Klein, aber sächsy: Packard „Roadster“ von 1925/26

Der Titel meines heutigen Blog-Eintrags ist einer der gelungeneren, wie ich meine. Sie werden am Ende hoffentlich derselben Meinung sein, auch wenn „Klein, aber sächsy“ sicher nicht das Erste ist, woran man im Fall eines Packard von Mitte der 1920er Jahre denkt.

Die 1899 in Warren (Ohio) gegründete Marke hatte sich über die Jahre einen Rang an der Spitze der US-Autohierarchie erarbeitet. Mit der Einführung des ersten serienmäßig gebauten 12-Zylinderwagens im Jahr 1915 war ein Packard ein Prestigewagen.

Zwar hielt man auch den günstigeren Ausführungen mit 6-Zylindermotor fest, doch die meisten Käufer in den Staaten wollten das volle Programm. Das blieb auch so, als 1924 ein neu konstruierter 8-Zylinder mit über 80 PS die neue Spitzenmotorisierung wurde.

Der 60 PS leistende Sechszylinder wurde auf einem etwas kürzeren, aber immer noch beeindruckenden Chassis verbaut. Davon abgesehen ist es schwer, die beiden Ausführungen auseinanderzuhalten, ohne das Maßband anzulegen.

Dennoch kommen wir heute in den Genuss eines Größenvergleichs der besonderen Art, bei dem der mächtige Packard tatsächlich nur eine kleine Statistenrolle spielt.

Zuvor muss eine persönliche Rückblende sein: In den Jahren 1989-90 absolvierte ich eine Ausbildung in einer Frankfurter Großbank mit sächsischen Wurzeln. Zusammen mit einem Mitlehrling fuhr ich täglich mit der Bahn in die Stadt – damals noch eine angenehme Sache.

Im 2. Lehrjahr bekamen wir eine Mitreisende, die ebenfalls in besagtem Bankhaus arbeitete. Mein Kollege – gut katholisch und Internatszögling – war ganz aus dem Häuschen: Die junge Dame mit mädchenhafter Figur und blonden Haaren, stets sehr vorteilhaft gekleidet, war ganz nach seinem Geschmack – mir dagegen war ihr Puppengesicht zu brav.

Irgendwann belauschte er ein Gespräch im Bahnabteil, in dem sich die sächsische Sprachfärbung der Schönen offenbart. Jetzt war es ganz um ihn geschehen: „In Sachsen, wo die schönen Frauen wachsen“ und andere Weisheiten bis hin zu sächsischem Liedgut musste ich mir von meinem Kollegen nun anhören.

Ob er sie je angesprochen hat? Ich glaube es nicht, und bisweilen ist es klüger, sich eine schöne Phantasie nicht durch die schnöde Realität ruinieren zu lassen.

An diese Episode mit der kleinen, aber sehr ansehnlichen Sächsin aus der Zeit kurz nach dem Mauerfall musste ich spontan denken, als ich mir heute dieses Bild vornahm:

Packard 1925/1926; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Klein, aber sächsy„, da werden mir zumindest die Herren beipflichten und es liegt auf der Hand, wer hier gemeint ist. Der schöne Packard mit Werksaufbau als Rumbleseat-Roadster (also Zweisitzer-Cabrio mit ausklappbarem Notsitz im Heck) ist es jedenfalls nicht.

Sie werden nun auch verstehen, weshalb die Frage nach der Motorisierung – Sechs- oder Achtzylinder – in diesem Fall eine Nebensache ist.

Wer sich für einen Moment darauf konzentrieren kann, wird Details wie die zweigeteilte Frontscheibe und die noch sehr verspielt gestaltete Kühlereinfassung bemerken, die auf eine Datierung dieses Packard vor 1927 hinweist.

Sehr schön studieren kann man hier die markentypische Ausführung der Nabenkappe, die in Verbindung mit den serienmäßigen Scheibenrädern ein zuverlässiger Hinweis auf einen Packard auch dann ist, wenn man einmal den Kühler nicht erkennen kann.

Da etliche Leser in Sachen Vorkriegswagen schon mehr gesehen haben als ich und andere vielleicht durch den Konsum meiner Bildbesprechungen zunehmend verwöhnt sind, sehe ich die Notwendigkeit, hier noch etwas „nachzuschärfen“.

