Fund des Monats: Ein „Pluto“ Typ 5/30 PS

Ich sollte es nicht sagen, aber beim Fund des Monats Januar geht es heute leider abwärts.

Zwar ist in Sachen Motorleistung das Gegenteil der Fall, aber nach einem Einstieg wie dem folgenden fällt es schwer, das Niveau zu halten:

Amilcar Typ CS; Foto aus Familienbesitz (Thomas von der Bey; Enkel von August Wurring – AWD Motorradfabrik); bereitgestellt via Helmut Kasimirowicz (Düsseldorf)

„Das ist ein Amilcar!“, würde man auch ohne den Schriftzug auf dem Kühler ausrufen.

In der Tat sind der markante Kühler und die schmale hohe Front in Verbindung mit „Cycle Wings“ und Drahtspeichenrädern absolut typisch für frühe Vertreter des legendären französischen Herstellers.

Während sich Dutzende längst vergessene deutsche Fabrikate Anfang der 1920er Jahre in der Hubraumklasse bis 1 Liter mit meist austauschbaren Konzepten vergeblich um die Gunst der Käufer bemühten, waren Amilcar und einige andere französische Hersteller mit leichten und sportlichen Cyclecars und Voituretten ziemlich erfolgreich.

Das galt nicht nur für das Heimatland, sondern auch für den deutschen Markt. So wurde der oben gezeigte Amilcar von August Wurring (Gründer der AWD Motorradfabrik, Düsseldorf) und seiner Frau intensiv im Rheinland bewegt.

Die Begeisterung für die hierzulande konkurrenzlosen Amilcar-Sportwagen war so groß, dass im ersten Schritt eine eigene Vertriebsgesellschaft für Deutschland gegründet wurde. Dazu nutzte man die Reste der in Konkurs gegangenen Ehrhardt-Automobilwerke.

Der neu geschaffene Amilcar-Vertriebsarm firmierte in Berlin unter dem Namen „Pluto“. Wie es scheint, gab es Vertragspartner in weiteren deutschen Großstädten, wie diese Reklame zumindest vermuten lässt:

Pluto-Reklame; Original: Sammlung Michael Schlenger

Jedenfalls findet sich das zähnefletschende Konterfei auch auf den nach Deutschland importierten Amilcar-Wagen, die dort als Pluto verkauft wurden.

Was zu der Namensgebung und dem Emblem geführt hat – Pluto ist mitnichten der Höllenhund der antiken Mythologie, sondern der Herr der Unterwelt – das wüsste ich gern. Vielleicht hat jemand eine Erklärung.

Hier haben wir jedenfalls ein Thüringen zugelassenes Exemplar eines Pluto, das offenbar intensiven Einsatz erlebt hatte:

Pluto 4/16 oder 4/20 PS; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Analog zu den frühen Amilcar-Typen CC, C4 und CS besaßen die ersten Pluto-Wagen Vierzylindermotoren mit rund 1 Liter Hubraum und leisteten 16, 20 oder 24 PS.

Jedenfalls finden sich entsprechende Angaben zu Pluto-Wagen der Kategorie 4 Steuer-PS. Diese vollzogen offenbar die allmähliche Leistungssteigerung der französischen Modelle nach.

Wohl bereits 1925 entschied man sich für eine Lizenzfertigung im ehemaligen Ehrhardt-Werk in Zella-Mehlis (Thüringen), eine genaue Angabe liegt mir nicht vor. Während die Motoren vermutlich weiterhin aus Frankreich kamen, verselbständigte sich allmählich die Gestaltung der Pluto-Wagen.

Neben den sportlichen Zweisitzern waren auch „Dreieinhalb-Sitzer“ erhältlich – einen davon sehen wir wahrscheinlich hier:

Pluto 4/20 oder 4/24 PS; Originalfoto: Sammlung Matthias Schmidt (Dresden)

Hier ist die sportliche Anmutung schon im Schwinden begriffen, wobei anzumerken ist, dass es einen ähnlichen Aufbau auch beim C4 des französischen Mutterhauses gab. Sogar eine Dreisitzer mit geschlossener Karosserie war erhältlich (vgl. Gilles Fournier, Amilcar, 1997).

