Von Berlin nach Entenhausen: NAG-Protos Sport-Cabrio

Noch ein Tag bis zum Fund des Jahres in meinem Blog – ich darf Ihnen versichern, der erspart Ihnen jedes Feuerwerk. Mir wird er noch einen Haufen Arbeit machen, aber ich mache das ja alles freiwillig und staune immer wieder, was man alles dabei erfährt.

So auch heute, als ich leichtsinnigerweise einen mir einfach erscheinenden Fall vornahm, der mir nicht viel Mühe und Ihnen viel Freude bereiten sollte.

Dabei geht es um einen alten Bekannten, der einem wie ein guter Freund immer ein willkommener Anblick ist. Er mag sich etwas rar machen – das ist seine Art und das muss man akzeptieren – doch wenn man seiner nach längerer Abwesenheit ansichtig wird, ist man jedes Mal wieder aus dem Häuschen.

Hier noch das Abschiedsfoto vom letzten Besuch – er hatte es eilig und zeigte uns bereits die Rücklichter – das war in Passau:

NAG-Protos 16/80 PS Typ 208 Sport-Cabriolet; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Den Schlingel mit den zwei Nummernschildern am Heck – heute undenkbar – hatte zwischenzeitlich Leser Klaas Dierks aus anderer Perspektive vor die Flinte bekommen und in Form dieses Konterfeis dokumentiert.

Hier kommt die gute Figur unseres alten Freundes bereits perfekt zu Geltung – eine athletische Erscheinung mit trainierter Muskulatur genau dort, wo man sie braucht, ansonsten mit schlanker Taille und keinem Gramm Speck auf dem Leib.

NAG 16/80 PS Typ 208 Sport-Cabriolet; Originalfoto: Sammlung Klaas Dierks

So ein tief auf der Straße liegendes Sport-Cabriolet mit sprungbereiter Erscheinung bekommt heute keiner mehr hin – der Jaguar XK120 verkörperte diesen Stil in den 1950er Jahren wohl ein letztes Mal in ultimativer Perfektion, meine ich.

Und noch dazu war unser alter Freund nicht nur eine sportliche Erscheinung – er wusste auch von der Papierform her zu beeindrucken: 80 PS aus 4 Litern Hubraum, das versprach Anfang der 1930er Jahre starken Antritt und vor allem Elastizität im Gebirge.

Er war zwar kein Sprinter – bei Tempo 110 war Schluss, dafür sorgte die werksseitig verbaute Übersetzung. Aber wenn es bergauf ging, besaß dieser großvolumige Wagen das Drehmoment, um schaltarm zum Gipfel zu gelangen.

Solche Bergsteigerqualitäten waren in der Vorkriegszeit für viele Käufer in deutschen Landen wichtiger als Beschleunigung und Höchsttempo. In Britannien und Italien verfolgte man damals eine andere Philosophie – doch der Reiz von Europa lag und liegt gerade in den Unterschieden, sonst könnte man ja gleich zuhausebleiben, nicht wahr?

Was man aber wohl am meisten an unserem alten Freund schätzte, war seine stilistische Klasse, die bis heute als Vorbild gelten könnte, wenn sich dafür jemand interessierte:

NAG-Protos 16/80 PS Typ 208 Sport-Cabriolet; Originales Pressefoto aus Sammlung Michael Schlenger

Gewiss, speziell italienische Manufaktur-Karosserien der 1950/60er Jahren erreichten nochmals einen ähnlichen Grad an ästhetischer Wirkung – in ihrer skulpturenhaften Anmutung den besten Werke von Antike und Renaissance vergleichbar, behaupte ich.

Doch, liebe Leser, Sie wissen das: Die besten Vorkriegswagen der 1930er Jahre spielten in einer eigenen Liga.

Nie zuvor und nie danach wurden dermaßen beeindruckende Persönlichkeiten auf vier Rädern geschaffen, die in einem schwer begreiflichen Kontrast zu den sonstigen bedrückenden Verhältnissen der Zeit standen:

NAG-Protos 16/80 PS Typ 208 Sport-Cabriolet; Originales Pressefoto aus Sammlung Michael Schlenger

Über fünf Meter in der Länge maß dieses von der altehrwürdigen Berliner Firma NAG kurz vor ihrem Ende gebauten Sport-Cabriolet des Typs 208.

