Für Sie, liebe Leser, hat meine Rubrik „Fund des Monats“ zwei Vorteile:
Zum einen bekommen Sie etwas geboten, was es nicht alle Tage zu sehen gibt (bisweilen auch noch nie) und zwar gemessen am Standard meines Blogs – nicht an gängigen deutschsprachigen „Oldtimer-Publikationen“. Zum anderen komme ich im Regelfall ohne Umschweife zur Sache.
Für mich stellt die Kategorie nämlich – so paradox das klingen mag – eine Gelegenheit zur Entspannung dar. Denn meist spricht das vorgestellte Material einfach für sich und bedarf keiner mehr oder weniger gelungenen Einleitung.
Entweder das abgebildete Fahrzeug ist dermaßen selten, dass es kaum etwas Gesichertes dazu zu sagen gibt oder es stammt aus so ferner Zeit, dass mir ein persönlicher Zugang dazu schwerfällt.
Ein Beispiel ist das heute präsentierte Fahrzeug. Es entstand nach meiner oberflächlicher Recherche 1903 (+- 1Jahr). Man mag denken, dass das doch kaum möglich ist, ein dermaßen frühes Automobil so genau zu datieren. Doch genau das ist bei den Vertretern der Pionier-Ära fast immer der Fall, weil sich die Entwicklung damals unvorstellbar rasant vollzog.
Ein Zeitraum von zwei bis maximal fünf Jahren repräsentierte damals eine ganze Autogeneration. Das schlug sich in Details der Konstruktion wie in der Gestaltung so deutlich nieder, dass fast immer eine präzise Ansprache möglich ist.
Man muss freilich erst einmal eine Vorstellung davon haben, in welchem Zeitraum und in welcher Region man suchen muss, wenn man ein Foto findet, das so etwas zeigt:

Die technisch hervorragende und gut erhaltene Aufnahme wurde ungeachtet der dynamischen Pose des Fahrers im Stillstand angefertigt. Das erlaubt das Studium kleinster Details – eine entscheidende Hilfe bei der Identifikation von Hersteller und Baujahr.
Das Erscheinungsbild mit annähernd quaderförmiger Motorhaube und davor angebrachtem „Schlangen“kühler findet sich kurz nach Beginn des 20. Jh bei etlichen Herstellern – hauptsächlich bei französischen und belgischen Marken, die damals auf dem europäischen Kontinent führend waren.
Nach einigen Vergleichen entschied ich mich für die französische Firma Darracq, die nach Versuchen mit motorisierten Dreirädern anno 1900 ihr erstes richtiges Automobil mit vier Rädern auf den Markt brachte.
Das 1901 eingeführte Modell C mit anfänglich knapp 800ccm messendem Einzylindermotor brachte es dann in zweijähriger Bauzeit bereits auf eine vierstellige Stückzahl – ein damals aufsehenerregender Schritt, mit dem das Auto den Status des Kuriosums endgültig ablegte.
Wie die Konkurrenz von Renault gab sich Darracq erst gar nicht mit Kettenantrieb ab, sondern nutzte von Anfang an den modernen Kardanantrieb. Nur die Aufbauten – hier ein viersitziger Tonneau (oder auch Doppel-Phaeton) – waren noch ebenso wie bei anderen, technisch weniger avancierten Herstellern.
Auf die schnelle konnte ich leider nur wenig Gehaltvolles zu den Darracq-Modellen kurz nach der Jahrhundertwende finden.
Inbesondere stellt sich mir die Frage, weshalb auf den im Netz verfügbaren Fotos manche eine vorne schräg abfallende Motorhaube nach Vorbild von Renault besitzen (in Verbindung mit einem unten vor der Vorderachse angebrachten Schlangenkühler) und manche der Ausführung wie auf meiner Aufnahme entsprechen.
Wie es scheint, gab es bereits mindestens zwei Motorisierungen – 6CV und 9 CV – was den Unterschied erklären könnte. 1903 gab es dann noch eine 12 CV-Version, die ganz ähnlich aussah – vielleicht war das sogar das abgebildete Auto.
Wer mehr weiß, ist aufgerufen, uns über die Kommentarfunktion zu erhellen. Wir genießen unterdessen das Erlebnis dieser ganz frühen Automobile, die am Anfang einer großartigen Entwicklung stehen – des Motorfahrzeugs für jedermann.
Michael Schlenger, 2024. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.
Klasse, danke für den Hinweis! Das wäre dann ein 2-Zylindermodell, wohingegen die Ausführungen mit der vorn schräg abfallenden Haube die kleinen 1-Zylinder sein müssten.
Seit gestern ist ein 1903er mit 12 ps bei prewarcar im angebot. Der sieht dem Foto-auto sehr ähnlich.
Alle Darracq-Photos in meinem Fundus zeigen den Kühler vorne vor dem Motor, wobei das allerdings alles Wettbewerbsautos sind. Das 24HP-Modell der Fahrt Paris-Wien 1902 ist bei der Vorderachse identisch mit dem hier gezeigten Modell, allerdings ist naturgemäss die Motorhaube länger und die Kühlerschlangen grösser.
Die meisten Bilder früher Darracqs zeigen zwar eine Renault-ähnliche Frontpartie – etliche Bilder zeigen aber auch die abweichende Ausführung wie auf meinem Foto. Bsp. dieser sehr gut dokumentierte Darracq 1903 hier: https://www.veterancarrun.com/vcr-entry-list-2023/0158-1903-darracq?&azletterfield=author&azLetterField=author&searchgroup=libraryentry-vcr-entry-list-2023
ich bezweifle gar sehr, dass das ein Darracq sein soll. Von 1900 bis 1904
gab es Modelle mit 1,2,4 Zylindern, aber immer saß der Kühler hinter dem Motor vor der Spritzwand. Man suche da auch unter OPEL-Darracq …
Mindestens fünf „überlebende“ Darracq (1903) im 2023er ‚London to Brighton Veteran Car Run‘ (8-24 BHP)
siehe:
http://www.veterancarrun.com/vcr-entry-list-2023?&azletterfield=author&page=3&searchgroup=00000001-vcr-entry-list-2023