Horror oder Hotrod? Bentley „Turner Supercharged“

Seit Jahrtausenden arbeiten sich Philosophen an der Frage ab, ob es eine objektiv erkennbare Wirklichkeit gibt und – selbst wenn – ob wir unvollkommenen Kreaturen diese erfassen können.

Ich hänge der Auffassung an, dass Zweifel angebracht sind, was die Fähigkeit des Menschen zu objektiver Erkennntis betrifft. Das ist insoweit nicht schlimm, als es viele reizvolle oder bedenkenswerte Perspektiven auf die Dinge gibt.

Die Probleme beginnen dann, wenn eine als die einzig wahre oder zulässige erklärt wird. Mir ist kein menschlicher Erkenntnisfortschritt bekannt, der darauf beruht.

Der Streit, der Widerspruch, der Zweifel – stetige Begleiter in der Auseinandersetzung mit allen Phänomenen. Das gilt für wissenschaftliche Annäherungen an die Wirklichkeit.

Doch auch in ästhetischen Werturteilen kann die andere, die skeptische oder verstiegen wirkende Sicht interessante Facetten beleuchten. Auch in dieser Hinsicht ist alles „erlaubt“ – abgesehen davon, wem die Rolle der Geschmackspolizei obliegen sollte.

So nehme ich mir die Freiheit, die Hervorbringungen der als heilig angesehenen Bauhaus-Bewegung der 1920er Jahre als Verirrung der traumatisierten Kriegsgeneration anzusehen, die mehr Schaden angerichtet hat als dass sie Dinge hervorgebracht hat, deretwegen man auf einen Besuch in Brügge, Bamberg, Lecce oder Ephesos verzichten würde.

Deshalb würde ich aber niemanden verbieten wollen, das genaue Gegenteil zu vertreten. Denn: Im Wettbewerb mit dem anderen Argument schärft sich entweder das eigene oder man muss einsehen, dass man damit auf dem Holzweg ist.

So verhält es sich auch mit vielem in Verbindung mit Vorkriegsautos. Das gilt nicht nur für aus meiner Sicht abwegige Konzepte, die anderen spannend und liebenswert erscheinen. Es gilt auch für das, was mit Vorkriegsautos in späterer Zeit angestellt wurde.

Umlackiert, neu karossiert, anders und weit stärker motorisiert – alles Mögliche wurde mit den nunmehrigen Gebrauchtwagen gemacht.

Die Reaktionen darauf sind so krass unterschiedlich, dass man die Frage stellen darf, wie es zu so divergierenden Ansichten kommen kann. Den Anlass dazu, dem nachzuspüren, lieferte mir diese Aufnahme, die ich kürzlich erworben habe:

Bentley 4¼ Litre „Turner Supercharged“; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Diese hübsche Szene wurde irgendwann in den 1960er Jahren in England aufgenommen. Sie gefiel mir, weil sie mich ein wenig an das „Goodwood Revival“ im südenglischen Sussex erinnert, wo es damals ganz ähnlich aussah (und heute wieder).

Der Roadster mit der markanten Zweifarblackierung und der eigenwillig bauchigen Karosserielinie ist anhand des Kühler schnell als Bentley identifiziert.

Ich habe zwar schon unzählige Bentleys gesehen – sowohl im englischen Goodwood als auch bei den Classic Days am Niederrhein – doch habe ich eigentlich keine Ahnung davon. Das liegt vor allem daran, dass kaum einer dem anderen gleicht, sehr oft wurden die Chassis nach Kundenwunsch mit individuellen Karosserien versehen.

So gab ich mich angesichts des Alters des Abzugs der naiven Hoffnung hin, dass ich eine Vorkriegs-Roadsterversion „geschossen“ hatte.

Aber ach, selten irrte ich so wie hier. Ein Aufruf in meiner internationalen Facebook-Gruppe zu Vorkriegsautos ergab, dass es sich um einen bekannten Nachkriegs-Special auf Basis eines 1937er Bentley handelt – noch dazu um einen heftig leistungsgesteigertes Auto.

„Horror oder Hotrod?“ – vor dieser Frage stand ich nun, etwas enttäuscht. Tatsächlich lassen sich jedoch für beide Sichtweisen treffliche Argumente ins Feld führen.

Für dieses Gefährt wurde nämlich ein 1937er Bentley des Typs 4¼ Litre „überarbeitet“, um es vorsichtig auszudrücken.

Der ursprünglich mit einem geschlossenen Aufbau von Park Ward versehene Wagen geriet nach über 100.000 km Laufleistung anno 1958 in den Besitz von B.M. Russ Turner.

Der ließ die originale Karosserie weitgehend verschrotten, das Chassis kürzen und diesen eigentümlichen Roadsteraufbau von Caffyns & Co. of Kent & Sussex (Worthing) in Aluminium anfertigen. Immerhin wurde das Armaturenbrett mit seiner markentypisch bizarren Instrumentenansammlung beibehalten.

Das ist natürlich der Horror von Bentley-Enthusiasten, die beklagen, dass es heute mehr offene Aufbauten gebe als geschlossene, während das in der Vorkriegszeit umgekehrt war.

Man mag diese Praktik bedauern, vor allem wenn sie bis in unsere Tage anhält. Aber: Was weg ist, ist weg, und Jammern bringt die alte Herrlichkeit nicht zurück.

Schauen wir also aus einer anderen Perspektive darauf. Während eine klassische Bentley-Limousine der 1930er Jahre nach dem Krieg wenig Zukunftschancen hatte, war es genau so ein Horror-Umbau, der dem Wagen überhaupt ein Fortleben ermöglichte.

Damit wären wir bei dem Phänomen „Hotrod“, das wie alle aufregenden Dinge umstritten ist. Denn mit der sportlichen Neukarossierung ging auch eine Leistungssteigerung einher.

Den originalen 4,3 Liter-Motor behielt Mr. Turner bei, ließ ihm aber mit gleich zwei „Arnott“-Kompressoren ordentlich mehr Power verpassen. Weit über 200 PS Spitzenleistung waren das Ergebnis und mit einer Höchstgeschwindigkeit von mehr als 200 km/h war der Bentley „Turner Supercharged“ lange einer der schnellsten Vorkriegs-Bentleys überhaupt.

Nach einigen Besitzerwechseln steht der einsatzfähige Wagen aktuell (Dezember 2025) für 172.500 Pfund zum Verkauf. Das ist aber keineswegs der Grund, weshalb ich ihn vorstelle, es ist reiner Zufall. Kenner und Leser Pál Négyesi brachte mich darauf.

Und jetzt beurteilen Sie hier selbst, ob das ein Horror oder ein Hotrod ist. Für mich ist der Wagen beides – wie gesagt: es sind oft die Widersprüche, die den Reiz einer Sache ausmachen…

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Der reine Luxus: Fiat 514 – mit zwei Rädern…

So frugal das in der Überschrift anklingende Programm auch klingen mag – wird sich selbiges schon bald als der reine Luxus entpuppen. Vielleicht nehmen Sie sich etwas Zeit dafür, es gibt eine Menge zu sehen – speziell, wenn man sich nicht nur an Vorkriegsautos erbauen kann.

Tatsächlich liefert mir ausgerechnet der 1929 eingeführte Fiat 514 mit seinem konventionellen 1,4 Liter-Motor (28PS) die ideale Überleitung zum hemmungslosen Luxus, auch wenn man es dem Wagen hier noch nicht ansieht:

Fiat 514 Tourer; Originalfoto: Sammlung Matthias Schmidt (Dresden)

Die schöne Aufnahme dieses Tourenwagenmodells verdanke ich Leser Matthias Schmidt. Sicher kann jemand eingrenzen, wo der Fiat 514 zugelassen war.

Alleine solche großzügig in digitaler Kopie bereitgestellten Dokumente darf man getrost als Luxus ansehen, da viele andere Sammler aus mir nicht begreiflichen Gründen Geheimnisse aus ihrem Bestand an altem belichtetem Papier machen.

Bislang war ich dem Modell 514, den Fiat als stärkeren Nachfolger des äußerst erfolgreichen 1-Liter-Typs 509 auf den Markt brachte, nur am Rande begegnet. Mit den Details nicht sonderlich vertraut wunderte ich mich daher über die Gestaltung der Räder mit einfacher Nabenkappe und frei zugänglichen Radbolzen.

Dabei hatte ich den 514 noch als Typ im Hinterkopf, der über markante Radkappen verfügte – hier hatte ich ihn erstmals anhand dieses bemerkenswerten Fotos besprochen:

Fiat 514 Limousine; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Aus gegebenem Anlass bot sich nun die Möglichkeit, der Sache etwas genauer nachzugehen. Dabei liefert das Stichwort „zwei Räder“ den Schlüssel.

Wie ich aus der in jeder Hinsicht vorbildlichen Website von Ferdinand Lanner zu Fiat-Automobilen entnehmen konnte (warum gibt es das eigentlich nicht für andere Marken?), wurde der Fiat 514 auch mit einer Luxusaustattung angeboten.

Letztere umfasste zwei seitlich montierte Reserveräder, außerdem die erwähnten wohlgeformten Radkappen. Tatsächlich fand ich beides stets in Kombination miteinander auf weiteren Fotos des 514, die ich erwerben konnte.

Hier haben wir ein in Berlin zugelassenes Exemplar, das wahrscheinlich in Deutschland seinen Cabrioaufbau erhalten hatte – in Italien kannte man diesen schwerfälligen Stil mit hoch bauender Tür nicht:

Fiat 514 Cabriolet; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

An sich war der Fiat 514 ja Ende der 1920er Jahre als Einstiegsmodell gedacht, doch in Deutschland war damals noch jedes Auto ein Luxusgegenstand – und wer sich das leisten konnte, besaß oft auch das Kleingeld für einen Manufakturaufbau.

Der Besitzer dieses Exemplars gönnte sich sogar den Luxus gleich zweier Ausführungen – jedenfalls könnte man auf die Idee kommen, wenn man das identische Nummernschild zugrundelegt:

Fiat 514 Cabriolet; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Was soll man davon halten? Nun, beim ersten Foto ist als Aufnahmedatum das Jahr 1937 überliefert – gut möglich, dass man dem Fiat nach etlichen Jahren eine neue Lackierung spendierte.

Wenn Sie jetzt glauben, dass dies bereits alles zum Thema „Fiat 514 mit zwei Rädern“ gewesen ist, dann stellen Sie sich darauf ein, dass Ihnen der angedrohte reine Luxus noch bevorsteht.

Tatsächlich begegnete mir am letzten Sonntag in der Frühe dieses makellos daherkommende Exemplar eines Fiat 514 und es sollte nicht dabei bleiben:

Fiat 514 Limousine im September 2025 in Foligno (Umbrien); Bildrechte: Michael Schlenger

Wo ist denn hier der Luxus?„, mögen Sie jetzt fragen, „der hat doch weder die zwei seitlichen Reserveräder noch die Radkappen?

Schön, dass Sie so gut aufgepasst haben – denn natürlich ist das „nur“ die Basisversion. Auf die zwei Räder und den Luxus müssen wir noch einen Moment warten.

Dafür gibt es den Fiat 514 mit einstiger Zulassung in Perugia (Umbrien, Mittelitalien) hier erst einmal im Rahmen einer Familienzusammenkunft zu sehen:

Fiat Vorkriegswagen im September 2025 in Foligno (Umbrien); Bildrechte: Michael Schlenger

Da steht unser Fiat 514 also zwar ohne den Luxus von zwei Rädern, aber dafür mit zwei Kameraden – links ein Typ 501 der frühen 1920er Jahre und rechts ein 508 A „Balilla“ von Anfang der 30er – beide Modelle waren bereits Gäste in meinem Blog.

Erwähnenswert in diesem Kontext ist auch noch die frühe Version des „Balilla“, welche einem Paar gehört, das sich – mit kleinen Freiheiten – ebenfalls um ein historisches Erscheinungsbild bemüht hat:

Fiat 508 „Balilla“ im September 2025 in Foligno (Umbrien); Bildrechte: Michael Schlenger

Die beiden sehen wir als Randerscheinung auch auf dem nächsten Foto und nun spätestens wird Ihnen klar, was es mit den zwei Rädern wirklich auf sich hat.

Denn wieder hat es mich zur Teilnahme an der „La Francescana“ gezogen – einer Ausfahrt mit historischen Fahrrädern ab der Jahrhundertwende bis etwa 1990, die alljährlich in der „Valle Umbra“ im herrlichen Umland der alten Römerstadt Foligno im Herzen Italiens stattfindet. Vor dem Start bietet sich der Luxus unzähliger Fotomotive:

„La Francescana“, September 2025 in Foligno (Umbrien); Bildrechte: Michael Schlenger

Speziell für die sehr zahlreich versammelten Damen ist die Veranstaltung ein willkommener Vorwand, um sich auf leider nicht mehr alltägliche Weise von seiner besten Seite zu zeigen:

„La Francescana“, September 2025 in Foligno (Umbrien); Bildrechte: Michael Schlenger

Die Herren mögen die härteren Knochen sein, was die sportliche Seite angeht – sie wählen meist auch die längere und anspruchsvollere der drei angebotenen Routen. Nicht zufällig finden sich einige altgediente Kämpen unter den Teilnehmern:

„La Francescana“, September 2025 in Foligno (Umbrien); Bildrechte: Michael Schlenger

Aber in optischer Hinsicht müssen sich die Buben nun einmal der hier versammelten Weiblichkeit geschlagen geben:

„La Francescana“, September 2025 in Foligno (Umbrien); Bildrechte: Michael Schlenger

Den Luxus, sich diesem ungleichen Wettbewerb auszusetzen, muss man sich leisten können, am besten dadurch, dass man mit einem interessanten Fahrrad aufwartet.

In meinem Fall war es ein „Triumph“ von 1950, welches auch spontan die Aufmerksamkeit eines anwesenden Fahrrad-Journalisten auf sich zog, der mich dazu befragte.

Zum Glück hatte ich mir am Morgen noch ein paar einschlägige Vokabeln angeeignet, sodass ich auf Italienisch etwas zu dem Rad mit der Startnummer 366 erzählen konnte…

„La Francescana“, September 2025 in Foligno (Umbrien); Fotoquelle: Cyclinside

Um kurz nach neun ging es dann – wie stets nach herzhaftem Absingen der Nationalhymne – mit etlichen hunderten Gleichgesinnnten auf die Strecke.

Im Unterschied zur bekannten „Eroica“-Veranstaltung in der Toscana kann man die Zahl ausländischer Teilnehmer an zwei Händen abzählen. Die Italiener bleiben bei der „Francescana“ weitgehend unter sich und das bekommt der Qualität des Gebotenen zugute – wie wir noch sehen werden.

Der erste Halt war beim Weingut Arnaldo Caprai in den Hügeln bei Montefalco wo man sein Rad zwanglos in der Botanik parkt, um sich anschließend den Herausforderungen eines üppigen zweiten Frühstücks zu stellen:

„La Francescana“, September 2025 in Umbrien; Bildrechte: Michael Schlenger

Dort begegneten die Radler auch den vierrädrigen Begleitern aus Turin wieder – hier gleich zwei Exemplare des legendären Typs 501, mit dem Fiat 1919 die Großserienproduktion startete und früh weltweit Erfolge hatte:

„La Francescana“, September 2025 in Umbrien; Bildrechte: Michael Schlenger

Den Fiat 514 hatte ich unterdessen aus dem Auge verloren, doch das störte nicht weiter – so ein klassischer 501 Tourer gibt stets ein reizvolles Motiv ab oder trägt zumindest dazu bei:

„La Francescana“, September 2025 in Umbrien; Bildrechte: Michael Schlenger

Dasselbe Fahrzeug begegnet uns bei einem späteren Halt zwecks erneuter Verköstigung mit kulinarischen Schätzen der Region nochmals- diese reizvolle Perspektive will ich Ihnen nicht vorenthalten, bevor wir uns endlich dem wahrlich luxuriösen Teil zuwenden:

„La Francescana“, September 2025 in Umbrien; Bildrechte: Michael Schlenger

Ich hatte mir die Freiheit genommen, den übrigen Teilnehmern der „Luxusfraktion“ etwas vorauszufahren – ich kannte die Strecke noch vom Vorjahr. So bot sich bei der Annäherung an die Station am lieblichen Lago d’Aiso zunächst dieses Bild:

„La Francescana“, September 2025 in Umbrien; Bildrechte: Michael Schlenger

Das schauen wir uns jetzt näher an und dabei spare ich mir jedem Kommentar – denn den Luxus, einfach nur Bilder mit zwei Rädern sprechen zu lassen, muss man sich gönnen können:

„La Francescana“, September 2025 in Umbrien; Bildrechte: Michael Schlenger
„La Francescana“, September 2025 in Umbrien; Bildrechte: Michael Schlenger
„La Francescana“, September 2025 in Umbrien; Bildrechte: Michael Schlenger
„La Francescana“, September 2025 in Umbrien; Bildrechte: Michael Schlenger
„La Francescana“, September 2025 in Umbrien; Bildrechte: Michael Schlenger
„La Francescana“, September 2025 in Umbrien; Bildrechte: Michael Schlenger
„La Francescana“, September 2025 in Umbrien; Bildrechte: Michael Schlenger
„La Francescana“, September 2025 in Umbrien; Bildrechte: Michael Schlenger
„La Francescana“, September 2025 in Umbrien; Bildrechte: Michael Schlenger
„La Francescana“, September 2025 in Umbrien; Bildrechte: Michael Schlenger
„La Francescana“, September 2025 in Umbrien; Bildrechte: Michael Schlenger

Ja, er ist schon anstrengend, dieser Luxus mit zwei Rädern – das sieht man hier ganz deutlich. Soviel Mühe für reine Äußerlichkeiten – und dann noch so unpraktisch, nicht wahr?

Übrigens habe ich während der gesamten über vier Stunden dauernden Tour bei über 30 Grad Celsius keine einzige Klage darüber gehört, dass es ja so unerträglich heiß sei – wie das neuerdings in Deutschland der Fall ist, wenn es mal ein paar Tage über 25 Grad hat.

Man kann sich zur Abwechslung einmal in den Schatten begeben, ohne die Contenance zu verlieren –

„La Francescana“, September 2025 in Umbrien; Bildrechte: Michael Schlenger

Das Rad im Vordergrund ist übrigens mein „Triumph“ – nur technisch überholt und ansonsten im Fundzustand mit Wachs konserviert und auf Hochglanz gebracht, soweit es die Lacksubstanz noch hergab. Jedenfalls kann sich auch eine 75 Jahre alte Dame so noch sehen lassen.

Gute Figur machte nicht zuletzt dieser Herr, der bei der Gelegenheit mit einer Zeiss-Kamera der Vorkriegszeit und Analogfilm im Negativformat 6×9 cm fotografierte.

„La Francescana“, September 2025 in Umbrien; Bildrechte: Michael Schlenger

Bei der Gelegenheit sei angemerkt, dass sich Umbrien nach dem Sommer so prächtig grün wie eh und je zeigt – von sich ausbreitenden Steppen und tausenden Hitzetoten weiß man hier nichts – Neurosen wie diese überlässt man von jeher den Teutonen.

Nun ist alles wieder still am Lago d’Aiso und die Luxusmeute mit zwei Rädern ist wieder im Alltag angekommen wie auch ich. Doch nebenbei träumt es sich vorzüglich vom nächsten Mal. Ob wieder mit dem Fiat 514, das wird man sehen…

„La Francescana“, September 2025 in Umbrien; Bildrechte: Michael Schlenger

Michael Schlenger, 2025. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

Vorkriegsspaß pur! Bilder von den „Classic Days“ 2025

Heute mute ich Ihnen im Blog eine Abweichung vom üblichen Schema zu – statt Vorkriegsfotos in Schwarzweiß gibt es heute Vorkriegsautos ganz in Farbe!

Denn am letzten Sonntag habe ich die Wiederauflage der seit 2006 abgehaltenen „Classic Days“ besucht, die an einem neuen Ort stattfand.

Wer mit den Classic Days noch die schönen Jahre auf Schloss Dyck bei Düsseldorf verbindet, wurde – was das Atmosphärische betrifft – nicht enttäuscht.

Das unweit gelegene Rittergut Birkhof mit seinem Englischen Garten und dem Charme eines alten Gutshofs mit Herrenhaus bietet wieder ein absolut würdiges Ambiente für edle und eigenwillige Karossen von den Anfängen bis in die Neuzeit:

Classic Days 2025; Bildrechte: Michael Schlenger

Gut zwei Stunden dauerte die Anfahrt aus der heimischen Wetterau, das Alltagsauto wurde auf dem weitläufigen Besucherparkplatz abgestellt und nach nur wenigen Minuten konnte man in eine andere Welt eintauchen – willkommen bei den Classic Days!

Entlang der Allee mit alten Bäumen, die Teil der 2,5 Kilometer langen Rundstrecke um das Rittergut ist, hatten bereits viele Gäste die begehrten Picknickplätze okkupiert und da stand auch schon das erste Vorkriegsauto!

Classic Days 2025; Bildrechte: Michael Schlenger

Ok, das war die Nachkriegsausführung des Citroen Traction Avant, aber das ist nur an kleinen Details zu erkennen – Konstruktion und Karosserie sind lupenreine Vorkriegszeit.

Die berühmte Gangster-Limousine war vielleicht das beste und zugleich eleganteste europäische Auto seiner Klasse der 1930er Jahre – ein vielversprechender Auftakt, fand ich.

Zwischen jeder Menge Wagen aller nur denkbarer Marken ging es schnurstracks und voller Vorfreude Richtung Fahrerlager, wo gerade eine Horde früher Rennsportwagen warmlief.

