Das Rätsel vom Furka-Pass: Wanderer W51/52

Gibt es im Jahr 2024 noch Bahnhofsbuchhandlungen? Ich frage deshalb, weil ich – einst passionierter Bahnfahrer – die deutsche Staatseisenbahn seit gut 10 Jahren mit Ignoranz strafe. Die Gründe dafür sind, sagen wir: vielfältig, und bedürfen keiner Vertiefung.

In meinem früheren Pendlerdasein ergab sich öfters die Gelegenheit, mir die Zeit bis zur Abfahrt im Bücherangebot auf dem Hauptbahnhof zu Frankfurt am Main zu vertreiben. Meist landete ich in der Ecke mit Reiseführern und Kartenmaterial. Doch auf dem Weg dorthin kam ich nicht umhin, die Titel typischer Trivialliteratur zur Kenntnis zu nehmen.

Das ging etwa nach diesem Schema: „Die Mumie aus dem Moor„, „Der Heiler vom Berg“ „Das Grauen im Spiegel“ usw. Sollte ich jemals in die Verlegenheit geraten, meinen Lebensunterhalt mit der Fließbandproduktion von Kriminal-, Geister- oder Ärzteromanen verdienen zu müssen, weiß ich schon einmal, wie man einen zugkräftigen Titel findet.

So sind sie doch auch schon ganz begierig zu erfahren, was es mit dem „Rätsel vom Furka-Pass“ auf sich hat, nicht wahr?

Sie werden es nicht bereuen, darauf hereingefallen zu sein und können sogar eine hübsche Aufgabe lösen, an der ich aus Zeitmangel gescheitert bin. Das ist tatsächlich der einzige Preis, den Sie bisweilen bezahlen müssen, um weiter in den kostenlosen Genuss meiner nächtlichen Berichte aus der Wunderwelt der Vorkriegsautos zu gelangen.

Los geht’s – wir haben noch einen hübschen Weg vor uns, also ist nur Zeit für einen kurzen Schnappschuss, bevor wir uns zum Furka-Pass aufmachen:

Wanderer W51 oder W52; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Na, würden Sie hier bereits Hersteller und Typ des Autos erkennen, dessen Frontpartie so wirkungsvoll in diese Gruppenaufnahme einbezogen wurde?

Rein von der Chronologie her betrachtet, liefert uns der seitlich weit heruntergezogene Kotflügel eine grobe Orientierung. Solche Kotflügel“schürzen“ finden sich erstmals beim amerikanischen Graham „Blue-Streak“ des Modelljahrs 1932.

Schon ab 1933 findet man kaum noch ein deutsches Fabrikat, das etwas auf sich hielt, welches nicht ebenfalls dieses neue Detail aufwies, das einer von vielen kleinen Schritten zur modernen Karosserie war, wie sie noch vor Kriegsende in den Staaten definiert wurde.

Bloß bei der Identifizierung hilft uns diese Beobachtung nicht weiter. Doch vielleicht haben Sie das schemenhaft erkennbare geflügelte „W“ auf der Radkappe des Ersatzrads bemerkt – Hinweis auf einen „Wanderer“ aus dem deutschen Auto Union-Verbund.

Jetzt wissen wir schon einmal, wo wir weitersuchen müssen. Zwei Dinge liefern die entscheidenden Hinweise. Im Unterschied zu den bisher vorgestellten Modellen von Wanderer, zuletzt dem Typ W21 bzw. W22 von anno 1933, wartete der Hersteller ab 1936 mit einem komplett neugestalteten Sechszylinderwagen auf.

Dieses neue Modell W51 (2,3 Liter, 55 PS) bzw. später W52 (2,6 Liter, 62 PS) bot neben autobahntauglicher Dauergeschwindigkeit von deutlich über 100 km/h eine Karosserielinie, die sich am Vorbild damaliger US-Vorbilder orientierte.

Dazu gehörte eine bullige Kühlerpartie, die nichts mehr mit der klassischen Formgebung der Vorgänger gemein hatte. Wie das von vorne aussah? Geduld, wir kommen am Ende dazu.

Erst einmal gilt es, zum Furka-Pass zu gelangen, welcher die Verbindung von der südwestlichen Schweiz in Richtung Andermatt und Gotthard herstellt. Dort sehen wir den eingangs noch etwas scheuen Wanderer nun auf gesamter Länge:

Wanderer W51 oder W52 Limousine; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Moment einmal, mögen Sie jetzt sagen: Der Wagen hat hier ja ganz andere Felgen und auch die Chromradkappen sind abhandengekommen.

Gewiss, aber die beiden Damen sind dieselben wie die in der Mitte auf dem ersten Foto, nicht wahr? Rätselhaft..

Ich habe diese Fotos zusammen mit einem dritten erworben, und sie alle zeigen einen Wanderer W51 bzw. W52 (äußerlich kaum zu unterscheiden) von 1936/37.

Es müssen einige Jahre zwischen den Aufnahmen liegen. Die zusammengewürfelte Kleidung der jüngeren der beiden Damen sowie der Zustand des Autos sehen mir nach früher Nachkriegszeit aus.

Nun fragt man sich: Woher kam dieser Wanderer, als er auf der Furka-Pass in der Schweiz fotografiert wurde?

Einen Hinweis gibt der umseitige Stempel eines Fotoladens aus Schönheide in Sachsen. Das war freilich in der Ostzone, die man auch vor dem Bau der Mauer nicht ohne weiteres verlassen konnte, außerdem brauchte man für so eine Auslandstour rare Devisen.

Sie verstehen nun sicher, warum ich mich für den Titel „Das Rätsel vom Furka-Pass“ entschieden haben – oder Sie haben eine Erklärung, auf die ich nicht gekommen bin.

Den Schlüssel zur Lösung sollte letztlich das dritte Bild aus dieser kleinen Reihe enthalten, das jedoch zugleich ein neues Rätsel aufgibt:

Wanderer W51 oder W52 Limousine; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Was meinen Sie? Ein großartiges Foto auf jeden Fall, meine ich, auch wenn es für mich mehr Fragen aufwirft als beantwortet.

Sicher kann jemand über das Nummernschild herausfinden, wo dieser alte Wanderer zugelassen war. Als Datierung der Situation würde ich „um 1960“ vorschlagen, wobei ich mich vor allem an der Frisur der jungen Dame ganz links orientiere.

Das Auto war zum Aufnahmezeitpunkt rund 25 Jahre alt, es muss aber noch so zuverlässig gewesen sein, dass seine Besitzer ihm eine solche Fernreise in den Süden zutrauten. Dass wir uns irgendwo in einer großen Hafenstadt in Südfrankreich oder Italien – vielleicht Ligurien – befinden, das ist meine vorläufige Einschätzung.

Aber wo entstand dieses Foto wirklich? Das Gebäude im Hintergrund mit den orientalisch anmutenden Spitzbögen sollte den entscheidenden Hinweis geben.

Ich bin gespannt, was an Lösungsvorschlägen für das heutige „Rätsel vom Furka-Pass“ eintrudelt – nutzen Sie bitte dazu die Kommentarfunktion. Und wenn Ihnen auch sonst noch etwas ein- oder auffällt, nur zu!

Michael Schlenger, 2024. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

Traumschiff anno 1927: Studebaker Big Six „Victoria“

Das letzte Mal, dass ich „Das Traumschiff“ sah, muss bald 40 Jahre zurückliegen. Damals wohnte ich als Schüler noch zuhause und kam in den Genuss solcher Meisterwerke des westdeutschen Staatsfernsehens.

Angeblich gibt es die Serie immer noch, aber da ich seit meinem Auszug nie wieder ferngesehen habe (den Zwangs“beitrag“ zahle ich trotzdem), weiß ich weder, wie der Dampfer heute aussieht noch wer dort als Kapitänsdarsteller fungiert.

Daher kann ich ganz unvoreingenommen (wie es meine Art ist…) an ein Gefährt gehen, welches meiner Vorstellung von einem Traumschiff viel näherkommt als die schwimmenden Massenquartiere mit x Restaurants und Einkaufszentren.

Dazu versetze ich mich in die Situation eines betuchten Paares irgendwo im deutschsprachigen Raum in der zweiten Hälfte der 1920er Jahre und stelle mir vor, was dieses wohl unter einem Traumschiff verstanden hätte.

Nun, reichlich Platz für zwei plus reichlich Gepäck, perfekten Rundumblick, die Option auf den Himmel über einem und die Aussicht auf die weite Welt direkt vor einem. Angetrieben sein sollte das Schiff von einem kraftvollen Aggregat, das unangestrengt seine Arbeit verrichtet.

Damit ließe sich kommod und elegant auf Reisen gehen, möchte man meinen. Wie das Ergebnis eines solchen schönen Traums damals aussehen konnte, das darf ich heute anhand einer Aufnahme zeigen, die ich erst dieser Tage erworben habe.

An dem Dokument gefällt mir nicht nur die traumhafte Inszenierung irgendwo an einem See im Alpenraum, sondern auch, dass es ein „Traumschiff“ zeigt, das wohl auch altgediente Kenner der Materie noch nicht oft zu Gesicht bekommen haben:

Studebaker „Big Six“ Victoria Modelljahr 1927; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Wer auch immer hier einst auf den Auslöser gedrückt hat, verstand sein Handwerk perfekt. Dieses Foto hätte jeden Verkaufsprospekt geadelt und wäre in jedem Gesellschaftsmagazin ein Glanzstück gewesen. Leider ist umseitig nichts vermerkt.

So müssen wir uns wie so oft unsere eigenen Gedanken dazu machen, was aber zum Reiz der Beschäftigung mit diesen Zeugen der Vergangenheit beiträgt.

Hand auf’s Herz: Wer von Ihnen hat schon einmal ein Fahrzeug dieses Typs gesehen? Und wer hat auf Anhieb gewusst, worum es sich handelt?

Dabei war dies kein rares Manufakturmobil, wie man aufgrund der ungewöhnlichen Karosserie vermuten konnte, die sich dadurch auszeichnet, dass sich die hintere Dachpartie wie bei einem Landaulet öffnen lässt – bloß, in Verbindung mit einem Coupé-Aufbau.

„Victoria“ nannte man das in der englischsprachigen Welt. Zufälligerweise fand sich in meinem Fotobestand eine Aufnahme, die einen sehr ähnlichen Wagen zeigt, auf dessen Nabenkappe ein „S“ zu sehen ist, ein Hinweis auf die US-Marke Studebaker:

Studebaker „Victoria“ Modelljahr 1927; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Während die Ansprache als „Studebaker“ von 1927 sicher ist, konnte ich den genauen Typ in diesem Fall noch nicht ermitteln. In Frage kommen die drei Sechszylindermodelle „Standard Six“, „Big Six“ und „President Big Six“ – mit Leistungen zwischen 50 und 75 PS.

Letztlich zählt aber nur, dass diese Aufnahme mir die Identifikation des „Traumschiffs“ als Fabrikat von Studebaker aus South Bend im US-Bundesstaat Indiana ermöglichte. Alle weiteren Details lieferte dann das Ausgangsfoto selbst.

Die Datierung auf 1927 ergibt sich aus Details wie dem langen Dachüberstand (1928 wich er einer verstellbaren Sonnenblende) und die Identifikation als „Big Six“ aus dem Vorhandensein von Scheibenrädern, welche es in dieser Form nicht beim kleineren Standard Six gab:

Den „Victoria“-Aufbau gab es beim noch größeren „President Six“ nicht, allerdings verfügte der „Big Six“ über denselben Antrieb in Form eines seitengesteuerten Reihensechszylinders mit 75 PS Höchstleistung aus satten 5,8 Litern Hubraum.

Man mag jetzt mäkeln, dass der Ventiltrieb technisch überholt war. Doch wenn ich damals die Wahl gehabt hätte zwischen einem sportlichen kleinen Aggregat mit kopfgesteuerten Ventilen und hoher Drehzahlfestigkeit und einem großvolumigen Motor mit massig Drehmoment schon bei niedrigen Touren, hätte ich als Reisewagen stets die US-Lösung bevorzugt.

Speziell auf Alpentouren waren diese bärenstarken Motoren überlegen, wenn es darum ging, schaltarm und mit nur geringer Belastung „über’n Berg“ zu kommen. Nicht zuletzt waren die US-Maschinen konstruktiv auf astronomische Laufleistungen ausgelegt.

Was in den Staaten mit ihren enormen Entfernungen gut war, konnte nicht verkehrt sein, wenn man – sagen wir – von Hamburg nach Salerno fahren wollte, weil man die unweit gelegenen grandiosen griechischen Tempel von Paestum sehen wollte.

Für solche Bildungsbürger-Träume war das Schiff von Studebaker in Form des Big Six wie gemacht und gern macht man sich Gedanken darüber, wohin es dieses junge Paar aus deutschen Landen einst mit ihrem eleganten „Victoria“ einst verschlagen hat:

Nebenbei illustriert dieser Ausschnitt, was Vorkriegswagen so anders macht als Fahrzeuge der Nachkriegszeit.

Ja, das Outfit der beiden lässt sich mit einiger Geduld noch heute rekonstruieren – und aus eigener Erfahrung darf ich sagen: man fühlt sich besonders seriös darin – doch versuchen Sie einmal diese Aufnahme mit irgendeinem Mobil der Neuzeit nachzustellen.

Auch deshalb bleiben diese großartigen vierrädrigen Schöpfungen nach so langer Zeit auf ganz eigene Weise Traumschiffe…

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Gut genug für 20 Jahre: Stoewer „Greif“

Genug von den 20er Jahren? Ist es das, was Sie vielleicht denken? Natürlich nicht in Bezug auf die Gegenwart – es ist ja alles perfekt wie nie zuvor in unseren Tagen, nicht wahr?

Aber die 1920er, die werden in meinem Blog vielleicht dem einen oder anderen zuviel. Auch wenn ich diesen unbeabsichtigten Schwerpunkt erklären kann:

Die 30er haben zwar die großartigeren Karosserie-Kreationen hervorgebracht – doch die Markenvielfalt war schon damals infolge der Auslese der Weltwirtschaftskrise arg reduziert.

Gleichzeitig bietet die Frühzeit bis zum 1. Weltkrieg zwar die größte Auswahl an Konzepten und Fabrikaten, doch aufgrund der geringen Stückzahlen ist das noch vorhandene Material nicht so umfangreich – so ergibt sich ein natürlicher Fokus auf die 20er Jahre.

