Endlich auch mit Sitzheizung! Ein Hudson von 1928

Der Entwicklungsgrad einer technischen Zivilisation lässt sich an objektiven Gegebenheiten festmachen, die keine faulen Ausreden dulden – daher sind entsprechende Vergleiche mit anderen Nationen hierzulande inzwischen eher unbeliebt.

Ob Pünktlichkeit der Bahn, Mobilfunkabdeckung, Mathematikkompetenz von Schülern, Anteil von MINT-Fächern bei Studenten – Deutschland scheint wild entschlossen, seine einstigen Spitzenpositionen anderen zu überlassen.

Neuerdings wird sogar zum Stromsparen und Herunterdrehen der Heizungen aufgerufen, nachdem man jahrelang Dutzende moderne Kohle- und Kernkraftwerke aus ideologischen Gründen vom Netz genommen hat und nun vermehrt knappes Gas verfeuern muss.

Eigentlich ist das ein Offenbarungseid einer verfehlten Politik, aber die Deutschen sind leider wieder einmal Meister der Anpassung auch an die größten Zumutungen. Da sitzen dann tatsächlich Topverdiener im kalten Homeoffice mit Strickpullover und Segler-Weste – im Zweifelsfall muss man eben „Zeichen setzen“, heißt es.

Dieser neu entdeckte Opfermut und Verzichtskult wäre unseren Vorfahren vor knapp 100 Jahren vermutlich völlig irre vorgekommen. Die breite Masse hätte einiges für elektrische Haushaltsgeräte wie Waschmaschinen und Staubsauger oder wohlig warme Fabrikhallen und kuschelige Kinderzimmer gegeben, und heute soll das auf einmal verzichtbar sein?

Noch nicht zu denken war damals an solche Finessen wie Autositzheizungen. Das Bedürfnis, dem verlängerten Rücken bei kalten Temperaturen Wärme zukommen zu lassen, scheint Automobilisten jedoch früher als gedacht zu innovativen Lösungen gedrängt zu haben – speziell weiblicher Erfindungsgeist scheint sich hier entfaltet zu haben.

Jedenfalls finden sich zahllose Bilddokumente, die davon erzählen, wie eine Weile nach dem Abstellen des Motors die Beifahrerin auf die geniale Idee kam, sich den angenehmsten aller Sitzplätze zu suchen.

Citroen B14; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Was hier so lässig und selbstverständlich wirkt, ist gar nicht so einfach – versuchen Sie das einmal nachzumachen, meine Damen – natürlich mit zeitgemäßem Outfit und Automobil.

Das Streben nach einer gut gewärmten Sitzfläche scheint überhaupt dem Frauensvolk in die Wiege gelegt zu sein – man könnte Bücher füllen mit solchen Aufnahmen.

Hier haben wir gleich das nächste Beispiel – übrigens ist es wieder ein Citroen, der hier mit der Innovation der Sitzheizung ausgestattet zu sein scheint, die hier wohl etwas zu gut funktionierte:

Citroen B2 oder B10; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Deutsche Fabrikate scheinen indessen ebenfalls über die optionale Sitzheizung verfügt zu zu haben, die offenbar ausschließlich von weiblichem Bedienungspersonal aktiviert werden konnte. Die Buben mussten dagegen ihr Image als harte Kerle pflegen, so die Fotoevidenz.

Hier haben wir ein spätes Beispiel aus der Zeit des 2. Weltkriegs – langjährige Leser kennen die wunderbare Geschichte des abgebildeten BMW 327 (hier nachzulesen):

BMW 327 Coupé; Originalfoto aus Besitz von Gerd Bühler (zuvor: Sammlung Michael Schlenger)

Beim traditionsreichen deutschen Hersteller Adler dauerte es ebenfalls nicht lange, bis die Damenwelt die ab Werk eingebaute, doch von ignoranten Männern mit Verachtung gestrafte Sitzheizung entdeckte.

Während „Er“ sich darin zu gefallen scheint, dem Schneegestöber ungerührt zu trotzen, hat „Sie“ sich bereits in Position gebracht, um gleich nach diesem lästigen Foto die angenehmen Seiten des winterlichen Autofahrens auf dem warmen Kühler sitzend zu genießen:

Adler „Primus“; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Kluge Frauen wussten eben, dass es nur ein Täuschungsversuch böswilliger Männer war, den Heizgrill an der Frontpartie ausgerechnet als Kühler zu bezeichnen, wo dort doch das genaue Gegenteil installiert war!

Triumphierend nahmen auch jenseits des Atlantiks aufgeklärte Autofahrerinnen bei Bedarf Platz an jedem Ort, welcher ganz offenbar als geheizter Damensitz exklusiv für sie eingerichtet worden war.

Wie so oft war der Stand der Technik in den Staaten bereits früh weit vorangeschritten. Das belegt das folgende Foto, auf dem eine Dame sehr überzeugend Werbung für die Sitzheizung ihres Studebaker aus der Zeit kurz vor dem 1. Weltkrieg macht:

Studebaker um 1914; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Mit hochhackigen Schnürstiefeln wie hier zu besichtigen auf die Motorhaube zu klettern, erfordert übrigens außerordentliche Fähigkeiten – aber unsere Urgroßmütter waren auch sonst nicht von schlechten Eltern.

