Flug des Phönix – neu erzählt: Voisin Typ C7

Heute habe ich das Vergnügen, eine Geschichte zu erzählen, die beinahe so spannend ist wie die Story im US-Abenteuerfilm „Flug des Phönix“ von 1965.

In beiden Fällen geht es (mehr oder weniger) um Fliegerei, Beharrungsvermögen, eine unwahrscheinliche Wiederauferstehung und allgemein die Rolle der Faktoren Glück und Können beim Gelingen großer (und kleiner) Vorhaben.

Der Ausgangspunkt meiner Geschichte ist ein Blogeintrag von Januar 2018. Damals stellte ich eine Aufnahme vor, die ich bei meinen Streifzügen in den unendlichen Weiten von eBay entdeckt hatte:

Voisin Typ C7; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Ich konnte diesen außergewöhnlich gestalteten Wagen seinerzeit als Fahrzeug der französischen Marke Voisin identifizieren, deren Gründer ein bedeutender Flugpionier und zugleich umfassend begabter Mensch war.

Dieser Gabriel Voisin verkörperte die äußerst seltene Kombination zweier Kompetenzen – der des Technikers und der des Künstlers. Mir fällt als Entsprechung im deutschen Sprachraum nur Ernst Neumann-Neander ein.

Die von Voisin kreierten Wagen suchten jedenfalls ihresgleichen, nicht nur im skulpturenhaft anmutenden Äußeren, sondern auch in technischen Details.

In meiner Begeisterung ließ ich mich von dem Fund dazu verleiten, in diesem Wagen einen Voisin des Typs C17 zu sehen, welcher mich 2015 beim Concours d’Elegance auf Schloss Chantilly nördlich von Paris begeistert hatte:

Voisin Typ C14, aufgenommen 2015 auf Schloss Chantilly; Bildrechte: Michael Schlenger

Mit der These, dass mein Voisin-Foto ebenfalls einen solchen Typ C14 mit 2,4 Liter großem 6-Zylinder-Hülsenschiebermotor nach Knight-Patent zeigt, der ab 1927 gebaut wurde und effektiv über sechs (!) Vorwärtsgänge verfügte, legte ich indessen eine Bruchlandung hin.

Das erfuhr ich aber erst kürzlich, als ich Post von Koloman Mayrhofer erhielt – seines Zeichens Geschäftsführers der österreichischen Firma Craftlab.

Diese entstand aus Koloman Mayrhofers Leidenschaft für die frühe Fliegerei und konzentriert sich heute auf die Restaurierung bzw. Rekonstruktion historischer Flugzeuge und Automobile – idealerweise solcher Hersteller, die beides im Programm hatten.

Bei einer solchen Ausrichtung kommt man an Voisin natürlich nicht vorbei. So kam es, dass Herr Mayrhofer beim Stöbern auf meiner Website auf das eingangs gezeigte Foto stieß.

Das war der Moment, in dem mein 2018 als C14 identifizierter Voisin sich anschickte, wie der sprichwörtliche Phönix aus der Asche neu zu erstehen – nämlich als Typ C7.

Den Anlass dazu gab die nähere Betrachtung der Frontpartie:

Mir war selbst einst aufgefallen, dass die tropfenförmigen Scheinwerfer des einst in Wien zugelassenen Voisin in merkwürdigem Kontrast zur übrigen Gestaltung des Wagens standen.

Wie die Stoßstange mit vier „Hörnern“ schien es sich um nachträglich angebrachte Teile zu handeln. So, und jetzt halten Sie sich fest:

Vor elf Jahren landete bei Craftlab dieser etwas mitgenommene, aber im Wesentlichen komplette Voisin zwecks Wiederherstellung des Originalzustands:

Voisin Typ C7; Originalfoto mit freundlicher Genehmigung von Koloman Mayrhofer

Kommen Ihnen die Scheinwerfer bekannt vor?

Zwar ist hier keine Stoßstange mehr montiert wie bei dem Voisin auf meinem Foto, doch alle Details stimmen ansonsten vollkommen überein.

Laut Koloman Mayrhofer „bestehen wenig Zweifel, dass es sich um ein und denselben Wagen handelt, zudem waren nur wenige Voisin in Österreich registriert“.

Besitzer dieses Exemplars war nach dem 2. Weltkrieg ein gewisser Henry Goldhahn, danach verschwand der Voisin im Technischen Museum Wien, wo er offenbar als eher uninteressant betrachtet wurde.

Somit schien der Voisin dazu verdammt zu sein, nicht noch einmal seiner Bestimmung gemäß das Licht der Welt zu erblicken.

Doch mit bewunderungswürdigem Beharrungsvermögen vermochte der heutige österreichische Besitzer nach zehn Jahren das Auto endlich aus seinem unwürdigen Stillstand zu befreien.

Um den Voisin quasi wieder flügge zu machen, wandte er sich an die Könner von Craftlab, denen es gelang, dem Wagen wieder zu alter Herrlichkeit zu verhelfen – und das natürlich nicht ohne Bezugnahme auf die Wurzeln von Voisin in der Fliegerei:

Voisin Typ C7; Originalfoto mit freundlicher Genehmigung von Koloman Mayrhofer

Wer sich nun fragt, wie die Spezialisten von Craftlab auf die Farbgebung kamen, dem sei versichert: durch quasi archäologische Untersuchung der Karosserie.

Bei der Anlieferung war der Voisin in einem Weinrot lackiert, das wohl bereits zum Zeitpunkt aufgetragen worden war, als das von mir entdeckte Foto entstand. Jedenfalls wirkt der Wagen auf der Aufnahme vor der Restaurierung im von mir bewusst gewählten Schwarzweiß-Modus ähnlich dunkel.

Die gesamte Karosserie war – abgesehen von Kotflügeln, Schweller- und Dachpartie – mit neu auf dem Blech aufgetragenen weinroten Lack versehen. Doch bei Abnahme des Koffers am Heck zeigte sich dahinter der großteils unversehrt gebliebene lichtgraue Originalton.

So verwandelte sich der von mir entdeckte Voisin nicht nur von einem mutmaßlichen C14 zum kompakteren, doch nicht minder faszinierenden Typ C7, er mauserte sich zugleich zurück zu seinem ursprünglichen Erscheinungsbild.

Dank der unerschütterlichen Zuversicht des Besitzers und der Akribie der Craftlab-Spezialisten erhob sich diese faszinierende Schöpfung entgegen aller Wahrscheinlichkeit am Ende wie Phönix aus der Asche, um sich zu einem neuen Autoleben aufzuschwingen…

Michael Schlenger, 2022. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

Ein Gedanke zu „Flug des Phönix – neu erzählt: Voisin Typ C7

Kommentar verfassenAntwort abbrechen