Dennoch soll es heute um eine andere Ausprägung von 20 Jahren gehen – nicht als Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts, sondern schlicht als Zeitraum von 20 Jahren.

Paradoxerweise wird die Welt in diesem Zeitraum zwar einmal auf den Kopf gestellt – doch eine Konstante begleitet uns dabei und bleibt erstaunlich auf der Höhe der Zeit.

Das Auto, das sich als „gut genug für 20 Jahre“ erwies, war der 1935 eingeführte Stoewer „Greif“ – anfänglich als „Greif Junior“ bezeichnet. Die aus der Insolvenzmasse von Röhr übernommene Konstruktion stammte ursprünglich von Tatra und ist kaum noch bekannt:

Ein luftgekühlter Vierzylinder mit 34 PS – war das nicht die Spezifikation des VW Käfer ab den 1960er Jahren? Nur mit dem Unterschied, dass der Hubraum 1,5 Liter statt 1,2 Liter beim VW betrug und der Stoewer „Greif“ nur 100 km/h schnell war – verglichen mit knapp 120 km/h beim Käfer (mein gut eingestellter 1200er schaffte das jedenfalls).

Aber: Anno 1935 gab es den VW nur als Vorserienexemplar und mit sparsamen 22 PS aus 1 Liter Hubraum. Damals war Stoewers Greif also eindeutig das bessere Auto und zudem tatsächlich zu kaufen, wenn auch für den Normalbürger unerschwinglich.

Dass der „Greif“ von Stoewer gut genug für die nächsten 20 Jahre war, das will ich mit einer Bilderserie illustrieren – die entgegen sonstiger Gewohnheit mit wenigen Worten auskommt.

Dabei unternehmen wir zugleich eine Zeitreise durch 20 Jahre deutscher Geschichte. Stellen Sie sich auf einige erstaunliche Begegnungen ein. Den Anfang macht diese elegante Limousine mit Berliner Zulassung:

Stoewer Greif; Originalfoto: Sammlung Klaas Dierks

Das Modell gab es außerdem als schicke Cabriolet-Limousine mit besonders schnittiger Optik, wie an diesem Exemplar aus Süddeutschland zu besichtigen:

Stoewer Greif; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Doch auch ein vollwertiges Cabriolet ohne die feststehenden Seitenteile der Cabriolimousine war zu bekommen – hier ein Beispiel wiederum aus dem Raum Berlin:

Stoewer Greif; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Ein adrettes Automobil war das, finden Sie nicht? Dabei kennt ihn heute kaum einer mehr.

Der Stoewer Greif wurde sogar in einem zeitgnössischen Tankstellenaushang eigens hervorgehoben – und zwar in ziemlich rasanter Form – bei dem es um Kraftstoffe für die damals in Deutschland gebräuchlichen Autotypen ging:

Standard-Reklame mit Abbildung einer Stoewer „Greif“-Limousine; Original: Sammlung Michael Schlenger

Eine weitere Aufnahme aus meinem Fundus zeigt wieder eine im Raum Berlin zugelassene Limousine dieses Typs. Hier gefällt mir vor allem der unzeitgemäße Haarschnitt des jungen Manns auf der Fahrerseite in Verbindung mit der verwegenen Krawatte:

Stoewer Greif; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Ein weiteres hübsches Dokument, das einen Stoewer „Greif“ in Friedenszeiten zeigt, ist das folgende, welches im schlesischen Liegnitz entstand. Zum Aufnahmezeitpunkt ging meine Mutter dort noch auf die Grundschule, während diese junge Dame schon volljährig war:

Stoewer Greif; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Damit hätten wir die ersten fünf Jahre der Karriere des Stoewer Greif abgedeckt.

Zwar endete im Jahr des Kriegsausbruchs 1939 die Produktion des Wagens – Stoewer baute von nun an Militärfahrzeuge – doch das Modell sollte noch ein langes Leben vor sich haben, auch wenn die Umstände denkbar ungünstig waren.

Hier sehen wir nun ein frisch für die Wehrmacht beschlagnahmtes ziviles Exemplar wohl im Jahr 1940 während des deutschen Angriffs auf Frankreich:

Stoewer Greif; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Zwei deutsche Soldaten bei der Morgenwäsche – was hier noch friedlich wirkt, stellt sich beim nächsten Dokument schon ganz anders dar. Hier sehen wir nämlich einen Stoewer Greif inmitten einer deutschen Militärkolonne während des Kriegs gegen die Sowjetunion:

Stoewer Greif; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Wie die Sache ausgeht, wenn es mit deutscher Arroganz gegen die angeblich primitiven Ostvölker geht, scheint heute bei vielen Zeitgenossen in Vergessenheit geraten zu sein.

Deshalb kann man nicht oft genug daran erinnern, was man auslöst, wenn man sich einmal leichtfertig auf die militärische Option (sofern man eine hat..) einlässt.

Daran ändert auch die vermeintliche Harmlosigkeit vieler Privataufnahmen aus Kriegszeiten nichts. Diese hier entstand im Mai 1944 – also vor genau 80 Jahren – irgendwo in Deutschland und zeigt einen Stoewer Greif im Dienst einer Luftwaffeneinheit:

Stoewer Greif; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Zu diesem Zeitpunkt war das Kriegsende nur noch ein Jahr entfernt, doch bis dahin sollte es auf deutscher Seite mehr Opfer geben als im gesamten bisherigen Kriegsverlauf.

Ob der bieder wirkende ältere Militär rechts – wohl ein Veteran des 1. Weltkriegs – „seine Jungs“ nach Möglichkeit schonte oder sie rücksichtslos verheizte, als die Front näherrückte – wer kann das wissen?

Der Krieg entfaltet seine eigene unheilvolle Dynamik – schon allein deshalb gilt es ihn möglichst zu vermeiden, sofern es nicht um das blanke Überleben eines Volkes geht.

Im Mai 1945 – rund 10 Jahre nach Erscheinen des Stoewer Greif – schwiegen zumindest in Europa die Waffen. Nicht allzulange Zeit danach entstand irgendwo in Hessen dieses Dokument, das zeigt, dass das Leben weiterging:

Stoewer Greif; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Selbst im zerbombten und in den letzten Kriegswochen zerschossenen Berlin oder dessen Umland scheint der andere oder andere Stoewer Greif irgendwie überlebt zu haben.

Jedenfalls sehen wir hier ein Exemplar, das 1952 im Grunewald abgelichtet wurde:

Stoewer Greif; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Die Cabrio-Limousine scheint die Kriegswirren gut überstanden zu haben, obwohl das Modell gern für das Militär einkassiert worden war und nur selten heil die Zeit überstand.

Noch bemerkenswerter finde ich aber etwas anderes: Der Wagen wirkt auch auf diesen Nachkriegsaufnahmen keineswegs „aus der Zeit gefallen“ oder einfacher gesagt: veraltet.

Erinnern wir uns: Anfang der 1950er Jahre war der VW Käfer nach mühsamem Beginn dank britischer Starthilfe allmählich ins Laufen gekommen. Aber damals war er immer noch dem Stoewer in vielen Belangen unterlegen.

Neben der besseren Motorisierung bot der Stoewer auch hydraulische Bremsen, während der Volkswagen – wenn ich mich nicht irre – noch mit seilzugbetätigten Bremsen unterwegs war. Natürlich funktioniert das, aber es hat schon seinen Grund, weshalb sich die Hydraulikbremse ab den 1920er Jahren – da sind sie wieder! – durchzusetzen begann.

Wie gut der Stoewer Greif auch nach 20 Jahren noch in die Zeit passte – von seiner Eleganz her – das illustriert das für heute letzte Foto, das Mitte der 1950er Jahre entstand:

Stoewer Greif; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

So sehr ich meinen Käfer für seine langjährigen Alltagsdienste (er gab erst bei 220.000 km mit erstem Motor auf) schätzte, könnte ich mir vorstellen, dass nach dem 2. Weltkrieg genausogut der Stoewer Greif das Rennen hätte machen können.

Doch das Werk in Stettin war ein Opfer des Kriegs geworden und nicht auf Großserienproduktion ausgelegt gewesen. Nur 4.000 Wagen des Stoewer Greif wurden zwischen 1935 und 1939 gebaut.

Eine ganze Reihe davon haben wir heute auf ihrem Weg durch die Zeiten begleitet und man darf wohl das Fazit ziehen, dass diese Konstruktion ohne weiteres „gut genug für 20 Jahre“ war, ohne dabei irgendwie alt auszusehen.

Sehen Sie es mir nach diesem Ausflug durch bewegte Zeiten nach, dass mich der nächste Blog-Eintrag wieder in die 20er Jahre zurückführt. Das ist auch nicht meine Schuld, vielmehr will der nächste Abschnitt der „Beckmann-Spurensuche“ angegangen werden…

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Der schiere Luxus: Ein Opel auf Reisen um 1909

Opel und Luxus – wie soll das zusammengehen? Nun, genau das werden wir heute sehen. Und wir bekommen auch wieder einmal vor Augen geführt, was für eine Errungenschaft das Auto für jedermann darstellt – auch wenn es „nur“ ein Opel ist.

Ob an die Nordsee, um die belebende Wirkung einer frischen Meeresbrise zu spüren und gedankenverloren in die Brandung zu schauen – ob in die Alpen, um sich über den Alltag zu erheben und angesichts der Erhabenheit der Natur Demut ob der eigenen Kleinheit zu empfinden – ob an die Biscaya, um den wahren Ozean zu sehen und sich hinaus über den Atlantik zu träumen – ob tief ins Baltikum hinein, um alte Kulturlandschaft zu erkunden und vielleicht Spuren der Vorfahren nachzugehen…

Das ist das Versprechen des Automobils und wir verfügen heute in der Hinsicht über Mittel, die einst nur einer winzigen Schicht zu Gebote standen. Das ist zugleich die Geschichte, welche die beiden Fotos erzählen, die ich Bart Buts aus Belgien verdanke.

Er ist leidenschaftlicher Opel-Enthusiast – wobei sein Interesse den frühen Modellen aus Rüsselsheim gilt, also bis etwa Mitte der 1920er Jahre. Er besitzt mehrere Opels jener Zeit, die intensiv genutzt werden und auch auf Deutschlands schönstem Oldtimer-Festival zu sehen waren – der Classic Gala in Schwetzingen.

Bart Buts hat zudem ein Archiv aus historischen Opel-Dokumenten und -Fotos, das seinesgleichen sucht – vermutlich den größten Fundus, was frühe Modelle angeht.

Hin und wieder tauschen wir uns über „neue“ alte Fotos aus und immer wieder wechseln dabei auch Originale den Besitzer – unengeltlich. Das ist wahre Oldtimer-Freundschaft.

Ich darf Material aus Barts Archiv präsentieren und heute mache ich gern Gebrauch davon, um das eingangs angerissene Thema zu illustrieren. Beginnen möchte ich hiermit:

Opel Tourenwagen um 1909; Originalfoto: Sammlung Bart Buts (Belgien)

Ist das nicht ein fantastisches Dokument? Wo sonst findet man so etwas? Zumindest nicht in der leider sehr überschaubaren Literatur zur Frühzeit der Rüsselsheimer Marke.

Ein früher Opel auf einer Fähre irgendwo im Mittelrheintal – jedenfalls ist das meine Interpretation angesichts der Weinberge und der Bahnstrecke im Hintergrund in Verbindung mit dem Kennzeichen, das eine Zulassung im Rheinland belegt.

Neben dem Fährmann auf der linken Seite sehen wir ganz rechts ein altertümlich wirkendes Paar im fortgeschrittenen Alter, das noch aus dem 19 Jh. stammt. Um 1850 hätten die beiden kaum anders ausgesehen und nun stehen sie neben dem Besitzer eines Automobils!

Opel Tourenwagen um 1909; Originalfoto: Sammlung Bart Buts (Belgien)

Dass der großgewachsene Herr mit Schirmmütze tatsächlich zu dem Opel gehört und wohl dessen Eigner war, das werde ich noch beweisen. Dabei werden wir auch den übrigen Insassen wieder begegnen.

Dieser Opel wurde nämlich ein weiteres Mal abgelichtet, aber an einem ganz anderen Ort.

Der Wagen, der anhand der Gestaltung von Kühler und Stirnwand auf „kurz vor 1910“ zu datieren ist, war zum Reisen bestimmt – so, wie wir das im 21. Jh von unseren Autos gewohnt sind, ohne dass wir uns noch des Luxus bewusst sind, den das einst darstellte.

Auf der zweiten Aufnahme sehen wir dasselbe Auto nun an einer Strandpromenade – das lässt jedenfalls der etwas größere Originalabzug erkennen:

Opel Tourenwagen um 1909; Originalfoto: Sammlung Bart Buts (Belgien)

Es handelt sich trotz kleiner Unterschiede wie anderen Scheinwerfer, dem fehlenden Emblem auf der Stirnwand hinter dem Motor und der demontierten Windschutzscheibe um denselben Wagen – das verrät das Kennzeichen.

Dieses Nummenschild mit laufender Nummer 12 allein sagt einiges über den schieren Luxus, welchen der Besitz eines solchen Opels darstellte. Die Kombination aus römisch „I“ und „Z“ stand für das gesamte Rheinland (einst „Rheinprovinz“).

Der Nummernkreis 1-150 war Aachen zugeordnet, sodass wir davon ausgehen dürfen, dass wir hier einen Opel mit ganz früher Zulassung in der von den Römern gegründeten und enorm geschichtsträchtigen Stadt an der Grenze zu Belgien und den Niederlanden sehen.

Eventuell wurde die Kennung „IZ-12“ bereits einige Jahre vor der Entstehung des Opels erstmals in Aachen vergeben – vielleicht bereits an dessen späteren Besitzer. Diesen sehen wir nun am Steuer, während der Chauffeur auf die Beifahrerseite gewechselt hat.

Leider sind die übrigen Insassen nur schemenhaft wiedergegeben – dafür bekommen wir hier eine Vorstellung des nun volbesetzten Wagens mit drei Sitzreihen. Eine genaue Typansprache will ich nicht versuchen, würde aber ein kleines Modell ausschließen.

Dann kommen Motorisierungen zwischen 25 und 50 PS in Frage, wie sie um 1909 verfügbar waren. Das war eine Größenordnung, in der man ohne großen Schaltaufwand auch Steigungen vollbesetzt bewältigen konnte.

