Zurück aus Italien nach 13 Stunden Autofahrt und gut ausgeschlafen hat mich die Heimat nördlich der Alpen wieder.
Auch wenn man die Strecke noch so genau kennt, kostet der permanente 360 Grad-Blick beim Fahren einige Kraft. Nur so kann man als Vielfahrer in den letztlich unvermeidlichen kritischen Situationen angemessen reagieren oder sogar vorausschauend sich darauf einstellen.
Hinzu kommt, dass ich wo es geht und es die Lage erlaubt, schnell fahre. Die Konzentration bei hohem Tempo lässt bei mir keine Müdigkeit aufkommen, die stellt sich eher ein, wenn es gemächlich zugeht. Man ist dann gut beraten, kurz zu halten, etwas herumzugehen oder auch ein paar Minuten die Augen zu schließen. Danach ist der Kopf wieder klar.
Freilich ist jeder anders und jeder muss selber wissen, wo seine Grenzen sind und wie er solche Trips angeht. Ich verstehe völlig die Leute, die konsequent mit Tempo 100 auf der rechten Spur ihres Weges ziehen, niemand wird dadurch beeinträchtigt. Nur zum Überholen sollte man schon um einiges schneller sein als das…
Auch mit Tempo 50 die Gotthard-Paßstraße hinauf und dann abwärts in jeder Serpentine fast zum Stillstand kommen, so etwas erlebt man ebenfalls und das muss wirklich nicht sein – es sei denn, man ist allein unterwegs und hat alle Zeit der Welt.
Damit wären wir bei diesen Herren, die es 1938 auf dem Heimweg aus Mittelitalien wahrlich nicht eilig hatten und einfach auf der Straße für Fotozwecke haltmachen konnten:

58 Kilometer waren es von hier nach Florenz und gut 10 Kilometer nach Piancaldoli in die entgegengesetzte Richtung – so ist das Straßenschild im Hintergrund zu interpretieren.
Das versetzt uns an den Raticosa-Pass, über den es von Florenz kommend auf knapp 1000 Meter Höhe Richtung Norden nach Bologna und damit in die Po-Ebene geht.
Die Straße macht einen exzellenten Eindruck, sie scheint erst vor kurzem instandgesetzt oder modernisiert worden zu sein – jedenfalls meine ich eine entsprechende Walze zur Verdichtung und Glättung des Belags im Hintergrund rechts von der hochgereckten Hand eines der drei Herren an Bord zu erkennen.
„Wuppertal kann warten“ dachten sich die Insassen des dort zugelassenen Cabriolets, als sie im Sommer 1938 anhielten, bevor sie dem Abzweig nach Norden weiter folgten:
Was den Wagen angeht, haben wir es passend zum heutigen Sujet mit einem „Wanderer“ zu tun, wie es bereits das geflügelte „W“ als Kühlerfigur verrät.
Allerdings war dieser Wanderer nicht gerade ein Musterbeispiel für die Bescheidenheit eines Pilgers zu den großen Stätten der Andacht in weltlicher und geistlicher Hinsicht, wie sie Mittelitalien in einzigartiger Dichte bietet.
Nein, dieser Wanderer war ein luxuriöser Vertreter seines Standes – mit enorm teurem Manufakturaufbau als 2-Fenster-Cabriolet von „Gläser“ aus Dresden. Den gab es als Typ W240 von Wanderer für ungeheure 5.250 Reichsmark.
Bei Erscheinen anno 1935 entsprach dieser Preis mehr als dem dreifachen Brutto-Jahreseinkommen eines sozialversicherungspflichtigen Durchschnittsverdieners in Deutschland. Von der Relation betrachtet wären das heute über 150.000 EUR.
Die Ansprache als Wanderer W 240 gelingt anhand der feinen schräggestellten Kühlerstreben in Verbindung mit dem einteiligen Feld für die Luftschlitze in der Motorhaube.
Trotz seines immensen Preises war das 1,3 Tonnen wiegende Cabrio mit 40 PS wie bereits der Vorgänger W 235 (35 PS) für ein Fahrzeug seiner Klasse noch untermotorisiert.
Wanderer reagierte schon im Herbst 1935 auf die Kritik und bot den Wagen nun mit 50 PS aus 2,3 Litern Hubraum an. Spitze 100 km/h waren damit im Land der mangels Autobesitzern leeren Autobahnen wenigstens diesen exklusiven Gefährten möglich.
Ob „unser“ Wanderer noch das 2 Liter Aggregat mit 40 PS besaß oder die speziell für Reisen über die Alpen eher geeignete 2,3 Liter-Variante mit 50 Pferdestärken, muss offen bleiben. Die Literatur liefert keine Hinweise auf äußerliche Unterscheidungsmerkmale.
Dass wir es tatsächlich mit dem 2-Fenster-Cabrio zu tun haben (es gab auch eine 4-Fenster-Version), ist auf dem nächsten Foto zu erkennen, das denselben Wagen zeigt:
Fotografiert wurde der Wanderer an der linken Uferseite des Gardasees mit Blick auf Riva an dessen Nordende.
So ist es auf der Rückseite vermerkt und das lässt sich auch dann problemlos verifizieren, wenn man noch nie am Gardasee war, den die Italiener bisweilen ironisch als „Deutschlands südlichsten See“ bezeichnen.
„Wuppertal kann warten“ werden die Insassen auch bei dieser Gelegenheit gedacht haben. Ich kann das auch ohne Berücksichtigung der sich damals verschärfenden politischen Situation und des alsbald begonnenen 2. Weltkriegs nachvollziehen.
Unsere „Wandersleute“ scheinen es wahrlich nicht eilig gehabt zu haben. Denn nur kurze Zeit spät hielten sie abermals an und machten diese Aufnahme ihres wackeren Wagens:
An dieser Stelle bricht die Bildüberlieferung ab und – egal, was noch kam, die Verhältnisse sollten sich kaum zum Besseren wenden. Was aus den Insassen wurde, welchen Anteil sie am politischen und militärischen Geschehen hatten, das wissen wir nicht.
Vielleicht hat der schöne Wanderer die Wirren der folgenden Jahre überlebt und sei es nur für eine begrenzte Zeit in Wuppertal oder nach einer Wehrmachtskarriere irgendwo sonst…
Michael Schlenger, 2025. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.
Einer huebschen Wagen. Und Mensch , was fuer eine Leiden.