Wirklich erlesen! „Elite“-Spitzkühler-Tourenwagen

Heute befassen wir uns mit dem schillernden Begriff der Elite – da müssen Sie durch, auch wenn’s nicht immer jedem passt. Aber ein Blog lebt von der subjektiven Inspiration des Autors – ohne die könnten Sie hier nicht tausende Porträts von Vorkriegsautos kostenfrei lesen.

Also was sagt uns „Elite“? Irgendetwas Exklusives, Abgehobenes, vielleicht? Ist das etwas Positives oder eher Negatives? Nun, es kommt wie immer darauf an.

Von der Wortherkunft her ist der Begriff positiv. Er geht auf das lateinische Verb „eligere“ zurück, das Auslesen nach Qualität bezeichnet – ob bei Äpfeln, Birnen oder Volksvertretern.

Im Französischen wurde durch das Verschleifen der Konsonanten daraus „élire“ und die Franzosen waren auch diejenigen, die daraus das Hauptwort „l’elite“ abgeleitet haben.

Nicht zufällig spielt das Elitedenken bei der Auslese der politischen Führer in unserem von jeher zentralistisch geprägten Nachbarland eine wichtige Rolle. Die Führungsschicht rekrutiert sich meist aus Absolventen spezieller Elitehochschulen – Kritiker bezeichnen das Ergebnis als eine Art Politadel, der sich aufführt, als hätte es nie eine Revolution gegeben.

Dass die Eliten auch unseres Landes bzw. in den EU-Führungszirkeln keine Selektion mehr im Sinn einer Besten-Auslese mehr darstellen, ist ausgeschlossen. Denn das sind unsere Angestellten, die wir dafür entlohnen, Probleme zum Vorteil der Bürger zu lösen, nicht wahr?

Somit ist es abwegig anzunehmen, dass die Eliten unserer Tage in Wahrheit nicht auserlesen sind, sondern ihre Privilegien bisweilen bloß ersessen, ererbt, ermogelt usw. haben. Das wäre ja wirklich unglaublich!

Nachdem wir geklärt haben, dass mit unseren Eliten alles zum Besten steht, vom unkorrumpierbaren Bürgermeister bis zum politisch strikt neutralen Bundespräsidenten, können wir beruhigt zum unterhaltsamen Teil in Sachen „Elite“ übergehen.

Unter der Marke „Elite“ wurden von der gleichnamigen AG ab 1913 in Brand-Erbisdorf (Sachsen) PKW und Nutzfahrzeuge gebaut. Die Geschichte der Firma ist dermaßen verwickelt, dass ich diesbezüglich auf den mehrseitigen Abriss in „Ahnen unserer Autos“ von Gränz/Kirchberg (1975) verweise – ein heute noch nützliches Werk, nebenbei.

So chaotisch die Unternehmenstrategie war – wenn man überhaupt davon sprechen kann – so erlesen wirken die Elite-Wagen, welche speziell Anfang der 1920er Jahre entstanden:

„Elite“-Vierzylinder-Tourenwagen der frühen 1920er Jahre; Originalfoto: Sammlung Jason Palmer (Australien)

Wirklich erlesen erscheint hier alles – vom schicken Spitzkühler mit „Elite“-Schriftzug und typischem Markenemblem bis hin zu den abgebildeten Personen.

Wie so oft auf Fotos von Vorkriegswagen hat sich der Besitzer in elitärer Manier hinter’s Lenkrad geklemmt, während der Chauffeur, der die Fuhre eigentlich am Laufen hält, auf eine subalterne Position verbannt wurde.

Das lassen wir jetzt mal unkommentiert, zumal die Eliten jener Zeit das Können ihrer Fahrer in der Regel sehr zu schätzen wussten und ihnen mit dem gebotenen Anstand begegneten.

Was den abgebildeten „Elite“-Wagen angeht, geht mein Dank an Jason Palmer aus Australien, der Oldtimer-Sammler und ein hervorragender Kenner speziell europäischer Modelle ist. Er stellt mir immer wieder einzigartige Dokumente in der Hinsicht zur Verfügung.

Es gibt zwar eine umfassende Gesamtdarstellung der bis 1929 gebauten „Elite“-Personenwagen von Malte Krüger („Der Luxus-Automobilbau der Elite-Werke in Brand-Erbisdorf„, in: Die Geschichte der Verwaltung in Sachsen und der Region Freiberg, Festvorträge anlässlich der Vergabe des Andreas-Möller-Geschichtspreises 2006, hrsg. von der Stiftung für Kunst und Kultur der Kreissparkasse Freiberg, 2008)

Doch trotz des detaillierten Abrisses der Firmen- und Modellgeschichte, muss ich mich im vorliegenden Fall auf Vermutungen stützen, da es nur wenige Aufnahmen klar datierter und typmäßig genau bestimmter Elite-Wagen gibt.

Die Kleidung der Insassen – speziell der Damen – spricht für eine Aufnahme der frühen 1920er Jahre, wozu auch die Art der elektrischen Beleuchtung mit schüsselförmigen Hauptscheinwerfer und darunter angebrachten kleinen Lichtern (Positionslampen oder zur Ausleuchtung von Kurven) passen würde.