Man vergleiche das mit den Leistungsdaten von Opels der 1930er oder auch 50er Jahre. Rein zahlenmäßig hatte sich nicht viel getan, doch auf einmal gelangten solche fernreisetauglichen Automobile in die Reichweite immer größerer Kreise.

Der schiere Luxus von einst wurde allmählich zum quasi-demokratischen Recht der Masse.

Achten wir darauf, dass wir uns das nicht wieder von Kräften nehmen lassen, die unter Vorwänden dem Automobil für jedermann einen Riegel vorschieben und die allgemeine Bewegungsfreiheit wieder zu einem Privileg weniger Betuchter machen wollen…

Auch das kann die aktuelle Botschaft solcher alten Fotos sein, welche die oft bestürzenden Kontraste von einst zeigen, welche wir dank der Technik überwunden haben.

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Von Geistern und Gestern: De Dion-Bouton Tourenwagen

Gibt es Geister? – Nun, wohl nicht in dem Sinne, wie wir andere Phänomene wahrnehmen können. Man kann sie nicht anfassen, fotografieren oder sonstwie objektiv dingfest machen.

Doch hätten wir den Begriff nicht, wenn ihm nicht etwas in unserer Welt entspräche.

Geister – im schlimmeren Fall auch Dämonen – entstehen in uns selbst und können uns erscheinen, ohne dass wir es wollen, wir können sie aber auch selbst herbeirufen. Unser Verhältnis zu ihnen ist vielschichtig, sie können uns begeistern, einnehmen oder blankes Entsetzen auslösen.

Heute ist für mich ein Anlass, mich meinen Geistern der Vergangenheit ausliefern. Sie nehmen mich ganz ein, aber bei aller Macht tun sie mir letztlich nichts Böses und verlassen mich friedlich wieder bis zum nächsten Mal.

Weil dies ein Blog ist – also ein online geführtes Diarium mit zufälligem Schwerpunkt auf Vorkriegsautos auf alten Fotos – lasse ich meine Leser zunächst an meiner persönlichen Geisterstunde teilhaben, bevor es ans eigentliche Thema geht.

Auf den Tag heute vor zwei Jahren verbrachte ich die letzten Stunden mit meiner Katze „Millie“. Sie stammte aus der Nachbarschaft, hatte ein Zuhause, aber aus Zuneigung blieb sie irgendwann ganz bei mir.

Fünf Jahre lang begleitete und gestaltete sie jeden meiner Tage, entwickelte sich zu einer wahren Freundin – Katzen können das, wenn man sich auf sie einlässt.

Hunderte von nächtlichen Blogeinträgen hat sie begleitet – neben dem Rechner unter der Schreibtischlampe liegend, bis es irgendwann ins Bett ging. Ein fataler Unfall mit einer nicht heilbaren Verletzung erzwang schließlich, dass ich sie einschläfern lassen musste.

Der letzte Tag mit ihr war der längste meines Lebens und hat sich tief in meiner Erinnerung eingeprägt. Aus diesen Tiefen stieg heute ihr Geist auf und das damalige Erleben begleitete mich in Gedanken den ganzen Tag über.

Der Zufall will es, dass ebenfalls dieser Tage vor fünf Jahren meine Mutter ihre letzten Lebenswoche verbrachte. Den Frühling verdämmerte sie in Bad Nauheim, für sie ein besonderer Ort, an den sie zurückwollte, was zu ermöglichen mir gelungen ist.

Ihre im schlesische Liegnitz lebenen Eltern hatten auf ihre Hochzeitsreise vor über 100 Jahren in dem damals über Deutschlands Grenzen hinaus berühmten Badeort am Rand des Taunus gewohnt. So erzählte sie mir es vor langer Zeit – leider weiß ich nicht mehr darüber.

Getrieben von den Geistern der Vergangenheit geht es nun in diese Zeit zurück, in die Welt von gestern, wenn auch nicht ins immer noch zauberhafte Bad Nauheim.

Gestern war ich auf einer ganz anderen Geisterjagd unterwegs, sie hat mich bis weit hinter Mitternacht beschäftigt gehalten. So konnte ich auf einem verblichenen, stark fleckigen alten Foto aus meiner Sammlung etwas erahnen, was eine intensive „Seance“ rechtfertigte.

Die Geister, die sich dort verbargen, ließen sich nach intensivem Bemühen hervorlocken – hier zeigen sie sich erstmals seit gut 100 Jahren – etwas geheimnsvoll, aber immerhin:

De Dion-Bouton Tourenwagen; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Auf dem schwer versehrten Abzug hatte sich zufällig neben den Insassen auch die Kühlerpartie des Wagens einigermaßen erhalten.

Mit viel Geduld und begleitet von Kantaten von Dietrich Buxtehude (CD-Empfehlung: Purcell Quartet mit Emma Kirkby, Chandos 2003) ließ sich das Wesentliche wieder herausarbeiten – und ich meine, dass sich der Aufwand gelohnt hat.

Da wären zunächst die Geister der Personen zu nennen, welche sich nach so langer Zeit erstaunlich lebendig eingefunden haben und uns ganz einnehmen:

Die charmante junge Dame mit Pelzkragen und Tuch über dem Hut weiß auch nach 100 Jahren noch zu bezaubern.

Eher unheimlich geisterhaft wirkt die Frau auf dem Beifahrersitz, und ihr Pendant ganz links macht einen geradezu schaurigen Eindruck. Doch der Herr am Steuer mit den Ziernähten auf dem hellen Handschuh wirkt einigermaßen vertrauenerweckend.

Letztlich haben wir von diesen Geistern der Vergangenheit nichts zu befürchten, sie lassen uns bereitwillig an der Situation teilhaben und vielleicht gefällt ihnen, dass sie hier nochmals eine unverhoffte Bühne nach so langer Zeit erhalten.

Sie werden uns auch nicht böse sein, dass wir unsere Aufmerksamkeit nun dem Fabrikat des Tourenwagens zuwenden, mit welchem sie sich einst haben ablichten lassen:

Diesen Spitzkühler mit leichter Einbuchtung an den abfallenden Teilen der Oberseite, welche sich kaum merklich in der Motorhaube fortsetzt, gab es so Anfang der 1920er Jahre bei einem ganz bestimmten Hersteller: De Dion-Bouton aus Frankreich.

Die altehrwürdige Marke – deren Bedeutung man für die Entwicklung des Automobils nicht unterschätzen kann – ist hierzulande wohl eher für die ganz frühen Typen und die Einbaumotoren bekannt, welche viele deutsche Hersteller ab 1900 zukauften und damit überhaupt erst „in die Gänge kamen“.

Dass De Dion-Bouton auch in den 1920er Jahren noch eine beachtliche Bedeutung hatte, mag diejenigen überraschen, die nur die französischen Großserienhersteller Citroen, Peugeot und Renault kennen.

Noch bemerkenswerter mag man finden, dass dieses Exemplar, dessen genauer Typ sich wohl nicht mehr ermitteln lässt, kurz nach dem, 1. Weltkrieg in Deutschland zugelassen war – im Raum Köln, um genau zu sein.

Dass dieser De Dion Bouton damals kein Einzelfall war, zeigt ein weiteres Foto, das zwar später entstand, aber ebenfalls einen solchen Tourer der frühen 1920er Jahre zeigt.

Ich verdanke diese Aufnahme Leser Matthias Schmidt aus Dresden:

De Dion-Bouton Tourenwagen in Königswinter; Originalfoto: Sammlung Matthias Schmidt (Dresden)

Auf diesem Foto sehen wir nicht nur längst verschwundene Geister der Vergangenheit, sondern auch einen Zeugen der Welt von gestern, der sich auf wunderbare Weise kaum verändert hat.

Die Rede ist vom Hotel Loreley in Königswinter am Rhein. Es muss um die Mitte der 1920er Jahre gewesen sein, als der eindrucksvoll dimensionierte De Dion Bouton-Tourer dort haltmachte.

Wenn ich mich nicht täusche, verfügte der Wagen über Vorderradbremsen, die ab 1923 bei der Marke verfügbar waren – die Franzosen waren in der Hinsicht deutschen Herstellern voraus (ein extremes Beispiel dafür folgt gelegentlich).

Aber machen Sie sich selbst ein Bild von diesem großzügigen Automobil:

De Dion-Bouton Tourenwagen in Königswinter; Originalfoto: Sammlung Matthias Schmidt (Dresden)

Haben Sie es gesehen? Auch dieser De Dion-Bouton besaß eine deutsche Zulassung und wieder handelt es sich um ein Kennzeichen aus dem Rheinland („IZ“).

Ich vermute, dass die Marke zumindest in der Grenzregion über Verkaufsstrukturen verfügte – vielleicht weiß ein Leser mehr dazu, dann bitte die Kommentarfunktion nutzen.

Eine andere Sache konnte ich ebenfalls noch nicht klären. Auf Fotos, die Wagen von De Dion-Bouton der frühen 1920er Jahre bis zum Übergang auf den Flachkühler zeigen, findet man durchweg Räder mit vier Radbolzen, unabhängig vom Typ.

Dieses Exemplar mit seinen aus dem Rahmen fallenden Dimensionen besaß jedoch deren sechs, nach meinem Eindruck ein Hinweis auf eine wesentlich höhere Motorleistung und damit auch Belastung des Fahrwerks:

De Dion-Bouton Tourenwagen in Königswinter; Originalfoto: Sammlung Matthias Schmidt (Dresden)

Hier kann man außerdem die makrentypische Kühlergestaltung – und zumindest schemenhaft – auch den Schriftzug „De Dion Bouton“ auf dem Grill erkennen.

Das ist das Ergebnis meines heutigen Ausflugs in die Welt von gestern, die beileibe nicht besser war als die heutige – aber eines war sie im Unterschied zu unseren Tagen: Faszinierend vielfältig und mit Abstand stilvoller, finde ich.

Die Geisterstunde naht – noch eine Weile werden mich die Gespenster der Vergangenheit beschäftigt halten, doch sie sind mir liebe Gefährten meines Daseins und oft genug liefern sie Inspiration zu nächtlichen Ausflügen ins Gestern, von denen auch Sie etwas haben…

Michael Schlenger, 2024. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

Mit Hochdruck zur Lösung: Ein „Unic“-Tourenwagen

Einige Ungeduldige unter Ihnen, verehrte Leser (m/w/d), mögen sich fragen, weshalb sie hier so lange auf neues altes Material zur Erbauung warten mussten.

Wir arbeiten mit Hochdruck an einer Lösung“, das ist die schräge Musik, welche das sich häufende Nichtfertigwerden deutscher Großprojekte begleitet. Deutschland hat seine besten Zeiten hinter sich und man ist als Altinsasse gut beraten, sich mit dem zu trösten, was früher noch funktioniert hat und oft auch ästhetisch befriedigte.

Mit so einem Fall haben wir es heute zu tun. Die fragwürdige Inspiration dazu habe ich in den letzten Tagen erhalten. Denn ich musste meine karge Freizeit darauf verwenden, „mit Hochdruck an einer Lösung zu arbeiten„.

Dies war notwendig, nachdem sich eine Verstopfung im Abflusskanal im heimischen Hof ergeben hatte. Ich will nicht zu sehr in die Details gehen, doch bin ich in der Tat mit hartnäckigem Hochdruck der Lösung des Problems schon sehr nahegekommen.

Der Sonntag ist bei mir den Künsten gewidmet und auch die Nachbarn wollen geschont werden, also ruht der Kärcher für einen Tag: Das verschafft mir die Gelegenheit, unter zeitlichem Hochdruck ein für Sie erfreuliches Ergebnis zu präsentieren.

Dieses stellt sich wie folgt dar und illustriert nicht nur die beeindruckende Leistung eines motorisierten Schneeräumgeräts vor 100 Jahren. Es stimmt auch zuversichtlich, was die vor uns liegende wärmere Jahrezeit betrifft, das Ganze garniert mit einem prächtigen Automobil:

Unic-Tourenwagen auf dem Grimselpass; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Hand aufs Herz: Wer würde hier nicht den Kärcher oder andere Arbeitsutensilien stehenlassen, den Wagen volltanken und sich mit offenem Verdeck auf die Passhöhe begeben wollen, wo dem Winter mit Hochdruck erfolgreich entgegengearbeitet wurde?

Dies großartige Aufnahme besitze ich schon etliche Jahre, doch erst heute scheint mir der rechte Zeitpunkt gekommen zu sein, um sie der Welt zu zeigen.

Mich begeistert hier die Lichtstimmung und die Zuversicht, mit der die beiden Automobilisten aus Frankreich sich auf den Weg in den lockenden Süden machten, in diesem Fall über den Grimselpass ins Wallis. Auf der Passhöhe befindet sich die Wasserscheide zwischen Norsee und Mittelmeer – mehr muss man dazu nicht sagen.

Mit Hochdruck – kurz vor Mitternacht – brachte ich noch die Lösung zustande, was das Fabrikat des Tourenwagens betrifft. Es handelte sich um einen „Unic“ aus Frankreich und ich hoffe sehr, dass das Problem, an welchem ich dieser Tage mit Hochdruck zu arbeiten gezwungen war – „unique“ bleiben wird…

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Die Richtung stimmt! Steyr II oder V in Matrei

Heute nehme ich es mal nicht so buchhalterisch genau – denn es werden keine Luftschlitze oder Speichen gezählt, keine Radstände abgeschätzt und es wird keine Datierung alten Blechs auf ein, zwei Jahre genau versucht.

Heute lässt mich das alles kalt – ganz hippiemäßig komme ich mir vor, wenn ich mich dem preußischen Arbeitsgebot unbedingter Präzison verweigere und frech behaupte: „Ach was, Hauptsache die Richtung stimmt!“

Daran schuld ist aber weder die Freigabe von Cannabis in haushaltsüblichen Mengen – die Lösung eines dringenden „Problems“, an dem sich wahre Regierungskunst zeigt – oder gar eine fundamentale Wandlung in meinen Prioritäten.

Zugegeben, nachdem die Wochen seit Jahrebeginn beruflich aufreibender waren als sonst und die Sonne fast nie zu sehen war, kann es sein, dass ich ein wenig müder bin als sonst, wenn ich zu später Stunde noch einen Eintrag im Blog angehe.

Aber der eigentliche Grund für meine ungewohnte Großzügigkeit ist ein anderer.

So kann ich mir nicht merken, wie man die Modelle II und V der österreichischen Qualitätsschmiede Steyr aus der ersten Hälfte der 1920er Jahre auseinanderhält.

