Normalerweise pflege ich zwecks Identifikation spezieller Typen von Vorkriegswagen Radbolzen und Haubenschlitze zu zählen – oft liefert das wertvolle Hinweise. Tendenziell ist dabei eine größere Zahl als Indiz für eine stärkere Motorisierung zu werten.
Wenn ich heute zur Abwechslung Fenster zähle, dient das grundsätzlich demselben Zweck, denn heute gilt es, die Cabriolet-Version des ab 1936 gebauten Wanderer W50 mit 2,3 Liter Motor von den parallel erhältlichen Ausführungen W40 und W45 abzugrenzen.
Dank der vorbildlichen Literatur zu der sächsischen Traditionsmarke (Erdmann&Westermann: Wanderer Automobile, Verlag Delius-Klasing) können wir uns heute in solchen Details verlieren – wie immer anhand geeigneter Originalfotos.
Dabei bestätigt sich die Erkenntnis, dass bei nur kleiner Grundgesamtheit die Verteilung unterschiedlicher Merkmale rein zufällig schwanken kann – also nicht repräsentativ ist.
So liegen mir vom 2-fenstrigen Wanderer-Cabriolet jener Zeit doppelt so viele Fotos vor wie von der 4-fenstrigen Version – tatsächlich wurde letztere aber weit öfter gebaut.
Doch machen wir die Sache konkreter, denn Sie wollen ja nicht über angemessene Stichprobengrößen belehrt werden, sondern wollen vor allem etwas sehen. Also beginnen wir mit diesem netten Dokument:

Ungeachtet der mäßigen Qualität dieses Abzugs lässt sich das markentypische geflügelte „W“ auf der Kühler erahnen. Die eigentümliche Gestaltung der Luftschlitzer in der Haube gabe es zwar schon beim Typ W240/245 ab 1935, doch die hohe seitliche „Schürze“ am Vorderkotfügel verweist auf den 1936 eingeführten Nachfolgertyp W40/45/50.
Die Motorvarianten – ein 2 Liter (40 PS) und ein 2,3 Liter (55 PS) – waren unterdessen gleichgeblieben. Allerdings merkte man bei Wanderer bald, dass der W40 untermotorisiert war, sodass es das 2-Fenster-Cabriolet bald nur noch als W45 (55 PS) gab.
Verwirrend, nicht wahr? Egal, denn es gibt auf dem Weg zum eigentlichen Kandidaten des heutigen Blog-Eintrags noch Bemerkenswertes zu besichtigen.
Hier haben wir das 2-Fenster-Cabriolet von Wanderer – übrigens meist mit Aufbau von Gläser (Dresden) – aus einer ungewöhnlichen Perspektive:
Ob das winzige Rückfenster eine gute Idee war – gestalterisch wie funktionell – lassen wir einmal dahingestellt sein.
Mit vielen überholwilligen Automobilisten war im verkehrstechnisch rückständigen Deutschland der 1930er unterwegs kaum zu rechnen.
Ohnehin fuhr sich so ein Wanderer-2-Fenster-Cabrio weit angenehmer offen – auch wenn der BDM-Wimpel des nationalsozialistischen „Untergau 1“ hier eher unangenehm wirkt:
Wir kommen an der inflationären Präsenz des Hakenkreuzes ab 1933 in deutschen Landen leider nicht vorbei und es ist zwecklos, vor dem faschistischen Kulturbruch Deutschlands die Augen zu verschließen.
Die Ergebnisse dieser fatalen Epoche wirken bis heute fort, nicht nur in den vielen im Krieg zerstörten Städten, sondern auch in der vererbten Verstörung vieler Deutscher, denen eine gelassene Einstellung zur eigenen Nation unendlich schwerfällt.
In meinem Fall dürfen Sie sicher sein, dass ich das Hakenkreuz auf solchen Fotos stets nur aus dokumentarischen Gründen zeige – mir ist jede totalitäre, kollektivistische und egalitäre Ideologie zuwider – egal, in welcher Farbe sie angestrichen ist.
Noch kurz vor dem Krieg posiert hier ein dandyesk wirkender Herr vor seinem Wanderer W40/45-Cabriolet mit 2 Fenstern – ein erfreulicher Kontrast zu den sonst oft zu sehenden pseudomilitärisch zurechtgemachten feisten Zeitgenossen:
Ähnliches ist über den sympathisch wirkenden jungen Mann auf der folgenden Aufnahme zu sagen – seine Montur deutet darauf hin, dass er einem ehrlichen Beruf nachging, bei dem man sich die Hände schmutzig machte, ohne deshalb ein schlechtes Gewissen haben zu müssen.
