smartophon, während ich Ihnen hier etwas beizubringen versuche? Also etwas mehr Konzentration, wenn ich bitten darf.

Ich komme sicher darauf zurück und dann will ich nicht wieder alles von vorne erklären müssen – Metallurgique-Fotos liegen jedenfalls noch etliche auf der Festplatte herum.

Interessant wird ausgerechnet diese belgische Marke unter den Dutzenden, welche das kleine, aber einst industriell hochbedeutende Land hervorgebracht hat – interessant also wird Metallurgique dadurch, dass die Wagen ab 1909 auch unter Lizenz in Berlin gebaut wurden.

Lizenznehmer war die Bergmann-Elektrizitätswerke AG – welche erkannte , dass die Zukunft nicht dem damals noch stark verbreiteten batterieelektrischen Auto gehört , sondern dem in allen Belangen überlegenen Verbrenner – ein zeitloses Thema, wie es scheint.

Man darf jedenfalls getrost davon ausgehen, dass Metallurgique-Fotos aus deutschen Landen meist einen solchen Bergmann-Metallurgique aus der Zeit vor dem 1. Weltkrieg zeigen.

Die ungewöhnlich anmutende Beziehung zu Deutschland hatte den Grund, dass die ersten Wagen der Marke von deutschen Konstrukteuren gebaut worden waren. Auch der markante Kühler war die Idee einer deutschen Firma gewesen.

Nun wird es aber höchste Zeit für den angekündigten Aufstieg und den Kandidaten dafür.

Letzterer war gewiss nicht der mit vornehmer Büroblässe ausgestattete Passagier im Heck dieses prächtigen Landaulets, sondern der gesünder wirkende Fahrer mit dem scharf geschnittenen Gesicht, der hier wie der wahre Herr der Situation dreinschaut:

Nun sehen wir auch, wie das mit dem Aufstieg gemeint war. Der bezog sich nämlich offenbar auf die Stufe hinter der Fahrertür, über welche der Chauffeur an das auf dem Dach angebrachte Gepäck gelangte.

Die Dachreling war im Stil der Zeit verspielt und dem Auge schmeichelnd gestaltet. Wer mit solchem Dekor ein Problem hat, ist schlicht zu bedauern – schöne Details wie diese sind Ausdruck davon, dass man die Sklavenstufe der blanken Notwendigkeit überwunden hat.

Überhaupt ist die Gestaltung des Aufbaus so atemberaubend opulent, wie das nach dem 1. Weltkrieg nie wieder der Fall sein sollte. Nicht umsonst markiert dieser die eigentliche Zäsur im 20. Jahrhundert und wurde von den Zeitgenossen entsprechend wahrgenommen.

Datieren würde ich das Fahrzeug anhand der Frontpartie mit der noch wie aufgesetzt wirkenden Windkappe zwischen Motorhaube und Frontscheibe auf 1910/11.

Wer nun meint, dass der Fahrer des Wagens ein armer Mensch gewesen sein muss, der sich auch noch als Gepäckträger seines Brötchengebers verdingen musste, liegt völlig daneben.

Ein Chauffeur war damals ein hochgeschätzter Könner seines Fachs, der nicht nur die enorme Komplexität der Automobile beherrschen, sondern auch über ausgezeichnete Manieren verfügen musste – damals wie heute nicht jedermann gegeben.

Ihm vertraute man Leib und Leben der ganzen Familie und den enormen Wert des Fahrzeugs ein, das im Fall eines Metallurgique mit einem derartig aufwendigen Aufbau den Gegenwert eines einfachen Hauses auf dem Land repräsentierte.

Über die Jahre meiner Beschäftigung mit tausenden solcher Fotos ist mir aufgefallen, dass die Fahrer solcher Chauffeurwagen fast immer sehr selbstbewusst wirken, ja oft sogar als die interessanteren und sympathischeren Charaktere erscheinen als die Besitzer.

Tatsächlich konnten sie in vielen Fällen einen bemerkenswerten Aufstieg absolvieren – nicht nur vom Fahrersitz auf das Dach des Wagens, auf dem Madames Hutschachtel lag, sondern in beruflich noch höherstehende Gefilde – als Besitzer einer Werkstatt, eines Autohauses oder eines florierenden Taxibetriebs beispielsweise.

In Zeiten, in denen allzuoft über den Verlust von vermeintlichen Privilegien und böse Wettbewerber gejammert wird, erinnern solche Beispiele einstiger Aufstiegskandidaten daran, dass man bei Bedarf mutig loslegen und dabei auch unkonventionelle Wege beschreiten muss, um Erfolg zu haben – die Altvorderen konnten das auch…

Wer sich einredet (oder einreden lässt), dass ihm die Voraussetzungen fehlen oder er die Regeln der Kunst nicht beherrscht und noch üben muss, dem wird nie der Aufstieg gelingen…

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Der schiere Luxus: Ein Opel auf Reisen um 1909

Opel und Luxus – wie soll das zusammengehen? Nun, genau das werden wir heute sehen. Und wir bekommen auch wieder einmal vor Augen geführt, was für eine Errungenschaft das Auto für jedermann darstellt – auch wenn es „nur“ ein Opel ist.

Ob an die Nordsee, um die belebende Wirkung einer frischen Meeresbrise zu spüren und gedankenverloren in die Brandung zu schauen – ob in die Alpen, um sich über den Alltag zu erheben und angesichts der Erhabenheit der Natur Demut ob der eigenen Kleinheit zu empfinden – ob an die Biscaya, um den wahren Ozean zu sehen und sich hinaus über den Atlantik zu träumen – ob tief ins Baltikum hinein, um alte Kulturlandschaft zu erkunden und vielleicht Spuren der Vorfahren nachzugehen…

Das ist das Versprechen des Automobils und wir verfügen heute in der Hinsicht über Mittel, die einst nur einer winzigen Schicht zu Gebote standen. Das ist zugleich die Geschichte, welche die beiden Fotos erzählen, die ich Bart Buts aus Belgien verdanke.

Er ist leidenschaftlicher Opel-Enthusiast – wobei sein Interesse den frühen Modellen aus Rüsselsheim gilt, also bis etwa Mitte der 1920er Jahre. Er besitzt mehrere Opels jener Zeit, die intensiv genutzt werden und auch auf Deutschlands schönstem Oldtimer-Festival zu sehen waren – der Classic Gala in Schwetzingen.

Bart Buts hat zudem ein Archiv aus historischen Opel-Dokumenten und -Fotos, das seinesgleichen sucht – vermutlich den größten Fundus, was frühe Modelle angeht.

Hin und wieder tauschen wir uns über „neue“ alte Fotos aus und immer wieder wechseln dabei auch Originale den Besitzer – unengeltlich. Das ist wahre Oldtimer-Freundschaft.

Ich darf Material aus Barts Archiv präsentieren und heute mache ich gern Gebrauch davon, um das eingangs angerissene Thema zu illustrieren. Beginnen möchte ich hiermit:

Opel Tourenwagen um 1909; Originalfoto: Sammlung Bart Buts (Belgien)

Ist das nicht ein fantastisches Dokument? Wo sonst findet man so etwas? Zumindest nicht in der leider sehr überschaubaren Literatur zur Frühzeit der Rüsselsheimer Marke.

Ein früher Opel auf einer Fähre irgendwo im Mittelrheintal – jedenfalls ist das meine Interpretation angesichts der Weinberge und der Bahnstrecke im Hintergrund in Verbindung mit dem Kennzeichen, das eine Zulassung im Rheinland belegt.

Neben dem Fährmann auf der linken Seite sehen wir ganz rechts ein altertümlich wirkendes Paar im fortgeschrittenen Alter, das noch aus dem 19 Jh. stammt. Um 1850 hätten die beiden kaum anders ausgesehen und nun stehen sie neben dem Besitzer eines Automobils!

Opel Tourenwagen um 1909; Originalfoto: Sammlung Bart Buts (Belgien)

Dass der großgewachsene Herr mit Schirmmütze tatsächlich zu dem Opel gehört und wohl dessen Eigner war, das werde ich noch beweisen. Dabei werden wir auch den übrigen Insassen wieder begegnen.