Und das obwohl Leser und Markenspezialist Thomas Billicsich es mir schon einigemal erklärt hat. So wird er wohl auch diesmal einschreiten müssen und auf den Unterschied der beiden Typen hinweisen – wenn ich mich recht entsinne, kam es auf den Kühlergrill an:

Steyr Typ II oder V; Postkarte von 1931 aus Matrei am Brenner; Original: Sammlung Michael Schlenger

Wie gesagt, mir genügt es vollkommen, hier einen prächtigen Steyr-Tourer der frühen 20er mit dem markanten Emblem am Spitzkühler zu sehen – das leichte Motorrad am Bildrand gefällt mir nebenbei auch.

So ein Dokument ist ganz nach meinem Geschmack – ich würde sagen: Die Richtung stimmt.

Apropos Richtung: Diese schöne Ansicht reiste im Juli 1931 als Postkarte nach Bremen – auch diese Richtung stimmt, wie ein geschätzter anderer Leser sicher bestätigen wird.

Allerdings zieht es mich aktuell doch in genau die gegenteilige Richtung und zwar eine, die für mich immer stimmt – auch wenn ich dabei eine andere Route bevorzuge.

Das Foto entstand nämlich auf halber Strecke zwischen Innsbruck und dem Brennerpass, welcher bekanntlich nach Italien führt. Die Römer bauten um 200 nach Christus die erste befestigte Straße über den Brenner, womit man einigermaßen kommod von Verona nach Augsburg reisen konnte – oder umgekehrt, was ich schon damals bevorzugt hätte.

Am Aufnahmeort gab es im 4. Jahrhundert eine römische Straßenstation, deren Name Matreium lautete. Er hat sich bis in unsere Tage erhalten – dort findet sich heute das Straßendorf Matrei am Brenner.

Allerdings sollte man in diesem Fall landläufige Vorstellungen von einer Dorfansicht vergessen, denn Matrei präsentiert sich trotz gewohnt „schonender“ US-Bombenangriffe kurz vor Kriegsende im März 1945 mit prachtvollen Bürgerhäusern, welche für mich wieder einmal die Frage aufwerfen, welche Berufe moderne Architekten eigentlich erlernt haben:

Steyr Typ II oder V; Postkarte von 1931 aus Matrei am Brenner; Original: Sammlung Michael Schlenger

Angesichts dieser Szenerie ist mir nun wirklich völlig gleichgültig, ob der Steyr ein Typ II oder V war – denn die Richtung stimmt so oder so: Entweder zeigt seine Kühlerfront in Richtung Italien oder unser Blick geht dorthin.

Und das ist das Entscheidende: dass die Richtung stimmt. Denn unzufrieden mit den Fortschritten des Frühlings in hessischen Gefilden geht es morgen gen Süden über die Alpen. Dass ich dabei wie gewohnt den Gotthardpass nehme – geschenkt.

Das wussten schon unsere barbarischen Vorfahren, die es am Ende der Antike nach Italien drängte: Ob Brenner oder Gotthard – Hauptsache, die Richtung stimmt!

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„Outdoor“-Freunde mit Stil: Chevrolet Sedan von 1931

Bei Wind und Wetter draußen unterwegs zu sein – ausgekühlt, eingesaut oder durchgeschwitzt, das kenne ich von Kindesbeinen an.

Sei es mit Freunden durch Wald und Wiesen streunend, mit dem Fahrrad in Taunus und Vogelsberg oder später in den Semesterferien als Helfer auf archäologischen Grabungen in meiner Heimatregion- der hessischen Wetterau.

Ach ja, beim „Bund“ habe ich auch das volle „Outdoor“-Programm genossen – als Panzergrenadier mit Grundausbildung in Herbst und Winter, was ich schon einmal den auffallend vielen ungedienten Schreibtisch-Kriegern unserer Tage voraus habe.

Ich kann mich nicht erinnern, dass bei irgendeiner dieser Aktivitäten die Hervorbringungen der rührigen Outdoor-Fashionbranche eine Rolle gespielt hätten. Ich bin mit 100 % Naturmaterialien und der Natur entlehnten Farben großgeworden, ohne je dem Kult der „Grünen“ nahegestanden zu haben.

So halte ich es auch heute: An die frische Luft geht es mit Lederschuhwerk, Baumwolle, Leinen oder Schurwolle – meine liebe Mutter hat mich diesbezüglich sehr „streng“ erzogen, wofür ich ihr ewig dankbar bin.

Wenn ich vom Schreibtisch aus auf die Straße schaue, die zum örtlichen Rosenmuseum führt, bekomme ich bisweilen das ganze Spektrum farbenfroher Polyester-Derivate in Form von Jacken und Rucksäcken geboten, wenn eine Reisegruppe bei völlig normalem Wetter in einer Aufmachung draußen vorbeizieht, als habe sich eine Himalaya-Expedition verirrt.

Dabei scheint gerade bei den älteren Herrschaften (m/w/d) der Irrtum verbreitet zu sein, dass Farben aus dem Kita-Wachsmalkasten wie Giftgrün, Knallgelb und Neonpink irgendeinen Verjüngungseffekt bewirken könnten.

Zumindest in der Hinsicht war früher fast alles besser – denn heillos geschmacksverirrte Zeitgenossen waren noch die Ausnahme, wenn man alten Fotos wie diesem traut:

Chevrolet Sedan Modelljahr 1931; Originalfoto: Michael Schlenger

So stilvoll präsentierten sich diese „Outdoor“-Fanatiker vor gut 90 Jahren. Es muss einer der ersten sonnigen Frühlingstage gewesen sein.

Doch die Luft war noch kühl und man war gut beraten, mit Mantel und Kopfbedeckung vor die Tür zu gehen. So ein Barett oder eine Schiebermütze hat weit mehr Pep als eine Baseballkappe – die ich als US-Brauchtum durchgehenlasse, bei uns aber keine Tradition hat.

Gut gefällt mir, dass einst auch die Herren Bein zeigen durften – aber im Unterschied zu den Damen nur blickdicht bestrumpft, weil man sich der Grenzen des Vorzeigbaren noch sehr bewusst war.

Wenn Sie das jetzt uninteressant oder deplatziert finden – ich weiß, in Deutschland sind Äußerlichkeiten vielen inzwischen völlig egal – kann ich es nicht ändern. Ich schreibe hier, was mir gefällt – und dazu gehört neben Vorkriegsautos eben auch das:

Wenn ich mir das Erscheinungsbild dieser Leute betrachte, bin ich einfach der Meinung, dass mit der Vorkriegszeit nicht nur in Sachen Automobilstil etwas verlorengegangen ist, dem man nachtrauern mag, das aber auch Inspiration für’s Heute birgt.

Kulturhistorisch interessant ist zudem die Tatsache, dass es die Städter damals wie heute auf’s Land trieb und man das Erlebnis suchte, sich irgendwo im Grünen niederzulassen, den Ausblick, den Geruch und die Weite des Himmels zu genießen.

Nun, wir kommen von „draußen“, denn die Welt unserer direkten Vorfahren, die in der Jungsteinzeit hiesige Gefilde besiedelten, war eben keine der betonierten Großstädte, in denen uns neuerdings verwirrte Ideologen möglichst platzsparend einkerkern wollen.

Bleibt die Frage, was unsere „Outdoor“-Freunde damals für einen Wagen fuhren. Gewiss nahmen Gleichgesinnte gern das Rad, schon deshalb weil das Kleingeld für ein motorisiertes Gefährt bei weitem nicht reichte.

Doch wer konnte, nahm natürlich das Auto, denn damit kam man weiter und schneller dorthin, wo es besonders schön war. Im vorliegenden Fall war es ein Chevrolet, der hier geduldig am Wegesrand wartet:

Chevrolet Sedan Modelljahr 1931; Originalfoto: Michael Schlenger

Den entscheidenden Hinweis auf die Marke gibt der Umriss des Emblems auf den Radkappen – übrigens heute fast unverändert Ausweis eines „Chevies“.

Dass wir es mit einem US-Fabrikat zu tun haben, darauf deuten auch die bei Mittelklassewagen deutscher Provenienz eher seltenen Drahtspeichenräder hin.

Im Fall von Chevrolet wurden sie ab dem Modelljahr 1930 verbaut, der Vorgänger besaß Scheibenräder. Die Gestaltung der Haubenschlitze erlaubt dann eine Datierung auf 1931.

Technisch war der Chevrolet in den Staaten ein solider Billigheimer – im damaligen Deutschland dagegen war der 6-Zylinderwagen mit 50 PS ein durchaus gehobenes Fahrzeug.

Damit konnte man sich „outdoor“ sehen lassen, etwa hier irgendwo am Strand:

Chevrolet Sedan Modelljahr 1931; Originalfoto: Michael Schlenger

Hier haben wir eine sonst weitgehend identische Ausführung als viertürige Limousine mit Zweifarblackierung, welche den Wagen weit attraktiver erscheinen lässt.

Was hier so repräsentativ erscheint, war wie gesagt in den Staaten ein erschwingliches Automobil für jedermann – über 620.000 Stück wurden davon 1931 gebaut.

Doch schon damals waren bereits die Tage gezählt, als man sich noch draußen mit Stil zu bewegen wusste. Die Nachkriegszeit war in vielerlei Hinsicht ein Segen, doch ab Ende der 60er (in die mein Geburt fiel) begann aus meiner Sicht ein Niedergang in ästhetischer Hinsicht, dessen Ergebnisse wir heute auf allen Ebenen besichtigen müssen….

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Hier ist schon Frühling: Opel „6“ 2 Liter Cabriolet

Vermissen Sie auch den Frühling? Hier in der sonst milden Wetterau in Hessen war es heute wieder empfindlich kühl – auch wenn ich das zu ignorieren versuchte.

Die Sonne machte nachmittags zaghafte Anstalten, etwas Wärme zu verbreiten und endlich regnete es einmal nicht. Ideale Bedingungen, so dachte ich mir, mein über den Winter gebasteltes Vintage-Geländerad zu erproben.

Das glänzt mit einem alten Doppelrohrrahmen, einem schicken „Brooks“-Ledersattel, einer modernen Dreigang-Nabenschaltung und einer speziellen 28 Zoll-Bereifung, die auf Asphalt hohe Geschwindigkeiten erlaubt, auf Kies und Waldboden aber guten Seitenhalt bietet.

Erst kürzlich lernte ich, dass solche „Gravel-Bikes“ auf Basis alter Fahrradrahmen total angesagt sind, hip und trendy usw. – jedenfalls bei Leuten, die nicht nur zum Schein in die Pedale treten wollen wie bei den derzeit beliebten Elektromofas.

Nur mit T-Shirt auf dem Oberkörper begab ich mich damit auf eine kleine Testrunde von vielleicht 15-20 km. Kurz vor dem Ortsausgang überholte ich mich ein ganz in hautengem Dress gekleideter Rennradler, bei dem nur das Gesicht Luftkontakt hatte.

Der hatte wohl nicht dieselbe Zuversicht wie ich, unterwegs den Frühling zu erhaschen. Damit lag er zwar richtig, denn es sollte empfindlich kalt bleiben, aber dennoch konnte ich ihn ein wenig ärgern, indem ich mich in seinen Windschatten hing.

Er hatte einen winzigen Spiegel am Lenkerende und bemerkte, dass ich mich nicht abschütteln ließ. Einmal schaltete er noch hoch, aber das half ihm nicht, denn ich war noch frisch und er wohl nicht – außerdem blies ihm der kühle Wind entgegen.

Nach kurzer Jagd bog ich dann bei Rosen „Ruf“ ab und blieb von da an fast allein. Über die alte Römerstraße von Friedberg nach Arnsburg – heute ein Feldweg – ging es Richtung Münzenburg. Deren Doppelturm-Silhouette sehen Sie von der A5 auf dem Weg nach Norden rechter Hand kurz hinter der Raststätte „Wetterau“.

Auf dem Rückweg über die Landstraße blies mir nun der kalte Vorfrühlingshauch ins Gesicht, doch das Rad mit seinen neuen Lagern und trotz Stahlrahmen niedrigem Gewicht ließ sich weit flotter bewegen, als ich erwartet hatte. Mit gut durchbluteten Armen fuhr ich bald wieder in den heimischen Hof – so wach war ich schon lange nicht mehr…

Dies war meine Inspiration für den heutigen Blog-Eintrag, denn ich habe die Nase voll vom Winter und kann es kaum erwarten, dass der Frühling einkehrt. So begab ich mich in meinem Fundus aus hunderten noch unveröffentlichten Fotos von Vorkriegswagen auf die Suche.

Irgendwo sollte doch der Frühling zu finden sein!

Tatsächlich: Jemand hatte ihn erhascht und mit einer schönen Aufnahme für die Nachwelt festgehalten. Anno 1950 war das im Neckartal – aber das Auto war klar ein Vorkriegsmodell:

Opel „6“ 2 Liter Cabriolet: Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Zugegeben: So wirklich frühlingshaft mild scheint es damals auch noch nicht gewesen zu sein – die Eltern sind recht warm gekleidet.

Doch das Mädchen auf dem Kühler traut sich schon etwas mit den kurzen Ärmeln, zumal es von unten angenehm warm gewesen sein dürfte.

Mir gefällt die ansteckende Fröhlichkeit auf diesem Dokument aus einer Zeit, als der Zweite Weltkrieg gerade erst fünf Jahre vorbei gewesen war. Der Vater mit dem Bub auf dem Arm war sicher Soldat gewesen und seine Frau hat vermutlich auch eine schwere Zeit erlebt.

Doch nun war man zusammen mit dem eigenen Auto und fuhr aus purer Lust in die Weinberge – wer sich das damals leisten konnnte, gehörte zu den „happy few“.

Und dann noch mit einem schicken 6-Zylinder-Cabriolet von Opel – mit das Schönste, was die Rüsselsheimer in den 1930er Jahren zustandegebracht hatten.

Das adrette Vierfenster-Cabrio mit zwei Türen wurde ab 1935 gebaut; das Basismodell „6“ mit dem 2-Liter-Motor (36 PS) war ein Jahr zuvor erschienen

Bis Produktionsende 1937 verkaufte sich der Opel ausgezeichnet. Was davon den Krieg überstanden hatte, sollte für die Besitzer die Basis für einen neuen Autofrühling darstellen…

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Wie konnte das nur passieren? Brennabor Typ R 6/25 PS

Wie konnte das nur passieren? Das fragt man sich immer wieder, wenn es beispielsweise um den Ausbruch des 1. Weltkriegs vor 110 Jahren geht.

