Frühjahrsputz nach Männerart: Austro-Daimler 9/25 PS

Dass Männer immer wieder Opfer struktureller Diskriminierung werden, ist bekannt – ihnen werden nicht nur im Berufsleben systematisch niedere bzw. gefährliche Tätigkeiten zugemutet: auf Autobahnbaustellen, bei Müllabfuhr und Feuerwehr, aber auch auf Seenotrettungskreuzern und bei der Katastrophenhilfe.

Aber auch im privaten Bereich mutet man ihnen einiges zu: So werden viele Männer noch heute absichtlich ausgegrenzt, was die Möglichkeit angeht, sich bei Hausarbeiten zu entfalten. In der Not bleibt ihnen oft nur ein Weg, ihrem Putzdrang nachzugeben:

Aus eigener Erfahrung weiß ich, dass das gründliche Reinigen und Aufpolieren von Automobilen zu den Tätigkeiten gehört, für die Männer eine angeborene Motivation und Ausdauer besitzen – zugleich überlassen ihnen die Damen hier auffallend gern das Feld.

Die Beschäftigung mit der Pflege des vierrädrigen Familienmitglieds hat etwas Therapeutisches, sofern es sich um ein klassisches Automobil handelt. Wer regelmäßig einigen Quadratmetern Lack und Chrom zu neuem Glanz verhilft, braucht keinen Psychiater.

Einen wunderbaren Beleg dafür, welchen Grad an Hingabe und Versenkung Männer beim Frühjahrsputz erreichen können, wenn der Gegenstand der richtige ist, verdanke ich Leser Matthias Schmidt (Dresden):

Austro-Daimler 25 PS; Originalfoto aus Sammlung Matthias Schmidt (Dresden)

Dieses herrliche Dokument passt nicht nur perfekt zu meiner These, dass auch Männer dem Konzept des Frühjahrsputz viel abgewinnen können – es zeigt zugleich ein Fahrzeug, das ich in dieser Form bislang noch nicht vorstellen konnte.

Dass wir hier eine in Deutschland zugelassene Limousine auf Basis eines Austro-Daimler aus der Zeit kurz nach dem 1. Weltkrieg vor uns haben, ist schnell ausgemacht. Ein Blick auf den Kühler mit dem noch aus Vorkriegszeiten stammenden Dekor genügt:

Eine Frontansicht dieses Emblems findet sich in meinem Blog beispielsweise hier. Doch ist es auf der Aufnahme von Matthias Schmidt nicht an einem der großen Sechszylinderwagen montiert, mit denen Austro-Daimler in den 1920er Jahre Furore machte.

Nein, die kompakten Abmessungen der Motorhaube und das Größenverhältnis zwischen dem Wagen und seinem hingebungsvollen „Pfleger“ verraten, dass wir eines der Vierzylindermodelle der Marke vor uns haben, die noch auf Vorkriegstypen basierten.

Zwei Motorisierungen waren dabei erhältlich – ein 9/25 PS Typ mit 2,3 Litern Hubraum und ein 15/35 PS-Typ mit 3,3 Liter Hubraum. Sie unterschieden sich äußerlich durch den deutlich abweichenden Radstand.

Im vorliegenden Fall dürfte es sich um einen Austro-Daimler 9/25 PS handeln, dessen Radstand nur knapp 2,90 Meter betrug. Das stärkere Modell 15/35 PS verfügte über einen Radstand von gut 3,10 Meter – was mir hier zuviel vorkommt.

Ein Wagen mit fast identischem Aufbau ist in Franz Pinczolits Standardwerk über Austro-Daimler auf S. 128 abgebildet. Die keilförmig ausgeführte Frontscheibe findet sich bei Limousinen aus dem deutschsprachigen Raum nach dem 1. Weltkrieg öfters (bspw. hier).

Von 1920 bis 1922 wurde dieser Vierzylindertyp von Austro-Daimler gefertigt – wieviele Exemplare davon entstanden, ist mir nicht bekannt. „Sie verkauften sich recht gut„, schreibt Werner Oswald (Deutsche Autos 1920-1945, Ausgabe 2001) – er wusste es also auch nicht.

Das Beste an diesem Foto ist aus meiner Sicht aber ohnehin der junge Mann, der hier in die Reinigung der Sitzpolster vertieft ist – mit seiner gepflegten Frisur, der tadellosen Haltung und dem zünftigen Outfit würde er heute noch gute Figur machen – ihm scheint sogar der meist zurecht verpönte Schnauzer zu stehen:

Ich vermute, dass dieser tiefenentspannte Mann vor rund 100 Jahren der Chauffeur des Austro-Daimler war – jedenfalls würde sein Erscheinungsbild dazu passen.

Die militärisch anmutende Optik ergibt sich aus der damals beliebten Kombination aus normalen Halbschuhen und die Unterschenkel umschließenden ledernen Gamaschen – auf den ersten Blick wirkt das wie Reitstiefel, wozu auch die weitgeschnittene Hose passt.

