Die Schrumpfung des Erwerbstätigenpotenzials – ergänzt durch die noch schneller sinkende Zahl der Erwerbswilligen – verlangt zunehmend Kreativität, wenn der Laden in deutschen Landen halbwegs am Laufen gehalten werden soll.
Nicht zufällig werden für deutsche Rentner die Möglichkeit des Nebenverdiensts immer großzügiger gestaltet, denn rüstige Senioren sind gefragt und die Renten sind mickrig.
Man muss ja nicht so weit gehen wie zu Zeiten der römischen Republik vor Einführung der Berufsarmee ab etwa 100 v. Chr.
Damals griff man man bei den wehrpflichtigen Bürgern neben den „iuniores“ – den bis 45-jährigen – notfalls auf die „seniores“ zu, also die Älteren. Diese konnten auch mal über 60 sein – entscheidend war die Fähigkeit zum bewaffneten Einsatz.
Was aus der Spätphase des 2. Weltkrieg bekannt ist, als das nationalsozialistische Regime neben Kindern auch alte Männer in den Kampf schickte, sofern diese nicht von einzelnen Militärs wieder nach Hause geschickt wurden – das gab es auch bereits im 1. Weltkrieg – allerdings in einer wenig beachteten Variante.
Denn offenbar schreckte man damals nicht davor zurück, noch auf rüstige Senioren in Form von Veteranenautos zuzugreifen!
Leser Jürgen Klein stellte mir in digitaler Form das passende „Beweisfoto“ zur Verfügung:

Wenn Sie diese rund 110 Jahre alte Aufnahme ratlos lässt und Sie nur ein altertümliches Automobil mit einem lederbejackten Chauffeur sehen, dann muss ich für Aufklärung sorgen.
Der quasi an seinem Arbeitsplatz aufgenommene Herr ist nämlich bei näherer Betrachtung als Mitglied der Kraftfahrertruppe des deutschen Heeres zu erkennen.
Diese Männer trugen im 1. Weltkrieg ein auf dem Jackenkragen angebrachtes Emblem in Form der Silhouette eines Automobils mit geschlossenem Aufbau. Die übrige Kleidung war – von Koppel und „Knobelbechern“ abgesehen – an die rustikale Lederkluft damaliger Chauffeure angelehnt:
Leser meines Blogs wissen natürlich, dass ein Automobil ab 1914 wesentlich moderner aussah.
Der Übergang von Motorhaube zur Windschutzscheibe war dann harmonisch gestaltet, die Partie zwischen Trittbrett und Aufbau war geschlossen, sodass man Chassisrahmen und Trittbrett nicht mehr sah. Auch das Fahrerabteil besaß nunmehr Türen.
Ein geeignetes Vergleichsfoto ist dieses, welches einen großen Opel von 1913/14 ebenfalls im 1. Weltkrieg im von deutschen Truppen besetzten St. Quentin in Frankreich zeigt:
Zwei Dinge hatten die Wagen auf den beiden Fotos jedoch gemeinsam:
Zum einen sind sie an der leichten Neigung der durchgehenden Reihe von Luftschlitzen in der Motorhaube als Opel zu erkennen.
Zum anderen zählten sie bei Erscheinen jeweils zu den Spitzenmodellen der Rüsselsheimer Marke, welche damals noch das gesamte Spektrum vom leichten Einsteigermodell bis zur schweren Luxuskarosse abdeckte. Beides kennt man von Opel schon lange nicht mehr…
Der in St. Quentin vor dem Rathaus abgelichtete Wagen dürfte die 70 PS starke Ausführung mit 7,3 Liter großem Vierzylindermotor gewesen sein.
Dieses Modell löste ab 1910 die veralteten Typen 30/50 PS bzw 35/60 PS ab, welche bei vergleichbarem oder sogar noch größerem Hubraum weit weniger leistungsfähig waren, aber zu ihrer Zeit Automobile der Spitzenklasse darstellten.
Wahrscheinlich sehen wir so einen Veteranen von anno 1909 auf dem Foto von Jürgen Klein. Damals entsprachen 5 Jahre einer ganzen Autogeneration in technischer wie gestalterischer Hinsicht.