Dieser Opel wurde nämlich ein weiteres Mal abgelichtet, aber an einem ganz anderen Ort.

Der Wagen, der anhand der Gestaltung von Kühler und Stirnwand auf „kurz vor 1910“ zu datieren ist, war zum Reisen bestimmt – so, wie wir das im 21. Jh von unseren Autos gewohnt sind, ohne dass wir uns noch des Luxus bewusst sind, den das einst darstellte.

Auf der zweiten Aufnahme sehen wir dasselbe Auto nun an einer Strandpromenade – das lässt jedenfalls der etwas größere Originalabzug erkennen:

Opel Tourenwagen um 1909; Originalfoto: Sammlung Bart Buts (Belgien)

Es handelt sich trotz kleiner Unterschiede wie anderen Scheinwerfer, dem fehlenden Emblem auf der Stirnwand hinter dem Motor und der demontierten Windschutzscheibe um denselben Wagen – das verrät das Kennzeichen.

Dieses Nummenschild mit laufender Nummer 12 allein sagt einiges über den schieren Luxus, welchen der Besitz eines solchen Opels darstellte. Die Kombination aus römisch „I“ und „Z“ stand für das gesamte Rheinland (einst „Rheinprovinz“).

Der Nummernkreis 1-150 war Aachen zugeordnet, sodass wir davon ausgehen dürfen, dass wir hier einen Opel mit ganz früher Zulassung in der von den Römern gegründeten und enorm geschichtsträchtigen Stadt an der Grenze zu Belgien und den Niederlanden sehen.

Eventuell wurde die Kennung „IZ-12“ bereits einige Jahre vor der Entstehung des Opels erstmals in Aachen vergeben – vielleicht bereits an dessen späteren Besitzer. Diesen sehen wir nun am Steuer, während der Chauffeur auf die Beifahrerseite gewechselt hat.

Leider sind die übrigen Insassen nur schemenhaft wiedergegeben – dafür bekommen wir hier eine Vorstellung des nun volbesetzten Wagens mit drei Sitzreihen. Eine genaue Typansprache will ich nicht versuchen, würde aber ein kleines Modell ausschließen.

Dann kommen Motorisierungen zwischen 25 und 50 PS in Frage, wie sie um 1909 verfügbar waren. Das war eine Größenordnung, in der man ohne großen Schaltaufwand auch Steigungen vollbesetzt bewältigen konnte.

Man vergleiche das mit den Leistungsdaten von Opels der 1930er oder auch 50er Jahre. Rein zahlenmäßig hatte sich nicht viel getan, doch auf einmal gelangten solche fernreisetauglichen Automobile in die Reichweite immer größerer Kreise.

Der schiere Luxus von einst wurde allmählich zum quasi-demokratischen Recht der Masse.

Achten wir darauf, dass wir uns das nicht wieder von Kräften nehmen lassen, die unter Vorwänden dem Automobil für jedermann einen Riegel vorschieben und die allgemeine Bewegungsfreiheit wieder zu einem Privileg weniger Betuchter machen wollen…

Auch das kann die aktuelle Botschaft solcher alten Fotos sein, welche die oft bestürzenden Kontraste von einst zeigen, welche wir dank der Technik überwunden haben.

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Zylinderzuwachs bei Hansa: Ein HAG von 1906/07

Ungeachtet der Rückwärtsgewandheit der meisten meiner Interessen – die schon auch einmal einige Jahrtausende zurückreichen können – begebe ich mich in meinem Blog eher selten in die automobile Frühzeit.

Das liegt ganz gewiss nicht an mangelnder Zuneigung zu den ersten Motorwagen, welche den Weg für unsere heutige Mobilität ebneten. Nebenbei: wie alle wirklich bahnbrechenden Erfindungen war das Auto ganz und gar dem freien Markt zu verdanken.

Mit dem Abstand von weit über einem Jahrhundert und aus der Perspektive einer heillos überregulierten und von Planwirtschaft in die Irre geleiteten Ökonomie ist es faszinierend zu sehen, wie sich einst wie von Geisterhand die Kräfte von Technikern, Kapitalgebern und Vertriebsleuten koordinierten, um unseren Vorfahren eine neue Welt bis dato unbekannter Bewegungsfreiheit zu eröffnen.

So beschlossen anno 1905 zwei fortschrittlich und unternehmerisch denkende Herren im Oldenburgischen namens Allmers und Sporkhorst Automobile zu bauen – dazu wurde die Hansa Automobil-Gesellschaft gegründet.

Es ist nicht überliefert, dass sie dafür eine staatliche Stelle um irgendeine Form der Unterstützung baten oder sich für ihr Vorhaben in besonderer Weise rechtfertigen mussten. Sie taten es einfach, weil sie einen Absatzmarkt sahen und es sich zutrauten, trotz des Kapitalrisikos erfolgreich zu sein.

Tatsächlich präsentierte die Hansa Automobil-Gesellschaft – kurz HAG – schon ein Jahr später das erste fertigkonstruierte Fahrzeug – den HAG 7/9 PS. Wie viele der damals neu beginnenden deutschen Hersteller nahm man sich französische Wagen zum Vorbild, welche seinerzeit in den wichtigsten Belangen führend waren.

Dazu gehörte typischerweise, dass man als neuer Anbieter erst einmal bewährte Motortypen aus Frankreich zukaufte. Wohl am häufigsten waren das Aggregate von DeDion-Bouton – so auch im Fall des ersten Hansa, der als HAG 7/9 PS firmierte.

Ein solcher Wagen mit DeDion-Einzylinder-Motor ist in Halwart Schraders Klassiker „Deutsche Autos 1885-1920“ auf Seite 186 abgebildet – als offener Zweisitzer und anhand des „HAG“-Schriftzugs auf dem Kühlernetz klar als solcher ausgewiesen.

Der Zufall wollte es, dass mir Leser Klaas Dierks kürzlich ein Foto aus seiner Sammlung in digitaler Kopie zusandte, das auf den ersten Blick glatt denselben Wagen zeigen könnte:

HAG von 1906/07; Originalfoto: Sammlung Klaas Dierks

Die Perspektive, der Aufbau als Zweisitzer, das geöffnete Verdeck, die Zahl der Insassen und auch Details wie die Gestaltung der Kotflügel stimmen vollkommen überein.

Es war um die Mittagszeit, als mich dieses schöne Dokument erreichte. Wie meist in solchen Fällen ließ ich mich gern dadurch von der Arbeit abhalten, wenn auch nur kurz.

Ich war schnell der Überzeugung, dass es sich um den gleichen Typ handeln müssen, bloß das Kennzeichen unterscheide die beiden Wagen.

Die Gestaltung der Kotflügel – noch nicht in das Trittbrett übergehend, sondern weiter nach unten reichend genügte mir als Datierungshinweis – das fand sich ab 1908 bei deutschen Wagen kaum noch.

Mit der Bestimmung des Baujahrs 1906/07 lag ich wohl richtig, aber eines hatte ich in der Eile übersehen, worauf mich Klaas Dierks mit seinem Blick fürs Detail hinwies: Kühler und Haube bei seinem „HAG“ sind höher und: auf der Haubenoberseite sieht man eine der Abführung der Motorwärme dienende zusätzliche Klappe:

Daraufhin warf ich nochmals einen Blick in die Literatur: Tatsächlich wurden neben dem einzlindrigen HAG 7/9 PS frühzeitig auch eine stärkere Zweizylinderversion mit 10 PS Spitzenleistung angeboten, außerdem ein von Fafnir zugekaufter Vierzylinder mit 12 PS.

Da der Fafnir-Motor angeblich bereits 1907 durch einen von Hansa selbst gebauten Motor mit 14 PS abgelöst wurde, kommt man nicht umhin, bei diesem frühen Exemplar bereits einen nicht unwesentlichen Zuwachs an Zylindern und Hubraum zu vermuten.

Mangels Vergleichsdokumenten muss vorerst offen bleiben, was sich unter der Haube des HAG auf dem Foto von Klaas Dierks verbarg.

