Beim heutigen Radeln in Umbrien ging mir wie so oft durch den Kopf, wie einfach es doch sein kann, einen uralten Traum wahrwerden zu lassen: die Zeit anzuhalten, wenn es gerade am schönsten ist.
Hier scheint das vorzüglich gelungen zu sein – so bietet sich die Kulturlandschaft in der Valle Umbra seit gut 2000 Jahren dar:

Die Umbrer sind ein stolzer und im besten Sinne konservativer Menschenschlag – die Moderne hat bei ihnen nur eine Chance, wo sie wirklich eine Verbesserung mit sich bringt: Mobilität, Kommunikation und Zahnbehandlung vor allem.
Ansonsten hält man die Zeit an, soweit es geht und das sogar, wenn einer etwas ganz Neues macht.
So verfolge ich seit letztem Jahr mit Sympathie den Baufortschritt bei diesem Anwesen, das im Chiona-Tal etwas erhöht in Sichtweite von Spello liegt:
Viel mehr als ein paar verfallene Mauern werden dort nicht gestanden haben, bevor dieser Neubau entstand – ich kann mich nicht erinnern, bei meinen regelmäßigen Radtouren früher dort etwas Nennenswertes gesehen zu haben.
Stück für Stück entstand dann ein Haus im lokalen Stil, nur der niedrige Anbau geht etwas in die Neuzeit hinein. Gemauert wird mit dem örtlichen beige- bzw- rosafarbenen Kalkstein, den es nur hier am Monte Subasio gibt. Auch die betonierte Einfahrt vorne wird noch mit Naturstein verblendet, da bin ich zuversichtlich.
Hier nimmt sich einer die Zeit, dieselbe anzuhalten – jedenfalls in stilistischer Hinsicht. Auch für Fensterläden und Echtholzfenster nach Maß ist gesorgt, beides ein Standard in der Region bis heute – die entsprechenden Handwerke florieren und die Leute können sich das dank soliden Wohlstands auch in der Mittelschicht leisten.
Um solche Momente zu genießen, in denen die Zeit gewissermaßen angehalten wird, muss man sich freilich selbst die Zeit nehmen anzuhalten. Im vorliegenden Fall bediente ich mich dabei dieser Zeitmaschine aus dem englischen Hause Raleigh:
Das etwas modifizierte Gerät aus den 1980er Jahren erinnert mich an eine Zeit, die von mir aus trotz Kalten Kriegs in vielerlei Hinsicht hätte anhalten können. Außer den digitalen Geräten fällt mir nichts ein, was sich seither für den Normalbürger verbessert hätte.
Die Freiheit, das Stilbewusstsein, die Kompetenz und Ordnung im Alltag von damals hätte man ruhig konservieren können, meine ich als Kind der 70/80er Jahre.
Bemerkenswert, dass man einst mit einem Bruchteil des heutigen Abgabenaufkommens die staatlichen Kernaufgaben wie Verteidigung und Infrastruktur auf heute undenkbarem Niveau wahrnehmen konnte – auch von Armutsrenten und Bildungsdefiziten war kaum die Rede.
Erst recht die Damen aus Schlesien auf dem folgenden Foto hätten gewiss gern die Zeit angehalten, zumindest was die privaten Verhältnisse angeht, wenn sie gewusst hätten, was ihnen wenige Jahre nach dieser Aufnahme blühen sollte:
Sie nahmen sich auf einer Nebenstraße in einer unbekannten Gegend Zeit anzuhalten. Und mit dieser Momentaufnahme haben sie zugleich für uns die Zeit angehalten.
Gewiss, der hübsche Hansa 1100 (1934-39) in der späteren Ausführung mit gerundetem Frontscheibenrahmen und profilierten Radkappen ist uns schon einige Male begegnet.
Ich halte ihn für einen der markantesten und gelungensten deutschen Wagen seiner Klasse in der zweiten Hälfte der 1930er Jahre und mit der Sechszylinderversion 1700 war zugleich eine gediegen motorisierte Alternative verfügbar.
Im Fotoalbum einer der Damen – vielleicht der jungen Blondine auf dem Beifahrersitz – ist die Aufnahme einst im Fluchtgepäck anno 1945 nach Westen gelangt. Heute ist dieses Foto vielleicht alles, was an den Moment von einst, die untergegangene Heimat dieser Frauen und an das erinnert, was sie damals beschäftigt oder für die Zukunft inspiriert hat.
Die Fotografie ist zusammen mit alten Handschriften, Musiknoten oder auch einem historischen Haus ein wunderbares Medium dafür, um die Zeit anzuhalten. Dafür nehmen wir uns hier immer wieder gerne Zeit, um innezuhalten, und werden immer wieder auf’s Neue belohnt, obwohl es doch vordergründig bloß um alte Autofotos geht…
Jetzt habe ich glatt vergessen, dass erst der letzte Blog-Eintrag einen Hansa zum Gegenstand hatte. Muss ich das bedauern?
Michael Schlenger, 2025. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.