Humor ist, wenn man trotzdem lacht.
Was wie ein banales Sprichwort klingt, ist in Wahrheit eine tiefe Weisheit. Das Lachen bewahrt uns davor, uns von Zuständen, die wie nicht ändern können, das Leben ruinieren zu lassen. Wir haben nämlich nur eines, das noch dazu jederzeit zuende sein kann.
Meinen mitunter unangemessen erscheinenden Humor habe ich über beide Elternteile geerbt, wenn auch nicht unbedingt direkt. Oft findet man ja Eigenschaften, die man bei sich beobachtet, in prächtigster Weise ausgebildet in der Großelterngeneration.
Mütterlicherseits gab es die Großtante „Käthe“, die zeitlebens Hedonistin war, wie man heute fachmännisch sagen würde. Anstatt wie die Schwestern schlechte Ehen einzugehen, blieb sie unverheiratet, machte Karriere beim Max-Planck-Institut und lebte ein paar Jahre in wilder Beziehung auf Capri – so die Überlieferung.
Sie war zuständig für die gute Laune in der Familie und war die Lieblingstante meiner Mutter, die einen Gutteil ihrer Neigungen geerbt hatte, bloß in der Praxis trotz guter Anfänge hinter dem Vorbild zurückblieb. Eine Spötterin blieb sie immerhin zeitlebens.
Väterlicherseits ist mein Großonkel Ferdinand zu erwähnen, der mich mehr erzogen hat als sein Neffe. Wie so viele seiner Generation fand er sich in einer Zeit wieder, deren Zwängen man sich kaum entziehen konnte – auch er war Soldat im 2. Weltkrieg.
Davon hat er mir nur eine einzige Episode erzählt, obwohl ich viel Zeit in den Ferien bei ihm verbracht habe. Die ging so:
Gegen Kriegsende befand er sich als Spähtruppführer in einem Waldgelände und in dem Moment, als er eine Lichtung betrat, erblickte er auf der anderen Seite einen britischen Soldaten. Beide rissen ihre Maschinenpistolen hoch – doch beide hatten Ladehemmung.
Vielleicht waren auch beide zu aufgeregt und entsicherten ihre Waffen nicht korrekt. Jedenfalls blickten sie sich kurz an und zogen sich zurück. An diesem Tag ist mein Großonkel dem Tod von der Schippe gesprungen und sein Opponent ebenfalls.
Nach dem Krieg blieb er sein Leben lang den „Tommies“ zugeneigt, wie er die Briten nannte, die in seiner Heimatstadt Paderborn eine Garnison unterhielten und im Alltag präsent waren.
Er baute sein von einer Fliegerbombe getroffenes schönes Haus wieder auf – genau so, wie es vorher war, ohne moderne Zutaten. Er heiratete, doch seine Frau Lene starb jung. Ich sehe ihr feines Porträt in Schwarz-Weiß, das im Flur hing, noch heute vor mir.
Bei alledem blieb er ein heiterer Mensch. Eine beim Paderborner Bistum beschäftigte Freundin hatte er und ich habe den Verdacht, dass er auch seiner propperen Haushälterin zugetan war. Er war kein Mensch mit herunterhängenden Mundwinkeln..
Warum erzähle ich das alles?
Nun, von meinem Großonkel habe ich die Überzeugung ererbt oder übernommen, dass man sich im Leben den Spaß nicht nehmen darf.
„Die gehen doch zum Lachen in den Keller„, pflegte er zu sagen, wenn er griesgrämiger Zeitgenossen wie dieser ansichtig wurde:

So ein großartiges Foto in allerbester technischer Qualität und einer der meistverkauften deutschen Qualitätswagen der frühen 1920er Jahre – ein Protos Typ C 10/30 PS – und keine der darum versammelten Personen bekommt den Anflug eines Lächelns hin.
Dass dies kein Zufall gewesen sein kann, sondern dass dieses beeindruckende Auto mit seinem unverwechselbaren Kühler und den auf zwei Gruppen zu je vier verteilten Luftschlitzen irgendwo eine Spaßbremse eingebaut haben musste, das lässt leider die Betrachtung einer ganzen Reihe solcher ansonsten großartiger Dokumente vermuten.
War es das überwiegend schlechte Wetter in deutschen Landen oder schlug das vielerorts ungesunde Essen in Germanien auf den Magen? Das gibt’s doch gar nicht, dass diese vom schieren materiellen Glück umgebenen Zeitgenossen alle so wenig Spaß daran hatten!
Immerhin diesem Exemplar darf man zugutehalten, dass er „auf Arbeit“ abgelichtet wurde, denn er fungierte als Chauffeur einer weiteren Limousine des Typs Protos C 10/30 PS:
Ihm lassen wir gern den ernsten Blick durchgehen, denn er trug als Fahrer des teuren Wagens einer gut situierten Familie große Verantwortung.
Aber was lässt die privilegierten Besitzer eines derartigen Luxusgegenstands selbst so dermaßen frustiert aussehen?
Die können doch nicht alle gleichzeitig Zahnschmerzen gehabt oder gerade schlechte Nachrichten über ihr Wertpapierdepot erhalten haben, oder?
Meine Güte, was für fantastische Fotos – die wir nebenbei Leser Matthias Schmidt aus Dresden verdanken – und dann Gesichter wie beinahe auf einer Beerdigung.