Mit Genugtung festhalten dürfen wir aber zumindest, dass diese Aufnahme ein Novum darstellt und nun an erster Stelle meiner „Hansa“-Galerie steht – kein schlechtes Ergebnis gemeinsamer Altauto-Archäologie, meine ich…

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Zeugen des Umbruchs anno 1910: Stoewer G4 und LT4

Nach dem angeblichen „Ende der Geschichte“ – eine am Ende des Kalten Kriegs verkündete These, über die ich schon als damals Zwanzigjähriger schmunzeln musste, stellen wir seit einigen Jahren fest, dass sich die Welt erneut im rapiden Umbruch befindet.

Im „Westen“ scheinen die liberalen Ideale in politischer wie wirtschaftlicher Hinsicht auf dem Rückzug zu sein – ein sich für alles zuständig fühlender Staat ist auf dem Vormarsch einhergehend mit zunehmend planwirtschaftlichen Tendenzen.

Gleichzeitig akzeptieren immer mehr aufstrebende Länder die westliche Vormachtstellung in ideeller wie ökonomischer Hinsicht nicht länger. Es ist unerheblich, wie man das wertet und ob man die Akteure etwa in Asien mit Kategorien des 20. Jh. versucht zu charakterisieren.

Es gibt kein Zurück in die heile Welt des Westens der 1980/90er Jahre, die Geschichte schreitet immer voran und den Aufstieg wie den Untergang von Mächten hält niemand auf. Wir sind aktuell Zeugen, wie sich die Welt neu ordnet.

Warum sollte es uns auch anders ergehen als unseren Vorfahren? Dass vordergründig nichts bleibt, wie es ist, dass lässt sich schon in der Frühzeit des Automobils besichtigen.

Das Tempo der Umwälzungen war damals atemberaubend. Fünf Jahre entsprachen in der Vorkriegszeit bereits einer ganzen Autogeneration, was dazu beitrug, dass eben noch moderne Fahrzeuge wenig später heillos veraltet waren und vom Markt verschwanden.

Ein besonderes Jahr war in dieser Hinsicht 1910 – jedenfalls was Automobile im deutschsprachigen Raum angeht. Denn praktisch von einem Jahr auf das andere setzte sich in der Gestaltung eine dem Sport entlehnte Neuerung durch – der Windlauf.

Wem der Begriff noch nicht geläufig ist, der wird ihn am Ende der heutigen Betrachtung verinnerlicht haben. Doch zunächst gehen wir zurück ins Jahr 1909. Damals sah ein Wagen der renommierten Marke Stoewer aus Stettin noch so aus:

Stoewer Tourenwagen, wohl Typ G4; Originalfoto: Sammlung Klaas Dierks

Diese schöne Momentaufnahme entstand einst irgendwo im Baltikum, soviel ist überliefert. Deutsche Firmen hatten damals dank uralter Handelsverbindungen im Ostseeraum eine Präsenz in der Region, wie sie in der Nachkriegszeit wohl nie wieder erreicht wurde.

Stoewer hatte mit seiner günstigen Lage an der Ostsee besonders gute Voraussetzungen und exportierte seine Wagen nach Skandinavien und Russland, aber eben auch ins Baltikum mit seinem faszinierenden Nebeneinander an regionalen Kulturen.

Der Tourer auf dem Foto von Leser Klaas Dierks dürfte ein Exemplar des Typs G4 gewesen sein, der von 1908 bis 1910 gebaut wurde und einen 1,6 Liter-Motor mit 12 PS (später 15 PS) besaß.

Gegen die Ansprache als zeitgleichen, aber stärkeren 2,5-Liter-Typ PK4 sprechen trotz übereinstimmender Kühlerpartie mehrere Details. Dazu zählt die Gestaltung der Radnaben, vor allem aber der kurze Radstand (2,50 m im Vergleich zu 2,80 m).

Auch wenn es nicht einfach ist, die Größenverhältnisse aus einer solchen Perspektive abzuschätzen, halte ich es für sehr unwahrscheinlich, dass der Radstand dieses Wagens 2,80 Meter betragen haben soll. Die 2,50 Meter des G4 finde ich realistischer.

Wichtiger ist ohnehin etwas anderes: Auf dieser Aufnahme trifft die Motorhaube noch rechtwinklig auf die Stirnwand, welche zugleich die Abtrennung zum „Innenraum“ darstellt. Auf besagter Stirnwand ragte vor 1910 steil die Windschutzscheibe auf.

Hier ist zwar das Unterteil nach hinten geneigt, was für ein gewisse Lenkung des Luftstroms bzw. einen Staubschutz für Fahrer und Beifahrer sorgt. Doch das musste eigens so eingestellt werden, war also noch kein fixes Element des Aufbaus.

Das änderte sich wie gesagt anno 1910 schlagartig.

Inspiriert von entsprechenden Bauteilen bei Sportwagen, die dort ab 1908 Anwendung fanden, verbauten die Hersteller im deutschsprachigen Raum erstmals einen „Windlauf“, auch Windkappe genannt.

Was damit gemeint ist, lässt sich an diesem Wagen nachvollziehen:

Stoewer Tourenwagen, wohl Typ LT4 von 1910; Originalfoto: Sammlung Matthias Schmidt (Dresden)

Zu verdanken haben wir diese Aufnahme Leser Matthias Schmidt aus Dresden. Sie kann es nicht nur von der Qualität und Erhaltung mit dem Foto aufnehmen, das Klaas Dierks beigesteuert hat. Sie illustriert auch präzise den Modellwechsel bei Stoewer anno 1910!

Wer genau hinschaut, erkennt den neu eingeführten Windlauf in Form einer aufwärtsweisenden Blechpartie zwischen Motorhaube und Frontscheibe – hier noch mit einem Höhenversatz, der bereits 1912 meist verschwunden war.

Abweichend stellen sich auch die vorderen Rahmenenden dar – sie sind jetzt stärker nach unten gekröpft und wirken auch kräftiger in der Ausführung.

Das findet sich genau so beim 1910 eingeführten Nachfolger des Stoewer G4 – dem Typ LT4. Er besaß ebenfalls einen 1,6 Liter-Motor, der nunmehr 20 PS leistete.

Festzuhalten ist außerdem eine Art Innenkotflügel in Form eines zusätzlichen Blechs, das die Fahrzeugfront gegen Verschmutzung durch die Vorderräder schützt.

Der ab 1911 gebaute Stoewer B1 – der Nachfolger des LT4 – besaß dieses Detail ebenfalls. Doch die noch wie nachträglich aufgesetzt wirkende Windkappe des Wagens auf dem Foto von Matthias Schmidt spricht für die frühe Datierung auf 1910 und somit für den nur in jenem Jahr gebauten LT4.

Was bleibt von dieser Betrachtung außer der Erkennntnis, dass alles im Fluss ist und wir uns mit den unabänderlichen Umbrüchen in unseren Tagen abfinden müssen?

Nun, zwei Dinge: Zum einen kann man sich heute nach Belieben mit den Dingen und Phänomenen der Vergangenheit befassen und darin versenken, wie vielleicht noch in keiner Epoche zuvor. Unsere Welt besteht also nicht nur aus dem Hier und Jetzt, sondern wird auch durch alle die faszinierenden Dinge bereichert, die Menschen einst geschaffen haben.

Zum anderen ist es erstaunlich, wie vieles es gibt, das sich über die Zeiten erhalten hat und uns mit der Welt von gestern verbindet. Das gilt für eine Violine ebenso wie für das Beil, mit dem man sein Feuerholz zurichtet, das gilt für die Krawatte, die man sich zu einem bestimmten Anlass immer noch bindet, wie für den Reiz von Damenschuhen mit Absatz.

Und wenn Sie einmal bewusst um ihr Auto herumgehen, dann finden Sie da immer noch „Kotflügel“, obwohl es längst keine Pferdeäpfel mehr auf den Straßen mehr gibt, es gibt auch immer noch Handschuhfach und Hutablage.

Sogar der heute thematisierte Windlauf begleitet uns heute noch durch’s automobile Dasein. Es ist die unscheinbare Blechpartie zwischen dem hinteren Abschluss der Motorhaube und der Windschutzscheibe.