Wie konnte es passieren, dass aus einem Regionalkonflikt ein völlig entfesselter Krieg der europäischen Großmachte wurde, der für alle Beteiligten selbstzerstörerisch war?

Leider – so fürchte ich – bekommt man die Mechanismen in unseren Tagen angesichts der bislang „nur“ rhetorischen Zuspitzung eines anderen Regionalkonflikts vorgeführt. Ich will dieses verminte Gelände nicht weiter betreten, nur kurz meine Antwort auf die Frage geben:

Weil diejenigen, die über den Krieg entschieden und entscheiden, zumindest in der Neuzeit nicht davon betroffen waren. Da ist es geradezu konsequent, wenn die meisten Befürworter (wie aktuell hierzulande) selbst noch nie einen scharfen Schuss abgegeben und – auch nur übungshalber – im Dreck gelegen haben.

Übergehen wir den 1. Weltkrieg und daran anknüpfende Fragen der Gegenwart. Stattdessen werfen wir einen Blick auf ein anderes, zum Glück harmloses Ereignis von Mitte der 1920er Jahre, das freilich auch die Frage aufwirft „Wie konnte das nur passieren?“

Den Anlass dazu liefert die Einführung des Brennabor Typ R 6/25 PS anno 1925. Sieht man von der Vierradbremse ab, handelte es sich in technischer Hinsicht um eine fast vollständige Weiterführung des seit 1922 gebauten Typs S 6/20 PS, der hier zu sehen ist:

Brennabor Typ S 6/20 PS; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Schon dieses Gefährt mit seinen fehlproportionierten Scheinwerfern und den viel zu weit auseinanderstehenden Haubenschlitzen ließ kaum Ansätze zu gekonnter Gestaltung erkennen.

Ich wüsste kein Serienfabrikat aus dem deutschsprachigen Raum, das in der ersten Hälfte der 1920er Jahre dermaßen unattraktiv daherkam. Doch die altehrwürdige Marke aus Brandenburg, die vor dem 1. Weltkrieg in einer anderen Liga unterwegs gewesen war, setzte beim optisch überarbeiteten Typ R 6/25 PS noch einen drauf.

Der erschien trotz der weiter vorn im Alphabet stehenden Typbezeichnung tatsächlich erst 1925 und hatte außer 5 zusätzlichen PS und Vorderradbremse wenig zu bieten.

Was ihn aber dennoch dermaßen „auszeichnete“, dass man ihn auf Anhieb erkennt, war eine an Grobschlächtigkeit schwer überbietbare Karosseriegestaltung:

Brennabor Typ R 6/25 PS; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Man möchte kaum glauben, dass dieser Aufbau nicht etwa von einem begabten Bastler zusammengestoppelt worden war, sondern aus einer der größten deutschen Automobilfabriken mit Serienfertigung im Fließbandverfahren stammte.

Hier passt optisch so ziemlich gar nichts zusammen und fast hat man den Eindruck, dass man für die Vorderräder der Einfachheit halber die hinteren Kotflügel übernommen hat.

Die lange Haube des Vorgängers – dort noch eine der besseren Ideen – hatte man radikal gekürzt, was in Verbindung mit den nun auf einmal winzigen Luftschlitzen ebenso verunglückt wirkt wie die beiden unterschiedlich hohen Türen.

„Wie konnte das nur passieren?“ – Das fragt man sich hier schon.

Auf diesem Foto spricht einen letztlich nur das Leben auf zwei und vier Beinen an, und man studiert lieber die Gesichter der Insassen und sinniert über die Rasse des Hundes, der Einlass begehrt, als schwelgerisch den Blick über die Karosserielinien gleiten zu lassen.

Versöhnlich stimmt allerdings der Umstand, dass ich dieses Foto zusammen mit einem zweiten erwerben konnte, welches denselben Wagen zeigt:

Brennabor Typ R 6/25 PS; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Der Wagen wirkt hier nicht ganz so verunglückt, weil die schlimmste Partie verdeckt ist und das Auge eher auf der Kühlerpartie verweilt, die sogar Ansätze gestalterischer Rafinesse zeigt.

Das mit einem „A“ Kennzeichen verweist auf eine Zulassung dieses Wagens im Bezirk Anhalt – vielleicht kann es jemand genauer sagen.

Schön ist hier jedenfalls wieder die menschliche Komponente – wobei der Hund es diesmal in den Innenraum geschafft hat, er gehört also klar zur Familie.

Man hätte diesen Leuten gern gewünscht, dass sie Ihr Leben in Frieden weiterleben dürfen, doch das war ihnen nicht vergönnt, wie wir wissen. Sehr wahrscheinlich wurde der Junge auf der Rückbank im 2. Weltkrieg als Soldat für die Zwecke der Mächtigen missbraucht, die sich anmaßen, über das Leben anderer für ihre persönlichen Ziele und Obsessionen verfügen zu können, ohne selbst dabei viel zu riskieren.

„Wie konnte das passieren?“ – Die Antwort auf diese Frage liefert letzlich die Gegenwart, denn der Mensch lernt offenbar aus der Geschichte nur, dass er nichts dazulernt.

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Fast ein kleiner Daimler: Wanderer W 10/IV-Limousine

Wem der Titel meiner heutigen Betrachtung auffallend wohlwollend erscheint, dem sei gesagt: Es steckt ein vergiftetes Lob darin, allerdings nicht nur.

Generell stehe ich auf dem Standpunkt, dass wer Spott auf sich zieht, diesen auch ertragen muss – nichts ist kindischer als das rituelle Beleidigtsein der Betroffenen, das den offenen und ehrlichen Austausch in unseren Tagen erschwert bis unmöglich macht.

Die Kommunikationskultur hat durch die Mutation saftiger Meinungsäußerungen, wie sie für Zeugen der Bonner Republik noch zur Würze des Wettstreits zählten, in justiziable Vergehen wie „üble Nachrede“ oder „Beleidigung“ schwer gelitten.

Nebenbei: In den USA gibt es das m.W. nicht – dort darf jeder nach Herzenslust gnadenlos durch den Kakao gezogen werden – so wie bei uns noch zu Zeiten von „Hurra Deutschland„.

Auch in den späten 1920er Jahren pflegte man hierzulande einen zwanglosen Umgang mit lustvollen Beschimpfungen und Überspitzungen.

Legendär sind die Sottisen, welche die gefürchtete Autozeitschrift „Motor-Kritik“ damals gewohnheitsmäßig absonderte, wenn ein Hersteller es ihrer Meinung nach verdient hatte.

Als beispielsweise Wanderer anno 1930 von der schwierigen Wirtschaftslage getrieben, seinem absatzschwachen neuen Sechszylindertyp 10/50 PS einen Neuaufguss des bereits eingestellten 1,5 Liter-Vierzylindermodells 6/30 PS zur Seite stellte, schrieb die Motor-Kritik:

Als Vierzylinder zum Preis eines Sechszylinders ist der 6 PS-Wanderer „Heute der Wagen von gestern„. Das war zwar bitterböse, aber warum sollten Motorjournalisten auf Empfindlichkeiten von Autoherstellern Rücksicht nehmen?

So frech die Formulierung war, so entbehrte sie keineswegs einer gewissen Fundierung. Der Preisvergleich des „neuen“ alten Wanderer Typ 10 /IV mit dem „Sechszylinder“ bezog sich dabei keineswegs auf den hauseigenen W11 10/50 PS:

Wanderer W10 11/50 PS: Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Dieser eng an US-Vorbildern orientierte Wagen war ja viel teurer als der vierzylindrige kleine Bruder. Nein, im Hinterkopf dürften die Spötter von der „Motor-Kritik“ neben den stark gefragten US-Fabrikaten auch den Mercedes-Benz 200 mit 6-Zylinder gehabt haben.

Der bot mehr Hubraum, Leistung und Laufkultur – relativ gesehen, denn agil war dieses Gefährt ebenfalls nicht – dabei kostete er nur geringfügig mehr. Als Limousine waren dafür anno 1931 5980 Reichsmark zu berappen.

Mit fast identischem Radstand bot Wanderer seinen W10/IV damals als viertürige Limousine für kaum weniger an: 5.250 Mark musste man für den Vierzylinder auf den Tisch blättern.

Im Gegenzug konnte man sich nach Lieferung des Wagens so präsentieren:

Wanderer W10/IV Limousine; Originalfoto: Sammlung Matthias Schmidt (Dresden)

So schön dieses Dokument aus der Sammlung von Leser Matthias Schmidt auch ist – man sieht endlich auch einmal Teile der Innenausstattung – so wenig will sich hier Begeisterung einstellen, was die Gestaltung des Autos angeht.

Gewiss, die neuen Chrom-Scheinwerfer, die Doppelstoßstange und die beim Sechszylindertyp W11 10/50 PS erstmals verwendete Kühlerfigur in Gestalt eines geflügelten W setzten gewisse Glanzakzente.

Doch mit der repräsentativen Erscheinung und dem Prestige selbst des kleinen Mercedes-Benz 200 konnte der sportlich gepreiste Wanderer nicht mithalten.

Die einfallslose Gestaltung der Scheibenräder beispielsweise lässt den Wagen arg simpel erscheinen, übrigens ein Unterscheidungsmerkmal zu frühen Exemplaren des parallel angebotenen W11 10/50 PS.

Doch in einer Hinsicht war der Vierzylinder-Wanderer am Ende doch fast ein kleiner „Daimler“ – wenn diese populäre Bezeichnung für einen Mercedes-Benz erlaubt ist.

Genau dieser 4-türiger Limousinenaufbau, der auf dem Foto von Matthias Schmidt zu sehen ist, wurde nämlich ausgerechnet im Sindelfinger Mercedes-Werk gefertigt.

Die Spötter von der Motor-Kritik hätten zu dieser Idee sicher auch noch etwas zu sagen gehabt, überliefert ist es aber nicht. So denke ich mir einfach etwas in ihrem Sinne aus:

Der neuinthronisierte, zwischenzeitlich abgesetzte 4-Zylinder-Wanderer bietet jetzt eine Karosserie von Mercedes mit entsprechendem Preisschild, damit es auch jeder merkt. Die Bescheidenheit, welche der Hersteller seinen Kunden traditionell abverlangt, erfordert aber den Verzicht auf Extras wie zwei zusätzliche Zylinder und einen halben Liter Hubraum. Unser Fazit daher: Ein Meisterstück nach dem Grundsatz „Weniger ist mehr“!

Damit wir uns nicht falsch verstehen: Natürlich war der Wanderer W10/IV 6/30 PS ein Auto, an dem es in der Sache wenig zu beanstanden gab, aber ein bisschen Spaß und Spott muss einfach sein – gerade in Zeiten, in denen es sonst wenig zu lachen gibt…

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Muss das sein? Ja, es muss! Maybach W6 Cabriolet

Es gibt zwei Formen des „Müssens“ im Sinne von Notwendigkeit: Die eine resultiert aus den Naturgesetzen, die etwa verlangen, dass man der Schwerkraft nachgeben muss oder irgendeine Form des Auftriebs haben muss, um sich ihr zu entziehen.

Die andere ergibt sich aus den Gesetzen unseres menschlichen Daseins: Wir müssen atmen, esen und trinken, um am Leben zu bleiben. Am Ende müssen wir sterben. Scherzbolde pflegen hinzuzusetzen, dass wir vorher jede Menge Steuern zahlen müssen.

Alle anderen vorgeblichen Notwendigkeiten entpuppen sich bei näherer Betrachtung als rein subjektive Werturteile. Da gibt es beispielsweise Zeitgenossen, die fragen, ob es wirklich sein „muss“, dass jemand einen SUV oder einen Geländewagen fährt.

Nein, muss es nicht. Es muss nach unserer eingangs gelieferten Definition aber niemand überhaupt nur irgendein Auto fahren. Ging ja schließlich auch Jahrtausende ohne – ergo: nicht notwendig!

Man sieht daran, wie unbrauchbar diese Kategorie vermeintlicher Notwendigkeit ist. Wer legt überhaupt fest, welche Form der persönlichen Fortbewegung die „richtige“ und „erlaubte“ ist? Fußgänger? Radfahrer? Motorradfahrer? Kleinwagenfahrer? Minivan-Fahrer?

Oder dürfen die Besitzer größerer oder stärkerer PKW auch ihre individuelle Entscheidung treffen? Einer der beliebtesten SUVs in Deutschland – der Dacia Duster – ist weit kompakter als ein VW-Bulli, der noch von niemandem als überflüssig klassifiziert wurde.

Und die paar Leute, die sich das große Mercedes G-Modell leisten können, verstopfen damit nicht die Innenstädte. Selbst die zunehmend beliebten Pickups werden nach meinem Eindruck meist von Leuten gefahren, die damit auch etwas Praktisches anfangen.

Diese sehr deutsche Diskussion – Leben und leben lassen ist für viele hierzulande nach einigen liberalen Jahrzehnten zunehmend ein Fremdwort – dieser anmaßende Furor hat zum Glück noch nicht den Bereich der Oldtimerei erreicht.

Denn nicht nur ist der Besitz heillos veralteter Vehikel „nicht notwendig“, es „muss“ doch auch nicht sein, dass diese im Fall von Fahrzeugen der Luxusklasse so dermaßen kolossal ausfallen wie dieses Exemplar hier:

Maybach W6 Cabriolet; Originalfoto aus Sammlung Matthias Schmidt (Dresden)

Dieses mächtige viertürige Cabriolet, das locker zwei Kleinwagenplätze „blockiert“, ist auf einem Foto von Mitte der 1930er Jahre festgehalten, welches mir Leser Matthias Schmidt aus Dresden in digitaler Form übersandt hat.

Der Eindruck einer nicht enden wollenden Motorhaube wird durch die bewusst niedrig gehaltene Windschutzscheibe noch verstärkt. Bei geschlossenem Verdeck sah man zwar nicht viel, aber bei einem solchen Repräsentationswagen zählt die Wirkung.

Auch ohne besondere Kenntnisse lässt sich dieses Fahrzeug als Kreation aus dem Hause Maybach identifizieren – das Markenemblem ist auf den Radkappen recht gut zu erkennen.