Auf dem Weg dorthin entdeckte ich das wohl älteste Fahrzeug vor Ort – einen Daimler „Mercedes“ von ca. 1910, wenn ich es richtig in Erinnerung habe, vielleicht war es auch 1912. Hinter dem Steinschlaggitter sieht man den Mercedes-Stern – noch ohne Lorbeerkranz, denn der kam erst nach der späteren Fusion mit Benz hinzu:

Classic Days 2025; Bildrechte: Michael Schlenger

Von nun an geht es halbwegs chronologisch weiter – irgendeine Struktur braucht der Mensch, an der er sich festhalten kann – gerade wenn man von Sinneseindrücken überflutet wird.

Das gilt speziell, wenn man am Morgen von heißen Abgasen umwabert wird und die Luft vibriert, während einer seinen 1914 Premier-Rennwagen aus der Box holt und mit Bärenkräften am servofreien Lenkrad wuchtet:

Classic Days 2025; Bildrechte: Michael Schlenger

Hier bekommt man einen ersten Eindruck davon, was die Classic Days – neben vielen Attraktionen – so einzigartig macht. Denn hier werden die alten Eisen wirklich gefahren, und man kann das hautnah miterleben, von der Box bis auf die Strecke.

Während die Motoren warmlaufen, stehen die Besitzer gerne Rede und Antwort und man kommt direkt an die Fahrzeuge heran – das kenne ich so nur vom Goodwood Revival in England, wo eine ähnliche hochverdichtete Atmosphäre herrscht:

Classic Days 2025; Bildrechte: Michael Schlenger

Hier haben wir einen als Rennsportversion zurechtgemachten „Elgin“ von 1917 – einer erst im Vorjahr gegründeten US-Automarke.

Solche auf Serienmodellen basierende Fahrzeuge dieses kurzlebigen amerikanischen Herstellers kamen unter anderem in Indianapolis zum Einsatz.

Dieses Exemplar mit Reihensechszylinder und offenem Ventiltrieb repräsentiert das recht eindrucksvoll, wenn auch mit späteren Anbauteilen wie dem wohl britischen SU-Vergaser:

Classic Days 2025; Bildrechte: Michael Schlenger

Von hier aus geht es weiter in den Innenhof des Ritterguts, wo das Herrenhaus noch sehr authentisch mit den früheren Betriebsgebäuden verbunden ist.

Man sieht hier neben der repräsentativen Fassade auch die Nutzbauten und bekommt eine schöne Vorstellung davon, wie sich so ein Gut einst für den Besucher darstellte.

Wäre der Hof kopfsteingepflastert, wäre das Idyll für mich vollkommen, aber man kann nicht alles haben. Jedenfalls ergeben bei den Classic Days auf Gut Birkhof historische Achitektur und klassische Automobile ein gelungenes Gesamtkunstwerk:

Classic Days 2025; Bildrechte: Michael Schlenger

Der Innenhof ist wie einst auf Schloss Dyck für die Sportwagen der Zwischenkriegszeit reserviert – und wieder sind alle Zutaten für eine echte Zeitreise vorhanden, wenn auch noch Platz für weitere Exemplare wäre.

Doch schon diesmal warteten einige Überraschungen auf den Vorkriegsenthusiasten.

Wann bekommt man neben den üblichen britischen Verdächtigen einen französischen „Rally“ in deutschen Landen zu Gesicht? Die Classic Days und langjährige Freunde in der Vorkriegsszene (Gruß an Michael Buller) machen’s möglich:.

Classic Days 2025; Bildrechte: Michael Schlenger

„Rally, Rally…“, mögen jetzt manche denken – das sagt mir doch etwas. Stimmt, diese feine französische Marke der zweiten Reihe hatte ich bereits in den Anfängen meines Blogs vor rund 10 Jahren besprochen (hier).

So vergeht die Zeit – aber die guten Dinge, sie bleiben (wenn wir auf sie achten und etwas dafür tun).

So können wir auch anno 2025 wieder einen Rally bewundern, der im Stil den Bugattis seiner Zeit nahekam, wenn auch weniger leistungsstark war.

Ich würde trotzdem einen nehmen, denn hier man muss sich damit nicht fragen lassen: „Ist der echt oder ein Nachbau aus Argentinien?“

Classic Days 2025; Bildrechte: Michael Schlenger

Ein tolles Gerät, nicht wahr? Wir begegnen dem Rally noch ein weiteres Mal bei unserem Rundgang – und dann in Fahrt!

Erst schauen wir uns noch eine Weile im Innenhof um, es gibt da einiges zu sehen, was das Herz höherschlagen lässt, wobei sich immer wieder reizvolle Momente ergeben.

Dabei ist es gar nicht immer so wichtig, um was für ein Fahrzeug genau es sich handelt – als unverbesserlicher Ästhet ist mir oft die reine Wirkung wichtiger als das penible Vermerken von Marke, Typ, Baujahr usw. – etwa in diesem Fall:

Classic Days 2025; Bildrechte: Michael Schlenger

Mitunter ist aber auch unübersehbar, womit man es zu tun hat.

Nein, ich meine ausnahmsweise nicht den schönen MG von Michael Buller links im Bild, den viele in der Szene kennen.

Vielmehr gefällt mir hier die stilvolle Begegnung der Zweibeiner am Rande, ebenfalls typisch für die Classic Days, wo auch etliche Teilnehmer selbst Darsteller in der Zeitreise sind:

Classic Days 2025; Bildrechte: Michael Schlenger

Zu einem Retrotrip in die Sportszene der Zwanziger gehört natürlich auch einer der einst allgegenwärtigen Amilcars aus Frankreich – vielleicht das Cyclecar schlechthin und auch bei deutschen Enthusiasten damals sehr beliebt.

Hier haben wir (rechts) ein frühes Exemplar noch mit alter französischer Kennung auf dem Kühler, aber mit neu aufgebauter Karosserie nach eigenem Gusto – erlaubt ist, was gefällt, das war schon vor 100 Jahren nicht anders:

Classic Days 2025; Bildrechte: Michael Schlenger

Daneben sind als Kontrastprogamm natürlich einige großvolumige Bentleys zu besichtigen, die auch regelmäßig zur Ausfahrt auf die Rundstrecke gehen.

Gäste aus Großbritannien sind wie immer ebenso dabei wie eingefleischte Markenfreunde aus deutschen Landen.

Sie vereint die Begeisterung für die „schnellsten Lastwagen der Welt“, ein ironisches Bonmot, das Ettore Bugatti zugeschrieben wird:

Classic Days 2025; Bildrechte: Michael Schlenger

Man bekommt bei den Classic Days immer wieder einen anderen Blickwinkel auf vermeintlich Bekanntes präsentiert – die Vielfalt der Vorkriegsautos ist unermesslich und stellt die Moderne mühelos in den Schatten.

Neben den aufgeladenen PS-Monstern von Bentley, bei denen das Auspuffgrollen von schieren Kraft kündet, findet sich von derselben Marke und aus derselben Zeit auch etwas so Filigranes und kultiviert Laufendes wie dieser originale Tourenwagen:

Classic Days 2025; Bildrechte: Michael Schlenger

Eine klassische Karosserie wie diese ist bei den überlebenden Bentleys seltener anzutreffen als die mit späteren Sportaufbauten versehenen Specials, so faszinierend diese oft sind.

Bei der Gelegenheit meine übliche Behauptung: „Tourer sind langweilig – außer wenn das Verdeck montiert ist“, dann sind sie im wahrsten Sinne des Wortes optisch überaus spannende Exemplare.

Classic Days 2025; Bildrechte: Michael Schlenger

Bevor es bzb gleich zu den Concours-Autos – den „Jewels in the Park“ – geht, schauen wir noch, was unterdessen aus dem Fahrerlager auf die Rundstrecke geht.

Der Kurs rund ums Rittergut und mitten hindurch erlaubt den Zuschauern viele reizvolle Blicke auf die Wagen in Bewegung – beim Start, in voller Fahrt und beim gepflegten Defilee kurz vor der Rückkehr:

Classic Days 2025; Bildrechte: Michael Schlenger
Classic Days 2025; Bildrechte: Michael Schlenger
Classic Days 2025; Bildrechte: Michael Schlenger
Classic Days 2025; Bildrechte: Michael Schlenger
Classic Days 2025; Bildrechte: Michael Schlenger

Die Wirkung dieser Sportwagen in Aktion gehört zu den besonderen Reizen der Classic Days. Dabei wird dem jeweiligen Streckenverlauf angemessen gefahren – aber durchaus engagiert, das ist kein bloßes Rollen knapp über Leerlaufdrehzahl.

Wenig ist so atemberaubend, wie wenn ein mächtiger Kompressor-Mercedes der 1920er Jahre um die Kurve kommt und er für einen Moment direkt auf einen zuhält.

Classic Days 2025; Bildrechte: Michael Schlenger

Nach diesem von Staub und Benzindust geadelten Spektakel, das man den Tag über mehrfach erleben kann – auch mit Nachkriegsautos – begibt man sich zur Einkehr in den Schatten der majestätischen Baumriesen im Englischen Garten, wo zwanglos die schönsten Karossen wie Skulpturen arrangiert sind – ganz ohne Absperrungen.

Was könnte hier stimmiger sein als eine Auswahl herrschaftlicher Rolls-Royce oder Bentleys mit enorm großzügigen Limousinen- oder Cabrio-Aufbauten?

Classic Days 2025; Bildrechte: Michael Schlenger
Classic Days 2025; Bildrechte: Michael Schlenger
Classic Days 2025; Bildrechte: Michael Schlenger
Classic Days 2025; Bildrechte: Michael Schlenger
Classic Days 2025; Bildrechte: Michael Schlenger

An diesen Zeugen einer untergegangenen Welt kann man sich kaum sattsehen.

Schlicht meisterhaft zu nennen ist die Kunst, diese riesigen Automobile mit ihrem unerreichten Platz im Innenraum so gestalten, dass man ihre Größe nicht als unangenehm wahrnimmt – im Gegenteil hat man den Eindruck, dass die Proportionen perfekt sind.

Gegen diese Giganten wirkt auf einmal sogar ein US-Vertreter der Vorkriegszeit beinahe kompakt – wobei wir es hier auch nicht mit einem Amiwagen der üblichen Verdächtigen zu tun haben. Vielmehr sehen wir hier ein technisch wie ästhetisch außergewöhnliches Fahrzeug – den frontgetriebenen Cord L-29, der von 1929-31 gebaut wurde:

Classic Days 2025; Bildrechte: Michael Schlenger

Leider kam diesem spektakulären Wagen mit modernem Fahrwerk und 125 PS-Achtzylindermotor der Börsencrash und die Weltwirtschaftskrise in die Quere.

Umso eindrucksvoller, dass ein derartiges Juwel bei den Classic Days einfach so am Wegesrand unter freiem Himmel zu finden ist. Das ist auch im Stillstand ein wichtiger Unterschied zur Präsentation bei Kunstlicht in Museen mit bisweilen sich störend aufdrängender moderner Architektur.

Leider nähern wir uns nun schon dem Ende unseres Rundgangs über das Gelände der Classic Days mit der Vorkriegsbrille. Doch einen Höhepunkt kann ich noch bieten und das ist die Rotte von Specials auf Basis von American La France-Chassis.

Diese opulent motorisierten Geräte dienten in ihrem ersten Leben als Feuerwehrautos, bevor sie als ideale Basis für spektakuläre Umbauten im Stil historischer Rennwagen der Zeit vor dem 1. Weltkrieg entdeckt wurden.

Auch in Deutschland finden sich Anhänger dieser keine Furcht kennenden und fantasiebegabten Fraktion. Sie waren mit ihren Fahrzeugen auf eigener Achse aus dem Süden der Republik angereist:

Classic Days 2025; Bildrechte: Michael Schlenger
Classic Days 2025; Bildrechte: Michael Schlenger
Classic Days 2025; Bildrechte: Michael Schlenger
Classic Days 2025; Bildrechte: Michael Schlenger

Kurz vor Ende der Classic Days am Sonntag machte sich die Meute wieder auf den Heimweg, nicht ohne noch drei Ehrerunden auf der Hausstrecke von Rittergut Birkhof zu drehen – zur grenzenlosen Begeisterung des Publikums:

Classic Days 2025; Bildrechte: Michael Schlenger

Damit sagen wir „adieu“ den Classic Days 2025, nicht ohne dem Team von Marcus Herfort für die großartige Veranstaltung zu danken, bei der die Vorkriegsfreunde in einer Weise auf ihre Kosten kommen wie kaum anderswo in Deutschland.

Mein Fazit ist positiv, der Termin im nächsten Jahr ist schon vermerkt – wir kommen wieder in der Hoffnung, dass noch mehr Vorkriegswagen den Weg dorthin finden und die Tradition der Classic Days auf Schloss Dyck fortschreiben!

Classic Days 2025; Bildrechte: Michael Schlenger

Michael Schlenger, 2025. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

Ein Auto erzählt Geschichte(n): Peugeot 202 „Utilitaire“

Heute haben Sie Glück – der Blog-Wart erzählt keine umständlichen Geschichten, um irgendwann die Kurve zum eigentlichen Thema zu bekommen.

Das liegt nicht daran, dass mir gerade nicht der Sinn nach Stories aus meinem Alltag steht, die mich am Ende zu einem Vorkriegswagen führen.

Was in meinem Kopf vor sich geht, wenn er nicht gerade vordergründig zum Gelderwerb eingesetzt wird, wollen Sie nicht wissen.

Etwa heute beim Einpflanzen eines seit 20 Jahren im Kübel gefangengehaltenen Feigenbaums im Garten an einer dafür geeigneten windgeschützten und ganztägig sonnenbeschienen Stelle.

Tatsächlich lasse ich mich heute von meinem Fundus leiten. Schon einige Zeit begleitet mich das Vorhaben, die Geschichte meines Peugeot 202 „Utilitaire“, der hier bisweilen als Gast auftaucht, richtig zu erzählen und das heißt von Anfang an.

Dabei will ich Sie aber nicht mit der Technikgeschichte dieses in der Hinsicht unauffälligen Franzosen belästigen – wer sich dafür interessiert, kann das online nachlesen.

Vielmehr will ich die Geschichte des 1938 vorgestellten kleinen Bruders der spektakulär gestalteten Modelle 302/402 von Peugeot anhand zeitgenössische Fotos nacherzählen.

Das Modell 202 kam nicht an die Klasse der großen Geschwister heran – hier ein Werksfoto des ab 1935 gebauten 402, der die damals modische Stromlinienform perfekt verkörperte:

Peugeot 402; originales Werksfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Doch zumindest die Frontpartie mit der großartigen Idee, die Scheinwerfer hinter dem Kühlergrill zu verstecken, die fand sich grundsätzlich auch am deutlich kompakteren Einsteigermodell 202, das mit einem 30 PS leistenden 1,1 Liter-Motor ausgestattet war.

Davon sollten bis Ende des 2. Weltkriegs beeindruckende 63.000 Exemplare gebaut werden, davon etliche für das französische Militär – wir kommen noch darauf zurück.

Die Standard-Limousine sehen wir hier auf einem Familienfoto (vermutlich aus Frankreich) kurz vor Kriegsausbruch:

Peugeot 202 Limousine; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Nach der Besetzung Frankreichs durch deutsche Truppen im Sommer 1940 wurden die meisten aktuellen PKW für weitere „Vorhaben“ der Wehrmacht im Osten beschlagnahmt.

Besonders beliebt waren die hervorragenden Frontantriebswagen von Citroen (Typ „Traction Avant“), die man noch auf späten Aufnahmen aus der Zeit der deutschen Kapitulation anno 1945 sieht.

Doch auch die 02er Peugeots finden sich ohne Ende auf Fotos deutscher „Landser“ – in Bezug auf den 302/402 kommt irgendwann eine eigene Geschichte zu deren Karriere.

Hier haben wir nun einen Peugeot 202, der während des Kriegs auf deutscher Seite mit ziviler Zulassung unterwegs war. Dem Kennzeichen nach zu urteilen, handelte es sich um ein Fahrzeug aus Lothringen, das unter deutscher Besatzung als „Westmark“ firmierte, daher das Kürzel „Wm“ auf dem Nummernschild:

Peugeot 202 Limousine; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Bemerkenswert ist hier einiges. Die beiden sehr schlanken Herren lassen auf eine Aufnahme gegen Kriegsende schließen, als es für Zivilisten nur noch Hungerrationen gab. Interessant ist auch, dass der junge Mann links ein Offizierskoppel trägt.

Der Peugeot macht einen sehr gepflegten Eindruck, nur die improvosierte Dachbeladung deutet darauf hin, dass man nicht mehr alles ganz im Griff hat.

Man fragt sich schon, wer in der fortgeschrittenen Phase des Kriegs noch ein Foto dieser Qualität machen konnte, denn Filmmaterial wurde immer weniger produziert.

Allerdings bastelten bekanntlich im ganzen „Reich“ noch 1944/45 jede Menge Leute an ultramodernen Waffen herum, welche die Allierten bei ihrem Eintreffen staunen ließen – mein Verdacht ist, dass sich dabei viele technisch Hochbegabte selbst verwirklichten und gleichzeitig für den Fronteinsatz unabkömmlich machten.

Für diese wichtigen „Volksgenossen“ gab es noch Benzin und der Winkel auf dem Nummernschild war bei Kontrollen der Hinweis, dass alles seine Richtigkeit hatte mit diese Zivilwagen – es würde mich wundern, wenn dafür nicht bisweilen auch „geschmiert“ wurde.

Doch begegnen wir dem Peugeot 202 im 2. Weltkrieg auf deutscher Seite auch dort, wo das Leben weit gefährlicher war – hier hatte wohl gerade ein Jagdbomber- oder Artillerieangriff das Dach abgedeckt, bevor der Wagen aufgenommen wurde:

Peugeot 202 Limousine; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Das improvisierte Kennzeichen „WH“ verrät, dass dieser beschlagnahmte Peugeot 202 noch kein offizielles Kennzeichen der Wehrmacht erhalten hatte.

Das an sich vorschriftswidrige Herumfahren ohne Tarnscheinwerfer war keine Seltenheit während des Krieges – wo man die Lufthohheit hatte, sah man das nicht so eng, was sollte schon passieren, nicht wahr?

1945 war der deutsche Spuk vorbei aus französischer Sicht, wo man einigermaßen glimpflich davon gekommen war, jedenfalls gemessen am Völkermord im Osten. Die von unseren Vorfahren in deutscher Uniform begangenen Massaker auch an der französischen Zivilbevölkerung sollen gleichwohl nicht übergangen werden.

In den Ruinen von Oradour sur Glane können Sie noch heute ein ausgebranntes Wrack eines Peugeot 202 besichtigen, wenn Sie sich das antun wollen (was ich empfehle).

Ein bemerkenswertes Foto aus der Zeit, nachdem US-Truppen Frankreich von der deutschen Besatzung befreit hatten, ist das Folgende:

Peugeot 202 Limousine; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Ich würde die Aufnahme auf die späten 1940er Jahre datieren, kann die Uniformen der abgebildeten Personen jedoch nicht sicher einordnen.

Wie immer setze ich darauf, dass einer meiner Leser mehr weiß als ich und sein Wissen in Kommentarform teilt.

Das Thema Krieg lassen wir nun allmählich hinter uns und erfreuen uns an der folgenden Aufnahme, die einen französischen Bauern in der frühen Nachkriegszeit mit seinen treuen Freunden zeigt – darunter ein Peugeot 202 in der Ausführung als Pritschenwagen:

Peugeot 202 „Utilitaire“; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Solche Nutzfahrzeugversionen auf Basis ehemaliger Armeefahrzeuge fanden in Frankreich ab den 1950er Jahren Eingang in den Bestand an Zivilwagen auf dem Lande.

Oft war es ein ortsansässiger Schreiner, der auf Grundlage eines einstigen Funk-, Kranken- oder Abschleppwagens des Militärs einen solchen „Pickup“ fabrizierte und dem Wagen damit ein neues, nunmehr ziviles Dasein eröffnete.

Genau so ein Gerät aus dem französischen Departement „Aube“ wurde 2008 auf der Oldtimermesse „Veterama“ in Mannheim angeboten:

Peugeot 202 „Utilitaire“ auf der Veterama Mannheim 2008; Fotoquelle unbekannt

Das Fahrzeug fand seinerzeit einen neuen Besitzer im Raum Mainz, der es dann bei „Ebay“ inserierte. Ich stieß zufällig darauf und da niemand sonst den Wagen haben wollte, nahm ich Kontakt mit dem Verkäufer auf.

Natürlich habe ich alles falsch gemacht beim anschließenden Kauf. Der Wagen stand in einer dunklen Tiefgarage, ich habe keine Probefahrt unternommen und einfach alles geglaubt, was der Besitzer erzählte.

Quasi blind kaufte ich den Wagen für einen vierstelligen Betrag, aber mit einer Auflage: Deutsche Papiere und TÜV sollte er haben, wenn ich ihn übernehme.

Genauso geschah es, alles klappte und der von der Substanz hervorragende, bis heute nur technisch überholte Peugeot gehört seither zu den Schätzen meiner Sammlung:

Peugeot 202 „Utilitaire“ aufgenommen 2015: Bildrechte Michael Schlenger

Den Lack, den einst ein Bauer in der Champagne im Raum Troyes aufgebracht hatte, habe ich nur gereinigt und eingewachst. Hier und da scheint die originale Armee-Lackierung durch.

So kann ich anhand dieses Wagens die ganze Geschichte des Typs erzählen.

Das Auto mit einer Laufleistung vermutlich im niedrigen fünfstelligen Bereich bedarf nur der üblichen Wartung wie anno dazumal. Der Motor springt auch nach längerer Standzeit (und mehrfachem Durchdrehen ohne Zündung) jederzeit an.