Klein, aber sächsy„, diese Zuschreibung will durch mehr als Körpergröße und attraktive Erscheinung verdient sein und dazu gehört unbedingt die passende Herkunft – im vorliegenden Fall in Form einer Zulassung (des Packard) in Leipzig:

Packard 1925/1926; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Verstehen Sie jetzt, warum ich immer wieder über die vielen griesgrämig dreinschauenden Autobesitzer herziehe, die im damaligen Deutschland zu einer privilegierten Minderheit gehörten, denen aber nur in Ausnahmefällen auf solchen Fotos ein Lächeln gelang?

Das ist eine Sache der inneren Gestimmtheit und der Fähigkeit, sich für einen Moment von seiner besten Seite zu zeigen, denn man weiß doch, dass dieser Augenblick für einen selbst und Nahestehende festgehalten wird.

Und nun schauen Sie sich an, wie unsere kleine Sächsin hier so hinreißend posiert und in die Kamera schaut, dass man sich gar nicht von ihr abwenden mag.

Gewiss, wer so aussieht wie sie, weiß um die eigene Wirkung und spielt gern damit.

Aber es kommt noch eine ganze Menge dazu, was am Ende den Effekt ausmacht – der Schmuck, der perfekt zum Gesicht passende Hut, das figurnah geschnittene Kleid und die neckische Haltung mit dem leicht geöffneten Mantel.

Das ist schlicht und einfach „sächsy“ – ganz ohne wilde Tätowierungen und entstellendes Metall in der Haut. Ich bin sicher, das funktionierte auch heute noch und heimlich hoffe ich ja auf ein Revival der Mode der 1920/30er Jahre.

Bis es soweit ist, werden wir uns am Anblick solcher wunderbaren historischen Dokumente erbauen müssen, auch wenn sie in dieser Perfektion selten sind.

Dieses Foto ist fast 100 Jahre alt und doch wirkt es so lebendig und jugendfrisch – da übersieht man glatt den Herrn mit der unangemessenen Verlegenheitsgeste („Hand aus der Hosentasche in Gegenwart einer Dame„, höre ich meinen Großonkel mich einst ermahnen).

Sie sehen, persönlich gefärbte Rückblenden wie diese sind nicht die schlechtesten. Bleibt noch ein Auftrag an die Leser aus Sachsen (wo die schönen Frauen wachsen…): Wo könnte dieser Packard mit der bezaubernden Dame einst abgelichtet worden sein?

Michael Schlenger, 2024. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

4 Gedanken zu „Klein, aber sächsy: Packard „Roadster“ von 1925/26

  1. Danke – überhaupt gibt es in Skandinavien eine sehr lebendige Vorkriegsszene, nicht nur was US-Importmodelle betrifft, sondern auch die Messingfraktion mit vielen deutschen Modellen.

  2. Das sind bedauerliche Nachrichten (den Beckmann betreffend), aber Sie holen die Fahrt mit dem großartigen Auto (habe schon ein Foto des fertiggestellten Wagens in der schwedischen Messingauto-Gruppe auf Facebook gesehen) sicher demnächst nach, oder?

  3. Passend zu diesem Packard erlaube ich mir den Hinweis, dass an der diesjährigen Herkomer-Konkurrenz in Landsberg am Lech, die bereits in wenigen Tagen, vom 11. bis 14. Juli stattfindet, ein Packard Twin Six mit 7,4 l-12-Zylindermotor, 90 PS, teilnehmen wird. Für Interessenten aus der Nähe Münchens oder Augsburgs mag das ein lohnendes Ziel sein.
    Geplant war eigentlich die Teilnahme des weltweit einzig überlebenden Beckmann-Doppel-Phaetons 21/45 PS des Baujahrs 1911 aus der Produktion meines Urgroßvaters, doch die norwegische Zulassungsbehörde hat 4 Tage vor dessen geplanter Abreise nach Landsberg einen Strich durch die Rechnung gemacht – ausschließlich aus formalen Gründen. Der Besitzer aus dem Raum Oslo kommt ersatzweise nun mit o.g. Packard, der es allerdings auch wert ist, besichtigt zu werden.

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