Erstaunlich, nicht wahr? Und wenn Sie mal wieder den Eindruck haben, dass Sie die Welt nicht mehr begreifen, weil alles so rasant im Wandel ist, dann suchen Sie Zuflucht in meinem Blog – hier steht die Zeit nämlich still in Form fotografisch eingefrorener Momente.

Im übrigen sei an den paradoxen Ausspruch des Fürsten von Lampedusa im sizilianischen Roman „Gattopardo“ erinnert: „Alles muss sich ändern, damit die Dinge so bleiben, wie sie sind.“ Begrüßen wir bei aller Begeisterung für die automobile Vergangenheit auch die Gegenwart und Zukunft – was auch Neues entsteht, trägt doch immer auch bekannte Züge…

Michael Schlenger, 2024. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

Gruß aus Carlsbad: Ein Panhard&Levassor von 1908/09

Kennen Sie Karlsbad in Böhmen? Wenn nicht, wird es höchste Zeit – der einst mondäne Badeort, der seit 1945 zu Tschechien gehört und seither Karlovy Vary heißt, ist immer noch eine Perle – wunderbar erhalten und mit viel Verstand und Liebe konserviert.

Man ist dort immer noch auch auf deutschsprachige Besucher eingestellt und man bekommt schnell den Eindruck, in einer Zeitmaschine in die Belle Epoque zurücktransportiert worden zu sein.

Sollten Sie es so bald nicht nach Karlsbad schaffen, so kann ich Ihnen heute zumindest eine kostenlose Schnuppertour nach „Carlsbad“ bieten.

So schrieb man den Ortsnamen jedenfalls im Jahr 1909, als eine Französin diese Postkarte an eine Freundin sandte, die im Küstenort Trestaou in der Bretagne wohnte:

Panhard & Levassor von 1908/09; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

„Wie gefällt Ihnen mein neues Auto? Es ist komfortabel und gut für die Reise geeignet“ – so schrieb die Dame in französischer Sprache auf der Rückseite.

Nun wissen wir, dass einst solche Aufnahmen von Automobilen gern als Postkarte versandt wurden, um augenzwinkernd zu suggerieren, dass es sich um den eigenen Wagen handelt – was freilich meist nicht der Fall war.

Das gilt besonders für die Frühzeit, als jede Benzinkutsche einen in monatelanger Manufakturarbeit entstandenen Luxusgegenstand darstellte, für dessen Gegenwert man auch ein einfaches Haus bekam.

Dabei wollte nicht nur die reine Arbeitszeit der hochspezialisierten Handwerker bezahlt sein, sondern auch die Investitionen in spezielle Maschinen und Werkzeuge, Fabrikgebäude und Energieversorgung, außerdem die Angestellten für die Verwaltung. Und natürlich wollten die Kapitalgeber eine dem hohen unternehmerischen Risiko angemessene Rendite sehen.

Wer sich am Ende ein reisetaugliches Automobil mit Fahrer leisten konnte, der musste daher vor dem 1. Weltkrieg zu den oberen Zehntausend gehören, das ging nicht anders.

Was bringt mich nun auf die Idee, dass die Absenderin dieser Postkarte tatsächlich selbst zu diesem exklusiven Kreis gehörte? Nun, die Tatsache, dass darauf auch ein französisches Fahrzeug abgebildet war, welches in Böhmen damals sicher nicht alltäglich war.

So konnte ich dieses Exemplar anhand der Kühlerpartie als gehobenes Modell der Firma Panhard&Levassor identifizieren:

Zugegeben, man muss einige frühe Wagen dieses einst hochbedeutenden Herstellers gesehen haben, um die Kühlerpartie auf Anhieb der Marke zuordnen zu können.

Langjährige Leser meines Blogs sind dabei in der komfortablen Lage, an meinem eigenen Erkenntniszuwachs quasi in Echtzeit teilhaben zu können.

Denn vor längerer Zeit habe ich hier dieses in jeder Hinsicht grandiose Foto eines Panhard von ca. 1908 vorgestellt:

Panhard & Levassor von 1908/09; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Diese Aufnahme, welche auch in der Literatur ihresgleichen sucht, verschafft einem einen denkbar klare Vorstellung vom Erscheinungsbild eines Panhard&Levassor jener Zeit.

Ich muss wirklich nicht eigens beschreiben, worin die Übereinstimmungen zwischen den beiden Fahrzeugen bestehen, das sehen Sie selbst. Nur ein Panhard besaß eine solche Kühlerpartie.

Im Fall des Fotos aus Karlsbad liefert das Datum der Postkarte – August 1909 – einen Hinweis auf die spätestmögliche Entstehung des dort abgebildeten Wagens. Ich würde ihn anhand einiger Details auf 1908/09 datieren.

Hilfreich ist dabei der Besitz des Standardwerks zur Marke Panhard von Bernard Vermeylen (Panhard & Levassor entre Tradition et Modernité).

Das Werk ist natürlich in französischer Sprache verfasst – aber herrje, wenn man die Handhabung komplexer elektronischer Gerätschaften mit hunderte Seiten umfassenden Anleitungen lernen kann, dann kann man sich zur Abwechslung wenigstens Lesekompetenz in einer eher einfachen europäischen Fremdsprache aneignen.

Andere Sprachen sind der Schlüssel zum Denken und Fühlen, dem Werteverständnis und Weltbild anderer Völker – es lohnt sich, auch einmal Zeit darin zu investieren.

Wenn man nach Karlsbad fährt, kommt man natürlich auch mit Deutsch durch. Aber warum nicht die Gelegenheit nutzen, sich zumindest ein paar tschechische Höflichkeitsformeln anzueignen, bevor man gleich mit der teutonischen Tür ins Haus fällt?

Die „Carlsbader“, welche vor über 100 Jahren Gäste aus aller Welt beherbergten, bemühten sich schließlich auch darum, diesen das Leben sprachlich möglichst leicht zu machen.

Bei der Gelegenheit: Ich kann mich noch an einen Aufenthalt in Karlsbad vor rund 25 Jahren erinnern – ich besitze sogar ein versilbertes Tablett des „Hotel Bristol“ mit Aufschrift „Carlsbad“, das ich dort damals in einem Antiquitätengeschäft gekauft habe.

Aber ich weiß nicht mehr genau, wo in Karlsbad diese schöne Aufnahme entstanden ist – vielleicht kann es einer von Ihnen aus dem Ärmel schütteln, verehrte Leser:

Panhard & Levassor von 1908/09; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Nachtrag: Die Aufnahme entstand vor der Kulisse des monumentalen „Kaiserbads“, welches sich heute noch genau so darbietet.

Michael Schlenger, 2024. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

Spurensuche: Beckmann-Automobile (1908)

Mein gemeinsam mit Beckmann-Urenkel Christian Börner begonnenes Porträt der einstmals angesehenen Breslauer Automarke findet eine durchaus solide Resonanz bei den Lesern meines Blogs.

Das ist keineswegs selbstverständlich bei einem vordergründig so entlegenen Thema, das einen noch dazu in eine Zeit zurückführt, die mit unserer Welt des 21. Jahrhunderts nur wenig gemeinsam hat.

Nebenbei sei bemerkt, dass sich immerhin drei Phänomene über die letzten mehr als 100 Jahre als Konstante erwiesen haben: allgemein verfügbare Elektrizität, individuelle Motorisierung und schnelle internationale Kommunikation.

Beim letzten Punkt mögen Sie jetzt stutzen – doch tatsächlich: Schon das Telegramm ermöglichte um 1900 eine – wenn auch teure und limitierte – weltweite rapide Textübermittlung, wie wir sie heute mit E-Mail oder anderen Diensten praktizieren. Nur für die Bildübertragung war man noch auf die Zeitung und damit Eisenbahn und Postdampfer angewiesen.

Was das Automobil betrifft, hat der Fortschritt natürlich wahre Wunder gewirkt. In punkto Fahrwerk, Verbrauch, Sicherheit und Komfort ist das moderne Automobil von seinen Urahnen so entfernt wie eine Boeing 767 von den ersten Wright-Flugapparaten:

Aber: das Versprechen des Automobils – nämlich den Besitzer aus eigenem Antrieb und nach eigenem Gusto an beinahe jeden Ort des Planeten zu transportieren – das wurde schon in der Zeit eingelöst, in der wir heute zurückreisen, nämlich 1908.