Während die Technik und der Rahmen noch für Jahrzehnte gut sind, besteht die Hauptaufgabe darin, den äußeren Zustand zu konservieren. Das dicke Blech ist an sich unproblematisch, doch der Rostansatz auf der Haube will in Schach gehalten werden:

Peugeot 202 „Utilitaire“ aufgenommen 2015: Bildrechte Michael Schlenger

Ein Luxusproblem ist das natürlich, es gibt jede Menge Mittelchen für solche Fälle.

Ich bevorzuge eine leichte Behandlung oberflächlich angerosteter Blechpartien mit feiner Stahlwolle (mit Seife angereichert) und anschließende Behandlung mit Carnaubawachs.

Damit lässt sich ein formidables Ergebnis erreichen, wie man auf der folgenden Aufnahme sieht, die 2022 anlässlich des alljährlichen Oldtimertags in meiner Heimatstadt Bad Nauheim entstand:

Peugeot 202 „Utilitaire“ aufgenommen 2022: Bildrechte Michael Schlenger

Über den Winter ist der Peugeot inzwischen wieder eingestaubt und mehr als ein paar Mal Bremse und Kupplung betätigen, habe ich seit letzten Herbst nicht gemacht.

Doch bald wird er wieder in Betrieb genommen und soll auch frischen TÜV erhalten.

Inzwischen habe ich originale Tüverkleidungen einer 202-Limousine aufgetrieben, die passen sollten – für die Reinigung muss ich mir noch etwas einfallen lassen.

So ein Peugeot 202 hat auch nach bald 90 Jahren noch jede Menge zu erzählen und er wird nicht müde, eine Geschichte zu repräsentieren, die man vorsichtig formuliert als „schwierig“ bezeichnen darf und die uns dazu mahnt, sehr gut überlegen, wie es weitergehen soll…

Michael Schlenger, 2025. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

Zur Organentnahme in der Auto-Klinik: NAG „Puck“

Ich gebe es zu – der Titel des heutigen Blog-Eintrags ist nichts für schwache Nerven. Der Gedanke, gleich in der Notaufnahme als hoffnungsloser Fall eingestuft und zur „Ersatzteilgewinnung“ ausgeweidet zu werden, ist kein schöner.

Wie bei anderen kontroversen Themen muss man sich aber damit auseinandersetzen – weil es keine objektiv richtige Sicht dazu gibt. Wie im Fall von Abtreibung und Todesstrafe erscheint es mir klug, extreme Positionen zu vermeiden.

Das bedeutet, die Sache weder völlig auszuschließen noch sie zu leicht zu machen. Die Entscheidung über den Umgang mit dem Leben anderer ist eine ernste Angelegenheit, sie sollte so schwer wie möglich fallen und vermieden werden, wenn es irgend geht.

Völlig abwegig erscheint mir im Fall der menschlichen Organspende nur die Idee, dass diese der Normalfall in dem Sinne sei, dass ein grundsätzlicher Anspruch „der Gesellschaft“ auf die Organe eines Individuums bestünde, wenn es „hirntot“, aber sonst noch lebendig ist. Nur wer das vorab durch Willensbekundung ausschließe, könne verschont bleiben.

Diese Sicht ist für mich Ausfluss einer Gesinnung, für die mir die Worte fehlen. Man kann und sollte über alles streiten können, aber alles hat seine Grenze dort, wo der Bürger zur Verfügungsmasse eines übergeordneten Apparats wird.

Das ist meines Erachtens keine moralische Frage – subjektive Moralkategorien haben in den meisten Lebensbereichen nichts zu suchen und schaffen mehr Probleme als sie lösen.

Es genügt, den für Lebenswillen eines Individuums zum Ausgangspunkt zu nehmen. Das darin zum Ausdruck kommende Selbsteigentum kann der Einzelne nur selbst einschränken.

Eigentlich wollte ich nicht so weit abschweifen, aber ein Blog ist ein Format, in dem Dritte dem Verfasser dabei folgen können, wie er sich einem Thema nähert. Für mich ist die Einleitung eine Konzentrationsübung, bevor der entspannende Teil folgt, der dann meist schnell heruntergeschrieben ist.

Wechseln wir also aus dem fahlen Licht der Notaufnahme in den Freiluft-OP-Saal einer Auto-Klinik vor rund 115 Jahren – und damit an einen Ort, wo Organtransplantationen zur guten Praxis gehörten und „ärztliche“ Kunst auf eigene Weise geübt und gepflegt wurde:

Chauffeurschule um 1910; Ansichtskarte aus Sammlung Michael Schlenger

Na, was sagen Sie? In dieser „Klinik“ stellt sich das Thema erfreulich „organisiert“ dar, oder?

Denn an der „Sächsischen Chauffeurschule“ wurden Autos nicht zwecks Teileentnahme geschlachtet, sondern hier wurde das Zerlegen, Reparieren und Zusammensetzen trainiert, auf dass der „Patient“ anschließend geheilt in den Alltag entlassen werden konnte.

Solches lernten die Berufsfahrer zu einer Zeit, als sie noch selbst in der Lage sein mussten, allfällige Wartungs- und Instandsetzungsarbeiten selbst auszuführen.

Geübt wurde am (zumindest zuvor noch) lebenden Objekt. Selbst wenn der „Herztod“ schon eingetreten war – mit Sachkunde, Fleiß und den richtigen Materialen war eine vollständige Wiederherstellung der „Lebensfunktionen“ möglich.

Ein typischer „Patient“ war in der Zeit vor dem 1. Weltkrieg ein Wagen der Berliner Marke NAG“, die in meinem Blog zu den häufigsten Vertretern zählt. Die Form des Kühlergehäuses ist bereits unverkennbar, das Kühleremblem bestätigt die Identifizierung:

NAG „Puck“, 1908-1910

Die geringe Größe des Kühlers spricht für das Kleinwagenmodell „Puck“ des renommierten Herstellers, das ab 1908 mit Motorisierung 4/12 PS gebaut wurde.

Das Aggregat scheint hier noch vollständig zu sein, nur die Kühlwasserschläuche zum Kühler wurden gelöst und die Motorhaube entfernt.

Die hinten zu sehende Stirnwand – welche zugleich die Abtrennung zum Fahrerabteil war – unterstützt die frühhe Datierung.

Ab 1910/11 wurde auch bei NAG der aus dem Rennsport übernommene Windlauf übernommen, eine kappenartige Blechpartie, die den Übergang von der Motorhaube zur Windschutzscheibe strömungsgünstiger gestaltete und unter der die Stirnwand verschwand.

Was so ein „Puck“ aus dem Hause NAG zu leisten vermochte, wenn er sachgerecht gewartet wurde, das habe ich hier vor einiger Zeit anhand eines Exemplars gezeigt, das vor der Silhouette der Stadt Todi im oberen Tibertal (Umbrien) abgelichtet worden war:

NAG 6/12 PS „Puck“ bei Todi (Umbrien); Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Da es südlich der Alpen wahrscheinlich keine NAG-Niederlassung gab und Automobile in Mittelitalien noch eine ganz große Rarität waren, musste der Fahrer seinen „Puck“ wirklich so gut kennen wie ein guter Hausarzt seine Patienten.

Bei einem Problem war keine „Überweisung“ an Spezialisten möglich, also musste die Konstruktion und die Ausbildung der Chauffeure ganz darauf ausgelegt gewesen sein, in jedem Fall zumindest die Situation zu stabilisieren und im besten Fall zu heilen.

Jedes dieser Fotos ist ein Beleg dafür, dass dies in den allermeisten Fällen gelang, sonst hätte sich niemand mit so einem enorm teuren Gegenstand auf Reisen begeben. Mir nötigt das Können der damaligen Konstrukteure, Handwerker und Fahrer größten Respekt ab.

Ohne allerbeste und das heißt gründliche und disziplinierte Ausbildung wäre nichts von alledem möglich gewesen. Für diese angehenden Chauffeure war dieser Aufenthalt in der „Auto-Klinik“ sicher einer, den sie mit Leidenschaft absolvierten.

Seine Profession ernstzunehmen, war eine Frage der Ehre, zumal das eigene materielle Wohl davon abhing, sein Metier völlig zu beherrschen und den Besitzern der Autos, für die man verantwortlich war, Ungemach zu ersparen.

Mit Ernst und Stolz bei der Arbeit, vielleicht auch eine Empfehlung für die Gegenwart:

Ob wir hier einen weiteren NAG nach erfolgter Organentnahme sehen, das vermag ich nicht sicher zu sagen.

Von der Machart des Motors her mit vier aus dem Block herauschauenden Kolben und am Ende angeflanschter Schwungscheibe könnte das aber passen. Denn der kleine „Puck“ besaß einen kompakten Monoblockmotor mit 1,6 Litern Hubraum.

Gut gefällt mir, wie sich hier der grimmig dreinschauende Herr neben dem Motor wie ein Großwildjäger neben seiner Beute präsentiert, nur dass er mit einem Schraubenschlüssel bewaffnet ist. Der Mann neben ihm dürfte zur Leitung der „Auto-Klinik“ gehört haben.

Schön, dass auch die Sekretärin der Einrichtung zu sehen ist, sie durfte am Lenkrad des Wagens sitzen, sicher eine willkommen Abwechslung zur Schreibmaschine. Vielleicht war sie aber auch mit der damaligen High-Tech-Kommunikation vertraut, dem Telegramm.

Dieses erlaubte die erste weltumfassende Kommunikation in (Beinahe) Echtzeit. Dass der Telegramm-Dienst noch bis 2022 in Deutschland in Betrieb war, habe ich soeben mit Erschütterung gelesen, aber es passt zur pathologischen Technologieskepsis in unserem vor dem 1. Weltkrieg noch praktisch in allen Bereichen führenden Land.

Apropos Skepsis: Man kann nie skeptisch genug sein, sowohl was die eigenen Gewissheiten angeht als auch die anderer. Denn der NAG, den ich heute als mutmaßlichen „Puck“ 6/12 PS aus der Zeit von 1908-10 vorgestellt habe – zumindest in Teilen – könnte ebenso der Nachfolger „Darling“ 6/18 PS gewesen sein.

Die einschlägige Literatur – zu NAG leider dürftig und veraltet – behauptet zwar, dass der „Darling“ erst ab 1911 den „Puck“ ablöste, doch fand ich in einer 1910er Ausgabe der Zeitschrift „Jugend“, nach welcher der Jugendstil benannt ist, diese Reklame:

NAG „Darling“; Originalreklame von 1910 aus Sammlung Michael Schlenger

Auch die Angabe der Motorisierung 6/14 PS spricht für eine frühere Einführung noch 1910, während die bis 1914 gebauten Varianten stärker waren (letzte Bezeichnung: 6/18 PS).

Somit muss die Identität unseres heutigen NAG-Patienten in der Auto-Klinik offenbleiben.

Um 1910 jedenfalls wird es gewesen sein, dass man irgendwo in Sachsen an einer Chauffeurschule dem Berliner Gewächs nicht nur den Puls fühlte, sondern beherzt eine vorübergehenden Organentnahme zu Lehrzwecken an ihm praktizierte.

Der kleine NAG wird das überlebt haben, die Wagen der Marke gehörten damals zum Besten, was die deutsche Autoindustrie in größeren Stückzahlen zustandebrachte. Später mag er noch einmal als Organspender gedient haben, aber seine Zeit war bald abgelaufen.

So wie die Lebenserwartung der Menschen vor über 100 Jahren in bedrückender Weise viel niedriger war als heute – die wenigsten wissen dieses heutige Privileg eines langen Lebens zu schätzen, viele können nichts mit ihrer Zeit anfangen – so war auch den damaligen Autos kein langes Dasein beschieden.

Nach fünf Jahren waren sie veraltet und nach zehn Jahren wurden sie meist aus dem Verkehr gezogen. Heute sind viele Autos ohne weiteres für 20 bis 30 Jahre gut, sofern man sich darum kümmert. Chauffeurschule und Auto-Klinik braucht es dazu nicht mehr.

Vieles lässt sich heutzutage mittels Selbststudium in Typenforen oder auf YouTube beheben oder zumindest so weit eingrenzen, dass man weiß, was zu tun ist. Das wirklich ewige Leben, das haben aber nur die ganz frühen Automobile, sofern sie noch existieren.

Dieser Tage stieß ich auf ein wunderbares Dokument, in dem ein alter Herr aus den USA von seinem 1913er „Regal Underslung“ erzählt.

Nicht nur ist das eines der schönsten US-Autos seiner Klasse aus jener Zeit – es fasziniert auch, wie dieser Amerikaner in freier Rede in wohlgesetzten Worten und klaren Sätzen 25 Minuten lang von seinem Wagen erzählt.

Selbst wenn Sie nur über Schulenglisch verfügen, werden Sie dieser Geschichte mit Gewinn folgen können – im Zweifelsfall hören und sehen sie es nochmals an:

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Ausgedient? Von wegen! Ein Sizaire & Naudin von 1913/14

Wer meinen Blog schon länger verfolgt, der weiß längst, dass ich zum Kulturpessismisus tendiere. Das Treiben der progressiven Kräfte seit 1968 scheint mir ungeachtet einiger bedenkenswerter Motive nur wenige konstruktive Ergebnisse gezeitigt zu haben.

Allerdings gelingt es mir hin und wieder, mich daran zu erinnern, dass wir doch in gewisser Weise in der besten aller Welten leben. Denn auch wenn uralte Kulturkompetenzen zu verlottern scheinen, so gibt es nur wenig, was wirklich ganz und auf Dauer verlorengeht.

Tatsächlich ist uns nahezu alles, was der Mensch irgendwo in der weiten Welt je geschaffen hat, in einer Weise zugänglich, wie das nie zuvor der Fall war. Manches überlebt in der Nische, in Subkulturen, in konservativen Kreisen.

So haben die jahrhundertealte Violine oder das erst einige Jahrzehnte alte analoge Schlagzeug neuere Entwicklungen wie den Synthesizer überstanden. Ähnlich hat die E-Gitarre den Reiz der akustischen Klampfe nicht wirklich schmälern können. Kerze und Edison-Leuchte sind immer noch verfügbar, während moderne LED-Lampen die tristen von Brüssel verordneten „Energiespar“-Laternen längst obsolet gemacht haben.

Was von offizieller Seite oder durch technische Neuerungen aussortiert wird, lebt häufig genug weiter, erhält eine neue, vielleicht andere Daseinsform. Anderes wird nach einer Zeit des Vergessens wiederentdeckt, erlebt eine Renaissance wie etwa die Schallplatte.

Wir dürfen daher zuversichtlich sein, dass es auch künftig noch hocheffiziente Brennwert-Gasthermen, ultrasparsame Dieselmotoren und Benzinaggregate mit blitzsauberen Abgasen geben wird – ganz egal, inwieweit und wo sich Batterieautos ausbreiten oder was irgendwelche Planwirtschaftler als nächste große Sache im Mobilitätssektor vorgeben.

Von Beamten oder Technokraten zum alten Eisen abgestempelt, außer Dienst gestellt, ausgemustert zu werden – das muss längst nicht das Ende bedeuten, im Gegenteil.

Denn eines lässt sich nicht per Dekret beenden: Das menschliche Talent, sich an neue Situationen anzupassen, mit vermeintlich Überholtem etwas Neues anzufangen, alten Dingen neues Leben einzuhauchen, ihnen neue Nutzungen und Freude abzugewinnen.

Zu diesen Gedanken inspirierte mich das folgende Foto, welches mir Leser Klaas Dierks vor einiger Zeit in digitaler Form übermittelte, verbunden mit der Frage, wie der abgebildete Wagen einzuordnen sei:

Sizaire & Naudin Sporttourer von 1913/14; Originalfoto: Sammlung Klaas Dierks

Dass der Name des Herstellers – Sizaire & Naudin – bestens lesbar auf dem Kühler prangt, hilft nur auf den ersten Blick weiter.

Versuchen Sie einmal im Netz ein Foto zu finden, das einen Wagen des nur von 1905-1921 aktiven französischen Herstellers mit genau diesem Kühler zeigt. Ich habe mich angesichts dieser Schwierigkeiten zunächst einmal an stilistischen Details orientiert.

Der sportliche Aufbau als Zweisitzer mit Rundheck und die Halterungen für Karbidgas-Scheinwerfer verweisen schon einmal auf die Zeit vor dem 1. Weltkrieg. Allerdings brauchen wir in dieser Epoche nicht weit zurückzugehen.

Denn die leicht ansteigende und dann stufenlos in den „Windlauf“ vor der Frontscheibe übergehende Motorhaube ist ein starkes Indiz für eine Entstehung ab etwa 1912.

Das passt recht gut zur Einführung größerer Vierzylindermodelle bei Sizaire & Naudin ab 1911, welche von der Marke Ballot gebaute Motoren erhielten.

Damit endete die Phase des Baus kompakter Zweisitzer mit Einzylindermotoren und ab dann scheint man auch eine neue Kühlerform eingeführt zu haben. Merkwürdigerweise ist diese kaum dokumentiert, jedenfalls online.

Letztlich fand ich aber doch ein Beispiel für einen solchen Wagen mit identischer Kühlergestaltung, der auf 1913/14 datiert ist. Demnach war das Auto auf dem Foto von Klaas Dierks technisch wie stilistisch bei Erscheinen auf der Höhe der Zeit.

Doch zum Zeitpunkt der Aufnahme war das nicht mehr der Fall – der Wagen war wohl „ausgemustert“ worden zu sein, im wahrsten Sinne des Wortes.

Beim näheren Blick auf die Motorhaube erkennt man eine grob übermalte Partie an einer Stelle, wo bei PKW im Dienst des deutschen Heeres im 1. Weltkrieg der Bezeichnung der Armee-Einheit aufgebracht war, welcher der Wagen angehörte.

Meine Vermutung ist folgende: Der Sizaire & Naudin wurde während des deutschen Feldzugs in Belgien und Frankreich erbeutet und in den Wagenpark eingegliedert. Wahrscheinlich gelangte er zu einer Einheit, die auf deutschem Boden stationiert war.

Das würde erklären, dass das Auto nach Kriegsende nicht in die alte Heimat zurückkehrte, sondern aus dem Armeedienst entlassen wurde und einen deutschen Besitzer fand.

Dieser scheint mit dem Ex-Militärfahrzeug ebenso zufrieden zu sein wie ich mit meinem Peugeot 202-Pritschenwagen, welcher ebenfalls einst beim Heer diente.

Heute wird er nur noch ab und zu zur Freude der Mitmenschen eingesetzt wie hier beim Oldtimertag in Bad Nauheim – dabei war das von offizieller Seite gar nicht vorgesehen…

Peugeot 202 beim Oldtimertag in Bad Nauheim; Bildrechte Peter Emling

Wir sehen daran: Manche Dinge – wahrscheinlich die meisten – sind nicht annähernd vorhersehbar, ganz gleich welches große Licht einst einen Plan gemacht hat…

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Leider geil: Packard „Twelve“ von 1933/34

Nach einem langen und erlebnisreichen Wochenende bin ich müde, aber sehr zufrieden mit mir, auch wenn ich längst nicht alles geschafft habe, was ich mir vorgenommen hatte.

Den bröckelnden Putz einer Mauer im Garten repariert und die Farbe erneuert, Unkraut zumindest partiell bekämpft und zuletzt abends bei tiefstehender Sonne noch eine Runde mit dem Rad durch die umliegenden Felder und über die alte Römerstraße vom Kastell Friedberg zur Arnsburg durch den kühlen Wald gedreht.

Zurückgekehrt dann die obligate Bewässerung von allerlei mediteranen Gewächsen im Hof, der Rosen und Hortensien sowie Hochbeeten im Garten. Außerdem wurden die Vogelbäder in Form uralter Sandsteintränken aufgefüllt. Also alles, was echte Grüne so machen…

Unterdessen machte ich mir Gedanken über den Titel für meinen heutigen Blog-Eintrag. Kurz und auf den Punkt sollte er sein. Gern auch etwas doppeldeutig, das mag ich.

Bevor nun einer Anstoß nimmt an der Formulierung „Leider geil…“, will ich mit etwas Bildungsballast vorbauen. Wir haben es beim schillernden Begriff „geil“ mit einem prächtigen Beispiel für eine sogenannte Bedeutungsverschiebung zu tun.

Was das ist, sei am „Flieger“ veranschaulicht: Ursprünglich und lange Zeit war damit jemand gemeint, der fliegt („Flieger, grüß‘ mir die Sonne…). Doch seit einigen Jahren bezeichnen viele damit schlicht das, was man lange Zeit Flugzeug nannte.

Es ist zwecklos, solche Veränderungen zu beklagen, was nicht heißt, dass man sie selbst reflexartig praktizieren muss, sobald sie in Mode kommen. Man sollte nur den Zeitpunkt erkennen, wenn etwa „Aeroplan“ nicht mehr verstanden wird und alle „Flugzeug“ sagen.

Ähnlich verhält es sich mit dem Eigenschaftswort „geil“, das ursprünglich „fortpflanzungswillig“ oder zumindest „paarungsbereit“ bedeutete. Irgendwann in den 1980er Jahren kam es zu einer Bedeutungsverschiebung.

In der männlichen Jugendsprache bezeichnete man mit „eine geile Feile“ mitnichten ein Werkzeug aus Eisen, das sich reproduzieren will, sondern schlicht eine Vertreterin des weiblichen Geschlechts, die man seeehr attraktiv fand.

Später wurde das Attribut aus diesem Kontext herausgelöst und nun von Jungs und Mädels gleichermaßen für alles verwendet, was sie aufregend fanden. Eine „geile Karre“ ist somit heute zumindest in der Umgangssprache eine gängige Bezeichnung für das, was man früher vielleicht einen „tollen Schlitten“ nannte (noch so eine Bedeutungsverschiebung).