Das erklärt, weshalb die eingangs gezeigte große Opel-Limousine im 1. Weltkrieg wie aus einer anderen Zeit wirkte. Sie zählte zwar zu den Rentnern, war aber in der Praxis noch so rüstig, wie man sich das beim Militär mit seiner chronischen Knappheit an geeignetem Material nur wünschen konnte.
Wer auch immer mit diesem Vertreter der Senioren-Fraktion unterwegs war, wird keinen Mangel bemerkt haben. Der Wagen war bei guter Instandhaltung in Bestform und wer wollte nicht auf einen Veteranen vertrauen, wenn es darauf ankam?
Dass es die Menschheit nicht gelernt hat, ihre Konflikte anders zu lösen und immer wieder Kriege provoziert oder vom Zaun gebrochen werden, das steht auf einem anderen Blatt.
Hoffen, wir, dass es in unseren Tagen einigen rüstigen Senioren gelingt, demnächst einen Waffenstillstand vor Europas Haustür zuwegezubringen und jüngeren Heißspornen zuvorzukommen, die nicht wissen, wovon sie reden und was sie riskieren…
Michael Schlenger, 2024. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.
Besten Dank für die sachkundigen und interessanten Ergänzungen bzw. Korrekturen – man lernt nicht aus! Für einen Moment dachte ich aufgrund des repräsentativen Erscheinungsbild des Opels ebenfalls an einen Wagen aus der königlichen Garage – Opel war damals in diesen Sphären ja durchaus vertreten…
Hallo Herr Schlenger,
da mich ihr heutiger Beitrag in dreifacher Hinsicht interessiert – einmal als Sammler von Opelfotos – einmal als Sammler von Fotos von Automobilen im Dienste der Kaiserlichen Armee im 1. Weltkrieg – und einmal als Hobby-Uniformkundler für militärische Uniformen dieser Armee fühle ich mich motiviert ein paar Anmerkungen zu machen.
Auch wenn betagtere Automobile im 1. WK auf deutscher Seite Dienst taten, ist das schöne Foto von Herrn Klein sehr wahrscheinlich ein Vorkriegsfoto. Das preußische Kraftfahrbataillon entstand nämlich bereits im Jahre 1911. Auch die Uniformen, hier die Kraftfahr-Sonderbekleidung aus Leder, gab es mit der Aufstellung dieser Einheit bereits. Dabei war das truppengattungsspezifische Abzeichen für die Kraftfahrtruppen nicht, wie von Ihnen geschrieben, das Automobil-Abzeichen auf dem Kragen, sondern das große „K“ auf den Schulterklappen (neben anderen spezifischen Merkmalen beim Bunten Rock und der feldgrauen Uniform, z.B. Doppellitzen am Kragen und die Waffenfarbe „schwarz“ der Verkehrstruppen). Das aus Zink hergestellte Automobil-Abzeichen am Kragen trugen nur Fahrzeugführer mit Militärführerschein, also ein kleiner Bruchteil der Soldaten der Kraftfahrzeugtruppe. Neben diesem Abzeichen eines Automobils als Limousine gab es noch eines (das wohl später im Krieg eingeführt wurde), das einen „moderneren“ Tourenwagen darstellt. es ist recht selten. Für die Kraftradfahrer (Motorradfahrer) wurde als Zeichen für Kraftradführer ein entsprechendes Abzeichen in Form eines Motorrades eingeführt, allerdings erst ab dem 13. 08. 1915. Diese Abzeichen auf Fotos sind sehr selten zu finden.
Die Größe und vor allem die Farbe des Opels auf dem Foto von Herrn Klein (in Deutschland aufgenommen) könnte dafür sprechen, dass das Fahrzeug aus dem kgl. preuß. Wagenpark stammt. Es könnte ein Mitglied des kgl. Hofes transportiert haben, dass sich nun in dem Restaurant (siehe Schild) bei gutem Essen an einer Besichtigungskritik des benachbarten Artillerie-Regiments beteiligt (wiederum: siehe Schild). Aber das sind nur fröhliche Spekulationen. Denn wofür gibt es schließlich Offizier-Kasinos 😉
Schöne Grüße,
KD