Sie werden überrascht sein, wohin uns die heutige Spurensuche in Sachen Beckmann dabei führen wird, das kann ich schon jetzt sagen.

Nun hat aber erst einmal Christian Börner das Wort, dem ich das Material und die Inspiration zu diesem Parforceritt durch die Beckmann-Historie verdanke, deren gründliche Aufarbeitung er sich zur Aufgabe gemacht hat:

„Auf geht’s – in das Jahr 1908, das für Beckmann bereits im Vorjahr begann. So präsentierten die Hersteller ihre 1908er Modelle nämlich schon im Dezember 1907 auf der Automobilausstellung in Berlin. Beckmann stellte dort gleich sechs Autos aus.

Erwartbar waren natürlich die bereits bewährten Vierzylindertypen, welche mit unterschiedlichen Aufbauten zu bestaunen waren. Doch wahrhaft Furore machte der neue Sechszylindertyp mit beeindruckenden 50 PS Leistung.“

Leser Wolfgang Spitzbarth (übrigens Betreiber der Website zu den Konstruktionen von Karl Slevogt) hat einen passenden Auszug aus „Der Motorfahrer“ von Ende 1907 beigesteuert:

Beckmann-Vier- und Sechszylinder des Modelljahrs 1908; aus: Der Motorfahrer, Nr. 48-1907; via Wolfgang Spitzbarth

Noch mehr hat mir Christian Börner zur Verfügung gestellt – und zwar einen Auszug der Besprechung des Beckmann-Sechszylinders in der „Allgemeine Automobil-Zeitung“ im Dezember 1907:

Als Clou des Standes können wir das in jeder Beziehung den weitreichendsten Ansprüchen Rechnung tragende 50 PS Sechszylinder-Chassis ansprechen, die Type, mit welcher die Firma die nächstjährigen Konkurrenzen bestreiten dürfte und welche wir als geradezu idealen Wagen des fashionablen Sportmannes bezeichnen können. Kenner und Fachleute werden gewiss nicht verfehlen, dieser neuesten Errungenschaft unserer heimischen Industrie Bewunderung zu zollen. Es ist hier, vom Guten das Beste zusammengenommen, etwas vollkommen Erstklassiges geschaffen worden.“

Herrlich, nicht wahr? So berechtigt die Begeisterung ob des mächtigen Sechszylinder-Beckmann auch war, beschleicht einen doch der Verdacht, dass sich hier ein damals wie heute in prekären Verhältnissen lebender „Pressebengel“ mit einem kleinen Schmiergeld zu solchen Lobeshymnen hat motivieren lassen.

Zwar waren Sechszylinderautos in deutschen Landen damals rar, doch mit dem Protos 26/50 PS gab es ab 1908 einen Konkurrenten – und das aus bestem Berliner Hause.

Der „fashionable Sportsmann“ war daher nicht unbedingt auf einen Beckmann angewiesen, wenn ihm der Sinn nach einem 100-Kilometer-Wagen mit 6-Zylinder-Laufkultur stand.

Wie wir gleich sehen, wurden Beckmann-Autos tasächlich eher für ihre unbedingte Zuverlässigkeit und Sparsamkeit in der soliden Vierzylinder-Klasse geschätzt.

So weiß Christian Börner zu berichten:

„Das Beckmann’sche Geschäft mit Droschken/Taxis lief im wahrsten Sinne des Wortes wie geschmiert. Die Beckmann Automobil-Vertriebs-Gesellschaft m.b.H. in Berlin-Wilmersdorf betrieb sogar einen eigenen großen Droschken-Fuhrpark.

Alleine im Jahr 1908 wurden 50 Stück aus Breslau dorthin geliefert. Beckmann-Droschken wurde bevorzugt mit 7/12 PS Zweizylinder- oder 10/14 PS Vierzylindermotoren georderte. Sie galten im Taxi-Gewerbe als sparsam und unverwüstlich. „

Hier haben wir eine hübsche Parade solcher Beckmann-Droschken, bei denen der Fahrer fast ausnahmslos außen saß – wie über Jahrhunderte bei Kutschen üblich:

Bckmann Droschken in Berlin; Originalabbildung via Christian Börner

Was in der Reichshauptstadt – damals neben London und Paris „die“ Kultur- und Industriemetropole in Europa – offensichtlich Erfolg hatte, konnte andernorts nicht unbemerkt bleiben.

Interessant und merkwürdig zugleich ist, dass die Automobile von Beckmann nicht unerhebliche Spuren in Dänemark, Schweden und Norwegen hinterlassen haben.

Man hätte aufgrund der geografischen Lage Breslaus vielleicht eher eine stärkere Präsenz in Osteuropa erwartet. Doch wie ich aus meiner eigenen Familiengeschichte weiß, war das engste Band der schlesischen Städte damals dasjenige an Berlin.

Offenbar wurde in Skandinavien genau registriert, was seinerzeit in Berlin angesagt war, jedenfalls in Sachen Automobil. Das erklärt, warum wir uns gleich warm anziehen müssen.

Doch keine Sorge, wir machen zum Akklimatisieren erst einmal einen Ausflug ins schöne Dänemark, wo angeblich mit die glücklichsten Menschen leben.

Ich glaube das sofort, auch wenn ich noch nicht dort war, denn ich habe noch nie etwas Gegenteiliges gehört. Wer so etwas Geniales wie das Romo Motor Festival veranstaltet, muss mit sich (und der Welt des Verbrennungsmotors) vollkommen im Reinen sein.

Wo waren wir? Im Jahr 1908, natürlich! Bevor ich weiter abschweife, übernimmt Christian Börner in bewährter Weise.

„Anno 1908 lief der erste Beckmann in Dänemark als Taxi, und zwar in Kopenhagen. Es war ein 7-sitziger 10/14 PS-Phaeton mit einer Höchstgeschwindigkeit von 60 km/h. Anfang 1913 wurde dieser Wagen nach langem Gebrauch in den hohen Norden Norwegens verkauft und dorthin verschifft, denn das Straßennetz reichte bei weitem nicht bis ans Ziel. Käufer dieses Gebrauchtwagens war nämlich ein Fahrrad-Produzent, der seine Manufaktur in der Provinz Nord-Trøndelag auf der Insel Andøya in der Region Vesterålen hatte.“

Ich muss zugeben, dass mir das nichts sagte. Zwar war mein Paderborner Großonkel Ferdinand neben seiner Italien-Passion zeitlebens ein großer Norwegen-Reisender – noch heute höre ich ihn geheimnisvoll „Norrrwegen“ mit gerolltem „r“ sagen – doch die skandinavische Geografie ist mir zeitlebens fremd geblieben.

So habe ich erst von Christian Börner gelernt, dass die Insel Andøya sagenhafte 350 km nördlich des Polarkreises liegt. Dorthin hatte es also diesen 1908er Beckmann verschlagen, der offenbar an einem sonnigen Tag aufgenommen worden war (im Hochsommer klettern die Temperaturen dort auf über 13 Grad):

Beckmann Typ 10/14 PS von 1908 in Norwegen; Foto aus Bestand Rune Aschim/Norwegen

Wenn man der Überlieferung glauben kann, war dieser Beckmann „das erste Auto in Nord-Norwegen überhaupt und dürfte auf der Insel wenig Auslauf gehabt haben.“

So Christian Börner im O-Ton. Nun fragt man sich, was aus diesem Wagen geworden ist oder ob es noch andere Zeugnisse solcher Beckmann-Veteranen in Skandinavien gibt.

Ich sage ganz offen, dass ich nicht die geringste Ahnung habe. Denn ich habe mit Christian Börner vereinbart, dass er uns nur peu a peu verrät, was er bisher über die Automobile herausgefunden hat, welche einst seine Vorfahren im schlesischen Breslau fertigten, wo er kurz vor Kriegsende auf die Welt kam.

Liebe Leser, nun müssen wir uns bis Mitte Januar gedulden, bevor wir Neues aus dem alten Europa erfahren, in dem einst auch die Wagen von Beckmann ihren Besitzern eine Mobilität selbst unter widrigsten Bedingungen ermöglichten, welche bis dato selbst Kaisern und Königen nicht zu Gebote gestanden hatte.