Nachdem wir das geklärt haben, bleiben nur noch zwei Fragen: 1. Was hat es nun mit „leider geil“ auf sich? und 2. Wann kommt endlich das passende Autofoto?

Ad 1: „Leider geil“ bezieht sich auf etwas, von dem man weiß, dass es komplett unvernünftig, verschwenderisch oder im Neusprech „nicht nachhaltig“ ist. Dazu gehört so ziemlich alles, was nicht notwendig ist, aber Spaß macht.

Ich pflege zu sagen: Kultur beginnt jenseits der Notwendigkeit, oder auch: der Spaß hört auf, wenn alles nur noch der bloßen Funktion unterworfen wird.

„Leider geil“ ist dann das Eingeständnis, dass man weiß, dass eine Sache überflüssig ist (also alles oberhalb der Versorgung im Gefängnis), dass aber das erfüllte Leben voraussetzt, die eigenen kreativen Kräfte zum eigenen Plaisir und – wichtig – zu dem anderer einzusetzen und dass es Dinge gibt, die diesem Anspruch hundertprozentig entsprechen.

Ad 2: Ein Autofoto, welches den Grundsatz illustriert, ist dieses hier, aber nicht nur dieses:

Packard „Twelve“ von 1933/34; Originalfoto: Sammlung Klaas Dierks

Dieses kolossale 4-türige Cabriolet wurde einst im kalifornischen Städtchen Beverly Hills aufgenommen, soviel ist überliefert. Es stammte aus dem Hause Packard – siehe die typischen Einkerbungen in der Kühlermaske, welche sich in der Motorhaube fortsetzen.

Das Erscheinungsbild ist für US-Verhältnisse erstaunlich konservativ. Wären da nicht die seitichen Kotflügelschürzen, die auf eine Entstehung ab 1933 verweisen, könnte man hier glatt ein Fahrzeug der späten 1920er Jahre vermuten.

Offenbar legte die solvente Kundschaft von Packard weniger Wert auf den letzten Schrei in der Karosseriegestaltung, was an Mercedes-Benz erinnert. Allerdings erwartete man eine Spitzenmotorisierung, die einen vollkommen souveränen Auftritt in allen Situationen sorgte.

Für letzteren sorgte im vorliegenden Fall neben zwei Achtzylindertypen mit 120 bzw. 145 PS Leistung ein grandioser V12-Zylinder mit 160 PS Spitzenleistung. Letzterer war 1932 als Twin-Six eingeführt worden, hieß ab 1933 „Twelve“ und war nur auf verlängertem Chassis verfügbar.

Ob der Packard auf dem Foto nun ein Acht- oder Zwölfzylinder war, lässt sich nicht mit absoluter Gewissheit sagen. In beiden Fällen ist aber zu konstatieren „Leider geil“.

Man muss so einem Gerät allerdings in natura begegnne, um zu hemmungsloser Begeisterung und entsprechend rustikaler Wortwahl zu gelangen. Dazu hatte ich heute Gelegenheit anlässlich der 20. Ausgabe der großartigen Classic Gala im herrlichen Schlosspark in Schwetzingen südlich von Heidelberg.

Nachdem sich die „Classic Days auf Schloss Dyck“ aus hier nicht zu erörternden Motiven selbst erledigt haben, ist der stilvolle Mittelpunkt der deutschen Szene hochkarätiger Klassiker spätestens jetzt in Schwetzingen zu verorten.

Dort sind traditionell alle Epochen vertreten und Vorkriegsautos aus aller Herren Länder bekommen dort die grandiose Bühne, die sie verdienen.

So absolviert man ab dem Eingang zum weitläufigen und gepflegten Schlosspark einen Rundgang durch die gesamte Automobilgeschichte und schon bald stieß ich so auf das hier:

Packard „Twelve“ von 1933; bei der „Classic Gala“ im Schlosspark Schwetzingen 2024; Bildrechte: Michael Schlenger

Es gab noch viele andere Automobile, die bei dieser Gelegenheit das Attribut „leider geil“ verdienten, doch dieses hier repräsentiert es in vollkommener Weise.

Das Foto lässt nicht ahnen, mit was für einem gigantischen und doch vollkommen wohlproportionierten Wagen wir es hier zu tun haben. Dieser Packard stammt von 1933 und ist auch bei geschlossener Motorhaube klar als „Twelve zu erkennen – es steht auf den Nabenkappen.

Im Unterschied zu dem zeitgleichen Packard auf dem eingangs gezeigten Foto aus der Sammlung von Klaas Dierks besitzt dieses Exemplar eine noch traditionellere Karosserieausführung als „Sport-Tourer“ – Anfang der 30er Jahre bereits sehr selten.

Anders als das Cabrio hatte der Tourer nur ein ungefüttertes Verdeck ohne seitliche Sturmstangen und keine seitlichen Kurbelscheiben. Allerdings gönnte man den rückwärtigen Passagieren den Komfort einer eigenen Windschutzscheibe mit seitlichen Windabweisern:

Packard „Twelve“ von 1933; bei der „Classic Gala“ im Schlosspark Schwetzingen 2024; Bildrechte: Michael Schlenger

Bemerkenswert ist: Mir war zunächst gar nicht aufgefallen, dass dieser großartige Tourer in den frühen 1930er Jahren entstanden war.

Seine Linien in Verbindung mit der stillvollen Zweifarblackierung sind so vollkommen zeitlos, dass sie nicht veralten können. Meisterhaft ist die Präsentation und Gestaltung eines so banalen Gegenstands wie des Reserverads mit tiefschwarz lackierter Hülle:

Packard „Twelve“ von 1933; bei der „Classic Gala“ im Schlosspark Schwetzingen 2024; Bildrechte: Michael Schlenger

An die stilistische Klasse der US-Serienwagen der Spitzenklasse kamen in den 1920er und 30er Jahren in Deutschland nur einige spezialisierte Karosseriebaufirmen heran.

Tatsächlich haben wir es hier mit einem gemäß Packard-Prospekt bestellbaren „Sport Phaeton“ zu tun und keinem Spezialaufbau. Allerdings blieben diese Wagen auch in den Staaten exklusiv – mancher schätzte Packard damals noch höher als Cadillac ein.

Nur knapp 2.500 dieser 12-Zylinder-Packards entstanden 1933/34 und in Europa dürfte es nur ganz wenige Gelegenheiten geben, diese Schönheiten zu erleben.

„Leider geil“ bleibt dem ansonsten sprachlosen Enthusiasten da nur zu sagen…

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Spurensuche: Beckmann-Automobile (von 1911-1924)

Ende August 2024 – heute war ein schöner warmer Sommertag von der Art, wie er sich in Deutschland dieses Jahr etwas rar gemacht hat. Gegen Abend beim Gießen der stets durstigen Oleander im Hof machte sich plötzlich unerwartete Kühle breit – das Thermometer sank auf nur noch 18 Grad und es begann früh zu dunkeln.

Unsere Katze Ellie saß verloren im großen Garten, auf den Boden geduckt und schaute mich fragend an: „Wo ist denn der Sommer hin, eben war er doch noch da?“

Da wurde mir bewusst, dass der Herbst vor der Tür steht und wie immer um diese Zeit stellte sich leise Melancholie ein.

Was hatte man sich alles vorgenommen, vieles geplant – und mit einem Mal merkt man, dass die Dinge und die Zeit ihr Eigenleben haben und es anders kommt als erhofft. Dieses Erleben ist eine Konstante im Dasein, damit souverän umzugehen, ist Lebenskunst.

In gewisser Weise gefiel mir sogar die Stimmung, die sich einstellte, denn sie passte perfekt zur letzten Folge der Beckmann-Spurensuche, die ich gemeinsam mit Beckmann-Urenkel Christian Börner seit gut einem Jahr hier unternehme.

Auch diese letzte Folge mit der merkwürdig anmutenden, von 1911-2024 reichenden Spanne ist aus Sicht von Christian Börner von Wehmut geprägt, denn dieser Abschied sollte eigentlich ein Wiedersehen der besonderen Art sein – doch daraus wurde leider nichts.

Damit übergebe ich an Christian Börner:

„Kennen Sie das? Sie freuen sich auf etwas ganz Besonderes, für Sie Einmaliges und dann kommt es im letzten Augenblick ganz anders. Seit 38 Jahren hattee ich auf den Tag hingefiebert, an dem ich zum ersten Mal ein einsatzfähiges Auto aus der Produktion meines Urgroßvaters Paul Beckmann, dem Autobauer aus Breslau sehen und quasi „in Besitz nehmen“ kann und als Beifahrer darin mitfahren kann. Das war für mich über Jahrzehnte meines Lebens eine Vision, die sich buchstäblich im allerletzten Augenblick aufgelöst hat.

Das nun folgende Geschehen weist beinahe romanhafte Höhen und Tiefen auf und illustruiert für mich par excellence, warum die Beschäftigung mit Vorkriegsautomobilen eine so spannende, aber auch strapaziöse Sache sein kann. Nun wieder Christian Börner:

„Auch wenn wir im Rahmen der Beckmann-Spurensuche eigentlich bereits am Ende der Firmengeschichte anno 1927 angelangt waren, müssen wir für die heutige Zeitreise zunächst in das Jahr 1911 zurück.

Dieses Jahr war für Beckmann zwar nicht von besonderen Ereignissen geprägt, Produktion und Vertrieb liefen offenbar problemlos. Erst aus der Gegenwartsperspektive kam damals etwas im Wortsinn Bedeutsames ins Rollen im Breslauer Werk.

Dort wurde nämlich anno 1911 wurde ein siebensitziger Doppel-Phaeton (oder Tourenwagen) des vierzylindrigen Spitzentyps 21/45 PS fertiggestellt und einem unbekannt gebliebenen Kunden ausgehändigt.

Gut drei Jahre später – nach Ausbruch des 1. Weltkriegs – wurde das Auto für das deutsche Militär beschlagnahmt. Während die Masse der Soldaten mit Eisenbahn und Pferdefuhrwerk transportiert wurde bzw. zu Fuß ins Verderben marschierte, wurden für Offiziere, Melder und Kuriere in großer Zahl Automobile benötigt.“

Hier haben wir exemplarisch einen etwas jüngeren und deutlich kleineren Beckmann-Tourer im Militärdienst:

„So wurde auch der prächtige Beckmann 21/45 PS Tourenwagen als Heereskraftwagen eingesetzt – wo und wie genau ist unbekannt.

Erst 1920 gab es wieder ein Lebenszeichen von dem Fahrzeug. Anstatt ihn dem ursprünglichen Besitzer zurückzugeben wurde er zwecks Beschaffung wertvoller Devisen zusammen mit über 20.000 anderen Wagen aus deutschem Militärbestand exportiert.

Dazu wurden notwendige Reparaturen vorgenommen und die äußerlich nicht mehr moderne Karosserie durch eine zeitgemäße ersetzt. Solchermaßen fit für ein neues Autoleben gemacht, landete „unser“ Beckmann 10/45 PS in die schwedische Provinz Västernorrlands,wo er im Dezember 1920 auf einen Großhändler zugelassen wurde.

1924 wurde der Beckmann weiterverkauft, aber schon im Jahr darauf stillgelegt. Laut den erhaltenen Zulassungsdokumenten wurde er verschrottet, aber das galt nur für die Karosserie. Chassis, Motor, Getriebe und einiges mehr wurden tatsächlich eingelagert und dämmerten (bzw.) rosteten einer besseren Zukunft entgegen.“

Als noch 1944 in Breslau geborener Urenkel von Paul Beckmann hatte Christian Börner das sprichwörtliche Benzin im Blut, das einen wahren Automobil-Enthusiasten ausmacht. Bereits mit 18 Jahren, also 1962, begann er immer intensiver nach überlebenden Beckmann-Autos zu forschen.

„Damalige Recherchen waren mühsam und zeitaufwendig, denn sie erfolgten ausschließlich postalisch, meine Bemühungen blieben überwiegend ohne Antwort.

Dann, nach 24 Jahren des Suchens, der erste Lichtblick: Ich erfuhr, dass ein Landwirt und Oldtimer-Sammler in Lagan/Südschweden Reste eines Beckmanns besitzt. Also nichts wie hin!

Was fand ich dort 1986 vor? Fragmente des erwähnten 21/45 PS-Autos von 1911, wenn auch in bedauernswertem Zustand:

Beckmann 21/45 PS von 1911 im Jahr 1986; Bildrechte: Christian Börner

Wie man gut erkennen kann, hatte der damalige Besitzer begonnen, das Chassis und die Radnaben zu entrosten und zu lackieren. Von der Karosserie waren nur die Vorderkotflügel erhalten geblieben. Wichtiger war aber der kaum wiederzubeschaffende Beckmann-Kühler.

Erfreulicherweise hatte sich auch das Nummernschild der schwedischen Erstzulassung aus dem Jahr 1920 erhalten:

Beckmann 21/45 PS von 1911 im Jahr 1986; Bildrechte: Christian Börner

Und dann natürlich noch der komplette Motor mit seinen zwei mächtigen Zylinderblöcken – das unersetzliche Herz des Beckmann, dessen Leistung hauptsächlich dem großen Hubraum zu verdanken war:

Beckmann 21/45 PS von 1911 im Jahr 1986; Bildrechte: Christian Börner

Getriebe sowie die Gestänge von Schaltung und Handbremse waren ebenso vorhanden wie beide Achsen – technisch gesehen war also alles Wesentliche vorhanden.

Für versierte Oldtimer-Restauratoren, die vor einer Wiederherstellung der verlorenen Karosserie und des Inenraums nicht zurckschrecken, eine beinahe „ideale“ Basis.

Aber schon an diesem Punkt zeigte sich, dass die Dinge im Leben bisweilen nicht die erhoffte Richtung nehmen:

Der Besitzer hatte mir den Wiederaufbau zugesagt, hielt sein Versprechen aber nicht ein und trennte sich rund 20 Jahre später wieder von dem Chassis.

Auf Umwegen in Schweden und Dänemark fand sich schließlich ein Käufer für den Beckmann, und zwar in Norwegen. Es war 2006, als der heutige Besitzer, Rune Aschim aus Oslo, den Mut aufbrachte und damit begann, aus den Fragmenten wieder ein Automobil zu machen.

Der nunmehrige Besitzer des Beckmanns und ich als Urenkel des Herstellers lernten sich kennen und fieberten gemeinsam der Revitalisierung in kleinen Schritten entgegen.“

Hier haben wir zur Illustration des dabei im Detail Geleisteten eine Aufnahme des komplett überholten Motors:

Beckmann 21/45 PS von 1911, Motor in restauriertem Zustand; Bildrechte: Runde Aschim

Die größte Herausforderung war freilich der komplette Neuaufbau einer an zeitgenössischen Vorbildern Tourenwagen-Karosserie.

Die Rekonstruktion kam aufgrund unerwarteter Schwierigkeiten erst im Juni 2024 zum Abschluss als ein für Christian Börner wichtiges Ereignis bedrohlich näherrückte. Hier haben wir den beeindruckenden Aufbau im Frühjahr 2024 vor uns:

Beckmann 21/45 PS von 1911 mit rekontruierter Karrosserie; Bildrechte: Runde Aschim

Wieder Christian Börner:

Seine erste Bewährungsprobe sollte der wiedererstandene Beckmann-Tourer bei der Herkomer-Konkurrenz 2024 bestehen. Diese Traditionsveranstaltung findet alle zwei Jahre statt und es dürfen nur Fahrzeuge vor Baujahr 1930 teilnehmen).

Vielleicht fragen Sie sich, warum ausgerechnet dort, mehr als eineinhalbtausend Kilometer südlich von Oslo, dem Wohnsitz des Besitzers?

Nun, es sollte eine Reminiszenz an den Erzeuger dieses Wagens, Paul Beckmann, sein. Denn wie in unserer Sourensuche berichtet hatte er an zwei (1906 und 1907) der insgesamt drei historischen Herkomer-Konkurrenzen erfolgreich teilgenommen, und zwar mit einem ähnlich starken Vorgängermodell. Sicher erinnern Sie sich:

Beckmann 40 PS-Modell von 1907; Originalfoto via Christian Börner

An dieser Stelle, kurz vor dem Ziel, geschah nun das, auf was ich eingangs anspielte – dass im Leben immer wieder die besten Vorhaben und die schönsten Szenarien auf eine Weise durchkreuzt werden, die uns deutlich macht, dass wir nicht Herr über alles im Dasein sind.

So berichtet Christian Börner weiter:

Genau eine Woche vor dem Rallyestart, für den der Wagen angemeldet war, stellte sich ein Beamter der norwegischen Zulassungsbehörde quer. Er sah die noch existierenden schwedischen Zulassungsdokumente der Jahre 1920 bis 1924 ein und stellte fest, dass diese nur auf das damals zugeteilte und erhaltene Kennzeichen AC607 (siehe Foto) abstellten, aber keine Chassisnummer beinhalteten. Diese geht zwar aus dem originalen Fabrikschild hervor, doch das genügte ihm nicht. Zu allem Überfluss verabschiedete sich der Beamte stante pede in seinen Sommerurlaub. Aus der Traum!

Man sieht, auch außerhalb Deutschlands gibt es Verwaltungsbeamte, die eines vergessen haben: Sie sind nicht das Aufsichtspersonal der Bürger, sondern deren Angestellte und werden von diesen gut dafür bezahlt, bestimmte wiederkehrende Verfahren fair, d.h. im Interesse des unbescholtenen Bürgers zu regeln.

Dazu gehört, dass man sich ein Gesamtbild der Situation macht, von vorhandenen Ermessensspielräumen Gebrauch zu machen und sich daran zu orientieren, was der Geist des Gesetzes ist. Der Zweck von Zulassungsbestimmungen ist nicht der, die Zulassung von Automobilen möglichst schwierig zu machen, sondern sie nachvollziehbar zu gestalten.

Wenn kein Risiko damit verbunden ist, kann in Fällen, die der Gesetzgeber nicht im Detail antizipieren konnte, der gesunde Menschenverstand eingesetzt werden, um eine auf plausiblen Kritierien fundierte Zulassung zu erlangen. Denn eine formal nachvollziehbare Zulassung ist der Zweck der Vorschriften, nicht deren Vereitlung durch möglichst strikte Auslegung einzelner Punkte, die im konkreten Einzelfall irrelevant sind.

Im Fall des Beckmann fragt man sich, was mit der Verweigerung der Zulassung durch einen einzelnen Staats“diener“ gewonnen bzw. welche Gefahr damit verhindert wurde. Es kann nicht der Zweck staatlicher Vorschriften sein, dass diese bzw. ihre subjektve Auslegung eine Eigendynamik entwickeln, welche der Lebenswirklichkeit der Bürger zuwiderläuft.

Wieder Christian Börner:

Nun steht der weltweit einzige noch erhaltene Beckmann-Wagen in Norwegen und keiner weiß, wie es weitergehen soll. Können Sie meine Enttäuschung und die des Besitzers nachvollziehen?“

Beckmann 21/45 PS von 1911 im Juli 2024

Zum Schluss möchte ich nochmals an Christian Börner übergeben, der übrigens doch an der Herkomer-Konkurrenz 2024 in einem anderen Wagen des Beckmann-Besitzers Rune Aschim teilgenommen hat – in einem herrlichen 12-Zylinder Packard.

Wie er mir mitteilte, hat dieses Erlebnis ein wenig den Schmerz gelindert, der sich aus dem geplatzten Traum ergab, welcher ihn jahrzehntelang begleitete. Vielleicht wird ja zu einem späteren Zeitpunkt doch noch etwas daraus.

Aus welchen Quellen habe ich als Chronist der Automobilfirma Otto Beckmann & Co eigentlich meine Informationen gesammelt? Mir stand leider nichts zur
Verfügung, was ich einem Firmennachlass oder in Original-Dokumenten am Ort des
Geschehens, also Breslau (heute) Wroclaw, hätte finden können. Dort ist bei Kriegsende bzw. danach alles verlorengegangen.

Was die zeitgenössische Literatur betrifft, vor allem Automobil-Periodika, so war einiges in Staats- und Universitätsbibliotheken zu finden, vor allem in der Bibliothek des Deutschen Museums in München. Dort habe ich über Jahre hinweg viel Freizeit investiert.

Die Nachkriegs-Fachliteratur zu Beckmann weist aber fast durchweg große Lücken und einige Fehler auf. Lediglich der Klassiker aller Bücher über alte Autos, die dreibändige Chronik des Nestors der deutschen Automobilhistoriker Hans-Heinrich von Fersen „Autos bzw. Sportwagen in Deutschland“, weist insgesamt 10 Seiten über Beckmann auf. Bei den zwei jüngeren Bänden von Halwart Schrader sind es 3 ½ Seiten, bei Oswald noch weniger.

Ausgerechnet die 640 Seiten umfassende „Chronik des Automobils“ von Hans-Otto Neubauer hat keine Zeile für Beckmann übrig – obwohl ich diesem damals mein bis dahin mageres Material zur Verfügung gestellt hatte.

Kurios ist, dass kein einziger dieser Autoren das richtige Jahr des Beginns des Beckmann’schen Automobilbaus genannt hat. Es erscheint mir sicher zu sein, dass alle deutschen Publikationen, die nach von Fersens Büchern erschienen sind, weitgehend von diesem „inspiriert“ worden sind (man könnte es auch Abschreiben nennen). Für das richtige Datum des Beginns des Automobilbaus bei Beckmann – 1898 – hätte man nur mal in die „Automobil-Welt“ von 1905 hineinzuschauen brauchen.

Bevor wir nun Abschied von der Firma Beckmann nehmen, möchte ich den Aufruf von Christian Börner nicht unerwähnt lassen, seiner unbedingt sehenswerten und heute wieder quícklebendigen Geburtsstadt einen Besuch abzustatten.

