Die guten Seiten der DDR: Ein Fiat-NSU 1000

Um es gleich zu sagen: Das politische System der DDR war für Freiheitsliebende das zweitschlimmste, was es je auf deutschem Boden gegeben hat.

Millionen von Menschen jahrzehntelang einzusperren, sie um ein selbstbestimmtes Leben und die Früchte ihrer eigenen Arbeit – oft auch um ererbtes Eigentum – zu bringen, lässt sich nicht irgendwie schönreden, so sehr die DDR-Insassen versuchten, das Beste daraus zu machen und dabei oft Erstaunliches zuwegebrachten.

Dennoch gab es viele gute Seiten der DDR. Die bislang für mich beste war die sehr frühzeitige Organisation der Vorkriegsautoszene in Mittel- und Ostdeutschland.

Diese war ursprünglich aus der Not geboren, denn natürlich gelang es der DDR-Planwirtschaft nicht, in ausreichender Zahl zeitgemäße Automobile fertigen zu lassen.

Ohne Wettbewerb, Privateigentum und freie Preisbildung kann keine Wirtschaft die Bedürfnisse der Konsumenten stillen. Die wie in allen sozialistischen Regimen bildungs- und intelligenzmäßig beschränkten Machthaber meinten freilich, wenn man es nur oft genug versucht, wird es schon gelingen (nebenbei ein zeitloses Thema).

Also hielten die DDR-Bürger mit einer bewundernswerten Improvisationsfähigkeit die vielen Vorkriegsautos am Laufen, welche nach der Kapitulation noch vorhanden waren. Die Kompetenz dafür war im Osten unseres Landes zum Glück vorhanden, denn das Herz der deutschen Autoindustrie schlug einst in Thüringen und Sachsen.

Dabei gelang es oft, sogar ausländische Fabrikate (hauptsächlich amerikanische) weiter in Betrieb zu halten, was eine bemerkenswerte Leistung ist, wenn man bedenkt, dass fehlende Teile in Eigenleistung nachgefertigt werden mussten.

Hinzu kam, dass die Qualitätsstandards der meisten Vorkriegswagen weit über dem Niveau der Gefährte lagen, welche unter den Bedingungen der sozialistischen Mangelwirtschaft entstanden. Hier war private Kompetenz und Initiative gefragt – und es gab sie!

Neben hochkarätigen Prestigewagen wurden so vor allem Brot-und-Butter-Modelle am Laufen gehalten, die wenig Kraftstoff benötigten, aber zugleich eine souveräne und stilvolle Fortbewegung ermöglichten – was DDR-Gewächse definitiv nicht boten.

Ein hübsches Beispiel dafür findet sich auf diesem Foto der 60er Jahre:

NSU-Fiat 1000 mit DDR-Kennzeichen; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Trotz einiger Veränderungen wie den nachgerüsteten Blinkern und dem Außenspiegel lässt sich diese hübsche Zweitürer-Limousine leicht als Fiat 1000 identifizieren, wie er auch im alten NSU-Werk in Heilbronn ab 1934 gebaut wurde.

Die deutschen Ausführungen dieses mit einem drehfreudigen Vierzylinder mit 24 PS motorisierten Fiats sind leicht an den Luftklappen in der Motorhaube zu erkennen. Diese sind auch auf meinem Foto zu erahnen.

Außerdem gibt es hier etwas zu sehen, was mich zum Titel meines heutigen Blog-Eintrags motivierte – ein DDR-Kennzeichen in der typischen Ausführung mit einer Gruppe aus zwei Buchstaben, gefolgt von zwei Gruppen zu je zwei Ziffern.

Im Unterschied zu den Nummernschildern in der Bundesrepublik (nach der Ära der Besatzungskennzeichen) erlauben diese Kennungen keine direkte Ableitung des Zulassungsorts aus den am Anfang stehenden Buchstaben.

Doch gab es neben der erfreulichen Seite der DDR, welcher wir eine im Westen unvorstellbare Zahl an überlebenden Vorkriegswagen verdanken, weitere 89 Seiten, die ich zu schätzen weiß.

Das verdanke ich Leser Reinhard Barthel, der mich dieser Tage mit einer Sendung der besonderen Art erfreute. Er schickte mir einen Nachdruck des „Schlüsselverzeichnis der polizeilichen Kennzeichen für zugelassene Fahrzeuge“, welches vom DDR-Innenministerium zuletzt im Mai 1990 herausgegeben wurde.

Dabei handelt es sich nicht nur um eine der letzten Amtshandlungen der DDR-Bürokratie, sondern zugleich um ein enorm hilfreiches analoges Dokument, das binnen kürzester Zeit die Zuordnung von Nummernschildern zum einstigen Zulassungsbezirk erlaubt.

Ich war von dieser Geste so angetan – vielen Dank an Herrn Barthel an dieser Stelle – dass ich die Gelegenheit dazu nutzte, das Verzeichnis am Beispiel des NSU-Fiat 1000 zu erproben.

Nur wenige Sekunden und ich fand die benötigte Information auf Seite 21: Demnach war der Nummernkreis DP-02-66 bis DP 47-85 dem Bezirk Potsdam zugeordnet – großartig!

Sie sehen nun, was ich – augenzwinkernd- mit den vielen guten Seiten der DDR als Staat meine. Doch die beste bleibt für mich als Wessie immer noch die eingangs erwähnte: die vorbildliche Vorkriegsautoszene, die bis heute unübersehbar fortwirkt.

Ihr verdanken wir das Fortleben so vieler schöner Wagen und sei es nur in Form von Fotos, die den zweiten Frühling von Vorkriegsautomobien nach dem 2. Weltkrieg dokumentieren.

Diese Fahrzeuge waren nicht nur Notlösungen, sie wurden als kostbare Schätze in einer Zeit betrachtet, in der sich die aktuelle Produktion auf traurigem Niveau befand.

Das zweite Foto unseres NSU-Fiat 1000 aus Potsdam in ungestörter Kulturlandschaft mag dies illustrieren – man hatte offenbar schon früh ein Bewusstsein für die besonderen ästhetischen Qualitäten wirklich alter Autos…

NSU-Fiat 1000 mit DDR-Kennzeichen; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Michael Schlenger, 2024. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

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