In welcher Beziehung er zu dem Wagen und der scheu dreinschauenden Insassin stand, ist unser Fantasie überlassen – alles ist möglich auf diesen Zeugnissen der Welt von gestern:
Eines lässt sich aber sicher sagen: Dieses Wanderer-Cabriolet besaß bei aller sonstigen Übereinstimmung mit den bisher gezeigten Exemplaren vier statt nur zwei Seitenfenster.
Das ist gemäß der Literatur ein untrüglicher Hinweis darauf, dass wir hier das Spitzenmodell von Wanderer – den Typ W50 – vor uns haben. Er besaß den „großen“ Sechszylindermotor mit 2,3 Litern Hubraum und 55 PS.
Mit größeren Hubraum war tendenziell eine höhere KfZ-Steuer verbunden – eine Regelung, die steuersystematisch grober Unfug ist. Denn die Hubraumsteuer oder überhaupt jede KfZ-Steuer hat keinerlei Bezug zur grundlegenden Leistungsfähigkeit eines Bürgers.
Diese ergibt sich nur aus seinem vereinnahmten bzw. verausgabten Einkommen. Nachdem das Erzielen von Einkommen schon einmal vom Staat zum Anlass genommen wurde, sich zu bedienen. ist dasselbe jedesmal der Fall, wenn das Nettoeinkommen ausgegeben wird.
Nehmen wir also an, einer kaufte sich ein neues Wanderer-Cabriolet – dann zahlte er nach Maßgabe des Kaufpreises Umsatzsteuer darauf. Das lässt sich steuersystematisch grundsätzlich mit dem Leistungsfähgkeitsprinzip in Einklang bringen.
Je nach dem, wie viel der Wanderer-Besitzer nun herumfährt, bezahlt er auf seine Ausgaben für Benzin, Öl,. Reifen, Wartung usw. jedemal Steuern. Alles schön und gut, aber: Warum zum Teufel soll er auf eine physikalische Größe wie den Hubraum seines Motors auch noch Steuern zahlen, selbst wenn die Fuhre das ganze Jahr in der Garage steht?
Wir kommen uns heute besonders fortschrittlich und schlau vor, lachen über Absurditäten wie die historische Fenstersteuer, mit denen die Leute früher willkürlich belegt wurden, um staatliche Verschwendung, Kriege, Prestigeprojekte usw. zu finanzieren.
Dabei ist die Hubraumsteuer schlicht die moderne Entsprechung der Fenstersteuer. Doch immerhin im Fall des 4-Fenster-Cabriolets auf Basis des Wanderer W50 kann ich bedingt Entwarnung geben.
Denn die zwei zusätzlichen Fenster führten ja nur im Vergleich zum 2-fenstrigen W40 zu einem Steueraufschlag, da dieser einen kleineren Hubraum (2 Liter) hatte. Nachdem das W40-Cabrio durch den ebenfalls zweifenstrigen W45 esetzt worden war, der den stärkeren Motor des W50 besaß, hatte sich die „Fenstersteuer“ erledigt…
Klingt alles ziemlich irre, war aber so und ist heute nicht viel anders.
Nur die Eleganz eines Wanderer-Cabrio, die einen alles ertragen lässt, die fehlt in unseren Tagen. Doch zum Glück haben wir die Zeugnisse von einst, die einen zumindest in ästhetischer Hinsicht bereichern, ohne dass irgendeiner dafür kassiert…
Michael Schlenger, 2025. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.
Das war zweifellos so, und wer mehr Überblick über die Welt haben wollte, fuhr ohnehin offen, wenn es nur irgend ging. Ein alter Oldtimer-Freund lieh mir mal seinen rustikalen MGA aus, was mir als verwöhnten MGB-Fahrer einiges Vergnügen bereitete. Mit aufgespanntem Verdeck kam man sich schon arg eingesargt vor, wenn es nur darum ging, den Verkehr vor sich im Blick zu behalten…
Hallo lieber MS, alte Cabrios hatten gerne Glas, ungern „Zelluloid“, hinten kleine Glas – !- fenster , lassen sich klein besser „falten“, sind stabiler und weniger bruchgefährdet, sehen brauchte man sowieso nix , weder nach hinten noch im Innenrückspiegel , Verkehr gabs nicht , rangieren brauchte man nicht, ( also am besten rundrum gar keine Fenster, ausser Frontscheibe ??? )