Nun, meine Damen, was würden Sie zu einem adretten Burschen sagen, der sich so ausgezeichnet beim Frühjahrsputz anstellt, während der Gatte auf Dienstreise weilt? – „Kommen Sie doch nachher auf einen Kaffee rein, Felix…“

© Michael Schlenger, 2021. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

3 Gedanken zu „Frühjahrsputz nach Männerart: Austro-Daimler 9/25 PS

  1. Die alte Bundesrepublik … und geschlechtsspezifische Diskriminierung mittels gefährlicher Arbeiten, für die der Gatte auf Montage am Hochspannungsmast, auf der Ölbohrinsel oder ohne eigene willentliche Bejahung auf Wehrübung verweilte. Und Frivoles unterstellend weitergedacht, gab es den DNA-Test weder vor 40 noch vor 100 Jahren, wenn während der Dienstreise unvorhergesehene, aber absehbare Dinge geschahen. Immerhin durfte man 1983 aber noch die Wahrheit sagen und schreiben über das, was 1923 geschah. Es endete gleichwohl in vehementer Diskussion, aber das StGB blieb zu. Die Autowäsche im eigenen Hof wurde allerdings schon Jahre vor der aktuellen Diskussion um Wasserknappheit untersagt und die damit verbundene Putzfreude an Lack und Chrom versagt, denn nur bei ausreichender Flächenversiegelung sei eine Kanalisationszuführung ohne Sickerungsverlust gewährleistet. So sah ich hier schon seit 10 Jahren niemand mehr beim Autowaschen, was vor dem Millennium noch überall üblich war.

    https://www.autozeitung.de/auto-zuhause-waschen-191690.html

    An einen weiteren Fall von soziostruktureller Diskriminierung aus dem Jahre 1986 erinnere ich mich gleichwohl – ein 20-jähriger Serieneinbrecher bekam Bewährung aufgrund guter Sozialprognose, da neue Freundin und auch wieder einen Arbeitsplatz bekommen – und ein 19-jähriger Fahnenflüchtiger bekam zusätzlich zum Nachdienen 8 Monate Gefängnis zur Verbüßung, weil er beim „unerlaubten Entfernen von der Truppe“ das G3 mitnahm. Daß 10 Menschen ihre Kameras und Stereoanlagen, ihre Bilder und Schallplatten, Münz- und Briefmarkensammlungen wohl nie wieder zurückbekamen, wog weniger als ein Panikmoment … hätte er das Gewehr wegwerfen sollen, damit Kinder es finden und herumspielend entsichern – oder Typen aus dem Milieu des Vorgenannten, um beim nächsten Einbruch bewaffnet zu sein ?
    Ob es vor 40 Jahren besser war als heute … ich bin im Zweifel.
    Aber nun zum Austro-Daimler : Das Frühjahrsputzbild ist ein grandioses Dokument, zeigt es doch eine Szene, die sonst kaum zu finden ist, und dies in einer Perspektive, die alles zur Typenbestimmung Wesentliche erkennbar läßt ! Vom Spitzkühler über die „Spitzscheibe“ und weiter entlang der Dachkante ist diese (wie in der frühen Ersten Republik Österreich üblich) rechtsgesteuerte 3-Fenster-Limousine ebenso perfekt wie authentisch präsentiert. Den ÖFFAG-Aufbau findet man auch hier, jedoch spricht die Länge der Motorhaube für einen Sechszylinder :

    https://www.austrodaimler.at/fotogalerie/autos/

    Somit denke auch ich, daß hier die Sitze eines 9/25 PS gepflegt werden; und solch einen Vierzylinder, aber mit offenem Aufbau als Tourenwagen kann man wohl in Mattsee antreffen …

    Gelandet bin ich hier wegen Ihres gestrigen Berichts zum Alfa-Romeo 6C 2300, merkte meine Verwechslung mit dem 8C 2900, und fand den Frühjahrsputz, als ich 2,3 als Hubraumgröße suchte.

  2. Das freut mich zu hören, Herr Garlich. Die Sprache gehört allen Deutschen, nicht den Medienfritzen und nicht irgendwelchen Propaganda-Organisationen, die versuchen, die Sprache durch Vorschriften und Verbote zum Herrschaftsinstrument zu machen. Das private Blog-Format erlaubt mir, meine Sicht der Dinge so subjektiv kundzutun, wie das in der alten BRD einmal selbstverständlich war, und das wird auch so bleiben. Gruß aus der hessischen Wetterau!

  3. Hallo Herr Schlenger,

    ihre einleitenden Worte haben mich sehr zum lachen gebracht. Vielen Dank für diese spitz formulierten Wortspiele. Ihre Schreibweise und Themeninhalte stellen für mich ein herrliches Kleinod dar, im Gegensatz zu den sonst gendergerechten Formulierungen der öffentlichen Presse. Beste Grüße aus Calau – Niederlausitz (Heimatstadt der Kalauer Wortwitze)

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