Lässigkeit des Seins: Ein Pontiac Tourer 1928

Man muss sich das Leben nicht schwerer machen, als es ohnehin ist – dafür ist es zu kurz.

Also lassen Sie die Finger von verkopfter Problemliteratur wie der „Unerträglichen Leichtigkeit des Seins“ von Milan Kundera – einer endlosen Beziehungsstory, die es aus mir unerfindlichen Gründen zum Bestseller geschafft hat.

Folgen Sie mir stattdessen heute auf der Suche nach der überaus erträglichen Lässigkeit des Seins. Erfreuen Sie sich am frühen Aufgang der Sonne, an der Wärme und dem bis spätabends anhaltenden Licht. Allzubald wird nämlich auch das wieder vorbei sein.

Je nach dem, wann Sie dies lesen, machen Sie es sich gemütlich bei einem Glas Weißwein oder Bier, einer Tasse Tee oder Kaffee, vergessen Sie einmal, was Sie heute geärgert hat oder was Sie noch Nerviges vor sich haben.

Sagen Sie sich einfach: Ich schaue mir jetzt ein altes Autofoto an und das macht mich im besten Fall glücklich, im schlechtesten melancholisch (die wahren Gourmets des Daseins bevorzugen vermutlich das Letztere).

Hier mein heutiges Therapieangebot:

Pontiac Tourer von 1928; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Na, was meinen Sie? Kann es heute sommerlich-entspannter zugehen als hier?

Ein schicker amerikanischer Tourenwagen – am Indianerkopf auf dem Kühler als Pontiac zu erkennen – bietet sich hier von seiner besten Seite dar, nämlich mit montiertem Verdeck, aber ohne die üblichen seitlichen Steckscheiben.

Damit lässt sich ein strahlender Sommertag entspannt verbringen. Wem die Sonne zuviel wird, findet Schutz im Innern, wer nicht genug davon bekommen kann, macht es sich draußen bequem.

Den Fotografen kann man lässig ignorieren, stattdessen beschäftigt man sich mit dem vierbeinigen Gefährten seines Daseins. Ob mit oder Glimmstengel, darauf sei gepfiffen.

Hätte ich die Wahl, würde ich es dem Herrn auf dem Kotflügel gleichtun, der meine Sympathie genießt. Einem souverän wirkenden Mann mit ehrlich erworbenem Teint, hoher Stirn und kräftigem Haar darf man eher trauen als einem glatzköpfigem, blassen Bürokraten, oder?

Würden Sie aber auch mit ihm oder seinem Zeitgenossen am Steuer tauschen wollen? Vermutlich kaum, denn diese Aufnahme von 1935, die der Architektur nach zu urteilen irgendwo in Südosteuropa entstand, verheißt nichts Gutes.

Einer ganzen Generation war damals in Europa ein Schicksal beschieden, gegen das die Unzuträglichkeiten des Hier und Jetzt mit Lässigkeit ertragbar scheinen.

Das soll nicht heißen, dass man sich gegenwärtiger Übergriffe in das Private nicht erwehren sollte. Man sollte aber auch nicht die großartigen Möglichkeiten der inneren Emigration aus dem Auge verlieren. Die bestehen durchaus, nicht nur in der Beschäftigung mit der Lässigkeit des Seins mit Vorkriegsautomobilen…

Michael Schlenger, 2023. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

Ein Gedanke zu „Lässigkeit des Seins: Ein Pontiac Tourer 1928

  1. Zunächst möchte ich Ihr Therapieangebot leicht verspätet noch freudigst annehmen, denn der Pontiac 6-28 zeigt sich auch in der Seitenansicht von seiner besten Seite ! Denn als wäre er erst 12 Wochen oder Monate, also gerade ein Quartal oder ein Jahr alt, präsentiert er sich in bester Erhaltung auch nach einem Dutzend Jahren – und ob er auch ein zweites Dutzend überstand, wissen wir nicht.
    Mit Südosteuropa liegen Sie wohl richtig – aber ob zwischen Karlsburg und Mühlbach oder zwischen Neusatz und Martinskirch ? Oder ganz woanders, denn verfolgt man den Karpatenbogen nach Nordwesten, so nähert man sich der mährischen Heimat des eingangs benannten Literaten; und ich meine, auch dort diesen Baustil mit Rundbögen oder Kapitälchen über den Fensterstöcken gesehen zu haben. Was uns bleibt, ist ein Bild von der Leichtigkeit des Seins, das aber zumindest dank dieses schönen Pontiac nicht nur vollkommen erträglich, sondern höchst erfreulich erscheint !

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