Man musste schon etwas tun und Ehrgeiz haben, um solchermaßen „bella figura“ zu machen – ungeschminkt im schlabbrigen Yoga-Dress wie im 21. Jh. wäre man nicht vor die Tür gegangen. Auch in den USA herrschten damals noch europäische Standards.

Ich könnte noch eine Weile mit solchen Belegfotos früher Sitzheizungen weitermachen – doch hatte ich in der Überschrift ausdrücklich einen Hudson von 1928 angekündigt, und den schauen wir uns jetzt an.

Offenbar war auch der endlich mit Sitzheizung ausgestattet; bei früheren Exemplaren dieser Marke konnte ich jedenfalls bislang nichts Vergleichbares finden:

Hudson, Modelljahr 1928; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Ja, sehr hübsch auch diese Szene, werden Sie jetzt vielleicht denken. Aber wie soll man hier Marke und Modelljahr erkennen? Oder stehen immer noch die erbaulichen Kühlerfiguren im Vordergrund?

Ich habe nun ein Einsehen, denn man kann hier noch etwas anderes mitnehmen als fragwürdige Anmerkungen zum Vorhandensein von Sitzheizungen bei Vorkriegswagen.

Also: Wie gelangt man von dieser Aufnahme zur Erkenntnis, dass man es mit einem 1928er Hudson zu tun hat? Nun, der Gedankengang geht wie folgt:

Eine Doppelstoßstange in Verbindung mit solchermaßen am Windlauf hinter der Motorhaube angebrachten Parkleuchten ist erst einmal ein Hinweis auf ein US-Fabrikat ab Mitte der 1920er Jahre, auch wenn diese Elemente wie die gesamte Linienführung von den damals noch meist rückständigen deutschen Herstellern oft akribisch kopiert wurden.

Die recht weit auseinanderliegenden senkrechten Streben des Kühlergrills finden sich so jedoch nicht bei heimischen Fabrikaten. Mein erster Gedanke war hier, dass es sich um einen Essex von 1928 handeln könnte:

Essex, Modelljahr 1928; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Trotz der offenkundigen Ähnlichkeit, die ihre Gründe hat, handelt es sich doch um unterschiedliche Fabrikate.

Festzumachen ist das zum einen an der Gestaltung des Emblems in der Mitte der Doppelstoßstange. Zum anderen sind die Vorderkotflügel beim 1928er Essex optisch noch zweigeteilt ausgeführt: an das der Radform folgende Schutzblech ist ein ausladender Innenkotflügel angesetzt.

Besagtes Karosserieelement ist dagegen bei dem vorherigen Bild mit der Dame auf dem Kühler zu einem Teil verschmolzen (im US-Autojargon: „one-piece crowned fenders“). Diese Ausführung stellt einen fortgeschrittenen Entwicklungsstand dar, welcher sich beim 1928er Essex noch nicht findet.

Der Grund dafür war schlicht der, dass der Essex eine preisgünstigere und weniger raffiniert gestaltete Version des 1928er Hudson war, welche für den europäischen Markt angeboten wurde. Man findet viele dieser Essex-Wagen auf Fotos aus deutschen Landen.

Der hochklassigere Hudson desselben Modelljahrs war in Europa seltener. Bislang konnte ich ihn nur einmal dingfest machen – und zwar auf dieser Aufnahme:

Hudson, Modelljahr 1928; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Wann und wo dieser Hudson abgelichtet wurde, können Sie hier nachlesen.

Jedenfalls können wir nun leicht feststellen, dass der in der Schweiz zugelassene Wagen mit charmanter Werbung für die am Kühler angebrachte Sitzheizung ebenfalls ein solcher Hudson von anno 1928 war.

Mit seinem rund 90 PS leistenden Sechszylinder war das ein typischer Vertreter stark motorisierter und komfortabler US-Automobile, die zugleich preisgünstiger waren als vergleichbare Fahrzeuge auf dem europäischen Kontinent.

So begegnete man derartigen US-Wagen praktisch überall, ob auf dem Balkan oder in der Schweiz, natürlich nur in Verbindung mit vermögenden Besitzern.

So dürfen wir davon ausgehen, dass auch diese Dame, welche es sich auf dem vermeintlichen „Kühler“ gemütlich gemacht hat (vielleicht an einem noch frischen Frühlingstag) von zuhaus gewohnt war, dass zivilisierte Leute an allem Möglichen sparen können, aber gewiss nicht an: Licht und Wärme, Gemütlichkeit und Stilempfinden…

Hudson, Modelljahr 1928; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Michael Schlenger, 2023. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

Ein Gedanke zu „Endlich auch mit Sitzheizung! Ein Hudson von 1928

  1. Nun ja, es gibt allerdings Kühlerfiguren und Kühlerverschlüsse, die man den Damen besser nicht zur Nutzung als Sitzheizung empfehlen sollte.
    Auch die Kinder hat man sehr gerne zum Foto auf der Motorhaube oder dem Kühlergrill plaziert.

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