Er selbst hat dort bleibende Spuren hinterlassen in Form einer von ihm initiierten Gedenktafel, die am Standort der Firma Beckmann an diesen bemerkenwerten Teil der langen und wechselhaften Geschichte der Stadt erinnert.

Wer hätte das gedacht im Februar 1945, als die Familie Beckmann angesichts der vorrückenden Roten Armee wie die meisten Breslauer aus der anschließend heftig umkämpften Stadt fliehen musste?

Wie mir Christian Börner einmal schrieb, hing sein Leben als Einjähriger damals an einem seidenen Faden – buchstäblich mit Goldschmuck und Familiensilber erkaufte man sich auf dem Weg nach Westen das, was der Kleine zum Überleben benötigte.

Erst kürzlich ist Christian Börner 80 geworden und er ist voller Tatendrang. Ich bin dankbar, dass er mich an den Früchten seiner lebenslangen Spurensuche in Sachen Beckmann hat teilhaben lassen und hoffe, dass sich doch noch das eine oder andere Fragment findet.

Sie, liebe Leser, haben hoffentlich ebenfalls davon gehabt – noch einmal wird eine solche Fortsetzungsgeschichte quasi aus erster Hand nicht mehr möglich sein. Daher erlaube ich mir, Christian Börner unser aller Dank und Verehrung für sein Tun auszusprechen. Ich und mein Blog waren dabei nur das Medium.

Nun ist es wieder spät geworden, just in dem Moment ist unsere Katze Ellie hereingekommen – ihr ist’s nun wirklich zu frisch draußen. Ein paar schöne warme Tage wird es wohl noch geben, aber der Sommer neigt sich unweigerlich dem Ende zu.

Erwarten und planen wir generell nicht zuviel. Es kann jeden Tag alles ganz anders kommen. Lassen wir uns lieber überraschen, wenn uns Fortuna doch einmal hold ist – eine zeitlose Lehre, meine ich.

Michael Schlenger, 2024. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

Wirklich erlesen! „Elite“-Spitzkühler-Tourenwagen

Heute befassen wir uns mit dem schillernden Begriff der Elite – da müssen Sie durch, auch wenn’s nicht immer jedem passt. Aber ein Blog lebt von der subjektiven Inspiration des Autors – ohne die könnten Sie hier nicht tausende Porträts von Vorkriegsautos kostenfrei lesen.

Also was sagt uns „Elite“? Irgendetwas Exklusives, Abgehobenes, vielleicht? Ist das etwas Positives oder eher Negatives? Nun, es kommt wie immer darauf an.

Von der Wortherkunft her ist der Begriff positiv. Er geht auf das lateinische Verb „eligere“ zurück, das Auslesen nach Qualität bezeichnet – ob bei Äpfeln, Birnen oder Volksvertretern.

Im Französischen wurde durch das Verschleifen der Konsonanten daraus „élire“ und die Franzosen waren auch diejenigen, die daraus das Hauptwort „l’elite“ abgeleitet haben.

Nicht zufällig spielt das Elitedenken bei der Auslese der politischen Führer in unserem von jeher zentralistisch geprägten Nachbarland eine wichtige Rolle. Die Führungsschicht rekrutiert sich meist aus Absolventen spezieller Elitehochschulen – Kritiker bezeichnen das Ergebnis als eine Art Politadel, der sich aufführt, als hätte es nie eine Revolution gegeben.

Dass die Eliten auch unseres Landes bzw. in den EU-Führungszirkeln keine Selektion mehr im Sinn einer Besten-Auslese mehr darstellen, ist ausgeschlossen. Denn das sind unsere Angestellten, die wir dafür entlohnen, Probleme zum Vorteil der Bürger zu lösen, nicht wahr?

Somit ist es abwegig anzunehmen, dass die Eliten unserer Tage in Wahrheit nicht auserlesen sind, sondern ihre Privilegien bisweilen bloß ersessen, ererbt, ermogelt usw. haben. Das wäre ja wirklich unglaublich!

Nachdem wir geklärt haben, dass mit unseren Eliten alles zum Besten steht, vom unkorrumpierbaren Bürgermeister bis zum politisch strikt neutralen Bundespräsidenten, können wir beruhigt zum unterhaltsamen Teil in Sachen „Elite“ übergehen.

Unter der Marke „Elite“ wurden von der gleichnamigen AG ab 1913 in Brand-Erbisdorf (Sachsen) PKW und Nutzfahrzeuge gebaut. Die Geschichte der Firma ist dermaßen verwickelt, dass ich diesbezüglich auf den mehrseitigen Abriss in „Ahnen unserer Autos“ von Gränz/Kirchberg (1975) verweise – ein heute noch nützliches Werk, nebenbei.

So chaotisch die Unternehmenstrategie war – wenn man überhaupt davon sprechen kann – so erlesen wirken die Elite-Wagen, welche speziell Anfang der 1920er Jahre entstanden:

„Elite“-Vierzylinder-Tourenwagen der frühen 1920er Jahre; Originalfoto: Sammlung Jason Palmer (Australien)

Wirklich erlesen erscheint hier alles – vom schicken Spitzkühler mit „Elite“-Schriftzug und typischem Markenemblem bis hin zu den abgebildeten Personen.

Wie so oft auf Fotos von Vorkriegswagen hat sich der Besitzer in elitärer Manier hinter’s Lenkrad geklemmt, während der Chauffeur, der die Fuhre eigentlich am Laufen hält, auf eine subalterne Position verbannt wurde.

Das lassen wir jetzt mal unkommentiert, zumal die Eliten jener Zeit das Können ihrer Fahrer in der Regel sehr zu schätzen wussten und ihnen mit dem gebotenen Anstand begegneten.

Was den abgebildeten „Elite“-Wagen angeht, geht mein Dank an Jason Palmer aus Australien, der Oldtimer-Sammler und ein hervorragender Kenner speziell europäischer Modelle ist. Er stellt mir immer wieder einzigartige Dokumente in der Hinsicht zur Verfügung.

Es gibt zwar eine umfassende Gesamtdarstellung der bis 1929 gebauten „Elite“-Personenwagen von Malte Krüger („Der Luxus-Automobilbau der Elite-Werke in Brand-Erbisdorf„, in: Die Geschichte der Verwaltung in Sachsen und der Region Freiberg, Festvorträge anlässlich der Vergabe des Andreas-Möller-Geschichtspreises 2006, hrsg. von der Stiftung für Kunst und Kultur der Kreissparkasse Freiberg, 2008)

Doch trotz des detaillierten Abrisses der Firmen- und Modellgeschichte, muss ich mich im vorliegenden Fall auf Vermutungen stützen, da es nur wenige Aufnahmen klar datierter und typmäßig genau bestimmter Elite-Wagen gibt.

Die Kleidung der Insassen – speziell der Damen – spricht für eine Aufnahme der frühen 1920er Jahre, wozu auch die Art der elektrischen Beleuchtung mit schüsselförmigen Hauptscheinwerfer und darunter angebrachten kleinen Lichtern (Positionslampen oder zur Ausleuchtung von Kurven) passen würde.

Bei den Elite-Wagen scheint man bis etwa 1924/25 an dem Benz-ähnlichen Spitzkühler festgehalten zu haben. In dieser Zeit wurde neben Vierzylindermotoren mit 40-50 PS auch ein Sechszylinder mit 55 PS angeboten. Die Haubenlänge spricht hier für einen 4-Zylinder.

Technisch scheinen diese Wagen noch ganz auf Vorkriegsstand gewesen zu sein. Ihre durchaus beachtliche Leistung bezogen sie im Wesentlchen aus relativ großen Hubräumen, die über denen gängiger deutscher Wagen jener Zeit lagen.

Sie sahen daher eindrucksvoller aus, als sie es tatsächlich waren – sehr teuer waren die „Elite“-Wagen obendrein. Doch scheint es gerade der schöne Schein gewesen zu sein, der einigen Exemplaren die Wertschätzung eingebracht hat, welche ihr Überleben ermöglichte.

Und nun verneigen wir uns nochmals gedanklich vor Jason Palmer aus Australien, der uns nämlich noch ein weiteres wirklich elitäres Vergnügen beschert hat.

Ja, es haben einige immer noch beeindruckende Elite-Wagen in Ostdeutschland überlebt. Aber. liebe Leser, jetzt schauen Sie sich einmal dieses Gerät an – das in Australien die Zeiten überdauert hat – Jason Palmer hat es vor einiger Zeit für uns fotografiert:

„Elite“-Vierzylinder-Tourenwagen der frühen 1920er Jahre; Bildrechte: Sammlung Jason Palmer (Australien)

Hier haben wir einen Elite 12/40 PS von 1923, der anno 1924 nach Australien gelangte und dort einen siebensitzigen Tourer-Aufbau der Karosseriebaufirma Cheetham & Borwick erhielt.

2017 wurde die Restaurierung dieses wohl einzigartigen „Elite“ abgeschlossen. Ist das nicht ein großartiges Beispiel für eine wirklich gelungene Auslese über Zeiten und Regionen hinweg?

Jason Palmer hat sich seinerzeit die Mühe gemacht, das schöne Kühleremblem für uns in bester Qualität aufzunehmen:

„Elite“-Vierzylinder-Tourenwagen der frühen 1920er Jahre; Bildrechte: Sammlung Jason Palmer (Australien)

Kann es sein, dass sich die eigentliche Elite unserer Tage – im Sinne von Kennern mit erlesenem Geschmack und sicherem Urteil – nicht auf Teppichetagen staatsnaher Konzerne und in gepanzerten Limousinen findet, sondern schlicht auf dem Boden der Tatsachen?

Michael Schlenger, 2024. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

Noch rechtzeitig ausgewandert: Ein Dixi von 1914

Im Sommer 1914 spielten die sogenannten Eliten Europas mit dem Feuer – und konnten schon bald die Flammen, die sie mit auf Konfrontation angelegten Bündnissen und naiver Selbstüberschätzung entfacht hatten, nicht mehr löschen.

Am Ende standen fast alle Kriegsparteien als Verlierer da – vielleicht abgesehen von Italien und Rumänien, die ihr Territorium ab 1918 auf fragwürdige Weise erweitern konnten.

Zu den Gewinnern zählten neben den Vereinigten Staaten letztlich nur diejeinigen, die rechtzeitig ausgewandert waren – sofern sie nicht von den Kolonialmächten England und Frankreich als Kanonenfutter wieder zurück nach Europa geschickt wurden.

Dieses finstere Kapitel in der Geschichte Kanadas, Australiens und Neuseelands sowie Indiens und etlicher afrikanischer Staaten wird gern übergangen, dabei sprechen die Soldatenfriedhöfe in Frankreich auch in der Hinsicht eine erschütternde Sprache: Eine ganze Generation junger Männer aus aller Welt wurde für einen Krieg verheizt, dessen Ziel schon nach den ersten Monaten keiner der Schreibtischtäter mehr benennen konnte.

Dass Kriege eine fatale Eigendynamik entwickeln, aus der schwer bis unmöglich wieder herauszukommen ist, weil die Entscheider davon nicht direkt betroffen sind, sollte auch den neuerdings in Europa wieder fleißigen Kriegsertüchtigern zu denken geben.

Doch leider lehrt die Geschichte nur eines: dass die Menschen nur aus dem lernen, was sie am eigenen Leib erfahren haben – und die letzte Generation, für die das noch gilt, verlässt uns gerade. So mag man auf den Teppichetagen von heute wohl die Fehler von anno 1914 wiederholen oder andere kolossale Dummheiten begehen, die Dritte bezahlen müssen.

Genug davon – wir wollen uns heute mit einem Zeitzeugen beschäftigen, der im Sommer 1914 noch einmal davon gekommen ist – während es seinem Kameraden nicht gelungen ist.

Die Rede ist von einem Tourenwagen der Eisenacher Fahrzeugwerke, deren Automobile unter dem griffigen Markennamen Dixi verkauft wurden. Hier sehen wir einen davon:

Benz und Dixi-Tourenwagen ab 1914; Originalfoto: Sammlung Jason Palmer (Australien)

Moment mal, werden jetzt die Kenner sagen – hier ist doch eindeutig ein Benz zu sehen und links daneben ein Opel oder Dürkopp – jedenfalls der Kühlerform nach zu urteilen.

Tja, was den Benz betrifft, ist der Fall in der Tat klar. Die Marke zählt neben Daimler, NAG, Opel, Protos, Stoewer und Wanderer zu den häufigsten, die auf deutschen Fotos aus dem 1. Weltkrieg vertreten sind.

Speziell Benz-Automobile wurden so oft abgelichtet, dass ich noch längst nicht alle entsprechenden Fotos aus meinem Fundus oder dem von Sammlerkollegen hier gezeigt habe – das wäre auf die Dauer langweilig, so unglaublich das klingt.

Im vorliegenden Fall wollen wir aber auch dem Benz Gerechtigkeit zuteil werden lassen – offenbar ein mittelgroßes Flachkühlermodell aus der Zeit ab 1913/14, worauf die elektrischen Parkleuchten unterhalb der Windschutzscheibe hindeuten:

Die Interpretation von Details wie der Kennung vor dem Kühler und des runden Gegenstands neben dem in Fahrtrichtung links befindlichen Vorderrads überlasse ich gern sachkundigen Lesern – ich schätze fundierte Ergänzungen und auch Korrekturen sehr.

Vielleicht findet ja sogar jemand heraus, in wessen „Garage“ das deutsche Heer hier irgendwo in Belgien oder Frankreich ungebeten „eingezogen“ war.

Noch spannender bleibt aber die Frage, was es mit dem zweiten Wagen auf sich hat, der am Rand der Szene steht, aber für mich das viel interessantere Gefährt ist.

Jason Palmer aus Australien – selber Sammler von Vorkriegsfahrzeugen und Kenner früher europäischer Fabrikate – ist der Ansicht, dass wir hier einen Dixi von anno 1914 sehen:

Naja, wird jetzt vielleicht einer selbstgewiss denken, ein Opel oder Dürkopp hatte doch einen ganz ähnlichen Kühler und überhaupt: Wo findet man denn Dokumente, die zeigen, dass Dixi damals ebenfalls so einen birnenförmigen Kühler verbaute?

Wer sich leichtfertig auf die bisher verfügbare (teils veraltete) Literatur verlässt, der kann leicht übersehen, das Dixi ab 1913/14 tatsächlich zu einer neuen Kühlerform überging. Ob das bei allen Modellen der Fall war und ob womöglich – wie bei Benz – neue und alte Form parallel angeboten wurden, das kann ich bislang nicht sagen.

Jedenfalls fand ich in der Literatur (Dixi-Kapitel aus: H. Schrader, BMW-Automobile) nur eine einzige Prospektabbildung, die einen Dixi aus der Zeit kurz vor dem 1. Weltkrieg mit genau so einem Kühler zeigt (Typ S 16).

Das ist vielleicht etwas dünn, um als Beleg zu gelten, zumal reine Prospektabbildungen stets mit Vorsicht zu genießen sind, sind sie doch oft idealisierend oder zeigen in etlichen Fällen Ausführungen, die zwar angeboten, doch nie verkauft wurden.

Heute sind wir aber in der glücklichen Lage, dass uns Jason Palmer als Eigner des Fotos aus dem 1. Weltkrieg auch die Evidenz mitgeschickt hat, die den Fall sonnenklar macht.

Und nun halten Sie sich fest: Gerade noch rechtzeitig vor Ausbruch des 1. Weltkriegs verließ im August 1914 ein Dixi des Mittelklasse-Typs R12 per Schiff Europa und kam nach einigen Wochen im fernen Australien an, wo sein Aufbau von der Firma TJ Richards & Son in Adelaide vervollständigt wurde.

Das wissen wir deshalb so genau, weil dieses Auto noch im Originalzustand existiert:

Dixi-Tourenwagen Typ R12 von 1914; Bildrechte: Sammlung Jason Palmer (Australien)

Man sieht: Wer seinerzeit das Glück hatte, nach „down under“ auszuwandern, hatte eindeutig die besseren Überlebenschancen – zumindest, wenn es sich um einen automobilen Zeitgenossen handelt.

Überhaupt hat sich Australien – noch so ein Land, aus dem man in Europa praktisch nichts erfährt, außer wenn irgendwo mal wieder der Busch brennt – geradezu als „Safe Haven“ für heute rare europäische und speziell deutsche Wagen aus der Zeit vor dem 1. Weltkrieg erwiesen. Wir kommen bei Gelegenheit darauf zurück.

Ob nun der Dixi auf dem Foto aus dem 1. Weltkrieg ebenfalls ein Typ R12 oder ein anderes Modell aus der breiten Dixi-Palette anno 1914 war, sei dahingestellt. Jedenfalls hat die Einschätzung, dass es sich um einen Dixi und nichts anderes handelt, einiges für sich.

Damit übergebe ich das Wort an die Markenspezialisten…

Michael Schlenger, 2024. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

Kennt kein schlechtes Wetter: Auburn 8-851 Phaeton

Ohne Wetterwarnungen – früher noch als Wettervorhersage bekannt – vergeht heute kaum noch ein Tag.

Gestern wurde hier im Hessischen mitten im Januar (!) auf Gefahren durch Schneeregen hingewiesen, als drohe die Apokalypse. Die Schulen blieben vielerorts geschlossen, so auch in meiner beschaulichen Heimatregion – der Wetterau.

So musste ich auf das Fensterklopfen des Buben verzichten, der sonst morgens um kurz vor acht auf sich aufmerksam zu machen pflegt, wenn ich in meinem Büro sitze, das direkt an den Weg zur nahgelegenen Grundschule grenzt.

Nun, während es in anderen Regionen tatsächlich glatt wurde, blieb in der Wetterau erwartungsgemäß das herbeifabulierte Chaos aus. Aber die Leute scheinen nicht mehr zum eigenen Urteil fähig zu sein, wenn tagaus, tagein und flächendeckend Panik verbreitet wird.

Lassen wir dahingestellt sein, was mit dieser Verunsicherung in Permanenz psychologisch bezweckt wird, und stellen uns die Frage, was die Leute wohl machen würden, wenn es statt Wetterwarnungen wieder den nüchternen Wetterbericht von anno dazumal gäbe.

Vermutlich würde man gelassen seine eigenen Schlüsse daraus ziehen – aus der Erfahrung, dass die Wetterfrösche von jeher wenig wissen und viel vermuten müssen, was ihren Beruf freilich nicht entwertet.

Der morgendliche Blick zum Himmel, ein weiterer auf das Barometer gepaart mit der Kenntnis des lokalen Mikroklimas – damit fährt man oft genug besser.

Und noch besser fährt man, wenn die Sonne lacht, die Luft lau ist – und einem ein prachtvolles Fahrzeug nebst charmanter Begleitung zur Verfügung steht wie hier:

Auburn 8-851 Phaeton; Originalfoto: Sammlung Raoul Rainer

Diese großartige Aufnahme verdanke ich Leser Raoul Rainer, dessen fabelhafte Web-Präsenz „Vintage Cars & People“ ich Ihnen nur wärmstens an Herz legen kann.

In seinen Bildergalerien voller vergangenen Lebens mit dem Automobil kann man sich verlieren und sich der in mancher Hinsicht heilsamen Wirkung eines Gegenbilds zum Hier und Jetzt aussetzen.

Wenn Sie jetzt sagen „Das weiß ich doch schon alles und ich mache regelmäßig dort Halt, um eine Weile in die Welt unserer Altvorderen einzutauchen„, dann interessieren Sie sich jetzt vermutlich mehr für den Wagen auf oben gezeigtem Foto.

Das verstehe ich natürlich, handelt es sich doch nicht nur um ein wohlkomponiertes Foto in hervorragender technischer Qualität, sondern zugleich um den Zeugen eines außergewöhnlichen US-Automobils, welches einst im Raum Lübeck zugelassen war.

Wir haben es hier mit dem Spitzenmodell der Marke Auburn aus dem Jahr 1935 zu tun – dem Modell 8-851 „Supercharged“. Der Zusatz steht für einen permanent mitlaufenden Kompressor, welcher dem eher zahmen 4,5 Liter-Achtzylinder aus dem Hause Lycoming zu 150 PS verhalf.

Den Käufern war aber das unverwechselbare Styling mindestens ebenso wichtig, für welches Gordon Buehrig verantwortlich zeichnete, der zuvor bei Duesenberg tätig gewesen war.

Trotz vergleichsweise niedriger Preise vermochte der Absatzerfolg des 1935er Modells – das auch als Sechzylinderversion 6-653 angeboten wurde – der 1900 gegründeten Firma nicht das Überleben zu sichern. 1936 endete die Geschichte der berühmten Marke.

Umso bemerkenswerter, dass einer dieser letzten Auburn einst in deutschen Landen einen Käufer fand, noch dazu in der stärksten Motorisierung.

Das ist aber nichts gegen einen anderen Zufall. Denn einige Zeit, nachdem ich das Foto aus der Sammlung von Raoul Rainer kennengelernt hatte, stieß ich auf eine weitere Aufnahme desselben Wagens und reihte sie in meine Sammlung ein.

Zugleich belegt dieses Dokument, dass die Besitzer damals kein schlechtes Wetter kannten und „Warnungen“ vor winterlichen Verhältnissen vermutlich souverän ignoriert hätten, schließlich wollte man etwas erleben mit dem großartigen Wagen:

Auburn 8-851 Phaeton; Originalfoto: Michael Schlenger

Zur Übereinstimmung des Fahrzeugs auf den beiden Fotos muss ich nichts sagen, nur auf die leicht abfallende Seitenlinie möchte ich hinweisen, die man hier etwas besser erkennen kann.

Für einen vom Hersteller als „Tourenwagen“ (genau das bedeutet „Phaeton“) bezeichneten Aufbau war die Gestaltung von Verdeck und Heckpartie ziemlich untypisch.

Das kann man an anderer Stelle studieren.