Welche ungeheure Zäsur im Leben der Leute die Ankunft der ersten Motorkutschen gewesen sein muss, das ersehen wir schon daraus, dass einst jeder – wirklich jeder – damit für Mitwelt und Nachwelt festgehalten werden wollte.

Was könnte das schöner illustrieren als diese für heute (und 2023) letzte Aufnahme eines Beckmann – genau des10/14 PS-Typs von 1908, der einst nach Norwegen gelangte?

Beckmann Typ 10/14 PS von 1908 in Norwegen; Foto aus Bestand Rune Aschim/Norwegen

Damit sagen Christian Börner und ich für’s Erste „Auf Wiedersehen“, was die Beckmann-Automobile angeht.

Im Neuen Jahr geht unsere Spurensuche weiter und wie immer sind alle Leser eingeladen, etwaige Beckmann-Dokumente aus ihren Sammlungen zu diesem Projekt beizusteuern, so wie das diesmal dankenswerterweise Wolfgang Spitzbarth getan hat.

Bis zum Jahreswechsel setze ich indessen im Hinblick auf andere Vorkriegsmarken meine Mission (so sagt man heute, wenn man etwas mit Leidenschaft tut) fort – ich habe noch einiges vor, bevor wir 2023 adieu sagen…

Michael Schlenger, 2023. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.   

Eine große Verwirrung: Horch 8/24 PS um 1912

„Eine große Verwirrung…“ das mag manchen an den verdatterten Prediger in der Filmsatire „Leben des Brian“ erinnern, der die selbsternannten Verkündiger vorgeblicher Glaubenswahrheiten und ihre Anhänger als lächerliche Figuren gnadenlos vorführt.

Wem dieser britische Anarchohumor nicht subtil genug oder gar anstößig ist, der mag es vielleicht mit Franz Kafkas († 1924) zeitloser Erzählung Die Abweisung halten.

Auch sie handelt von der großen Verwirrung der Leute – diesmal wenn es darum geht, der weltlichen Obrigkeit in Form eines Steuereinnehmers die eigenen Belange vorzutragen.

Die nötige innere Sammlung zu einer selbstbewussten Rede will dem Vertreter der Bürgerschaft dort einfach nicht gelingen, zu verwirrend ist die Präsenz des selbstherrlichen Beamten und der ihn begleitenden Uniformierten:

Mit dem „allerdemütigsten Lächeln, das sich vergeblich anstrengte, auch nur einen leichten Widerschein auf dem Gesicht des Obersten hervorzurufen… formulierte er die Bitte um Steuerbefreiung für ein Jahr, vielleicht auch noch um billigeres Holz aus den Wäldern. Dann verbeugte er sich tief und blieb in der Verbeugung.

Hübsch, nicht? Und wie so oft bei Meister Kafka bleibt man am Ende in einiger Verwirrung zurück – was war das eigentlich, was er da so merkwürdig präzis geschildert hat? Erlebtes, Geträumtes, vielleicht eine Vision der Verhältnisse 100 Jahre später?

Das muss jeder für sich entscheiden, welchen Reim er sich aus solcher literarisch meisterhaft bewirkten Verwirrung macht. Für ebensolche sorgt indessen auch ganz ohne künstlerische Ambitionen das Foto, das ich heute präsentieren möchte:

Horch 8/24 PS um 1912; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Schon bei Erwerb der Aufnahme war mir klar, dass diese einen Tourenwagen der sächsischen Marke Horch aus der Zeit kurz vor dem 1. Weltkrieg zeigt.

Verflixt, wie kann der Kerl das so einfach erkennen – das mögen Sie jetzt vielleicht denken.

Nun, nach Betrachung einiger tausend solcher Fotos von Autos vorwiegend deutscher Provenienz sammelt sich auch ohne Talent im Kopf zwangsläufig ein Kompendium solcher Abbildungen an, an denen jede neue Aufnahme in Millisekunden abgeglichen wird.

Im vorliegenden Fall genügt für diese Musterkennung, für welche „Künstliche Intelligenz“ gigantische Rechenleistung und hochkomplexe Algorithmen benötigt, die Übereinstimmung von genau zwei Elementen:

Das eine sind die schrägstehenden Luftschlitze in der Motorhaube, die es zwar auch bei anderen Herstellern wie etwa Opel gab, aber bei Horch besonders stark geneigt sind (vgl. meine Horch-Fotogalerie:

Das zweite Element ist das Kühleremblem. Davon ist auf den ersten Blick zwar kaum etwas zu erkennen, aber warten Sie einen Moment.

Schneller als jede Künstliche Intelligenz anhand von unzähligen Beispielen mühsam lernt, Übereinstimmungen zuverlässig zu erkennen, kann ich subito das nötige Wissen vermitteln.

Das tue ich anhand einer einzelnen Aufnahme aus meinem Fundus, die noch dazu einen Horch aus völlig anderer Perspektive zeigt:

Horch 6/18 PS oder 8/24 PS um 1912; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Dieser Wagen trägt vorn das Horch-Emblem, wie es etwa ab 1910 bis einschließlich 1912 auf flachem Kühler Verwendung fand. Ab 1913 wich dieser einem Schnabelkühler (also mit vorkragendem Oberteil).

Jetzt sehen Sie sich nochmals die Kühlerpartie des eingangs gezeigten Horch an – sicher sehen Sie dort nun ebenfalls genau dieses Markenemblem.

Können Sie mir folgen, oder habe ich bereits für große Verwirrung gesorgt? Falls nicht, folgt diese auf dem Fuße und ich muss zugeben, dass ich ihr selbst zum Opfer gefallen bin.

Bevor ich bekenne, was mich so nachhaltig verwirrt an diesem Horch, dass mir die Worte fehlen (eine eher seltene Situation), sei noch festgehalten, dass die Proportionen dieses Wagens auf einen Horch der untere MIttelklasse hindeuten.

Sehr wahrscheinlich haben wir es mit dem Typ 9/24 PS zu tun, der 1911 eingeführt wurde und einen konventionellen 2-Liter-Vierzylindermotor besaß. Ein gewisse Neuerung stellte bei Einführung die Druckumlaufschmierung dar.

Die besaß auch das Schwestermodell 6/18 PS, das äußerlich kaum zu unterscheiden war. Doch der große Tourenwagenaufbau und die höhere Stückzahl (ca. 900 vs. 200) machen den 8/24 PS zum wahrscheinlicheren Kandidaten.

Für die heutige Betrachtung sind solche Fragen aber zweitrangig, denn für weit größere Verwirrung sorgt hier etwas ganz anderes:

Erkennen Sie, was ich meine? Oder sind Sie noch nicht verwirrt genug? Sieht doch alles ganz normal aus, könnte einer denken.

Vorne gasbetriebene Scheinwerfer, Holzspeichenräder mit demontierbaren Felgen (und Reifen) – ein dazu passendes Reserverad (also nicht nur der Reifen), dahinter die außenliegenden Hebel für Gangschaltung und Handbremse.

In Reichweite des Fahrers befindet sich außerdem eine Ballhupe, die Frontscheibe ist oben ausklappbar und kann außerdem geneigt werden. Was soll da für große Verwirrung sorgen?

Na, dann schauen wir uns doch einmal an, was sich da sonst noch an Gerätschaften findet:

Keine Probleme bereiten die in das Windlaufblech zwischen Motohaube und Windschutzscheibe halb eingelassenen elektrischen Standlichter.

Doch was ist das für ein zylinderförmiges Rohr neben der Ballhupe? Für die Zeitung sicher zu klein und als Behälter für die Fahrzeugpapiere vielleicht etwas ungünstig angebracht.

Um die Verwirrung noch zu vergrößern, möchte ich außerdem auf die kuriose Rohrleitung verweisen, die vom Armaturenbrett aus zunächst nach oben steigt und dann rechtwinklig nach vorne abknickt um schließlich wieder abzutauchen, dabei immer breiter werdend.