Formal eigene Wege ging man bei Pluto jedoch möglicherweise mit dem folgenden Exemplar, bei dem der kastige Scheibenrahmen und das etwas plump erscheinende Heck wohl keinen Schönheitspreis erzielt hätten:

Pluto 4/20 oder 4/24 PS; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Hier macht sich schon ein wenig Ernüchterung breit – jedenfalls fällt es mir schwer, mich für diesen klobigen Brocken zu entflammen. Auch das gab es also, bleibt hier zu konstatieren, sofern ich nicht ein sensationelles Detail übersehen haben sollte.

Und nein: Auch die sonst kaum sichtbaren Reibungsstoßdämpfer an der Hinterachse verdienen keine besondere Würdigung. Die gab es übrigens schon auf dem ersten Foto an der Vorderachse zu besichtigen, serienmäßig waren sie allerdings noch nicht.

Nachdem ich nun einige Zeilen mit eher Belanglosem gefüllt habe, biegen wir jetzt endlich auf die Zielgerade ein – an dessen Ende der eigentliche Fund des Monats auf uns wartet.

Ein bisschen zwiespältig ist die Sache schon: Auf der einen Seite wird der Schlussakkord ausgerechnet durch einen völlig austauschbar wirkenden Tourenwagen gesetzt. Auf der anderen Seite ist dieser enorm selten und zudem sehr glücklich aufgenommen:

Pluto 5/30 PS; Originalfoto: Sammlung Klaas Dierks

Da geht dem Freund von Vorkriegsmobilität das Herz auf – erheblichen Anteil daran hat indessen der flotte Motorradfahrer, der perfekt die Freude am Kraftradfahren verkörpert.

Anmerkungen zu der Maschine sind hochwillkommen – ich hatte noch keine Zeit für eine Recherche und bin in der Hinsicht auch nicht ganz sattelfest, wenngleich ich selbst das eine oder andere Vorkriegszweirad besitze.

Dafür habe ich mich eingehender mit dem Tourenwagen befasst. Der ist klar als „Pluto“ gekennzeichnet – aber was hat dieser Wagen noch mit Amilcar zu tun?

Eine Weile lang erwog ich sogar die Möglichkeit, dass hier jemand einem beliebigen Tourer einfach die Kühlerplakette eines verblichenen Pluto verpasst hatte – aus Nostalgie oder um den sonst banal wirkenden Wagen interessanter zu machen.

Dann entnahm ich aber der Literatur zu Pluto – wie üblich bei deutschen Nischenmarken sehr dürftig, angejahrt und teils fragwürdig – dass man von 1925-27 in geringen Zahlen noch einen Pluto mit 1,1 Litern Hubraum baute, der als 5/30 PS-Typ angeboten wurde.

Dieser war ausdrücklich als viersitziger Tourenwagen erhältlich, was zu obigem Foto passen würde. Ich konnte aber bislang keine Abbildung eines solchen Pluto 5/30 PS mit „zivilem“ Aufbau finden (es gab daneben auch Sportvarianten).

Sollte dieses Foto aus dem Fundus von Leser Klaas Dierks also das erste seiner Art sein, das hier das Licht der Öffentlichkeit erblickt? Dann würde man das Auto mit ganz anderen Augen sehen – und am Ende wäre das wirklich verdientermaßen der „Fund des Monats“.

Michael Schlenger, 2023. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

3 Gedanken zu „Fund des Monats: Ein „Pluto“ Typ 5/30 PS

  1. Besten Dank für die interessanten Anmerkungen! Ein paar Karosserievarianten der Amilcar/Pluto-Voituretten bringe ich gelegentlich…

  2. Das heutige Thema bietet wieder Gelegenheit zu einigen Anmerkungen :
    Meine erste Begegnung mit einem kleinen, blauen Amilcar (für Rennsport- Laien: bis in die Sechziger, als dann die Flächen auf den Wagen das Begehren der Werbe- Macher weckten, traten die Wagen in National- Kennfarben an: z.B. Frankreich bleu, Italien rosso, GB british racing green und Deutschland weiß bzw. silber) war 1978, als wir im DKW F 91 Cabrio einen AB- Rastplatz bei Nürtingen ansteuerten. Kaum waren wir ausgerollt hielten voraus ein leibhaftiger Amilcar mit Peugeot 204 break als Gepäckwagen.
    Eine reguläre Unterhaltung kam mangels fehlender Sprachkenntnisse nicht zustande. Soviel verstand ich: man kam auf Einladung der nahen Partnerstadt Kirchheim u. T., war gestartet 800 km weiter westlich, tief in Lothringen, wie man sah auf eigener Achse!