Ein amerikanischer Enthusiast mit dem reizenden Namen Schoenthaler besitzt genau so ein Exemplar mit aufgeladenem Achtzylindermotor und lässt uns im folgenden Video die beeindruckende Statur und Leistung des Wagens erleben – und das bei schönstem Wetter:

Hochgeladen von Chuck Derer; Videoquelle: YouTube.com

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Gestern und heute: Ein „Terraplane“ von 1934

Kürzlich schrieb mir ein Leser, aus dessen Familienalbum wir bereits einige Schätze bewundern durften, dies: „Ich muss mich von all dem Wahnsinn, der uns umgibt, mit Ahnenforschung und alten Automobilen ablenken.“

Die Einstellung ist mir sympathisch, wobei ich schon länger der Auffassung bin, dass über 2500 Jahre europäische Kulturgeschichte bereits rein statistisch mehr Großartiges und Interessantes hervorgebracht haben müssen als unser kleines Hier und Jetzt.

Dass man dennoch zwischen Gestern und Heute ganz selbstverständlich eine Balance finden kann, mit der es sich vorzüglich leben lässt, das kann ich leicht beweisen.

Beginnen wir mit dem Gestern. Dazu reisen wir knapp 90 Jahre zurück ins Jahr 1934. Damals brachte einer der wenigen unabhängig gebliebenen US-Automobilbauer – Hudson aus Detroit – eine Neuauflage seiner Untermarke „Terraplane“ heraus.

Der Terraplane – mit „Landflieger“ zu übersetzen – war ursprünglich eine leistungsgesteigerte Version des „Essex“ – einer auch in Europa präsenten Marke von Hudson.

Mit seiner Höchstgeschwindigkeit von über 120 km/h war der Sechszylinder-Wagen einer der schnellsten in der preiswerten US-Mittelklasse und entsprechend erfolgreich. Das brachte Hudson auf die Idee, das Modell nur noch als „Terraplane“ zu vermarkten.

Wie schon im Fall des braveren „Essex“, auf dem er technisch basierte, stieß der „Terraplane“ auch in Europa auf Kaufinteresse. Ein Beispiel dafür zeigt folgende Aufnahme:

Terraplane von 1934; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Die beiden Damen posieren hier gut aufgelegt vor einem Wagen mit markant gestaltetem Kühlergrill, zwei Hupenhörnern und einer mittig nach unten geschwungenen Stoßstange.

Ich hatte das Foto für kleines Geld erworben, weil mir die Situation gefiel und ich ahnte, dass dies ein Terraplane von 1934 ist – so einen Kühler hatte damals kein anderer Wagen.

Zudem war das Fahrzeug am Nummernschild erkennbar in Deutschland zugelassen und das zu einer Zeit, in der die nationalen Sozialisten das Land binnen kürzester Zeit in eine Gesinnungsdiktatur und Planwirtschaft verwandelt hatten.

Dummerweise brauchte es dafür nicht einmal eine Wahlmehrheit in der Bevölkerung, wie wir wissen. So kann es nicht verwundern, dass es auch weiterhin „Volksgenossen“ gab, die sich beim Autokauf nicht von der Berliner Propaganda beeinflussen ließen.

Um in Deutschland 1934 einen amerikanischen „Terraplane“ zu kaufen, musste man schon natürliche Immunität gegen autoritäre Anmaßung und den Herdentrieb haben. Jedenfalls gefällt mir der Gedanke, dass es auch im Gestern immer Geistesverwandte gab, die schlicht das taten, was sie für richtig hielten, soweit es ging.

Soviel zum Gestern – mehr weiß ich leider nicht zu diesem hübschen Schnipsel Geschichte, das in meiner Fotosammlung gelandet ist.

Wie bekomme ich nun den Bogen zum Heute hin? Nun, liebe Leser, das ist ganz einfach. Man muss bloß zur besten Oldtimeraustellung im Westen der Republik fahren – der Classic Gala im Schlosspark Schwetzingen in der Nähe von Heidelberg.

Nachdem es die Classic Days auf Schloss Dyck leider nicht mehr gibt, ist der herrliche Park des Schwetzinger Barockschlosses nicht nur für mich „der“ Sehnsuchtsort, was die Präsentation automobiler Klassiker in einem wahrhaft würdigen Ambiente angeht.

Traditionell wird dort die gesamte Autogeschichte in allen ihren faszinierenden Facetten vor grandioser Kulisse, in entspannter Atmosphäre mit vielen gut gelaunten Menschen präsentiert – nebenbei zu einem Eintrittspreis, den sich jeder leisten kann.

Ich war über die Jahre schon öfters bei der Classic Gala in Schwetzingen, doch jedes Mal bin ich begeistert, welche hochkarätigen Fahrzeuge die Veranstalter neben populären Klassikern aus über 130 Jahren Automobilgeschichte gewinnen können.

So war das auch heute wieder – und das verbunden mit dem diesen Sommer schmerzlich vermissten Sonnenschein und angenehm warmen Temperaturen.

Ich war schon auf dem Weg zum Ausgang, als ich mich plötzlich an das eingangs gezeigte Foto erinnert fühlte:

Terraplane Modelljahr 1934 bei der Classic Gala Schwetzingen 2023; Bildrechte: Michael Schlenger

„Das ist ein Terraplane“, sagte ich zu meiner Begleiterin, der der Wagen ebenfalls aufgefallen war und die nun wissen wollte, worum es sich handelte, zumal das Auto in Heidelberg zugelassen war, wo sie einst studiert hatte.

Ja, es gibt Unterschiede zu dem Terraplane auf dem Foto aus den 1930er Jahren. So fehlen die Hörner unterhalb der Scheinwerfer und das Kühleremblem ist anders angebracht.

Doch der Grill mit den nach unten zusammenlaufenden Streben ist derselbe und den gab es so wirklich nur beim Terraplane des Modelljahrs 1934.

Die kleinen Abweichungen sind damit zu erklären, dass wir hier eine nur in geringer Stückzahl gebaute Ausführung sehen – ein „Convertible Coupe“ mit leistungsgesteigertem Motor, welcher statt der üblichen 80-90 PS rund 100 Pferdestärken leistete.

Diese bärenstarken US-Vorkriegswagen lassen sich auch heute noch gut bewegen, man ist definitiv kein Verkehrshindernis, solange man die Autobahn meidet. Von extremen Steigungen abgesehen kann man sich die Schalterei sparen, das schiere Drehmoment genügt, um auch aus niedrigen Touren beschleunigen zu können.

Wer nun meint, dass die Ami-Wagen dieser Zeit aber stilistisch den europäischen Fahrzeugen nicht das Wasser reichen konnten, mag hier ins Nachdenken kommen:

Terraplane Modelljahr 1934, bei der Classic Gala Schwetzingen; Bildrechte: Michael Schlenger

Sie sehen: Das Heute hat eine ganze Menge für sich, und sei es nur in Form dieses Zeitzeugen, der in Dänemark den 2. Weltkrieg überdauert und später einen neuen glücklichen Besitzer in Heidelberg gefunden hat, welcher den Wagen hegt und pflegt.

Unsere Zeit mag nur noch wenig hervorbringen, das bewundernswert ist, speziell in Europa. Doch die Gegenwart verschafft uns einen Zugang zu den Wunderwerken der Vergangenheit wie wohl keiner Generation zuvor.

Mit diesem glücklichen Nebeneinander von Gestern und Heute lässt sich leben, meine ich…

Michael Schlenger, 2023. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

Australien-Deutschland und zurück: Rolls-Royce 20 HP

Wer einen Blick auf die Stichworte meines Blogs mit Markennamen im dreistelligen Bereich wirft, muss beeindruckt sein. Woher kennt der sich bloß mit so vielen Herstellern und Modellen der Vorkriegszeit aus?

Nun, mehr als oberflächliche Kenntnisse würde ich mir allenfalls bei einer handvoll deutscher Marken zugestehen – Adler, NAG, Presto, Protos und Stoewer – doch selbst dort ist mein Wissen sehr lückenhaft und ich lerne laufend dazu (wie im richtigen Leben).

Bei allen übrigen Fabrikaten beschränkt sich meine Weisheit auf den Inhalt einer eher moderat ausgestatteten Autobibliothek, die Gabe zur Kombination und den Mut zum eigenen Urteil (wer’s dann unter meinen Lesern besser weiß, wird’s schon korrigieren).

Zwar schrecke ich selten vor etwas zurück. Allerdings muss ich zugeben, dass ich einen Heidenrespekt speziell vor der umwerfenden Vielfalt an französischen Marken habe (von den in die Tausenden gehenden US-Herstellern ganz zu schweigen).

Und bei zwei Fabrikaten überlasse ich von vornherein den Kennern das Feld: Bugatti und Rolls-Royce. Dort haben Amateure wie ich nichts verloren, da bin ich realistisch.

Hier kommt ein Bugatti-Rennsportwagen herangestürmt – das erkenne auch ich – und die Anfang September 1928 aufgenommene Situation ist großartig. Das war’s aber auch schon.

Bugatti im Renneinsatz 1./2. September 1928; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Dokumente wie dieses verlangen echte Kennerschaft gestützt auf umfangreiche Archive, viel Erfahrung und beste Kontakte – nichts davon kann ich in Sachen Bugatti vorweisen.

Eines kann ich jedoch recht gut, meine ich, was sich auch bei den beiden genannten Marken als nützlich erweist: Regelmäßig die Angel mit wechselnden Ködern in Form historischer Autofotos in das endlose Meer hinauswerfen, das sich Internet nennt.

So habe ich 2022 parallel zu diesem Blog auf der Facebook-Plattform eine streng auf historische Fotos von Vorkriegsautos in Europa fokussierte Gruppe aufgebaut.

Wer beim Stichwort „Facebook“ die Augen verdreht, dem sei folgendes gesagt:

Erstens: Man kann sich dort zu jedem Thema mühelos, unterhaltsam und mit Gewinn mit Gleichgesinnten auf der ganzen Welt austauschen. Ein wenig Zeit und Intelligenz vorausgesetzt kann man das von Werbung und dergleichen weitgehend unbehelligt tun.

Zweitens: Wer dann noch immer an „German Angst“ leidet, ist herzlich eingeladen, es einfach besser zu machen – dummerweise ist Deutschland aber in der Hinsicht Dritte Welt.

So, und nun schauen wir doch einmal, was sich im Netz erreichen lässt, wenn man es richtig anstellt. Dazu nehmen wir dieses Foto her, das mir kürzlich in die Hände fiel:

Rolls-Royce 20HP von 1925, Karosserie Park Ward; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Ein verwackelt aufgenommenes Vorkriegsauto im Deutschland der 1960er Jahre – das erkennt auch das ungeschulte Auge.

Wer ein bisschen mehr weiß, wird dieses urtümlich und doch respekteinflößende Fahrzeug als Rolls-Royce der Zwischenkriegszeit identifizieren.

Da hört es aber auch schon auf – jedenfalls bei mir. Immerhin hatte ich so etwas schon einmal gesehen, jedenfalls als Tourenwagen.

Beim alljährlichen Goodwood Revival Meeting in Sussex stehen solche Autos schließlich wie selbstverständlich auf dem Besucherparkplatz herum. Die Besitzer kommen oft über hunderte Kilometer auf eigener Achse angereist:

Rolls-Royce 20 HP beim Goodwood Revival 2017; Bildrechte Michael Schlenger

Natürlich hätte ich bemerken können, dass die horizontalen Kühlerlamellen ein Kennzeichen des „kleinen“ 20 HP-Modells von Rolls-Royce waren – habe ich aber nicht, weil ich zu sehr damit beschäftigt war, die unzähligen anwesenden Vorkriegswagen abzuschreiten.

So machte ich mir erst gar nicht die Mühe, auch nur einen Versuch der Einordnung des obigen im Nachkriegsdeutschland abgelichteten Rolls-Royce zu unternehmen.

Stattdessen lud ich das Foto in meiner Facebook-Gruppe hoch, verfasste eine deutsche und eine englische Beschreibung und wartete ab, was passieren würde. Man muss dazu wissen, dass die Gruppe über 1.000 Mitglieder aus aller Welt umfasst.

Die meisten Gruppenmitglieder stammen natürlich aus englischsprachigen Ländern und genau auf das dort versammelte Wissen hatte ich spekuliert.

5 Minuten nach dem Hochladen schickte mir David Smallacombe aus Australien die Nachricht, dass es sich um einen Rolls-Royce 20 HP mit Zulassung in New South Wales handeln dürfte.

Weniger als 12 Stunden später schrieb mir Mark Roberts, dass das Auto erst kürzlich wieder nach Australien zurückgekehrt sei, nachdem es einen Besitzer in Übersee gehabt hatte.

Einen Tag später gab Mark Roberts via Facebook die Details des Rolls bekannt: Baujahr 1925, Karosserie Park Ward, Chassis-Nr. GNK50.

Ab dem Punkt konnte ich selbst übernehmen, denn ich war sicher, dass die Geschichte dieses Autos in bester britischer Tradition erschöpfend dokumentiert ist. So war es auch. Hier ein Auszug (Quelle; deutsche Fassung von mir):

Das Rolls-Royce Twenty-Fahrgestell GNK50 wurde am 24. Januar 1925 von einer Mrs. Hill (London) bestellt. Am 16. April wurde es an den Karosseriebauer Park Ward geschickt. Nach Fertigstellung des Aufbaus erhielt der Wagen – noch ein frühes Modell mit Dreiganggetriebe und Zweiradbremsen – das Londoner Kennzeichen XY5030.

Die Besitzerin scheint dann nach Australien ausgewandert oder zurückgekehrt zu sein, denn der Wagen wurde am 6. Oktober 1925 in das Dampfschiff Demosthenes verladen, das nach Sydney fuhr. Dort blieb das Auto fast vier Jahrzehnte lang.

Im Dezember 1963 berichtete der Rolls-Royce Owners‘ Club of Australia, dass der nunmehrige Besitzer Tony Strachan damit zu einer Europareise aufgebrochen sei.

Der Wagen kam in Athen an Land und wurde quer durch Europa (einschließlich Deutschlands) gefahren. Er verblieb in England, wo er 1964 an einer Veranstaltung in Goodwood teilnahm. Neuer Besitzer wurde Constantine Savalas von der US-Botschaft in London.

Der war übrigens der Bruder des Schauspielers Aristotelis „Telly“ Savalas, der als „Kojak“ in der gleichnamigen Fernsehserie bekannt wurde. Constantine Savalas brachte den Rolls Twenty in den späten 1960er oder frühen 70er Jahren in die USA.

Nach mindestens zwei dokumentierten Besitzerwechseln kam „unser“ Rolls-Royce 20 mit seinem immer noch originalen Park Ward-Limousinenaufbau aus Neuengland zurück nach Australien und erfuhr dort eine behutsame Auffrischung:

Rolls-Royce 20 HP von 1925, Karosserie Park Ward; Originalfoto via Mark Roberts (Australien)

Ziemlich genau 60 Jahre nach seiner Zwischenstation in Deutschland (erkennt jemand den Aufnahmeort?) ist der Rolls-Royce somit wieder in Australien, wo er die ersten fast 40 Jahre seines Autolebens verbrachte.

Man muss sich das vorstellen: Nach knapp 100 Jahren ist dieses wunderbare Fahrzeug immer noch voll einsatzfähig – in unseren überwiegend belanglosen Zeiten müsste man das eigentlich als nachhaltig bezeichnen, wenn man es ernst damit meinte.

Nur eines hat die Gegenwart für sich, was diese automobilen Schöpfungen angeht: Nie war es leichter, alles zu erfahren, was darüber noch irgendwo auf der Welt bekannt ist. Deshalb, aber wirklich auch nur deshalb, leben wir Altautofreunde in der besten aller Zeiten.

Michael Schlenger, 2023. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

Flug des Phönix – neu erzählt: Voisin Typ C7

Heute habe ich das Vergnügen, eine Geschichte zu erzählen, die beinahe so spannend ist wie die Story im US-Abenteuerfilm „Flug des Phönix“ von 1965.

In beiden Fällen geht es (mehr oder weniger) um Fliegerei, Beharrungsvermögen, eine unwahrscheinliche Wiederauferstehung und allgemein die Rolle der Faktoren Glück und Können beim Gelingen großer (und kleiner) Vorhaben.

Der Ausgangspunkt meiner Geschichte ist ein Blogeintrag von Januar 2018. Damals stellte ich eine Aufnahme vor, die ich bei meinen Streifzügen in den unendlichen Weiten von eBay entdeckt hatte:

Voisin Typ C7; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Ich konnte diesen außergewöhnlich gestalteten Wagen seinerzeit als Fahrzeug der französischen Marke Voisin identifizieren, deren Gründer ein bedeutender Flugpionier und zugleich umfassend begabter Mensch war.

Dieser Gabriel Voisin verkörperte die äußerst seltene Kombination zweier Kompetenzen – der des Technikers und der des Künstlers. Mir fällt als Entsprechung im deutschen Sprachraum nur Ernst Neumann-Neander ein.

Die von Voisin kreierten Wagen suchten jedenfalls ihresgleichen, nicht nur im skulpturenhaft anmutenden Äußeren, sondern auch in technischen Details.

In meiner Begeisterung ließ ich mich von dem Fund dazu verleiten, in diesem Wagen einen Voisin des Typs C17 zu sehen, welcher mich 2015 beim Concours d’Elegance auf Schloss Chantilly nördlich von Paris begeistert hatte:

Voisin Typ C14, aufgenommen 2015 auf Schloss Chantilly; Bildrechte: Michael Schlenger

Mit der These, dass mein Voisin-Foto ebenfalls einen solchen Typ C14 mit 2,4 Liter großem 6-Zylinder-Hülsenschiebermotor nach Knight-Patent zeigt, der ab 1927 gebaut wurde und effektiv über sechs (!) Vorwärtsgänge verfügte, legte ich indessen eine Bruchlandung hin.

Das erfuhr ich aber erst kürzlich, als ich Post von Koloman Mayrhofer erhielt – seines Zeichens Geschäftsführers der österreichischen Firma Craftlab.

Diese entstand aus Koloman Mayrhofers Leidenschaft für die frühe Fliegerei und konzentriert sich heute auf die Restaurierung bzw. Rekonstruktion historischer Flugzeuge und Automobile – idealerweise solcher Hersteller, die beides im Programm hatten.

Bei einer solchen Ausrichtung kommt man an Voisin natürlich nicht vorbei. So kam es, dass Herr Mayrhofer beim Stöbern auf meiner Website auf das eingangs gezeigte Foto stieß.

Das war der Moment, in dem mein 2018 als C14 identifizierter Voisin sich anschickte, wie der sprichwörtliche Phönix aus der Asche neu zu erstehen – nämlich als Typ C7.

Den Anlass dazu gab die nähere Betrachtung der Frontpartie:

Mir war selbst einst aufgefallen, dass die tropfenförmigen Scheinwerfer des einst in Wien zugelassenen Voisin in merkwürdigem Kontrast zur übrigen Gestaltung des Wagens standen.

Wie die Stoßstange mit vier „Hörnern“ schien es sich um nachträglich angebrachte Teile zu handeln. So, und jetzt halten Sie sich fest:

Vor elf Jahren landete bei Craftlab dieser etwas mitgenommene, aber im Wesentlichen komplette Voisin zwecks Wiederherstellung des Originalzustands:

Voisin Typ C7; Originalfoto mit freundlicher Genehmigung von Koloman Mayrhofer

Kommen Ihnen die Scheinwerfer bekannt vor?

Zwar ist hier keine Stoßstange mehr montiert wie bei dem Voisin auf meinem Foto, doch alle Details stimmen ansonsten vollkommen überein.

Laut Koloman Mayrhofer „bestehen wenig Zweifel, dass es sich um ein und denselben Wagen handelt, zudem waren nur wenige Voisin in Österreich registriert“.

Besitzer dieses Exemplars war nach dem 2. Weltkrieg ein gewisser Henry Goldhahn, danach verschwand der Voisin im Technischen Museum Wien, wo er offenbar als eher uninteressant betrachtet wurde.

Somit schien der Voisin dazu verdammt zu sein, nicht noch einmal seiner Bestimmung gemäß das Licht der Welt zu erblicken.

Doch mit bewunderungswürdigem Beharrungsvermögen vermochte der heutige österreichische Besitzer nach zehn Jahren das Auto endlich aus seinem unwürdigen Stillstand zu befreien.

Um den Voisin quasi wieder flügge zu machen, wandte er sich an die Könner von Craftlab, denen es gelang, dem Wagen wieder zu alter Herrlichkeit zu verhelfen – und das natürlich nicht ohne Bezugnahme auf die Wurzeln von Voisin in der Fliegerei:

Voisin Typ C7; Originalfoto mit freundlicher Genehmigung von Koloman Mayrhofer

Wer sich nun fragt, wie die Spezialisten von Craftlab auf die Farbgebung kamen, dem sei versichert: durch quasi archäologische Untersuchung der Karosserie.

Bei der Anlieferung war der Voisin in einem Weinrot lackiert, das wohl bereits zum Zeitpunkt aufgetragen worden war, als das von mir entdeckte Foto entstand. Jedenfalls wirkt der Wagen auf der Aufnahme vor der Restaurierung im von mir bewusst gewählten Schwarzweiß-Modus ähnlich dunkel.

Die gesamte Karosserie war – abgesehen von Kotflügeln, Schweller- und Dachpartie – mit neu auf dem Blech aufgetragenen weinroten Lack versehen. Doch bei Abnahme des Koffers am Heck zeigte sich dahinter der großteils unversehrt gebliebene lichtgraue Originalton.

So verwandelte sich der von mir entdeckte Voisin nicht nur von einem mutmaßlichen C14 zum kompakteren, doch nicht minder faszinierenden Typ C7, er mauserte sich zugleich zurück zu seinem ursprünglichen Erscheinungsbild.