So lange waren die Belichtungszeiten damals auch nicht mehr – schon gar nicht bei solchen Lichtverhältnissen – und es gibt genügend andere Beispiele aus den frühen 1920er Jahren, bei denen die abgelichteten Personen ganz entspannt oder freundlich dreinschauen.
Was war das für eine Spaßbremse, die bei diesem so markanten und für seine Zeit (in Deutschland) konkurrenzfähigen Wagen die Gesichtszüge dermaßen nach unten zog?
Gewiss, hart erarbeitet war das Geld, welches zum Erwerb eines solchermaßen aufwendigen Manufakturautomobils im großen Format zu bezahlen war.
Die Tourenwagenversion sollte doch Anlass zu einem wenigstens für einen Moment gelösten bis zufriedenen Gesichtsausdruck Anlass geben. Hier scheint die Spaßbremse immerhin etwas weniger angezogen zu sein:
Ist das nicht schade, wie hier ein Foto des Protos Typ C 10/30 PS nach dem anderen quasi verschwendet wird?
Langjährige Leser kennen mich und wissen genau, dass ich mich bei Bedarf in den Details auch nur eines einzigen Fotos eines Vorkriegsautos verlieren kann.
Doch hier fällt mir einfach nichts ein – so ein schöner Wagen und so viele Gesichter, doch nur ganz wenigen möchte man mehr Aufmerksamkeit widmen.
Wieder erwische ich mich bei dem Gedanken, dass dies der Zeit geschuldet sein mag, die auch den Wohlhabenden alles abverlangte. Doch einige Jahre der Bloggerei (und etwas eigene Lebenserfahrung) erlauben mir die Feststellung, dass die Umstände nicht für alles verantwortlich gemacht werden können.
Als Gegenbild mag diese hier vorgestellte Aufnahme dienen, die einen unmittelbaren Konkurrenten des Protos Typ C 10/30 PS zeigt, den Presto Typ D 9/30 PS:
Der Unterschied ist augenfällig – der sächsische Presto Typ 9/30 PS scheint über keine eingebaute Spaßbremse verfügt zu haben wie der in Berlin gebaute Protos Typ C 10/30 PS.
Doch wollen wir dem einst so streng daherkommenden Protos am Ende die Gelegenheit geben, die Spaßbremse ein wenig zu lockern und sich von seiner lässigeren Seite zu zeigen.
Ansätze dazu sind auf dieser Aufnahme zu erahnen:
Das geht doch schon einmal in die richtige Richtung, meine ich.
Gut gefällt mir hier der spöttisch dreinschauende Herr ganz links, aber auch die beiden Damen lassen Spaß-„Potential“ erkennen, wenngleich die ganz rechts schlechte Karten zu haben scheint – sie ist wohl schon in festen Händen eines verklemmten Schreibtischtypen (ich darf das behaupten, bin ja selber einer…)
Wer bis hier durchgehalten hat, dürfte zumindest eines bis ans Ende seines Lebens nicht vergessen, nämlich wie ein Protos Typ C 10/30 PS ausgesehen hat, der von 1918-24 in etlichen tausend Exemplaren gebaut wurde.
„Ja gut, das ist jetzt klar„, mögen Sie denken, und etliche von Ihnen wissen das schon längst. Doch bleibt die Frage, ob der Protos Typ C 10/30 PS wirklich eine eingebaute Spaßbremse besaß oder nicht, die sich nur unterschiedlich stark anziehen ließ.
Ich will es ihnen verraten: Sie war vermutlich auf Wunsch als Zubehör erhältlich, denn wer die Basisversion ohne solche orderte, der schaute vollkommen glücklich und zufrieden drein:
Dieses Exemplar mit den beiden freundlich in die Kamera schauenden Damen wurde einst irgendwo im Kreis Liegnitz in Schlesien (seit 1945 zu Polen gehörig) aufgenommen.
Meine von dort stammende Mutter scheint Anfang 1945 neben ihrem Koffer auch die Befähigung zum Humor mitgenommen zu haben, als sie mit 13 Jahren gen Westen floh.
Vielleicht versetzt einen die Erfahrung, alles zu verlieren und sich alles neu erarbeiten zu müssen, in die Lage, die nötige Distanz zum Dasein zu gewinnen, um in jeder Situation über alles lachen – oder noch besser: – spotten zu können…
Michael Schlenger, 2024. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.
Gute Erklärung – danke!
Hallo Herr Schlenger,
Sie sprechen selbst das Licht an. Und dieses, bzw. seinen Einfallswinkel zumindest auf der ersten Fotografie, vermute ich als Grund für das unfrohe Aussehen der Abgelichteten mit zusammengekniffenen Augen. Eigentlich hat der Fotograf nur den Rat berücksichtigt, die Sonne im Rücken zu haben bei der Aufnahme, aber die stand in einem so ungünstigen Winkel, dass sie die posierende Gruppe ganz einfach blendete. Denn wenn auch die Aufnahme an sich kaum mehr Zeit beanspruchte als ein paar Zehntelsekunden, das Arrangieren der Gruppe wird etwas gedauert – und die „Blendung“ begünstigt haben.
Schöne Grüße,
KD