Ich habe eine Vermutung, um was es sich bei diesen ominösen Anbauteilen handelt, doch möchte ich meine möglicherweise unbegründete Interpretation für mich behalten.

Daher sind jetzt Sie an der Reihe, liebe Leser. Und ganz gleich wie groß die Verwirrung sein mag, in meinem Blog sind alle gleichberechtigt, ihre Sicht der Dinge vorzutragen.

Wenn ich hier mit meinen tagebuchartigen Gedanken in Vorlage trete (ein Blog ist genau das: ein Online-Diarium, englisch: Web-Log), dann setze ich diese der Prüfung durch eine beeindruckende Zahl an Kennern und Sammlerfreunden aus, die hier mitlesen.

Also nur zu: Lässt sich die Verwirrung auflösen, die sich bei Betrachtung dieses Fotos eines Horch 8/24 PS von ca. 1912 einstellt? Oder bleibt es letztlich bei der Akzeptanz des Gegebenen wie in Franz Kafkas Erzählung „Die Abweisung“?

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Lichtblick gefällig? Sunbeam 16-20 hp Double Phaeton

An diesem Wochenende wird in Mitteleuropa die Uhr zurückgestellt – irgendwie passend für eine Region, die generell auf dem absteigenden Ast zu sein scheint.

In meiner Tätigkeit als Finanzübersetzer fällt mir das auf spezielle Weise auf: Waren vor 25 Jahren noch viele deutsche Unternehmen bei internationalen Aktienanlegern gefragt, sind sie in den Portfolios global ausgerichteter Investoren zunehmend unterbelichtet – sofern sie dort überhaupt noch vertreten sind.

Deutsche Großbanken inzwischen ebenso zurückgefallen wie heimische Universitäten, von denen längst keine mehr Weltrang erreicht. Auch bei Kennziffern für Wettbewerbsfähigkeit und Korruption ist ein besorgniserregender Abwärtstrend ablesbar.

Zur Korrektur dieser düsteren Lage bräuchte es einen Befreiungsschlag, wie ihn nach dem 2. Weltkrieg Wirtschaftsminister Ludwig Erhard wagte, als er mit der Aufhebung staatlicher Preiskontrollen in Deutschland die phänomenalen Kräfte der Marktwirtschaft entfesselte.

Fatalerweise zeigen die Signale weiterhin in die falsche Richtung und dann steht uns auch noch die dunkle Jahreszeit bevor! Da ist man für jeden Lichtblick dankbar, meine ich.

Den liefert uns heute Leser Klaas Dierks mit einem Fotodokument aus seinem Fundus, das im wahrsten Sinne des Wortes die Sonne aufgehen lässt – denn so eine großartige Aufnahme vertreibt zuverlässig alle Trübsal:

Sunbeam 16-20 hp von 1909/10; Originalfoto: Sammlung Klaas Dierks

Gewiss, von Sonnenlicht durchflutet ist die Szenerie nicht gerade. Es mag ein bedeckter, doch recht heller Tag gewesen sein, als sie vor über 100 Jahren auf eine Fotoplatte gebannt wurde.

Das Mauerwerk des Hauses, die Form der Dachziegel und der Kiesweg entlang eines sorgfältig gestutzten Rasens lassen einen an England denken, wo die Sonne übrigens öfters lacht, als es das alberne Klischee der ewig Regenschirm tragenden Nation will.

Ich gebe zu, dass ich erst mit Hilfe meiner Facebook-Gruppe für Vorkriegswagen den Hersteller und Typ dieses großzügig wirkenden Tourenwagens ermitteln konnte.

Passenderweise handelt es sich um einen „Sunbeam“, der erste seiner Art in meinem Blog und ein wahrlich willkommener Lichtblick. Denn mir ist wichtig, hierzulande kaum bekannte Fabrikate vorzustellen, damit den Kennern nicht langweilig wird.

Bevor wir uns an den Details dieses Fotos erbauen, möchte ich zur Einordnung eine Reklame zeigen, die genau solch einen Sunbeam zeigt, der Ende 1909 eingeführt wurde:

Sunbeam-Reklame aus: The Autocar, November 1909, Quelle: Grace’s Guide

Demnach sah der Sunbeam des Typs 16-20 hp so aus wie der Wagen auf dem heute präsentierten Foto.

Speziell die Form des Vorderkotflügels und die „getreppte „Anordnung des Aufbaus mit getrennten Abteilen für Fahrer und Passagiere stimmen bis ins Detail überein.

Wer das auf der obigen Reklame nur schwer nachvollziehen kann, wird mit der folgenden Aufnahme zufriedener sein. Hier ist zwar der Vorderkotflügel etwas anders ausgeführt, doch der übrige Aufbau ist identisch mit dem des Wagens auf Klaas Dierks‘ Foto:

Sunbeam 16-20 hp von 1910; Quelle: Autovercity

Man mag jetzt kleine Abweichungen beanstanden wie das fehlende seitliche Lederpolster im Fahrerabteil oder den fehlenden Spritzschutz zwischen Trittbrett und Chassisrahmen.

Aber ich bitte Sie: Mehr Übereinstimmung ist bei einem solchen Manufakturwagen aus der Zeit vor dem 1. Weltkrieg nicht zu erwarten.

Also mäkeln wir nicht herum, sondern genießen wir, was uns dieser „Sunbeam“ an Einblicken gewährt:

Man sieht hier sehr schön, wie sich der mehrsitzige Tourenwagen aus der Verdoppelung des ursprünglich für zwei Personen reservierten „Phaeton“-Aufbaus entwickelt hat.

Der Fahrer sitzt erkennbar in einer äußerlich noch separierten „Wanne“, an welche eine weitere für die rückwärtigen Passagiere gesetzt wurde. Das hatte auch mit der „Arbeitsteilung“ zu tun, denn anfänglich fuhren die meisten Autobesitzer noch mit Chauffeur.

Vorne wurde gelenkt, geschaltet, gebremst und das Verkehrsgeschehen im Blick behalten – die Brötchengeber im Fonds genossen unterdessen die Fahrt, waren ins Gespräch vertieft oder grüßten huldvoll das Fußvolk, sofern sie es nicht ignorierten.

Haben Sie übrigens bemerkt, dass hier weder Schalt- noch Bremshebel zu sehen sind, wie sie noch bis in die 1920er Jahre meist rechts vom Fahrer außerhalb der Karosserie angebracht waren? Offenbar war dies ein frühes Beispiel für eine Anbringung im Innenraum.

Zeittypisch verfügt der 1909/10 gebaute Sunbeam noch über kein strömungsgünstiges Windlaufblech zwischen Motorhaube und Frontscheibe. Bei britischen und französischen Wagen wurde dieses Detail auch erst später Standard als bei deutschen Serienautos, die ab 1910 fast ausnahmslos mit dieser im Sport erprobten Lösung ausgestattet wurden.

Wenn die beiden Damen im Heck des Wagens wenig enthusiastisch erscheinen bzw. uns ganz ignorieren, ist zu bedenken, dass eine solche Aufnahme damals je nach Helligkeitsverhältnissen mehrere Sekunden Belichtungszeit erfordern konnte.

So lange halten nur professionelle Schauspieler ein Lächeln durch. Also seien wir gnädig mit den Insassen des hinteren Abteils dieses Sunbeam „Double Phaeton“:

Immerhin ist auch dieser Ausschnitt ein erfreulicher Lichtblick, finde ich. Denn er zeigt uns die Haarpracht der beiden Ladies ganz von opulenten Hüten befreit, wie sie damals in der Öffentlichkeit üblich waren.

Dass es sich um eine intime Situation auf einem Privatgrundstück handelt, das belegt nicht zuletzt der wackere Wachhund, der sich zufrieden mit sich selbst und der Welt in seinem vertrauten Zuständigkeitsbereich zeigt.

Das außerordentliche Talent von Haushunden, in solchen Momenten eine perfekte Pose einzunehmen, ist mir schon oft aufgefallen – man könnte Bildbände füllen mit solchen Fotos:

Letztlich erkennen wir uns in unseren vierbeinigen Begleitern selbst zum erheblichen Teil wider – das ist keine Einbildung. sondern unserer engen Verwandschaft geschuldet. Auch von daher verdienen Haustiere unsere Sympathie. Die Freundschaft mit ihnen ist eine Konstante im menschlichen Dasein seit unserer Sesshaftwerdung.