    Das Werk August Wurrings lernte ich bei einem Besuch auf Vermittlung eines Mülheimer DKW- Freundes in v.d.Beys Werkstatt kennen, genauer durch das anschließend verschlungene Buch über Wurring/ AWD.
    Sein Amilcar auf Bild 1 weist noch die für die Zähmung der freischwingenden Kotflügel notwendigen diagonalen Streben auf, an den offenbar auch die Scheinwerfer gelagert waren.
    Später war dann dieses charakteristische Kreuz oder X
    Kennzeichen der Amilcar- Wagen innerhalb der Kühlerfront.
    Man stelle sich das Erstaunen des biederen sächs. Kühlerbau- Meisters vor, als ich einen am Boden liegenden Kühlerblock aufgrund dieses Kreuzes als Amilcar- Kühler ansprach!

    Die „Gewerkschaft Pluto“ (Pluto
    Ist hier Sinnbild für die Herren der Unterwelt im Kohlebergbau vergangener Tage, Gewerkschaft eine damals gängige Bezeichnung einzelner Schachtanlagen.
    Die Anzeige offenbar aus der Zeit, ehe man dort zunächst eine Vertretung der Amilcar- Wagen aus Frankreich übernahm. Wir gedenken ja in diesen Tagen der 100jährigen Wiederkehr der über zweijährigen Ruhrbesetzung .
    Obwohl die Reichsregierung lange zum Boykott aufrief nutzten Geschäftsleute auch Chancen für neue Geschäftsverbindungen.
    Sicher auch aus der hierdurch
    geförderten Radikalisierung ganzer Bevölkerungsteile resultierte die spätere unrühmliche Bedeutung der Adr. Kanalstr. 40 (ab 5/33 Horst- Wessel- Str.):
    Wir lesen im net. von den „Leidens- Wegen in Bochum 1933 – 1945“, Station 17: Pluto- Garagen, als Stützpunkt der SA, bis ’34 Gauleitung der NSDAP und Unterkunft der SS- Standarte, wohin Gegner verschleppt, misshandelt und gefoltert worden sind.
    Das Bild aus den Pluto- Garagen zeigt übrigens deutlich den von mir kürzlich angesprochenen positiven Radsturz zur Verkleinerung des Lenkroll- Radius.
    Der Wagen mit der „sportlich“ verlängerten Motorhaube und der netten Beifahrerin hat ein sog. Kreuzerheck, welches mit der nach hinten schneidenförmig zulaufenden
    Beule eine Variante des sog. Bootshecks war und an die Linienschiffe der Jahrhundertwende erinnerte, die heute alle irgendwo auf dem Grundstück der Nordsee rosten.
    Der Fund des Monats war ja schon eine ausgewachsene Familienkutsche und versinnbildlicht für mich die
    „Einladung zu einer Autofahrt“ etwa befreundeter Ehepaare, wie hier.
    Der genaue Beobachter vermisst bei der Maschine davor vielleicht den Antriebsriemen auf dem großen Radkranz?
    Fehlanzeige – wir gaben es mit einer Kettenmaschine mit altertümlicher Klotz-bremse zu tun.

  3. Bei dem Motorrad handelt es sich mit hoher Sicherheit um eine Triumpf von ca. 1922.

    https://commons.m.wikimedia.org/wiki/File:1922_Triumph_Model_R_%22Ricardo%22_(3828457305).jpg

    Die Fotos zu den Pluto-Wagen sind echt Spitze. Ich hatte letztes Jahr auf der Veterama das Glück den Besitzer der vermutlich letzterhaltenen Plutos kennenzulernen. Dieser sagte mir, dass auch die Motoren der Plutos deutlich vom französischen Amilcar-Vorbild abwichen. Aber das ist ja in Deutschland schon häufiger der Fall gewesen, dass Ingenieure ein gutes Produkt immer weiter verbessern wollen, auch wenn es bzgl. der Kosten nicht immer zur Freude der Betriebswirtschaftler ausfällt.

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