Die Luxuswagen aus Friedrichshafen am Bodensee besaßen zwar durchweg individuelle Manufakturufbauten, dennoch glaube ich, dieses Exemplar als Typ W6 identifizieren zu können, wie er ab 1931 gebaut wurde.

So abwegig es hier erscheint, war der Maybach quasi die „vernünftig“ motorisierte Variante der legendären 12-Zylinder-Wagen, die seit 1929 gebaut wurden. Der W6 begnügte sich nämlich mit einem Sechszylinderaggregat, das „nur“ 120 PS aus knapp 7 Litern schöpfte.

Die Besitzer des Wagens auf dem Foto von Matthias Schmidt hätten also vermutlich auf die Frage „Muss das sein?“ geantwortet „Ja, das muss es, denn die Zeiten sind schlecht und wir konnten uns die 12-Zylinder-Versionen mit 150 bzw. 200 PS wirklich nicht leisten“.

Man sieht, alles außerhalb der Gesetze der Natur und des Daseins ist eine Frage des Standpunkts. Wer behauptet, er wisse, was notwendig sei und was nicht, was andere müssen und was nicht, der will schlicht private Maßstäbe zum Gesetz machen.

Dieser anmaßenden Mentalität gilt es entgegenzuhalten: Kultur beginnt da, wo man die Ebene der Notwendigkeit verlassen hat. Also: schöne Literatur, Musik, bildende Kunst, Sportwagen – muss das alles sein, wo es doch „unnötig“ Ressourcen und Zeit bindet?

Ja, das muss sein, und das gilt genauso wie für modische Übertreibungen oder persönliche Spleens, solange sie nicht klar und erheblich zulasten anderer gehen. Wer sich echauffiert, wenn er mal unter hunderten braven Alltagsautos ein hypertrophes Poserauto bemerkt, der muss sich fragen lassen: „In Urlaub fliegen, Haustiere halten, auf über 20 Grad heizen, auswärts essen gehen, sich neue Möbel oder Kleidung kaufen – muss das sein?“

Ja, es muss und warum, das weiß jeder Einzelne viel besser als die verbiesterten Tugendwächter und Verzichtsfanatiker, die einem das kurze Dasein vermiesen.

Würde ich mich aufregen, wenn ein 5,50 Meter langer Maybach W6 – mit 1,8 Tonnen nebenbei leichter als manche „nachhaltige“ Batteriekutsche – mir gleich zwei Parkplätze wegnimmt oder mit seinem Wendekreis von 14 Metern den Weg versperrt?

Ganz gewiss nicht, obwohl ich das persönlich nicht so extrem haben wollte. Aber ich würde es den Leuten gönnen, die sich den Spaß genehmigen und dafür den Gegenwert eines Hauses hinblätterten – damals wie heute…

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Die Römer sind zurück! Ein Lancia Dilambda in Koblenz

Keine Sorge – ich verbreite keine Angst vor fremden Besatzern – diese Paranoia überlasse ich anderen. Im Gegenteil, ich heiße heute augenzwinkernd eine neuerliche Invasion derer gut, die dafür sorgten, dass Teile Deutschlands für rund 400 Jahre Teil des römischen Reichs waren.

Am längsten hielt sich die Kultur der Römer – die nicht an Herkunft oder Ethnien, sondern „nur“ an Bürgerrecht und Lebensweise gebunden war – im Rheinland.

Wer verstehen will, warum die Leute dort anders sind, der muss 2000 Jahre zurückgehen. Damals wurden in der Region unsere ältesten Städte gegründet, eine davon – das heute eher provinzielle Trier – brachte es sogar zeitweise zur Hauptstadt des Imperiums.

Ebenfalls an der Mosel, am Zusammmenfluss mit dem Rhein, gründeten die Römer um Christi Geburt das an Alter damit konkurrierende Koblenz. Die Ansiedlung erhielt den Namen „castellum ad confluentes„, was den Zusammenfluss der beiden Ströme bezeichnet.

Wenn der römische Name bis heute in einem Stadtnamen fortlebt, dann ist das stets ein Hinweis auf Siedlungskontinuität über den Zusammenbruch der durch endlose Barbareneinfälle überforderten römischen Verwaltungs- und Wirtschaftstrukturen im 5. Jh n. Chr. hinaus.

So erlosch zwar auch in Koblenz nach über 400 Jahren das Licht mediterraner Zivilisation, doch das Stadtgebiet war weiterhin, wenn auch bescheiden, bewohnt.

Wie bei allen römischen Stadgründungen blieb die strategische Lage in wirtschaftlicher wie militärischer Hinsicht über die Zeiten herausragend. Deutlich wird dies beispielsweise an der Geschichte der Koblenzer Festung Ehrenbreitstein, die ebenfalls rund 400 Jahre umfasst.

Die Reste der Anlage davon zeichnen sich im Hintergrund auf dieser Aufnahme aus den 1930er Jahren gegenüber der Moselmündung ab – dort, wo sich das „Deutsche Eck“ befindet, damals wie heute ein beliebter Ausflugsort:

Vorkriegsautos am Deutschen Eck in Koblenz; Original: Sammlung Michael Schlenger

Diese Aufnahme lässt sich zeitlich recht genau eingrenzen. Denn die beiden jüngsten Fahrzeuge, die darauf zu sehen sind, wurden erstmals 1935 bzw. 1936 angeboten.

Praktischerweise sind sie hier in der ersten Reihe zu sehen und es mag sein, dass der unbekannte Fotograf dieser Aufnahme die beiden modernsten Wagen bewusst in den Vordergrund seine Komposition rückte.

Natürlich nimmt man zunächst den BMW in der Mitte war, dessen markante Kühlerfront ihn damals unter all den Autos mit mehr oder minder konventioneller Gestaltung hervorstechen ließ. Ich würde ihn als Modell 326 ansprechen, welches ab 1936 angeboten wurde.

Nur ein Jahr zuvor war der Wanderer links neben ihm, der hier eher altbacken wirkt. Das liegt aber auch ein wenig am voluminösen Aufbau als sechsfenstriger Pullman-Limousine:

Warum bei dem BMW die untere Reihe der normalerweise doppelt ausgeführten Stoßstangen fehlt, kann ich nicht sagen. Vielleicht empfand der Besitzer sie als optisch störend, was nachvollziehbar ist.

Nachtrag: Beim Blättern in der Literatur stieß ich auf den BMW 329, der bis auf die Stoßstange fast so aussah wie der 326, aber noch den schwächeren Motor des alten BMW 319 hatte.

Letztlich dürfen wir davon ausgehen, dass diese Situation kurz vor dem Beginn des Zweiten Weltkriegs für die Nachwelt festgehalten wurde. So hübsch die Situation auch erscheint, wird sie richtig interessant aber erst durch die Anwesenheit eines unerwarteten Gasts.

Ganz rechts am Bildrand ist nämlich eine monumentale Limousine der Oberklasse zu sehen, welche den Anlass zum Titel des heutigen Blog-Eintrags lieferte:

„Die Römer sind zurück!“ – das trifft hier im buchstäblichen Sinn zu. Das Auto selbst stammt zwar nicht aus der italienischen Kapitale selbst, sondern aus dem weiter nördlich am Fuß der Alpen gelegenen Turin. Es handelt sich nämlich um einen Lancia.

Das war bereits mein erster Gedanke, als ich das Kühleremblem sah. Nur der genaue Typ bedurfte noch einer kurzen Recherche. Nach dem Erfolg des sensationell modernen „Lambda“ wollte man ein Luxusauto im amerikanischen Stil anbieten, welches sich durch einen völlig neuen, relativ hochdrehenden V8-Motor mit 100 PS auszeichnete.

Zwar glich äußerlich kaum eines dieser ab 1929 unter dem Namen „Dilambda“ gebauten Autos dem anderem. Doch ein Detail verrät, dass wir es bei dieser für Lancia eher konventionell dahekommenden Limousine ebenfalls mit einem „Dilambda“ zu tun haben.

Betrachtet man nämlich die Scheinwerfer, stellt man fest, dass sie nicht ganz rund sind, sondern eher einem abgerundeten Dreieck nachgeformt sind, wobei eine „Spitze“ nach unten zeigt. Dieses eigenwillige Detail ist ein sicherer Hinweis auf einen Dilambda:

Auch wenn es hier kaum zu erkennen ist, so trägt dieser Wagen ein italienisches Kennzeichen, bei dem der Name der Hauptstadt „Roma“ im Unterschied zu späteren Konvention hinter der Ziffernfolge steht.

Dass es sich tatsächlich um Reisende aus Rom handelt, wurde mir in einer einschlägigen Gruppe von Enthusiasten für italienische Vorkriegswagen bestätigt. Ein bemerkenswerter Fund, finde ich.

Was die Römer mit ihrem mächtigen Dilambda wohl in Koblenz verloren hatten, fragt man sich. Leider sind sie damals nicht dauerhaft geblieben, obwohl sie reichlich Gepäck dabeihatten.

So mag mancher einige ihrer Errungenschaften – robuste Grenzsicherung, dauerhafte Straßen und Brücken, großartige Kunstwerke im öffentlichen Raum, von großer Rationalität geprägtes Rechtssystem, kleiner, aber hocheffizienter Beamtenapparat, weitgehend freies Wirtschaften und erfolgreiche Integration verschiedenster Völkerschaften in einer Hochkultur mit klarem Führungsanspruch – heute schmerzlich vermissen und das nicht nur in Koblenz.

„Sic transit gloria mundi.“ – frei übertragen: „Nichts Großes ist von Dauer.“ Immerhin die majestätischen Dilambdas haben in etlichen Exemplaren die Stürme der Zeiten überdauert, welche auf diese Aufnahme folgten. Aber mehr als dieser Trost, heute reine Verwalter eines grandiosen Erbes zu sein, bleibt uns wohl nicht…

Michael Schlenger, 2024. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

Fund des Monats: Alfa-Romeo 6C1900 von 1933

Dem „Fund des Monats“ fiebern viele meiner Leser besonders entgegen – und ich darf schon jetzt sagen: Heute kommen Sie hier noch mehr auf Ihre Kosten als sonst.

Ganz gleich, was Sie sonst beschäftigt oder belastet, ganz gleich wie trüb die Stimmung ob des Wetters oder der allgemeinen Umstände in Europa, die sich einfach nicht zum Besseren neigen wollen – bald wird alles verflogen sein und Sie sind plötzlich an einem weit entfernten Ort, dessen Zeitlosigkeit etwas tief Beruhigendes hat – oder etwas Beunruhigendes, je nach dem, was man darin sehen will.

Müsste ich einen anderen Titel dazu wählen, täte ich mich vermutlich schwer damit, auf etwas Raffiniertes oder wenigstens ein reizvolles Wortspiel zu kommen.

Klassik trifft Klassik“ wäre noch das Beste und zugleich Banalste, was mir dazu einfiele. Tatsächlich liegt es ja im Wesen der Klassik, dass sie keine Kommentierung erfordert, wenn man ihrer ansichtig wird; sie bedarf keiner Wortgirlanden, um begriffen zu werden.

Denn Klassik ist klar und diszipliniert, frei von Übertreibung in der einen oder anderen Richtung, sie ist Ausgewogenheit par excellence, sie steht für sich selbst und ist jedermann zugänglich.

Obendrein ist sie dem Zeitgeist enthoben, wird überzeitlich verstanden, weshalb klassische Dinge meist Bestand haben, mag auch sonst alles auf den Kopf gestellt oder von modischem Exzess oder blanker Barbarei ruiniert werden.

Nach dieser wieder viel zu langen Vorrede machen wir uns auf eine Reise in die Welt der Klassik, an deren Ende Sie vielleicht neue Energie und Zuversicht gefunden haben werden – oder auch: Melancholie, wenn Sie das bevorzugen.

Möglich gemacht hat uns das Stefano Paracchi, der mir das Foto in digitaler Kopie zur Verfügung gestellt hat. Er hat die Aufnahme von seinen Großeltern geerbt, die sich im Jahr 1934 frisch verheiratet auf einen langen Trip tief in den Süden machten.

Ausgangspunkt war das norditalienische Vercelli, auf halbem Weg zwischen Turin und Mailand gelegen. Vor ihnen lag eine Route, die auch heute noch eine Herausforderung darstellt, wenn man sie mit dem Auto absolviert: 1.600 km betrug allein der Hinweg.

Das Ziel war Sizilien und dort natürlich die großartigen Hinterlassenschaften der griechischen Klassik – der kulturellen Blütezeit der Insel trotz damals endloser Kriege und enormer gesellschaftlicher Widersprüche.

Zu den bedeutendsten griechischen Kolonien auf Sizilien zählte im 5. Jh. vor Christus die Stadt Akragas – im Südwesten der Insel gelegen. Ihrem Glanz machten die Karthager schon bald ein Ende und die Stadt sollte nie wieder die einstige Größe erlangen.

Und doch gehört das, was von ihr geblieben ist, zu den beeindruckendsten historischen Stätten im ganzen Mittelmeeraum. Was am mächtigsten aus dem weitläufigen Trümmerareal in Sichtweite des modernen Agrigento herausragt und über die Zeiten hinweg fesselt, das sind die klassischen Tempel der einstigen Metropole.

Der besterhaltene davon – der Concordia-Tempel – ist ein Idealbeispiel für den an Erhabenheit später unerreichten dorischen Stil. Seinetwegen unternahm einst Goethe auf seiner Italienischen Reise 1787 den riskanten Abstecher ins unerschlossene Sizilien.

Die Großeltern von Stefano Paracchi taten es ihm nach – weniger riskant, aber noch abenteuerlich genug in ihrem herrlichen Sport-Cabriolet. So standen auch sie 1934 mit dem Wagen vor dem antiken Tempel und machten Fotos für sich und die Nachwelt:

Alfa-Romeo 6C1900 von 1933; Originalfoto aus Familienbesitz (Stefano Paracchi)

Habe ich zuviel versprochen? Lässt diese Aufnahme nicht Zeit und Raum vergessen?

Hier ist alles vollkommen proportioniert – so wie die enormen Stufen in Relation zu den Säulen und die genau bemessene leichte Wölbung der Säulenseiten.

Vollkommen proportioniert und perfekt in Szene gesetzt ist auch der Wagen davor – ein Alfa-Romeo des nur 1933 gebauten Typs 6C1900, wie mir Stefano Paracchi versicherte, der selbst ein großer Freund automobiler Klassiker ist.