Ich kann mir nicht vorstellen, dass irgendjemand dieses Gefährt „zu groß“ findet, auch wenn heuztzutage und hierzulande sonst so viel Propaganda für „Downsizing“, Schrumpfen, Kaltduschen und andere frühmittelalterliche Verzichtstugenden gemacht wird.

So wie wir nicht weniger Energie verbrauchen sollten, sondern im Gegenteil viel mehr benötigen, um den Laden am Laufen zu halten und den Lebensstandard wieder zu heben, so brauchen wir auch die Lust am Exzess in der Nische, die Freude am Überfluss, den Wunsch nach dem Grandiosen und Erhabenen jenseits aller Notwendigkeit.

Daran erinnert uns wohlwollend unser alter Freund, der uns heute zum letzten Mal in diesem Jahr begegnet auf einem Foto, das ich erst kürzlich in einem eigentümlichen Konvolut fand, welches Teile des Archivs von Hans-Heinrich von Fersen umfasste:

NAG-Protos 16/80 PS Typ 208 Sport-Cabriolet; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger, Copyright: J.A. Sural (Hanau)

Nach dem bereits Gebotenen werden Sie vielleicht denken, dass diese Aufnahme dem NAG-Protos 208 Sport-Cabriolet keine neuen Seiten abzugewinnen vermag.

Das ist richtig. Aber ausgerechnet dieses unscheinbare Foto transportiert uns aus dem Berlin der frühen 1930er Jahre auf Umwegen nach Entenhausen und das geht so:

Auf der Rückseite des Abzugs befindet sich der Stempel „Photo-Coypright J. A. Sural, PO Box 767, Hanau, West Germany„.

Alles, was ich zur Hanauer Firma „J.A. Sural, Hanau“ finden konnte, ist der Umstand, dass es sich um einen Lizenzträger von Walt Disney handelte, der in den 50ern u.a. die Figuren aus der Donald Duck-Serie reproduzierte. Das tat die Firma etwa in Form einer Keramikfigur, welche den tragikomischen Helden aus Entenhausen mit einer Uhr zeigt.

So, liebe Leser, jetzt wissen Sie, wie man von einem mondänen Luxusgefährt aus dem Berlin der Vorkriegszeit in die Entenhausener Niederungen der Nachkriegs-„Kultur“ gelangt. Es brauchte dazu bloß gut 15 Jahre und deutsche „Gründlichkeit“.

NAG ist schon lange Geschichte und weitgehend vergessen, doch Entenhausen ist nach Jahrzehnten immer noch quicklebendig. Was einem das über den Zustand der sich immer noch überlegen dünkenden europäischen Kultur verrät, sei dahingestellt.

Michael Schlenger, 2024. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

4 Gedanken zu „Von Berlin nach Entenhausen: NAG-Protos Sport-Cabrio

  1. Dieses doppelte Kennzeichen ist durchaus keine Modeerscheinung, sondern wurde mit Gültigkeit des §53 der STVZO, in Kraft getreten 01.01.1938, eingeführt.
    Diese beinhaltete u.a. die Einführung einer 2. Rückleuchte für Neufahrzeuge. (für’s Bremslicht reichte eines, Kennzeichenbeleuchtung, Fernlichtkontrolle…). Damit das Heck mit 2 Rückleuchten nicht so leer aussah, hat u.a. Wanderer diese Variante mit 2 Kennzeichen angeboten.
    Ich kann hier keine Datei anhängen, kann den Artikel von Th. Erdmann in den Wanderer-Mitteilungen vom April 2024 aber gern zusenden.
    Viele Grüße, alles Gute und unfallfreie Fahrt in 2025.

  2. An eine Modeerscheinung glaube ich nicht und kann mich noch ganz vage daran erinnern, mal etwas über eine damalige Vorschrift gelesen zu haben, die besagte, dass im Fall heckseitiger „Anbauten“, die den schräg seitlichen Blick (der am Straßenrand stehenden Ordnungshüter) auf das Kennzeichen einschränkt, ein Zweitkennzeichen auf der anderen Heckseite angebracht sein muss. Die Seitenansicht des NAG im 2. Foto zeigt diese Situation recht eindrücklich.

  3. Sehr schönes Auto.
    Die doppelten hinteren Nummernschilder habe ich schon mehrfach auf Bildern gesehen.
    Gab es da eine Vorschrift, oder war es eine Modeerscheinung ?
    Danke

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