Dank der unerschütterlichen Zuversicht des Besitzers und der Akribie der Craftlab-Spezialisten erhob sich diese faszinierende Schöpfung entgegen aller Wahrscheinlichkeit am Ende wie Phönix aus der Asche, um sich zu einem neuen Autoleben aufzuschwingen…

Michael Schlenger, 2022. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

Do legst Di nieda! Ein Tatra 77 in Innsbruck

Heute kommen die Freunde tschechischer Automobilbaukunst wieder einmal auf ihre Kosten – dazu begeben wir uns nach Österreich und nehmen vorübergehend die eher ungewohnte Perspektive eines Radlers ein.

Wem das so irritierend vorkommt wie der Titel dieses Blog-Eintrags, dem wird sogleich geholfen werden.

Beginnen wir mit „Do legst Di nieda“ – eine Annäherung an die Aussprache des auch in Teilen Österreichs bekannten bayrischen Dialektausdrucks „Da legst Dich nieder“. Gemeint ist damit „Da bist Du sprachlos“, oder in ebenso bildhafter Weise „Da biste platt“.

Ohne vertiefte Fachkenntnis erlaube ich mir heute eine weitere Interpretation im Sinne von „Da haut’s Dich um“, die ausgezeichnet zu der Situation passt, mit der wir gleich konfrontiert werden, aber auch zu dem vierrädrigen Objekt, das dabei überraschend auftaucht.

Versetzen wir uns zunächst in die Perspektive eines Postkartenfotografen, der Ende der 1930er Jahre im österreichischen Innsbruck auf Motivjagd ist. Allzu schwer ist das nicht angesichts solcher Kulissen:

Hier geht der Blick von der (heute verkehrsberuhigten) Maria-Theresienstraße auf die Nordkette des Karwendelgebirges – eigentlich der südlichste Teil desselben, aber so heißt das bis zu 2.600 Meter hohe Massiv aus Perspektive des Inntals nun einmal.

Rechts im Bild ragt die barocke Annasäule auf, von deren Spitze eine sternenbekrönte Madonna auf einer Mondsichel herabschaut.

Wer Darstellungen der im römischen Reich populären Göttin Isis kennt – bekrönt mit der Sonnenscheibe, die Mondsichel zu Füßen und Sohn Horus an der Brust – weiß natürlich, wo sich das frühe Christentum dieses Marienmotiv abgeschaut hat…

Zurück aus himmlischen Sphären auf den Boden der Tatsachen, wo man sich auch in automobiler Hinsicht schon immer gern von der Konkurrenz „inspirieren“ ließ.

Links am Rand registriert man die Frontpartie eines Adler „Standard 6“ (oder des Vierzylindertyps „Favorit“). Um den Freunden der Frankfurter Marke einen Gefallen zu tun, habe ich die arg mitgenommene Kühlerpartie des Wagens „restauriert“, so gut es ging – leider weist die Postkarte dort einige Beschädigungen auf.

Für die ungewöhnlich niedrige Frontscheibe dieses Adlers habe ich nur die Erklärung, dass es sich um einen Wagen mit Sonderkarosserie gehandelt haben muss.

Interessanter ist heute aber ohnehin – halten Sie sich fest – das Fahrrad, das gerade mitten durch’s Bild fährt.

Ob der Fotograf dieser Postkarte dankbar für dieses belebende Element war, sei dahingestellt. Wir sind es auf jeden Fall.

Denn der Junge, der sich so überrascht zur Seite dreht, dass es ihn fast umhaut, liefert uns einen Hinweis auf die Überraschung, die sich in dieser Postkarte aus Innsbruck versteckt.

Ich muss dazusagen, dass das Original der Karte aufgrund ihres Alters erheblich gelitten und vor allem ziemlich verblasst war.

Erst als ich den Kontrast nach dem Einscannen wieder einigermaßen hergestellt hatte, trat das hervor, was die Aufmerksamkeit des Jungen so abrupt auf sich gezogen hatte:

Was ursprünglich wie eine undefinierbare helle Abdeckung inmitten abgestellter Autos ausgesehen hatte, entpuppte sich als das Heck eines Tatra 77 mit der typischen Finne am Ende des stromlinienförmig auslaufenden Hinterteils.

Der Unterteil des Wagens ist dunkel davon abgesetzt, was es anfänglich schwermachte, die Silhouette vollständig zu erfassen. Genau über dem Soziussattel des weiter vor stehenden Motorrads ist der Türgriff zu erkennen.

Auch der hintere Abschluss der Tür ist hier teilweise zu sehen. Weiter links davon lugt der hintere Radausschnitt hervor.

„Do legst Di nieda““, kann man hier nur sagen. Denn von diesem damals futuristisch anmutenden Automobil wurden nur rund 250 Stück gebaut.

Dank überragender Windschnittigkeit erreichte der von Hans Ledwinka konstruierte und 1934 vorgestellte Wagen mit nur 60 PS damals unerhörte 150 km/h Höchstgeschwindigkeit.

Ein unrestauriertes Exemplar davon entdeckte ich 2015 in der „Classic Remise“ Düsseldorf (damals noch „Meilenwerk) genannt. Das arg mitgenommene aber weitgehend vollständige Monstrum wartete dort geduldig bei einem Händler darauf, dass ihm neues Leben eingehaucht wird:

Tatra 77 im „Meilenwerk“ Düsseldorf, aufgenommen 2015; Bildrechte: Michael Schlenger

Hier können Sie anhand der oben beschriebenen Partien nachvollziehen, dass der Wagen, der sich einst hinter der Annasäule in Innsbruck versteckte, tatsächlich ein Tatra 77 war.

Wer mit dem Modell noch nicht vertraut ist, wird nun natürlich auch wissen wollen, wie der geheimnisvolle Wagen von vorne aussah.

An dieser Stelle müssen wir der Postkarte aus Innsbruck leider adieu sagen und betrachten den Tatra 77 nun aus moderner Perspektive. Um den Schock in Grenzen zu halten, habe ich mich dafür entschieden, auch die folgenden Bilder in Schwarzweiß“ zu zeigen:

Tatra 77 im „Meilenwerk“ Düsseldorf, aufgenommen 2015; Bildrechte: Michael Schlenger

Die gerundete Frontpartie erinnert an eine ganze Reihe ähnlicher Wagen der frühen 1930er Jahre, insbesondere an den schon 1931 für Zündapp gebauten Porsche-Prototyp 12.

Hans Ledwinka – übrigens gut mit Ferdinand Porsche bekannt – war mit seinem Entwurf für Tatra 1934 also keineswegs allein. Schon gar nicht war er der alleinige Erfinder eines aerodynamisch optimierten Heckmotorwagens.

Bereits 1931 – also in dem Jahr, in dem Porsche seinen Typ 12 entwarf – zeichnete John Tjaarda in den Vereinigten Staaten diesen Heckmotorwagen, der Erscheinungsbild und Konzept des Tatra 77 klar vorwegnahm:

© Bildquelle: http://blog.modernmechanix.com; Urheberrecht: „Modern Mechanics and Inventions“

Dieser frühe Entwurf wird von Tatra-Freunden gern ignoriert, als ob es die Verdienste von Hans Ledwinka in irgendeiner Weise schmälern würde.

Natürlich waren seine Ideen ebensowenig neu wie im Fall des späteren von Porsche entwickelten Volkswagens, doch immerhin realisierte er zusammen mit Tatra den ersten in (Klein)Serie gebauten Stromlinienwagen mit Heckmotor überhaupt.

Zwar erwies sich der Entwurf im Vergleich zu anderen Heckmotorautos letztlich als Sackgasse, da er außerhalb der Tschechoslowakei erfolglos blieb. Dennoch ist der Tatra 77 ein faszinierendes Zwischenkapitel der Vorkriegszeit.

Schauen wir uns ihn daher noch ein wenig genauer an:

Tatra 77 im „Meilenwerk“ Düsseldorf, aufgenommen 2015; Bildrechte: Michael Schlenger

Noch bei der hinreißenden „DS“ (der Göttin) von Citroen aus der Nachkriegszeit findet sich aus diesem Blickwinkel eine ganz ähnliche Seitenpartie. Und – lachen Sie nicht – selbst bei der „Ente“ findet man Anklänge daran, bloß die Spaltmaße können nicht mithalten.

Im Innenraum fiel Tatra freilich auch nichts Besseres ein als der Konkurrenz. Die Instrumente und Bedienelemente wurden eher zufällig über das Instrumentenbrett verteilt.

Aus eigener Erfahrung weiß ich zwar, dass es weitgehend egal ist, wo sich Knöpfe und Schalter befinden, wenn man sein Auto kennt – sie brauchen nicht einmal beschriftet zu sein. Hauptsache, man benötigt kein Benutzerhandbuch, um in einem von deutschen Software-„Experten“ entwickelten Bildschirmmenü die Warnblinkanlage zu finden…

Beanstanden würde ich daher beim Tatra 77 nur die Position von Tachometer und Uhr. Denn einen bis 180 (!) Stundenkilometer reichenden Geschwindigkeitsmesser möchte der Fahrer eines Vorkriegsautos schon gern direkt im Blickfeld haben:

Tatra 77 im „Meilenwerk“ Düsseldorf, aufgenommen 2015; Bildrechte: Michael Schlenger

Nicht ganz zu überzeugen weiß auch das Passagierabteil.

Das liegt weniger an der eigenwilligen Form der Rücksitze oder den irgendwann im langen Leben dieses Wagens von einem infantilen Zeitgenossen angebrachten Aufklebern.

Vielmehr ahnt man hier, dass bei diesem Wagen viel Überlegung in das Äußere und die Konstruktion von Fahrwerk und Antrieb geflossen ist, aber wie so oft bei Geistesblitzen reiner Ingenieure zuwenig an die Insassen eines Automobils gedacht wurde.

Denn hinter dieser dünnen Trennwand befand sich der luftgekühlte und entsprechend laute V8-Motor mit 3 Litern (später 3,4 L) Hubraum. In den USA wäre so etwas damals völlig unverkäuflich gewesen, weshalb auch der dem späteren Tatra 77 so ähnliche Entwurf von John Tjaarda nicht realisiert wurde.

Tatra 77 im „Meilenwerk“ Düsseldorf, aufgenommen 2015; Bildrechte: Michael Schlenger

In Europa war man nicht ganz so verwöhnt vom Komfort moderner Limousinen, wie das in den Staaten in dieser Preisklasse selbstverständlich war. Dennoch verbuchte der Tatra 77 letztlich nur einen Achtungserfolg.

Es mag ernüchternd klingen, doch wenn Fiat von seinem 1937 eingeführten Modell „1100“ bis Kriegsbeginn locker 60.000 Wagen absetzen konnte, Ford vom „Eifel“ im gleichen Zeitraum immerhin etwa 50.000 und Opel vom „Kadett“ sogar rund 100.000, dann wird deutlich, dass Tatra damals an der Realität des europäischen Markts vorbeientwickelte.

Freilich wird man wohl bei keinem dieser „Brot-und-Butter“-Automobile jemals sagen „Do legst di nieda!“

Das schafft der Tatra 77 noch in völlig abgerocktem Zustand nach bald 90 Jahren mühelos:

Tatra 77 im „Meilenwerk“ Düsseldorf, aufgenommen 2015; Bildrechte: Michael Schlenger

Übrigens würde es mich interessieren, was zwischenzeitlich aus diesem Überlebenden geworden ist, der mich 2015 in Düsseldorf ebenso umgehauen hat wie einst den Buben auf seinem Fahrrad in Innsbruck…

© Michael Schlenger, 2022. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

Eine Karriere in Deutschland: Locomobile 1902-28

Heute habe ich das Vergnügen, die Historie einer US-Marke von den bescheidenen Anfängen bis zum beeindruckenden Schlussakkord nachzeichnen können – und das ausschließlich anhand von Dokumenten aus Deutschland.

Nebenbei erweitere ich dabei meine Marken-Schlagwolke um einen neuen Namen: Locomobile. Wegen der Ähnlichkeit zu „Lokomotive“ mutet die Bezeichnung vertraut an, doch etwas Greifbares verbinden wohl die wenigsten hierzulande damit.

Greifbar ist indessen eine Reklame aus meiner Sammlung, die uns fast an den Ursprung der Marke transportiert, die 1899 in Watertown im US-Bundesstaat Massachusetts entstand.

Dort hatten kurz zuvor die Gebrüder Stanley ein Dampfautomobil entwickelt, das rasch auf Investoreninteresse stieß. Eigentlich wollten die „Stanley Twins“ ihr Geschäft gar nicht verkaufen und riefen zur Abschreckung einen extrem hohen Preis auf.

Dummerweise wurde dieser von John B. Walker – dem Herausgeber des „Cosmopolitan Magazine“- akzeptiert. Auch das nächste Hindernis – Zahlung binnen 10 Tagen – nahm Walker gemeinsam mit einem vermögenden Kompagnon spielend.

So kam es, dass die in Bau befindlichen Stanley-Dampfwagen kurzerhand unter einer neuen Marke – Locomobile – auf den Markt kamen. Schon 1901 zog die Fertigung in eine größere Fabrik nach Bridgeport in Connecticut um .

Dort muss um 1902 der Dampfwagen entstanden sein, der hier beworben wird:

Locomobile-Reklame von ca. 1902; Original aus Sammlung Michael Schlenger

Natürlich trägt der Deutschland-Importeur – die Firma Hamburger Achenbach – hier reichlich dick auf. Zumindest ein Attribut lässt sich jedoch uneingeschränkt bestätigen: Ein Dampfwagen nach Stanley-Patent läuft tatsächlich nahezu geräuschlos.

Zusammen mit den damals sehr verbreiteten Elektroautos konnten Dampfwagen noch eine Weile gegen die aufkommende Benzinkutschen konkurrieren, deren Betrieb mit einigen Erschwernissen verbunden war.

Doch die 13 (!) im Jahr 1902 von Locomobile angebotenen Dampfwagenmodelle, die angeblich auch in Deutschland lieferbar sein sollten, waren schon 1905 Geschichte. Ab dann beschränkte sich die Marke auf Autos mit dem zunehmend ausgereiften, leistungsfähigeren und reichweitenstärkeren Verbrennungsmotor.

Schon 1911 erschien der erste Sechszylinderwagen von Locomobile mit der damals noch gängigen T-Anordnung der Ventile. Dabei befanden sich Ein- und Auslassventile gegenüber statt nebeneinander wie bei konventionellen Seitenventilen.

Damit vermied man eine ungewollte Entzündung des Gemischs durch die Hitzeabstrahlung des Auslasstrakts, die bei den damaligen Kraftstoffen für Probleme sorgte. Die T-Anordnung erforderte freilich zwei Nockenwellen statt nur eine zur Ventilsteuerung.

Zwar war die Leistungsausbeute bauartbedingt geringer, doch die höhere Zuverlässigkeit glich dies und die höheren Kosten aus. Eine Reihe von Sporterfolgen der Marke Locomobile zwischen 1905 und 1910 unterstrich die Qualitäten des Konzepts.

Einen Locomobile-Sechszylinderwagen dieser Bauart noch aus der Zeit vor dem 1. Weltkrieg konnte ich 2015 anlässlich einer Ausfahrt von Vorkriegswagen am Niederrhein aus der Nähe erleben. Leider habe ich damals nur Detailaufnahmen gemacht.

Hier haben wir zunächst die eine Haubenseite mit den sechs Auspuffrohren:

Locomobile Model 48 von ca. 1912-17; Bildrechte: Michael Schlenger

Die außenliegende Auspuffanlage entspricht kaum dem Serienzustand, folgt aber dem Vorbild zeitgenössischer Sportmodelle und vermittelt einen Eindruck von den Dimensionen dieses Hubraumriesen.

Sehr gut gefiel mir damals der gut gebrauchte Zustand dieses Locomobile, der intensivem Fahreinsatz und weitgehendem Verzicht auf große Putzerei zu verdanken ist.

Locomobile Model 48 von ca. 1912-17; Bildrechte: Michael Schlenger

Dieser Ausschnitt zeigt nun die andere Motorenseite, auf der sich der Einlasstrakt befindet, welcher nicht nur durch die den Motorraum durchziehende Luft gekühlt wurde, sondern zusätzlich durch Wasserkanäle, die im Bereich der Einlassventile angebracht waren.

Hier erkennt man übrigens am rechten Rand den Ansatz zum Windlauf – der gewölbten Blechpartie, die für einen strömungsgünstigen Übergang von der Motorhaube zur Windschutzscheibe und dem übrigen Wagenaufbau sorgte.

Dieses Detail taucht bei Locomobile-Wagen erstmals 1911 auf und hält sich in dieser Form etwa bis Ende des 1. Weltkriegs. Natürlich gibt es auch eine Aufnahme der Kühlerpartie dieses eindrucksvollen Fahrzeugs:

Locomobile Model 48 von ca. 1912-17; Bildrechte: Michael Schlenger

Nur selten kann man so gleichmäßig patinierte Messingteile an einem frühen Automobil besichtigen.

Oft werden diese auf Hochglanz gewienert, was bei Neuzustand auch formidabel aussieht, doch nach intensivem Gebrauch spart man sich die Prozedur besser und der Wagen reift allmählich wie der Firnis eine alten Gemäldes

Gewiss ist das Geschmackssache (meine eigenen Fahrzeuge decken die gesamte Spanne ab), doch auf mich haben die Spuren bestimmungsgemäßen Gebrauchs einen großen Reiz:

Locomobile Model 48 von ca. 1912-17; Bildrechte: Michael Schlenger

Nach diesem farbenfrohen Ausflug geht es nun weiter in die 1920er Jahre und zurück zur vertrauten Schwarz-Weiß-Ästhetik. Doch zuvor will ich noch die wichtigsten Entwicklungen jener Zeit bei Locomobile Revue passieren lassen.

Die Marke blieb nach dem 1. Weltkrieg ihrem Image treu und baute weiterhin luxuriöse und ziemlich teure Wagen mit nicht mehr ganz taufrischer, aber unbedingt zuverlässiger Technik.

1922 wurde die Firma von William C. Durant übernommen. Der Gründer von General Motors hatte den Verbund schon 1910 verlassen müssen, kehrte aber von 1916-20 an die Konzernspitze zurück. Im anschließend neu geschaffenen Konglomerat von Durant war Locomobile das Kronjuwel.

Doch sollte es unter Durant kein gutes Ende mit der Marke nehmen. Ab Mitte der 1920er Jahre wurden dem altehrwürdigen, mittlerweile auf über 100 PS erstarkten Sechsyzlindertyp 48 moderne Achtzylinder zur Seite gestellt, die wesentlich günstiger waren.

Dem Image von Locomobile war dies nicht zuträglich, insbesondere nicht die Verwendung eines zugekauften 90-PS-Lycoming-Achtzylinders im Modell 8-80. Dennoch verkauften sich Locomobile-Wagen noch ein Jahr vor dem Ende der Marke auch in Deutschland:

Locomobile von 1928; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Wenn man es weiß, ist es natürlich leicht, auf dieser verwackelten Aufnahme, die für einen symbolischen Preis bei eBay zu haben war, einen Locomobil-Wagen zu erkennen.

Aber wenn man das Foto eines solchen Autos am deutschen Markt erwirbt, der (wahrscheinlich) ein deutsches Kennzeichen trägt, ist Locomobile nicht gerade der erste Gedanke, zumal der Aufbau von einem heimischen Karosseriebauer stammen dürfte.

Doch lässt sich dieser Wagen als einer der letzten Vertreter der Marke Locomobile von 1928 ansprechen – bloß die Motorisierung muss offen bleiben. Neben dem klassischen Sechszylindermodell 48 mit über 100 PS kommen ein weiterer Sechszylindertyp mit gut 85 PS sowie zwei Achtyzlindermodelle mit 70 bzw. 90 PS in Betracht.

Damit konkurrierte Locombile am deutschen Markt mit Luxusmarken wie Horch, die als einzige hierzulande imstande war, in dieser Leistungsklasse größere Stückzahlen herzustellen. Doch geholfen hat es Locomobile nicht – 1929 war die Marke Geschichte.

Damit ging eine Karriere am deutschen Markt zuende, die sich mindestens bis in das Jahr 1902 zurückverfolgen ließ. Sollte jemand über weitere zeitgenössische Originalaufnahmen von Locomobile-Wagen in Europa verfügen, stelle ich diese gern ebenfalls vor.

© Michael Schlenger, 2021. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

Peter in seinem Auto: Ein GN Cyclecar von 1922

„Peter in seinem Auto“ klingt auf Deutsch nicht gerade nach großer weiter Welt – eher bieder und beschaulich. Mit dem braven Peter könnte einst ein Bub gemeint gewesen sein, den die Eltern in seinem Tretauto abgelichtet haben.

Wie anders dagegen: „Pierre sur sa voiture“! Für unsere wenig verwöhnten germanischen Ohren klingt das elegant, lässt Bilder von raffinierter Lebensart, sportlichem Stil und prickelndem Esprit entstehen, um ein paar übliche Floskeln zu bemühen.

Doch schon immer sah die Realität jenseits des Rheins für die breite Masse prosaischer aus, als es das Bild der „Grande Nation“ vermuten lässt. Von jeher werden die Franzosen von einem arroganten Beamtenadel regiert – dessen Schikanen in jüngster Zeit (Stichwort „Corona“) das diesbezügliche Possenspiel hierzulande weit übertrafen.

Doch eines muss man unseren französischen Nachbarn lassen: Sie haben sich bis heute eine Sprache bewahrt, in der selbst Banalitäten und Beleidigungen einen Wohlklang besitzen, der seinesgleichen sucht. Argwöhnisch wachen zudem die Gelehrten der Académie française darüber, dass dem Französischen kein unötiges Leid geschieht.