Auch sie sind ein Lichtblick in einem Dasein, das genügend Anlass zu düsteren Gedanken gibt und in dem es vielen versagt bleibt, ein materiell sorgenfreies Leben zu führen wie die Eigner des großartigen Sunbeam vor über 100 Jahren.

Das ist ein weiterer Gedanke, der sich bei der Betrachtung früher Autofotos einstellt. Individuelle Mobilität ist eines der großen Geschenke menschlichen Erfindungsgeist an den Menschen – sie sollte jedermann zugänglich sein und bleiben.

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Wirklich alles gut bedacht? Ein „Piccolo“ 5/6 PS

Ende Oktober – wechselhaftes Wetter wie immer um diese Zeit. Gegen Mittag recht mild und trocken, da bietet sich nach getaner Schreibtischarbeit ein Gang in den Garten an, dachte ich. Der mächtige alte Maronenbaum wirft nämlich beängstigende Mengen Laub ab.

Ein kurzer Blick zum Himmel, dort zeigen sich die ersten Kraniche in V-Formation auf dem Weg in südliche Gefilde, damit ist immer eine Empfindung von Abschied für mich verbunden.

Zwei Stunden später fällt die geplante Schicht im Garten ins Wasser und bis abends bleibt es regnerisch. Gut bedacht zeigt sich da der ehemals gläserne kleine Wintergarten am östlichen Ende des Hauses. Noch vor Einsetzen der Schlechtwetterperiode erhielt er ein Dach in Ziegelrot passend zu den alten Tonziegeln des gut 120 Jahre alten Fachwerkbaus.

Eine hübsch anzuschauende Regentonne ist jetzt an das Fallrohr angeschlossen. Doch hatte ich nicht bedacht, welche Mengen Wasser trotz der kleinen Fläche herunterkommen. Jetzt ist das Teil kurz vor dem Überlaufen, und ich weiß kaum wohin mit dem Inhalt. Denn der Garten ist seit Wochen tief durchfeuchtet.

So ist das in der hessischen Wetterau – wir haben oft meist warme trockene Sommer, doch der Wasserhaushalt kommt in der kühlen Jahreshälfte stets wieder ins Lot.

Die Wetteraussichten um diese Zeit ließen es auch schon vor 120 Jahren angeraten erscheinen, sich auf teils ergiebige Regenfälle einzustellen. Da stand man dumm da, wenn man beim Kauf seines ersten Automobils am Zubehör gespart hatte wie hier:

„Piccolo“ 5-6 PS; Originalfoto: Sammlung Klaas Dierks

Tatsächlich war ein Dach bei diesem leichten Zweisitzer aufpreispflichtig. Gebaut wurde er ab 1904 unter dem Namen „Piccolo“ von der Firma Ruppe & Sohn im thüringischen Apolda.

Das vom Chassis her noch der Kutschentradition entstammende Gefährt besaß einen vorn montierten luftgekühlten 2-Zylinder (V-Anordnung), der aus 800ccm Hubraum 5-6 PS leistete.

Speziell für Landärzte war das ein ideales Einstiegsautomobil, sie verdienten auch gerade genug, um sich so eine teure Maschine leisten zu können. Für die breite Masse war auch nur der Gedanke an irgendein motorisiertes Gefährt völlig abwegig.

Das hatte man bei Ruppe & Sohn wohl nicht gut bedacht, als man den „Piccolo“ in Reklamen vollmundig als Volksauto anpries. Dennoch scheint der Absatz bis Produktionsende 1907 recht ansehnlich gewesen zu sein, da man immer wieder auf Fotos davon stößt.

Die wohl umfangreichste Kollektion an zeitgenössischen Fotos, Werbung und Presseartikeln zum „Piccolo“ hat Wolfgang Spitzbarth auf seiner hochinformativen Website zum deutschen Automobilkonstrukteur Karl Slevogt zusammengetragen.

Unter der Rubrik „Ruppe, MAF“ findet man dort reichhaltiges Material und viele Erläuterungen zum Piccolo, weshalb ich interessierte Leser ausdrücklich darauf verweise.

Mir geht es bekanntlich ohnehin eher um eine spielerische, meist sehr subjektive Auseinandersetzung mit den Autos aus der Vorkriegszeit sowie den Menschen, in deren Leben sie eine Rolle spielten – daher das Format als Online-Tagebuch (Web-Log, kurz: Blog).

Wichtiger als Konstruktionsdetails und Fahreigenschaften ist mir oft das Erscheinungsbild oder auch die Aufnahmesituation. Dabei gilt es auch, ein einmal gewähltes Thema durchzuhalten – heute geht es um Variationen von „Alles gut bedacht“.

Im Unterschied zu dem Herrn auf dem ersten Foto hat es der Besitzer dieses „Piccolo“ besser gemacht und tatsächlich auch die Eventualität von Regenwetter bedacht:

„Piccolo“ 5-6 PS; Originalfoto: Sammlung Klaas Dierks

Wohl als Praktiker mit zwei- oder vierbeinigen Patienten im Umland, die bei jedem Wetter seine Hilfe brauchen können, hat er sich nicht nur für das Klappverdeck entschieden, sondern auch einen ledernen Beinschutz geordert.

Dieser hielt Nässe und Kälte ab, denn eine Heizung besaß damals noch kein Auto – das tauchte meines Wissens erst ab den frühen 1920er Jahren als Zubehör auf. Erwähnenswert ist auch der Spritzschutz am vorderen Ende der Kotflügel, selten zu sehen beim „Piccolo“.

So gesehen hat dieser „Piccolista“ wirklich alles gut bedacht, was den Einsatz bei Wind und Wetter angeht. Dank recht großen Gasscheinwerfer waren sogar nächtliche Fahrten möglich. Schön nebenbei, dass hier das Töchterchen mit aufgenommen wurde.

Nur eines konnte dem Fahrer gegebenenfalls dazwischenfunken und das war ein Defekt am Motor, speziell an der damals allgemein noch anfälligen Zündanlage. Hatte der Hersteller ansonsten alles gut bedacht bei diesem Wagen?

Ich möchte hier Zweifel äußern. Ein luftgekühlter Motor mit frei im Fahrtwind stehenden einzelnen Zylindern sollte thermisch stabil sein, wenn er korrekt konstruiert ist, meint der Motorradfahrer in mir.

Warum aber setzte man beim „Piccolo“ einen zusätzlichen Lüfter in einem runden Gehäuse vor das Aggregat?

Sollte diese über den Motor und einen Riemen angetriebene Vorrichtung ein thermisches Defizit ausgleichen? Und konnte sie das überhaupt wirksam oder störte sie möglicherweise sogar den kühlenden Luftstrom durch ihre Platzierung vor den Zylindern?

Bar jeder Fachkenntnis würde ich vermuten, dass eine zusätzliche Kühlung der nicht im Fahrtwind liegenden Zylinderhälften wichtiger gewesen wäre, sofern diese zu heiß werden drohten. Dann hätte sich aber eine andere Lösung mit Luftleitblechen angeboten.

Mir scheint, dass der Zusatzlüfter nicht gut bedacht war, vielleicht brachte er gar nichts oder war sogar eher abträglich. Dass man die Strömungseffekte irgendwie gemessen oder gar berechnet hat, möchte ich bezweifeln.

Im damaligen Automobilbau war längst noch nicht alles mit Bedacht wohlersonnen, sondern vieles basierte auf Bauchgefühl und Erfahrung. Im Fall von Ruppe & Sohn wurde vermutlich erst mit dem Antritt des brillianten Ingenieurs Karl Slevogt wirklich auf rationaler Grundlage konstruiert und nach Möglichkeit alles gut bedacht.

Die Apollo-Wagen waren das Ergebnis dieses neuen Kapitels bei Ruppe & Sohn.

Das ist aber eine andere, sehr umfangreiche Geschichte, die Sie am besten auf Wolfgang Spitzbarths Website studieren können, auch wenn ich hier ab und zu Apollo huldige…

Michael Schlenger, 2023. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.