Kennen Sie noch den Begriff der Rasterfahndung? Mir ist er erstmals als Schüler im Westdeutschland der 1970er und 80er Jahre begegnet, als eine gut organisierte Gruppe von Terroristen Jagd auf ihr nicht genehme Bürger machte: Richter, Banker, Verbandsvertreter…
Diesem mörderischen Treiben, bei dem man auch „Kollateralschäden“ in Kauf nahm, lag eine krude Ideologie der gerechtfertigten Selbstjustiz zugrunde, wie sie sich im pseudowissenschaftlichem Dunstkreis der Universitäten herausgebildet hatte.
Interessanterweise fanden sich kaum Leute mit richtigen Berufen in diesen Kreisen und auch die bemerkenswert breite Unterstützer dieser Figuren speiste sich vorwiegend aus einem speziellen Segment der „akademischen“ Schicht.
Ich kann mich sogar an Lehrer erinnern, die zumindest den Versuch unternahmen, den möglicherweise doch verständlichen Motiven der Terroristen nachzugehen. Das scheiterte indessen bei uns an durch Erziehung und eigenes Denken gefestigten Überzeugungen.
Von daher hatte auch das Prinzip der Rasterfahndung für den Normalbürger nichts Anrüchiges – im Gegenteil, man wollte die brandgefährlichen Gesuchten möglichst schnell zur Strecke bringen, deren Konterfeis damals auf Plakaten allgegenwärtig waren.
Ich weiß nicht, ob das überhaupt noch „erlaubt“ ist, bspw. nach einem jüngeren Mann mit auffallend heller Haut, ohne Bart, mit schmalen Lippen und dunklen Augenhöhlen zu fahnden, der in einem dunklen Tourenwagen tschechischer Herkunft abgelichtet wurde.
Das ist doch diskriminierend, anhand solcher Äußerlichkeiten zu sieben, oder? Ich wage es dennoch einmal und eröffne hiermit meine ganz private Rasterfahndung:

Diese technisch ausgezeichnete Aufnahme hat mir in digitaler Form Leser Matthias Schmidt aus Dresden übermittelt, der öfters auch in Tschechien auf Jagd nach solchen Dokumenten bzw. überlebenden Originalen ist.
Die gemessen an der geringen Größe des Landes auffallend reichhaltige tschechische Automobiltradition ist vor allem in westdeutschen Landen vielen nicht bewusst. Die Sprachbarriere und die räumliche Distanz mag das erklären.
Dabei wurzeln die interessanten tschechischen Marken allesamt in einer Epoche, in der die Hersteller noch einer größeren Welt angehörten – der österreichisch-ungarischen Doppelmonarchie. Das mehrsprachige Riesenreich scheint weit durchlässiger für Talente und Produkte auf dem Automobilsektor gewesen zu sein als zu Zeiten der darauf folgenden viel kleineren Nationalstaaten – was keine Wertung der politischen Entwicklung sein soll.
Zu den herausragendsten Fabrikaten auf (später) tschechischem Boden zählt sicher Laurin & Klement aus dem böhmischen Mlada Boleslav. Die Geschichte der Firma reicht bis 1895 zurück, soll aber hier nicht nacherzählt werden.
Denn mit dem Foto aus der Sammlung von Matthias Schmidt haben wir bereits einen gewaltigen Zeitsprung in die frühen 1920er Jahre gemacht, als sich Laurin & Klement in der neu gegründeten Tschechoslowakei wiederfand.
Nachdem man eine Weile auf Vorkriegsmodellen basierende Automobile gefertigt hatte, deren Typen mit Buchstaben bezeichnet wurden, brachte man ab 1923 eine Reihe von Neukonstruktionen heraus, die nunmehr mit dreistelligen Zahlen gekennzeichnet waren.
Die resultierende Typenvielfalt ist nicht ganz leicht zu überschauen, und es gibt in der mir zugänglichen Literatur (vor allem: L&K – Skoda, Jahre des Aufstiegs 1895-1945, von P. Kozisek und J. Kralik) nicht viele eindeutig angesprochene Modelle oder gar Hinweise auf äußerliche Unterscheidungsmerkmale.
Dass der zur Fahndung ausgeschriebene Wagen ein Laurin & Klement war, ist klar – das steht ja auf dem Kühlergrill. Was das „AS“ darunter bedeutet, ist schon schwieriger zu sagen, ich meine es steht für die tschechische Bezeichnung für Aktiengesellschaft.
Sie sehen, ich verlasse hier früh den Grund gesicherter Tatsachen und lade Sie ein, gemeinsam darauf hinzuwirken, dass wir das gesuchte Exemplar zur Strecke bringen.
Die Kühlerform verweist m.E auf die ab 1923 neu eingeführten Typen und es finden sich Abbildungen sehr ähnlicher Tourenwagen unter den Bezeichungen 100 bzw 105 (Nachfolger) mit 7/20 PS-Vierzylinder sowie Typ 150 mit 6/20 PS Schiebermotor nach Knight-Patent.
Ob die parallel erhältlichen Modelle wie der fabelhafte Sechszylindertyp 450 (19/60 PS) ähnlich aussahen, nur größer waren, kann ich nicht sagen.
Meine vorläufige Vermutung ist, dass das Foto von Matthias Schmidt einen der kleinen Vierzylinder mit 1,7 bzw. 1,5 Litern Hubraum zeigt, wie sie bis zur Übernahme durch Skoda 1925 gebaut wurden.
Wer es genau weiß, möge sich bitte vertrauensvoll per Kommentar melden.
Sachdienliche Hinweise sind aber auch zu einem anderen Detail erwünscht: Der Originalabzug des heute gezeigten Fotos weist eine leicht erhabene Rasterstruktur auf, die ich auch bei anderen zeitgenössischen Aufnahmen der 1920er Jahre bemerkt habe.
Im Scan wirkt diese Struktur eher störend, aber in natura scheint sie den Eindruck größerer Schärfe zu erzeugen. Von daher würde ich meine heutige Rasterfahndung auf dieses Detail erweitern wollen – ebenso auf das Kennzeichen, mit dem ich nichts anzufangen weiß.
Abschließend will ich den Blick auf ein Element lenken, was uns zwar in der Sache nicht weiterbringt, aber von dokumentarischem Wert ist: die Stoßstange.
Dieses sicher aus dem Zubehörhandel stammende Teil scheint so konstruiert zu sein, dass es bis zu einem gewissen Tempo die Aufprallenergie aufnehmen kann, indem sich das Oval verformt, mit dem die Stange am vorderen Rahmenausleger befestigt ist.
Es gab ähnlich einteilige Ausführungen auch bereits mit Teleskopdämpfer, doch dieses Exemplar scheint mir eine sehr frühe Ausführung zu sein. Also scheint sich der Blick aufs Detail im Zuge einer Rasterfahndung doch auszuzahlen, meine ich…
Michael Schlenger, 2024. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.