Zumindest in dieser Hinsicht hat das Festhalten am Eigenen geklappt, wenngleich Frankreich sonst ebenfalls stark auf dem absteigenden Ast ist. So stehen heute traditionelle Vornamen wie Claire und Florence, Henri oder auch Pierre immer noch an der Spitze – sie haben überhaupt nichts Verstaubtes an sich.

Staub der Geschichte, Tretautos und Peter in seinem Auto – wie geht das heute zusammen? Nun ganz einfach, auf einem zauberhaften Foto wie diesem:

GN Cyclecar von 1922; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Staubig die Piste, ein Automobil knapp über Tretautoformat und am Steuer der wackere „Pierre“ – denn so hieß der junge Fahrer ausweislich der Beschriftung des Abzugs. „Chessy, Juin ’23“ steht dort außerdem, von alter Hand mit Tinte vermerkt.

Demnach wurde „Peter in seinem Auto“ anno 1923 in besagtem Städtchen im Département Seine-et-Marne östlich von Paris aufgenommen. Die größte Attraktion der Gegend scheint das „Disneyland“ zu sein. Man sieht: auch die Franzosen gehören wie die Briten bei Lichte betrachtet zu den Verlierern des 2. Weltkriegs…

Doch was ist das für ein schmucker kleiner Renner mit Drahtspeichenrädern in Motorradformat? Nun, dass wir hier einen der zahllosen Vertreter der in England und Frankreich einst besonders florierenden Gattung des Cyclecars vor uns haben, ist klar.

Im vorliegenden Fall handelt es sich sogar um einen der seltenen Fälle fruchtbarer Zusammenarbeit der sich sonst überwiegend skeptisch beäugenden Nationen zu tun, die einst mit dem Hundertjährigen Krieg einen fragwürdigen Rekord aufstellten.

Denn das Auto ist zwar als „GN“ zu erkennen – also ein Abkömmling der 1910 von H.R. Godfrey und Archibald Frazer Nash gegründeten britischen Marke, die bis zum 1. Weltkrieg einige Hundert solcher Cyclecars mit V2-Motor baute:

Doch ab 1919 fertigte auch der französische Flugmotorenbauer Salmson in Lizenz solche GN-Cyclecars – angeblich rund 1.600 Exemplare.

Ob diese in Frankreich entstandenen GN-Wagen ebenfalls das filigrane Markenlogo auf dem Kühler trugen und ob sie auch die von GN selbst entwickelten Twin-Motoren besaßen, weiß sicher ein Kenner.

Eine Quelle deutet darauf hin, dass die britische Firma GN selbst in Frankreich gebaute Wagen auf der Insel verkaufte, was für eine Weiterverwendung des Markennamens- und Logos spricht.

Das Auto von Pierre, der sich hier mit seinem Hund „Napoléon“ (kleiner Scherz…) auf dem Beifahrersitz ablichten ließ, war jedenfalls einst in Frankreich zugelassen und wahrscheinlich auch auf französischem Boden entstanden:

Um die Ballhupe herum ist der Abzug stark beschädigt, was sich nur begrenzt retuschieren ließ. Schön getroffen ist immerhin der Benzinkanister auf dem Trittbrett – ein früher Vertreter des „Spaceage“-Designs – der öfters an GN-Cyclecars zu sehen ist.

Gerade noch zu erkennen sind die drei kiemenartigen Luftauslässe hinter dem Motor und ein Teil des Haubenausschnitts, aus dem die beiden Zylinder schräg herausragten.

Wie diese Partie im Detail aussah, ist dem folgenden Ausschnitt eines Fotos zu entnehmen, das ich 2017 auf dem Besucherparkplatz des Goodwood Revival in Südengland gemacht habe:

Die komplette Bilderserie dieses älteren GN Cyclecars findet sich in meinem Blog hier.

Der GN von Pierre dagegen lässt sich anhand von Bildvergleichen auf ungefähr 1922 datieren – auch hier sind sachkundige Hinweise von Kennern dieses Typs willkommen.

Übrigens erfreuen sich die GN Cyclecars wie etliche ihrer Verwandten noch heute großer Beliebtheit bei sportlich veranlagten Zeitgenossen. Warum das so ist, er“fährt“ man an besten bei einem klassischen „Hillclimb“ wie hier:

Videoquelle: YouTube.com, hochgeladen von Ben Enticknap

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Gestern und heute: Neues vom Protos Typ „G“

Beinahe kommt es mir wie gestern vor, dass ich einen Blog-Eintrag zum G-Typ der einstigen Berliner Marke Protos gemacht habe (hier).  Tatsächlich war das bereits im Frühjahr 2018 – nun haben wir Herbst 2019…

Doch war es ganz sicher heute, dass mich eine Nachricht zu genau diesem Vierzylindermodell erreichte, das 1910-14 in zwei Varianten erhältlich war: als Typ G1 6/18 PS mit 1,6 Liter bzw. Typ G2 8/21 PS mit 2,1 Liter Hubraum. 

Wie bei fast allen deutschen Marken ist die Dokumentation bei Modellen vor dem 1. Weltkrieg auch bei Protos äußerst dünn – eines der Motive, die zur Entstehung dieses Blogs und der umfangreichen Bildergalerien beigetragen haben.

Mittlerweile sind hier mehr originale Dokumente zum Protos G-Typ versammelt als in der gesamten Literatur. Das ist freilich keine Kunst – es gibt kaum etwas zur frühen PKW-Produktion dieser 1899 gegründeten und 1908 von Siemens weitergeführten Marke von einst internationalem Rang.

So konnte ich zu den formalen Unterschieden zwischen den beiden G-Typen von Protos bislang nicht mehr in Erfahrung bringen, dass sie in den Dimensionen voneinander und ebenso von den noch größeren Sechszylindermodellen abwichen.

Dadurch ist es ausgesprochen schwer, einen Protos der Zeit kurz vor dem 1. Weltkrieg ohne Größenmaßstab einem bestimmten Typ zuzuordnen. Das gilt auch für dieses Dokument, das kürzlich Eingang in meine Sammlung gefunden hat:

Originaler Zeitschriftenausschnitt aus Sammlung Michael Schlenger

Aus der Bezeichnung als „leichte“ Wagen kann man zwar ableiten, dass es sich wahrscheinlich um einen der Vierzylindertypen handelte und nicht um einen der großen Sechszylinder, wie ihn u.a. der deutsche Kronprinz fuhr.

Aber ob hier der G1 oder sein – bei gleicher Grundkonstruktion – etwas längerer und stärkerer Bruder G2 zum Einsatz kam, ist offen. Vielleicht habe ich aber Glück und einer der in Sachen Wettbewerb versierten Leser meines Blogs weiß mehr.

Auch wenn es auf den ersten Blick wie eine Startnummer aussieht, stand die Zahl auf dem Protos G-Typ auf folgender Aufnahme sicher für etwas anderes:

Protos Typ G1 oder G2; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Hier haben sich deutsche Soldaten im 1. Weltkrieg eine Pause gegönnt und sich von einem entsprechend bewaffneten „Kamera“den ablichten lassen.

Zwei tragen am oberen Knopf der Uniformjacke ein Band, das sie als Träger des Eisernen Kreuzes ausweist – ein klarer Hinweis darauf, dass wir hier keine Manöversituation zu Friedenszeiten mehr vor uns haben.

So berührend solche Details sind – noch heute kündet jeder Dorffriedhof hierzulande und bei den einstigen Gegnern von den Opfern, die der 1. Weltkrieg forderte – steht für uns doch der Tourenwagen mit dem unverkennbaren Protos-Kühler im Mittelpunkt, der im Hintergrund auf einem Waldweg wartet:

Dass der Protos hier sehr kompakt wirkt, ist der Aufnahmeperspektive und dem Abstand zum Objektiv der Kamera zuzuschreiben.

Doch darf man einen der großen und seltenen Sechszylindertypen ausschließen und hier einen Protos G-Typ annehmen. Dem Nummernschild nach zu urteilen, gehörte er zur VI. Armee aus Bayern und war dort Wagen 106 im Fuhrpark.

Die VI. Armee war ab 1914 an der Westfront eingesetzt und blieb bis 1918 in Frankreich. Wo genau die Aufnahme entstanden ist, wird sich nicht mehr klären lassen. Das ist das Schicksal solcher Fotos, wenn die Alben der längst verstorbenen Kriegsteilnehmer, aus denen sie stammen, heute zerfleddert werden.

Die groß aufgemalte Ziffer 3 dürfte auf eine Untereinheit verweisen, deren Erkennbarkeit aus irgendwelchen Gründen wichtig war. Vielleicht kann ein sachkundiger Leser mehr dazu sagen.

Bemerkenswert ist nebenbei die Präzision, mit der dieser weit im Hintergrund stehende Protos auf dem über 100 Jahre alten Abzug festgehalten ist:

Dass der Protos hier noch im Schärfebereich liegt, die beiden gutgelaunten Soldaten im Vordergrund aber nicht, war wohl kaum beabsichtigt, kommt uns aber entgegen.

Selbst die feinen Strukturen der Kühlerwaben sind hier zu erkennen, außerdem natürlich der einzigartige Protos-Kühler mit seinem vom Jugendstil inspirierten, exotisch wirkenden Ornament auf der Oberseite.

Einen Datierungshinweis geben die beiden elektrischen Positionsleuchten im Windlauf – also dem ansteigenden Blech zwischen Motorhaube und Frontscheibe. Sie waren bei deutschen Wagen in der Regel kaum vor 1914 verbreitet.

Der übrige Aufbau weist keine marken- oder typspezifischen Details auf – so sahen praktisch alle Tourenwagen etablierter Hersteller im deutschsprachigen Raum aus.

Dennoch zählt bei den schlecht dokumentierten Wagen aus der Frühzeit von Protos jedes Originalfoto. Möglicherweise bergen diese Aufnahmen doch winzige Details, die irgendwann bei der genauen Typansprache und Chronologie helfen.

Nach diesem Ausflug ins Gestern, das unseren Vorfahren unvorstellbare Härten zumutete und die alle von verwöhnten Nachkriegsgenerationen beklagten Probleme als Lappalien erscheinen lässt, ist es ausgerechnet ein Dokument aus dem Heute, das uns die tatsächliche Schönheit dieser Wagen wirklich begreifen lässt.

Lässt man sich auf die reiche Formenwelt des ausgehenden Jugenstils ein – nach der Renaissance die facettenreichste und phantasievollste Kunstepoche (für mich zudem die letzte überhaupt) – und sieht dann einen überlebenden Wagen jener Zeit im Original, weicht der erste Eindruck der Fremdartigkeit dem Begreifen der Harmonie dieser am Vorbild der Natur geschulten geschwungenen Linien:

Protos Typ G2; Originalfoto von Rajmund Engwer (Polen)

Dieses wunderbare Automobil gehört Rajmund Engwer aus Polen und ist seiner Aussage nach der einzige noch existierende Protos-Wagen des Typs G2 weltweit.

Hier begreift man, wo die bei den Blechkisten der Gegenwart, die oft keiner erkennbaren Gestaltungslogik mehr folgen, immer noch verwendete Vokabel Kot“flügel“ ihren einst berechtigten Ursprung hat.

Formal wie handwerklich ein Genuss sind selbst rein technische Elemente wie die hinteren Blattfedern, die keineswegs kaschiert wurden, sondern wie nahezu alle Teile des Wagens klar in ihrer Funktion hervortreten – nicht seelenlos aus der Stanze gefallen, sondern erkennbar von Könnerhand entworfen und geformt.

Ich kann jedem nur empfehlen, sich einmal die Zeit zu nehmen, um solch ein Manufakturautomobil aus der Zeit vor dem 1. Weltkrieg näher in Augenschein zu nehmen.

Die schiere Präsenz und Opulenz dieser Zeugen einer untergegangenen Welt ist unbeschreiblich und das Können der wenigen, die so etwas heute wieder in alter Pracht auferstehen lassen können, verdient Hochachtung.

Übrigens will der Eigner dieses wunderschönen Protos Typs G2 demnächst einen Artikel zu dem Modell in einer polnischen Klassikerzeitschrift verfassen – garniert mit Originaldokumenten aus diesem Blog.

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Reif für die Insel: Goodwood Revival 2019 (Teil II)

Im gestrigen Blog-Eintrag habe ich einige Eindrücke vom ersten Tag des diesjährigen Goodwood Revival im englischen Sussex verarbeitet. Heute sind Impressionen von Samstag und Sonntag an der Reihe.

Goodwood-Novizen sind gut beraten, mindestens zwei Tage der Veranstaltung einzuplanen – andernfalls läuft man Gefahr, in Hektik zu verfallen, um ja nichts zu verpassen (was am Ende unvemeidlich ist).

Wer es sich zeitlich leisten kann, nimmt die vollen drei Tage mit, da man so entspannt über das weitläufige Gelände flanieren und mit einem Gefühl zufriedener Erschöpfung am Sonntagnachmittag dem Revival „goodbye“ sagen kann.

Natürlich hat der Spaß seinen Preis, doch auf die vielen Stunden reinen Vergnügens umgelegt, gibt es wohl keine lohnendere Klassikerveranstaltung. Und gemessen am Eintritt für zeitgenössische Rennsportveranstaltungen ist die Sache angesichts der zahlreichen Rennen von morgens bis abends fast ein Schnäppchen.

Nun aber wieder hinein ins Geschehen und da es beim Goodwood Revival nicht nur um alte Autos und Motorräder geht, sondern es auch darauf ankommt, als Besucher zur Epoche der 1940er bis 1960er Jahre passend gute Figur zu machen, steht wieder das Thema Vintage-Mode an erster Stelle.

Mein Blick gilt dabei überwiegend den Damen der Schöpfung und ist rücksichtslos diskriminierend, aber die Natur kennt nun einmal keine Gleichstellungsbeauftragten:

Wer nun schon ungeduldig auf Autofotos wartet, wird vielleicht überrascht sein, dass ich heute ein Potpourri an Aufnahmen des britischen Vorkriegs-Volksautos schlechthin zeige – gemeint ist der kompakte Austin „Seven“, mit dem auf Insel die Motorisierung in der Breite ihren ersten Schub erhielt.

Von dem enorm erfolgreichen Entwurf, der später bei Dixi in Eisenach in Lizenz gefertigt wurde und Pate für die ersten BMW-Automobile stand, sind so viele erhalten geblieben, dass man sie heute in allen möglichen Varianten und Zuständen findet.

Dabei hat man den Eindruck, dass originale Limousinen und Tourer heute seltener sind, als es ihrer einstigen Verbreitung entsprach. Zu überwiegen scheinen Spezialversionen, deren tatsächliches Alter mitunter schwer einzuschätzen ist.

Schon immer lud der genial einfache Austin Seven dazu ein, ihn mit sportlich wirkenden individuellen Aufbauten zu versehen und den Motor zu frisieren, wie man das einst bei uns nannte.

Noch heute ist der Austin Seven vermutlich der einfachste und preisgünstigste Einstieg in die Welt des Vorkriegsautos in Europa – und bietet zugleich unendlich viele Möglichkeiten, ein charmantes Automobil nach eigenem Geschmack zu schneidern.

Beispiele für die Bandbreite des Möglichen zeigen meine folgenden Schnappschüsse, die überwiegend auf dem Besucherparkplatz in Goodwood entstanden:

Es ist typisch für die enorm vielfältige und nach wie vor sehr lebendige Vorkriegsszene in England, dass man neben dem bodenständigen Austin Seven wie selbstverständlich Vertreter von Marken der obersten Kategorie antrifft.

Auch sie stehen auf dem Besucherparkplatz herum, ohne dass ihre Besitzer ängstlich darauf bedacht sind, dass niemand sie berührt oder gar fotografiert, wodurch bekanntlich schon manches Relikt der Vorkriegszeit spontan zu Staub zerfallen ist…

Ich bin immer wieder fasziniert, was für Schätze auf eigener Achse nach Goodwood kommen und zeige nachfolgend einige Beispiele dafür, bei denen die Marken selbsterklärend sind:

Vielleicht fällt auf, dass sich bei den bisher gezeigten Fotos mit der britischen Prestigemarke schlechthin – Rolls-Royce – arg knauserig geblieben bin.

Das hat schlicht den Grund, dass ich den in Goodwood zu bestaunenden Wagen dieses einst wahrhaft königlichen Herstellers einen eigenen Blog-Eintrag reserviert habe. Dasselbe gilt für weitere Hochkaräter, gegen die selbst ein Rolls-Royce Massenware ist…

Für heute lasse ich es bei der Ankündigung bewenden und verabschiede mich mit ein paar Impressionen aus der Gegend rund um die Rennstrecke und sage „Good-bye, Goodwood – see you next year!“

Am Montag geht es zurück auf den Kontinent, wo auf den Goodwood-Besucher der Alltag wartet – aber sicherlich bin ich nicht der einzige, der reichlich bleibende Eindrücke von der Insel mitbringt…

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Reif für die Insel: Goodwood Revival 2019 (Teil I)

Reif für die Insel – das sind alle die, denen der deutsche Hang zur kollektiven Neurose auf die Nerven geht – aktuell etwa in Form von Dieselverteufelung, Klimapanik und Gender-Gaga.

Reif für die Insel sind auch die, die fassungslos sind, weil in einem Land mit rekordverdächtiger Abgabenhöhe und Vorschriftendichte berufs- und bildungsfernen Politikern nur eines einfällt: noch mehr Verbote und Ablasszahlungen.

Wen außerdem der funktionalistische Furor vieler Landsleute in Form grauer Schutthalden statt Vorgärten, Hochglanzdachziegeln und dezimeterdicker Fassadendämmung an Altbauten abstößt, dem bleibt nur eines: ab auf die Insel!

Auf meinem alljährlichen Trip zum Goodwood Revival im englischen Sussex ist mir diesmal mehr noch als sonst der heilsame Kontrast zu deutschen Gefilden aufgefallen.

Jedem ist zu empfehlen, sich selbst ein Bild des auf dem Lande herrlich historisch gebliebenen Englands zu machen, um festzustellen, welche Verwüstungen bei uns die „Moderne“ angerichtet hat – real und in den Köpfen.

Um zu verdeutlichen, was ich meine, hier einige Schnappschüsse ohne fotografischen Anspruch, die ich auf meiner Reise zu meinem B&B und dortselbst gemacht habe:

Traditionspflege und der Erhalt des Erbes der Altvorderen wird in England ganz großgeschrieben. Man weiß dort: Der sogenannte Fortschritt vollzieht sich ohnehin, da muss man nicht in vorderster Front dabei sein und schon gar nicht in großmäuliger „Wer, nicht wenn wir“-Manier das Vorbild geben wollen.

Gewissermaßen das Hochamt der britischen Traditionspflege ist zweifellos das „Goodwood Revival Meeting“ in der Nähe der altehrwürdigen Römer- und Bischofsstadt Chichester in West Sussex.  

Dort geht es um weit mehr als „nur“ historischen Motorsport mit Wagen der 1930er bis 60er Jahre auf dem legendären Kurs rund um einem einstigen Weltkriegsflugplatz. Es geht um die Wiederauferstehung einer ganzen Epoche, die in vielerlei Hinsicht nicht einfach war, uns heute aber dafür in anderer Hinsicht fast heiter und unkompliziert erscheint.

Das erklärt die Begeisterung, mit der zehntausende Goodwood-Besucher in „period dress“ schlüpfen, oft ganze Familien. Bei keiner Klassikerveranstaltung ist daher auch der Frauenanteil so hoch. Kein Wunder: In der Öffentlichkeit wagt sich in unserer angeblich so liberalen Zeit kaum noch jemand so attraktiv zurechtgemacht auf die Straße oder ins Büro – man könnte ja „Geschlechterstereotype“ bedienen.

Hier eine wiederum subjektive Auswahl entsprechender Beispiele vom ersten Tag der diesjährigen Veranstaltung:

Doch bleiben hier nicht die Vorkriegsautos ein wenig auf der Strecke? Keine Sorge, auch sie kommen ausführlich zu ihrem Recht.

In der ersten Runde zeige ich Aufnahmen, die eine oberflächliche Vorstellung davon vermitteln, welche Unmengen an Prestigeautos der 1920/30er Jahre in Goodwood ihre Aufwartung machen.

So waren dutzende mächtiger Bentleys im Sportdress bei einem Sonderlauf auf der Strecke zu sehen. In ähnlicher Form wird einem das aber auch bei den Classic Days auf Schloss Dyck geboten.

Abwechslungsreicher fand ich daher die zahlreichen „normalen“ Vertreter der britischen Nobelmarke, die man hierzulande fast nie zu sehen bekommt. Viele dieser Prachtexemplare stehen in Goodwood für jedermann zugänglich einfach auf dem Besucherparkplatz herum:

Daneben gibt es noch die beiden Kategorien der Alltagsfahrzeuge und Exoten, die ebenfalls in großer Zahl auf eigener Achse angereist sind, einige sogar vom Kontinent – sie sind im nächsten Teil meines Berichts an der Reihe.

Außerdem will ich nach und nach zu Wagen besonderen Kalibers individuelle Porträts  im Blog bringen. Vielleicht wird durch den Genuss dieser Bilder ja noch der eine oder andere ebenfalls „reif für die Insel“, wenn er es nicht ohnehin schon ist.

Ich bin wahrlich kein Freund von Massenveranstaltungen, aber beim Goodwood Revival Meeting fällt es unendlich leicht, in die Menge einzutauchen. Hier feiert sich das alte Europa, und auch wenn man ein halbes Dutzend Sprachen zu hören bekommt, hat man das Gefühl, unter sich zu sein – wenn der Leser weiß, was ich meine.

Ich wüsste keinen anderem Ort, an dem einem so viele glückliche Menschen begegnen – und das hat nur zu einem Teil mit den herrlichen alten Autos zu tun…

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