In dem Wagen sitzt seine Großmutter und sie schaut uns passend zur Szenerie mit klassisch-strenger Pose an. An solch einem mythischen Ort lacht man nicht, so wie man selbst als Ungläubiger keine Kirche in kurzen Hosen betritt und dort primitiv herumplappert.

Das Gesicht der jungen Frau ist von der kühlen Schönheit einer antiken Göttinnenstatue – überhaupt macht man in Italien wiederholt die Beobachtung, dass einem die klassischen Gesichter, welche man eben noch auf Renaissance-Fresken oder an antiken Skulpturen bewundert hat, später auf der Straße wiederbegegnen.

Jaja“, mögen sie jetzt denken, „unser Blog-Wart und seine Italien-Schwäche (bestimmt wird der von Rom bezahlt). Was ist denn jetzt mit dem Alfa, gibt’s dazu noch etwas Handfestes?“

Gewiss, werte Leser, auch damit kann ich dienen. Werfen wir also einen näheren Blick auf das Prachtstück auf vier Rädern, eines von knapp 200, die 1933 in Manufaktur entstanden und oft individuelle Aufbauten erhielten wie wohl auch dieses Exemplar:

Zunächst zum Aufbau als zweitüriges Cabriolet mit je einem Seitenfenster: Die Linienführung ist von bestechender Klarheit, dabei findet man fast keine gerade Linie daran – genau das verleiht dem Wagen Spannung und Körperhaftigkeit.

Meisterlich ist die durchgehende gebogene Linienführung von den Vorderkotflügeln über das Trittbrett bis zum Heckabschluss. Ebenso perfekt das Zusammenspiel von Haubenschlitzen, Haubenabschluss und Türvorderende, während die davon leicht abweichende Neigung der Frontscheibe für einen willkommenen Kontrapunkt sorgt.

Das alles ist die hohe Schule der klassischen Karosseriegestaltung im Europa der 1930er Jahre, die man natürlich auch bei anderen Herstellern jener Zeit findet.

Man beachte außerdem keineswegs zufällige Elemente wie etwa den Kontrast zwischen der nach oben spitz zulaufenden Kühlermaske und der mittig nach unten zeigenden Stoßstange.

Gut gefällt mir auch, dass man auf massive Chromscheinwerfer verzichtet hat, wie sie bei Luxusautos gern verbaut wurden. Nur ein filigraner Chromring um das dunkel lackierte Gehäuse sorgt für einen dezenten, aber wichtigen Glanzpunkt.

Zwar wirkt ein klassisches Erscheinungsbild aus der inneren Balance zwischen den einzelnen Bestandteilen; es bedarf dazu keines großen äußeren Zierrats. Jedoch werden dabei gezielt kleine, das Auge erfreuende Effekte eingesetzt, um übermäßiger Strenge entgegenzuwirken.

Im Fall des Concordiatempels erfüllten diese Funktion behutsame Farbakzente in blau und rot, die auf dem einst ganz mit weißem Stuck überzogenen Bauwerk gesetzt wurden. Der Verzicht auf diese wohlüberlegten Mittel im Klassiszismus der Neuzeit erklärt, weshalb jene Bauten oft kühl und abweisend wirken.

Zurück zum Alfa, in dem es vielmehr heiß und aufregend zuging, jedenfalls wenn man nach langer Fahrt die Motorhaube öffnete.

Dort fand man ein Aggregat vor, dessen Konzept selbst klassisch ist – ein Reihensechszylinder mit zwei obenliegenden Nockenwellen, welche für ein Mehr an Drehfreude und bessere Leistungsausbeute sorgten.

Was das hieß, wird einem erst klar, wenn man einen der begehrenswertesten deutschen Sechszylinder-Sportwagen vom Ende der 1930er heranzieht – den BMW 327. Ab 1937 bot dieser 55 PS aus ebenfalls 1,9 Litern Hubraum, was für Spitze 125 km/h gut war.

Die ab 1938 verfügbare Spezialvariante 327/328 kam dann bei identischem Hubraum mit 80 PS daher, jetzt waren sogar 140 km/h drin.

Im Jahr 1933, als der Alfa-Romeo 6C1900 gebaut wurde, gab es indessen nichts annähernd Vergleichbares am deutschen Markt. Mit fast 70 PS Leistung und einer Höchstgeschwindigkeit von 130 km/h stand der Italiener in seiner Hubraumklasse seinerzeit konkurrenzlos da.

Das damals klassische Autobahntempo von 100 km/h konnte der Alfa mühelos dauerhaft halten oder bei Bedarf deutlich überschreiten. Gelegenheit dafür gab es nur in Oberitalien, wo ab Mitte der 1920er Jahre die ersten zum Schnellfahren geeigneten Straßen entstanden.

Den Weg nach Sizilien werden Stefano Paracchis Großeltern einst gemächlicher angegangen sein. Gern wüsste man mehr über weitere Stationen ihrer Reise und die Herausforderungen dabei. Doch dergleichen Details würden nur von der klassischen Wirkung des heute vorgestellten Dokuments ablenken.

Kehren wir also zum Schluss nochmals nach Akragas, heute Agrigento, auf Sizilien zurück. Die dort 1934 entstandene Aufnahme ließe sich heute nicht wiederholen, auch wenn der Tempel heute besser dasteht als einst – Italien pflegt sein großes Erbe hingebungsvoll.

Lässt man das Foto nachwirken, dann begreift man dieses:

Ganz gleich, welche Schattenseiten die Antike einst hatte, ganz gleich, wie betrüblich sich die politischen Verhältnisse im Italien der 1930er Jahre darstellten – was am Ende übrigbleibt vom menschlichen Streben nach Vollkommenheit und Schönheit über die Zeit, das sind solche nur vordergründig schweigenden Zeugen der Klassik.

Im Bild des verlassen dastehenden Tempels und dem davor aufgenommenen klassischen Alfa, der mit seinen Besitzern längst vergangen ist, liegt etwas Tragisches und etwas Tröstliches zugleich. Suchen Sie sich aus, was davon Ihnen mehr behagt in diesen Tagen.

Oder ist es vielleicht eine Mischung aus beidem?

Michael Schlenger, 2024. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

Wo ist es am Rhein so schön? Audi Typ G 8/22 PS

Der heutige Blog-Eintrag ist wirklich von gestern! Wenn Sie jetzt denken, dass Sie von mir nichts anderes erwarten, dann ist das natürlich richtig. Es kommt aber noch etwas hinzu.

Tatsächlich wollte ich bereits gestern wieder einmal über den Audi Typ G 8/22 berichten, der vor rund 100 Jahren das Basismodell der Marke war. Doch dann kam einiges dazwischen – so absorbierten einige weitere Fotos meine Aufmerksamkeit und mir lief die Zeit davon.

Daher entschied ich mich, „neue“ Aufnahmen für die Publikation vorzubereiten und meine Fotogalerien um Bilder zu ergänzen, welche ich in letzter Zeit hier besprochen habe. Dann gibt es noch meine internationale Facebook-Gruppe, in der ebenfalls stets etwas los ist.

So blieb es bei dem Titel „von gestern“, der kurioserweise auch noch einen bereits überholten Kennntisstand meinerseits wiederspiegelt. Denn meine fragende Variation über das Thema „Wie ist es am Rhein so schön“ entsprang dem Umstand, dass ich gestern noch nicht wusste, wo genau diese hübsche Aufnahme entstanden war:  

Audi Typ G 8/22 PS im Rheintal; Originalfoto: Michael Schlenger

Natürlich kam mir die liebliche Flusslandschaft auf Anhieb bekannt vor, in der einst dieser Tourenwagen einen Fotohalt eingelegt hatte. Mir war die Gegend noch aus einer Zeit bekannt, als ich für ein paar Jahre in Wiesbaden wohnte und arbeitete.

Damals pflegte ich bei schönem Wetter nach Dienstschluss aus der mondänen Adolfsallee nach Hause zu eilen und Hemd und Krawatte gegen T-Shirt und Lederjacke einzutauschen. Dann ging es mit dem Motorrad – einer einzylindrigen 500er – oft in den Rheingau, um bis Sonnenuntergang die landschaftlichen Schönheiten der Region zu „erfahren“.

In dieser völlig unbeschwerten Zeit, die nun schon 25 Jahre zurückliegt, habe ich viele der historischen Orte im Mittelrheintal angesteuert, aber meistens nur gestreift. Das ziellose Fahren mit einer drehmomentstarken Maschine im warmen Abendwind auf schöngeschwungenen Straßen mit wenig Verkehr war der eigentliche Zweck.

So kam mir die Situation auf Anhieb bekannt vor, doch wollte mir zunächst nicht einfallen, wo am Rhein es so schön ist:

Da dachte ich mir, dass ich die Identifikation des Aufnahmeorts ruhig meinen Lesern überlassen kann, die auch in dieser Hinsicht oft meine Wissensdefizite auszugleichen wissen. Damit war schon einmal der Titel gefunden.

Ich für meinen Teil würde unterdessen herausarbeiten, was das für ein Wagen war, der vor dieser Kulisse einst abgelichtet worden war. Mir fiel das ausgesprochen leicht, wohl auch, weil ich dem Originalfoto stets noch etwas mehr Informationen entnehmen kann.

„Das muss ein Spitzkühler-Audi sein“, dachte ich gleich – also eines der Modelle, die ab Ende des 1. Weltkriegs für kurze Zeit das Gesicht der Marke prägten. In der Literatur finden sich einige Abbildungen davon, wobei kein Wagen ganz dem anderen gleicht.

Die frühen Audis waren stets Manufakturwagen, und die Aufbauten wurden meist von separaten Karosserieherstellern zugeliefert. Auch der eigenwillige Spitzkühler unterlag einigen Variationen – hier haben wir ein brilliantes Beispiel dafür:

Audi Typ G 8/22 PS; Originalfoto: Sammlung Klaas Dierks

Diese Aufnahme aus dem Fundus von Leser Klaas Dierks sucht ihresgleichen. Nicht nur zeigt sie den Audi-Spitzkühler in idealer Weise, sondern zugleich den zugehörigen Wagen just zu dem Zeitpunkt, als er fertig für eine vielleicht neue Karosserie war.

Festzuhalten ist für unserer Zwecke in erster Linie die Gestaltung des nach unten vorspringenden Spitzkühlers mit dem beiderseitigen Abdeckblech, das die Lücke zum Rahmen hin schließt.

Ich muss Sie leider mit dergleichen Details belästigen, weil Sie mir sonst womöglich nicht bei der Ansprache unseres am Rhein parkierenden Wagens als einem solchen Spitzkühler-Audi folgen wollen. Auch die Gestaltung der Radnaben prägen Sie sich bitte ein.

Nach diesem raffinierten „Framing“ haben Sie nun kaum noch eine Chance, sich nicht meiner These anzuschließen, dass hier ebenfalls ein Spitzkühler-Audi zu sehen ist:

Ja, die Position des (nicht leserlichen) Audi-Emblems ist eine etwas andere, aber solche Variationen finden sich bei den damaligen Wagen dieses Herstellers je nach Baujahr.

Sollte jemand unter Ihnen zu einer völlig anderen Einschätzung gelangen und diese begründen können, freue ich mich über entsprechende Aufklärung. Ohne Querdenker entgeht man der Falle vermeintlicher Wahrheiten nicht, welche „Experten“ gern aufstellen.

Ich kann also auch falsch liegen, weil ich mich zu sehr auf meine Erfahrung verlasse und es außerdem bequem ist, selbstgewiss rasch zu endgültigen Schlüssen zu gelangen.

Eingedenk dessen formuliere ich daher auch meine Identifikation dieses Wagens als Audi des Typs G 8/22 PS ausdrücklich als These. Ich halte es jedenfalls für sehr wahrscheinlich, dass dieser auf dem Foto kompakt wirkende Tourer keiner der stärkeren und größeren nach dem 1. Weltkrieg weitergebauten Typen wie C 14/35 oder gar E 22/55 PS war.

Einschränkend ist anzumerken, dass es den Audi G 8/22 PS auch mit einem etwas längeren Chassis gab wie den Typ C. Allerdings war die schwächere Ausführung die mit Abstand am häufigsten gebaute Anfang der 1920er Jahre.

Viel mehr (ver)mag ich gar nicht zu erzählen zum heutigen Kandidaten. Nur eines möchte ich noch festhalten: Wo es am Rhein so schön ist, das ist mir dann doch noch eingefallen. Das war aber nicht gestern, sondern erst heute.

Und das Schöne ist: Dort, wo dieser Audi einst für uns Nachgeborene festgehalten wurde, dort ist es heute noch schön wie gestern. Der Ort ist nämlich Bacharach – und zumindest in der Hinsicht lasse ich mich als erfahrener Rheingau-Experte auf keine Diskussionen ein…

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Hier geht mehr als ein Urlaub zuende: BMW 327/28

Mit dem sensationell gezeichneten BMW 327 von anno 1937 geht für viele Liebhaber klassischer Formen die kurze Vorkriegszeit der so berühmten Automarke zuende.

Zwar kam 1939 noch der Typ 335 heraus, der ähnliche Linien aufwies, aber er war eher eine Variation über ein Thema, welches bereits seine Vollendung gefunden hatte.

Wir waren dem aus jeder Perspektive wirklich perfekt gezeichneten BMW 327 zuletzt in Form dieses Exemplars mit Zulassung im schlesischen Breslau begegnet, welches während des 2. Weltkriegs auf der damals verwaisten Autobahn aufgenommen worden war:

BMW 327 Cabriolet; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Ich hatte seinerzeit ungewöhnlich viel Geld für das Foto ausgegeben, wohl mehr als 20 EUR. Ich wollte es aber unbedingt haben, denn so etwas findet sich nicht alle Tage.

Dergleichen finanziellen Exzessen für ein Stück belichteten Papiers steht freilich gegenüber, dass ich für das Gros meiner Aufnahmen durchschnittlich nur rund einen 5er zahle. Über’s Jahr kommt auch so ein hübscher Betrag zusammen – neben den Kosten des Blogbetriebs.

Dass Sie dieses Material hier ohne Limit kostenlos genießen können, hat allerdings einen Preis: Sie müssen sich oft durch abwegige und langatmige Einleitungen durcharbeiten, bevor es zur Sache geht.

Ein Blog ist nun einmal kein Sachbuch oder eine sonstwie ernsthafte Abhandlung – es ist ein persönliches Tagebuch, in dem Dritte online mitlesen können (daher die Bezeichnung: web-log, kurz: blog).