Bei den Elite-Wagen scheint man bis etwa 1924/25 an dem Benz-ähnlichen Spitzkühler festgehalten zu haben. In dieser Zeit wurde neben Vierzylindermotoren mit 40-50 PS auch ein Sechszylinder mit 55 PS angeboten. Die Haubenlänge spricht hier für einen 4-Zylinder.

Technisch scheinen diese Wagen noch ganz auf Vorkriegsstand gewesen zu sein. Ihre durchaus beachtliche Leistung bezogen sie im Wesentlchen aus relativ großen Hubräumen, die über denen gängiger deutscher Wagen jener Zeit lagen.

Sie sahen daher eindrucksvoller aus, als sie es tatsächlich waren – sehr teuer waren die „Elite“-Wagen obendrein. Doch scheint es gerade der schöne Schein gewesen zu sein, der einigen Exemplaren die Wertschätzung eingebracht hat, welche ihr Überleben ermöglichte.

Und nun verneigen wir uns nochmals gedanklich vor Jason Palmer aus Australien, der uns nämlich noch ein weiteres wirklich elitäres Vergnügen beschert hat.

Ja, es haben einige immer noch beeindruckende Elite-Wagen in Ostdeutschland überlebt. Aber. liebe Leser, jetzt schauen Sie sich einmal dieses Gerät an – das in Australien die Zeiten überdauert hat – Jason Palmer hat es vor einiger Zeit für uns fotografiert:

„Elite“-Vierzylinder-Tourenwagen der frühen 1920er Jahre; Bildrechte: Sammlung Jason Palmer (Australien)

Hier haben wir einen Elite 12/40 PS von 1923, der anno 1924 nach Australien gelangte und dort einen siebensitzigen Tourer-Aufbau der Karosseriebaufirma Cheetham & Borwick erhielt.

2017 wurde die Restaurierung dieses wohl einzigartigen „Elite“ abgeschlossen. Ist das nicht ein großartiges Beispiel für eine wirklich gelungene Auslese über Zeiten und Regionen hinweg?

Jason Palmer hat sich seinerzeit die Mühe gemacht, das schöne Kühleremblem für uns in bester Qualität aufzunehmen:

„Elite“-Vierzylinder-Tourenwagen der frühen 1920er Jahre; Bildrechte: Sammlung Jason Palmer (Australien)

Kann es sein, dass sich die eigentliche Elite unserer Tage – im Sinne von Kennern mit erlesenem Geschmack und sicherem Urteil – nicht auf Teppichetagen staatsnaher Konzerne und in gepanzerten Limousinen findet, sondern schlicht auf dem Boden der Tatsachen?

Michael Schlenger, 2024. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

4 Gedanken zu „Wirklich erlesen! „Elite“-Spitzkühler-Tourenwagen

  1. Ausnahmen bestätigen die Regel, würde ich sagen. Das Studium hunderter solcher Fotos lässt auf eine durchaus respektvolle Behandlung dieser Spezialisten schließen. Wer sich 100.000 km wie der letzte Dreck behandeln lässt, ist entweder sehr leidensfähig oder erzählt eine Geschichte, mit der sich gutes Geld verdienen lässt. Man muss die Fahrer der damaligen Zeit auch in Relation zur Arbeitswirklichkeit in der Landwirtschaft, in den Fabriken und Bergwerken, auf Schiffen und in anderen gefährlichen Umfeldern sehen. Ihr Job war privilegiert, gut bezahlt und bot viele Aufstiegschancen in Bereichen wie Taxigewerbe, Werkstätten und Autohäusern. Über schlechte Behandlung jammern heute auch Leute mit 32 Stunden-Woche und sechs Wochen bezahltem Urlaub – wer sich zum Opfer stilisieren will, schafft das immer.

  2. Nun ja, diesem „hochgeachteten“ Chauffeur muss ich doch widersprechen. Sicherlich war das in den meisten Fällen so, daß es mehr Achtung und gute Bezahlung gab. Liest man jedoch Engler, 100.000 km mit dem Automobil – da werden Chauffeur und Mechaniker behandelt wie der letzte Dreck.
    Wie bei Allem, was der Mensch tut, scheint es auch hier ein breites Spektrum gegeben zu haben.

  3. Vielen Dank, Herr Hirmer. Was die erwähnten „Eliten“ angeht, welche man auf dem Boden der Tatsachen findet, sind natürlich die Vertreter des Fußvolks gemeint, die sich durch echte Kompetenz, kritisches Denken und eigenes Urteil auszeichnen und dadurch nachhaltig „geerdet“ sind. Mir begegnen unter den Freunden der Vorkriegsmobilität immer wieder solche Exemplare und mein Blog wendet sich insbesondere (aber nicht nur) an sie. Beste Grüße, Michael Schlenger

  4. Hallo Herr Schlenger,

    Vielen Dank für den erneut fantastischen Elitebericht mit solch einmalig hochwertigen Aufnahmen. Die Einordnung der politischen Eliten ist m.E. ein Volltreffer, besser kann man es nicht beschreiben. Lediglich bei der abschließenden Fragestellung, bin ich mir nicht so ganz sicher, ob das Level „auf dem Boden der Tatsachen“ inzwischen nicht unterschritten wird.

    Mit freundlichen Grüßen
    Wolfgang Hirmer

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