Heute haben Sie allerdings Glück, sofern Ihnen nicht der Sinn nach komplizierten und subjektiven Präludien steht. Denn diesmal will ich gleich zum Punkt kommen – nicht zuletzt, weil der BMW 327 keiner dilettantischen Hinleitung bedarf.

Dieser Wagen war ein Kunstwerk auf Rädern und das lässt man am besten ohne viele Worte wirken. Nur auf eines sei hingewiesen: Das Auto, welches ich nun zeige, kennen manche von Ihnen bereits.

Ich hatte es vor bald drei Jahren anhand eines zauberhaften Frühlingsfotos präsentiert, welches in Verona vor dem berühmten römischen Amphitheater entstanden war:

BMW 327/28 Cabriolet; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Damals hatten wir nur die Besitzerin des herrlichen, in München zugelassenen Wagens kennengelernt, während ihr Ehemann hinter der Kamera stand.

Ich hatte seinerzeit die Gelegenheit dazu genutzt, über die Qualitäten der Klassik zu fabulieren. Beschwerden diesbezüglich sind mir keine bekannt, ich scheine also nicht völlig danebengelegen zu haben.

Nun hat mir der Zufall – eine der bemerkenswerten Kräfte, die unser Leben prägen – mit ein paar Jahren Abstand ein zweites Bild desselben Wagens beschert.

Allerdings werde ich dieses Mal weniger Anlass haben, auf dem Thema Klassik herumzureiten, denn der BMW ist nun in einer Umgebung zu sehen, die das völlige Gegenteil repräsentiert.

Immerhin befinden wir uns noch in Italien, doch die Szenerie liefert nun ein Gebäude, das für den eher weniger landestypischen Stil der Gotik steht – der Mailänder Dom – und welches dennoch den angrenzenden Bau der Neo-Renaissance in den Schatten stellt:

BMW 327/28 in Mailand; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Man möchte nicht glauben, dass dieses wohlkomponierte Foto wirklich billigst zu haben war. Ich konnte mein Glück kaum fassen, zumal diesmal „sie“ auf den Auslöser drückte und wir nun auch wissen, wie „er“ aussah.

Im hellen, da staubunempfindlichen Reisemantel fuhr man einst im offenen Automobil, sofern die Temperaturen noch kein sommerliches Niveau erreicht hatten.

Ich weiß es natürlich nicht genau, aber ich stelle mir vor, dass dieses Foto nach der Aufnahme in Verona entstanden war, als unser Münchener BMW-Paar wieder auf dem Heimweg war.

Tatsächlich sieht „er“ schon wieder geschäftsmäßig aus, so als ob die im Norden wartenden Aufgaben ihre Schatten vorauswarfen:

Vermutlich ging hier der gemeinsame Urlaub in Italien zuende – von Mailand gelangte man mit dem hervorragend motorisierten BMW mühelos noch am gleichen Tag „heim ins Reich“.

Wenn Sie jetzt schlucken, dann kann ich Ihnen das nicht ersparen. Denn an der für die Völker Europas so fatalen Zeitgeschichte jener Tage kommen wir nicht vorbei.

Wie schon die Aufnahme in Verona so ist auch diese aus Mailand auf 1939 datiert. Wir dürfen davon ausgehen, dass die Bilder die Dokumente des letzten Urlaubs für lange Zeit waren, welchen unser Paar genießen durfte.

Damals ging so ziemlich alles dem Ende zu – nicht nur die grandiose Geschichte der BMW-Vorkriegswagen. Ob und wie die beiden offenbar hervorragend situierten Besitzer den Krieg überstanden, wissen wir nicht.

Denkbar, dass sie den BMW behalten durften, weil er geschäftlich benötigt wurde. Ebenso möglich ist es, dass er für das Militär beschlagnahmt wurde und sie ihn nie wiedersahen.

Vielleicht waren diese Fotos alles, was dem Besitzerpaar von dem Wagen und vielleicht sogar von ihrer gesamten luxuriösen Vorkriegsexistenz blieb. 75 Jahre später erfreuen sie jedenfalls noch immer das Herz, wecken Sehnsucht, stimmen aber auch nachdenklich.

Jeder Urlaub im Leben (auch im übertragenen Sinne) geht einmal zuende – man darf sich bereits glücklich schätzen, wenn es nicht der letzte war.

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Sportlich & schön auf tschechisch: Aero 30 Roadster

Was sagt man in Tschechien, wenn man eine Sache sportlich und schön findet? Nach meiner Recherche lautet die richtige Lösung: sportovní a krásný.

Doch da mir der Zugang zu den slawischen Sprachen fehlt, habe ich mich für eine andere Herangehensweise entschieden. Anlass dazu gab die Diskussion im Anschluss an meinen Blog-Eintrag zum Fiat 508 S Spyder Sport.

Denn ich hatte die These aufgestellt, dass kein deutscher Hersteller es in der ersten Hälfte der 1930er Jahre wagte, in der 1 Liter-Klasse einen Serienwagen mit dermaßen gutem Leistungsgewicht zu bauen: 30 bzw. 38 PS auf 600 kg.

Allenfalls der Adler Trumpf Junior Sport (ab 1935) kam in die Nähe dieser Relation.

Warum man sich nicht mit den Italienern auf diesem Feld messen wollte? Vermutlich galt das hemmungslose Streben nach Spitzenleistung in der Kleinwagenklasse den Firmenvorständen hierzulande als unschicklich, obwohl es einen Markt dafür gab.

Vielleicht meinte man auch, dass solche Fahrzeuge nicht belastbar seien. Derselben Fehleinschätzung unterlagen die deutschen Motorradhersteller nach dem Krieg, als sie den hochdrehenden japanischen Konkurrenten mangelhafte Standfestigkeit unterstellten und sich selbst für das Maß aller Dinge hielten – wie das ausging, ist bekannt.

Ein Leser meiner Facebook-Gruppe, in der ich regelmäßig auf diesen Blog verlinke und die über 1.500 Mitglieder aus aller Welt hat, erinnerte mich daran, dass auch die Tschechen in den 30er Jahren ein Faible für 1-Liter-Autos hatten, die sportlich und schön waren.

Eines dieser Rezepte trug den Namen „Aero 30 Roadster“ und zufälligerweise habe ich gerade vor einigen Tagen ein zeitgenössisches Foto davon aufgetan:

Aero 30 Roadster; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Dass es sich bei diesem beinahe britisch wirkenden Auto um die Schöpfung eines tschechischen Herstellers handelt, darauf deutete schon das Nummernschild hin. Mir war dieses scharfe Gerät aber bereits bei früherer Gelegenheit begegnet.

Im damaligen Blog-Eintrag ging es allerdings um die spätere Ausführung mit Aufbau nach Entwurf von Sodomka, während wir hier eine frühere Version sehen.

Dass ich überhaupt etwas zu diesem attraktiven Fahrzeug sagen kann, verdanke ich der deutschen Aero-IG – man sieht, es gibt auch im 21. Jahrhundert immer noch Deutsche, welche die besonderen Qualitäten dieser Marke zu schätzen wissen.

Demnach wurde der Aero 30 im Jahr 1934 eingeführt und war von Anfang an auch mit dieser gelungenen Roadster-Karosserie erhältlich. Antriebsseitig sind Ähnlichkeiten mit den Fronttrieblern von DKW unübersehbar – ein Zweizylinder-Zweitaktmotor und Vorderradantrieb waren die Kennzeichen.

Allerdings spielte der Aero mit 30 PS aus knapp einem Liter Hubraum in einer für die sonst durchaus agilen DKWs unerreichbaren Liga. Bis zu 110 km/h Spitze werden für den Roadster angegeben.

Was das Gewicht betrifft, blieben freilich die 600 kg des Fiat 508 S Spyder Sport unerreicht – der Aero brachte über 800 kg auf Waage (sofern die Angabe stimmt, die mir recht hoch vorkommt.)

Während der Fiat 508 Roadster femininer und filigraner wirkte, repräsentierte der Aero 30 Roadster wie gesagt eher den kernigen britischen Stil:

Wer so etwas aus deutschen Landen wünschte, wurde in gestalterischer Hinsicht damals noch am ehesten beim Tornax Rex fündig – nicht zufällig ein Nischenfahrzeug wie auch der DKW F5 Front Luxus Roadster mit seiner eher weichen Linienführung.

Jedenfalls kann sich die tschechische Interpretation des Rezepts „sportlich und schön“ im Konkurrenzvergleich absolut sehen lassen und man versteht, warum sich jemand einst dafür und nichts anderes entschied.

Dank der quicklebendigen Vorkriegsszene im heutigen Tschechien kann man nach 90 Jahren immer noch Exemplare dieses Aero 30 Roadster genießen. Ein besonders schönes Beispiel in himmelblau findet sich aus verschiedenen Perspektiven hier:

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Eile mit Weile: Ein Ford Eifel im Kloster Corvey

Ein geschäftlich besonders intensives Jahr liegt (so gut wie) hinter mir. Heute war seit sehr langer Zeit der erste Tag, an dem das Arbeitspensum spürbar abflaute.

Meine Kunden – das sind internationale Vermögensverwalter, für die ich Übersetzungen hochspezialisierter Publikationen erstelle – haben das Jahr abgeschlossen, nehmen allenfalls die gute Stimmung an den internationalen Börsen wohlwollend zur Kenntnis.

Bis Weihnachten kann ich nun hoffentlich einiges aufarbeiten, was liegengeblieben ist. Dazu gehört neben einem Haufen Laub der großen alten Bäumen im Garten auch ein Stapel Bilder mit Autofotos nebst den zugehörigen Geschichten.

Als nächstes steht die übliche Beckmann-Story an, also eine weitere Folge unserer Zeitreise in die Geschichte dieses einst renommierten Autoherstellers aus dem schlesischen Breslau, der auf den ersten Blick merkwürdig wenig Spuren hinterlassen hat.

Um den nächsten Abschnitt vorzubereiten, brauche ich aber etwas Zeit, die ich heute noch nicht hatte. Also dachte ich mir, dass sich schon etwas finden lässt, was sich rasch im Blog aufbereiten lässt.

Was mit Eile begann, streckte sich dann doch eine ganze Weile hin. Dabei war der automobile Gegenstand eine sichere Bank, was die Identifikation und Einordnung angeht.

Denn so ein Ford Eifel vom Ende der 1930er Jahre ist leicht zu erkennen und ein besonders erfreulicher Anblick, wenn er sich mit einer so charmanten jungen Dame präsentiert:

Ford Eifel, Zulassung: Hildesheim; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Das ist doch das genau das Richtige, um auf die schnelle noch einen neuen Blog-Eintrag zustandezubringen, auch wenn der kleine Ford seinerzeit nur mit Mühe auf Autobahntempo von 100 km/h kam. Für eilige Zeitgenossen war der 34 PS leistende Wagen also nichts.

Allerdings gab es in der 1,1 Liter-Klasse seinerzeit kaum Besseres hierzulande. Den Vogel schoss dabei der Opel P4 ab, der damals nur 23 PS leistete und mit Spitze 85 km/h vermutlich das lahmste Auto seiner Art war, ohne besonders sparsam zu sein.

Als Alternative gab es die frontgetriebenen Zweitakt-DKWs, die trotz weniger Leistung bemerkenswert agil waren, oder den NSU-Fiat 1100 mit seinem modernen kopfgesteuerten Motor. Er war damals wohl der dynamischste und modernste in Deutschland gefertigte Wagen seiner Klasse, noch dazu mit 12 Volt-Elektrik und Hydraulikbremsen.

Gleichwohl fand der technisch weit primitivere Ford „Eifel“ durchaus seine Käufer, denn er war viel billiger als der anspruchsvollere Fiat. Zudem sah er von vorn recht flott aus, zumindest mit dem 1937 eingeführten v-förmigen Kühlergrill.

Ein Jahr später entstand die eingangs gezeigte Aufnahme eines Ford-Eifel, der laut Kennung auf dem Nummernschild im Raum Hildesheim zugelassen war.

Prima, dachte ich, dann kann es nicht so schwer sein, auch den Aufnahmeort zu identifizieren:

Ford Eifel, Zulassung: Hildesheim; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Dabei hätte ich mir schon anhand des bodenständigen Ford denken können, dass dies kein Fall ist, der sich lässig und schnell im Vorübergehen erledigen lässt.

Vielmehr wurde aus meiner leichtsinnigen Eile eine ganz erhebliche Weile, die ich brauchte, bis ich den Ort herausgefunden hatte, an dem diese schöne Situation einst fotografisch für uns Nachgeborene festgehalten worden war.

Die Architektur der Toranlage und des dahinterliegenden mehrstöckigen Gebäudes bewegt sich irgendwo zwischen Spätrenaissance und Frühbarock. Da der Ford in Niedersachsen zugelassen war, sprach die Wahrscheinlichkeit dafür, dass auch der Aufnahmeort dort lag.

So versuchte ich mein Glück in der Online-Bildersuche mit „Schlösser Niedersachsen“, „Toranlage Weser-Renaissance“ und ähnlichen Suchbegriffen. Erst als ich den Regionalbezug aufgab, wurde ich fündig – nämlich im westfälischen Corvey.

Man kennt das altehrwürdige Kloster und spätere Schloss vor allem wegen der großartigen Westfassade seiner bis in die Karolingerzeit zurückreichenden Kirche (Stichwort „Westwerk Corvey“). Doch die übrige, sehr weitläufige Anlage, die nach dem 30-jährigen Krieg erneuert wurde, bietet wenig, was eine derartige Qualität und solchen Wiedererkennungswert hätte.

So dürfte die heute präsentierte Ansicht der Toranlage vermutlich mit die attraktivste sein, die man zu sehen bekommt:  

Wenn Sie es also eilig haben, können Sie sich den physischen Besuch in Corvey beinahe sparen, wenn Sie nur lange genug im Studium dieses Dokuments verweilen – vom famosen Westwerk abgesehen, versteht sich. Dahinter findet sich leider nicht mehr viel aus der Karolingerzeit, in der Corvey eines der bedeutendsten Klöster Europas war.

Aber so ist das eben bei der Beschäftigung mit der Vergangenheit: Man stellt immer wieder fest, dass es keine durchweg lineare Entwicklung im Sinne von „schneller, schöner, klüger, besser usw.“ gibt.

Anstelle unbotmäßiger Eile bietet es sich oft genug an, sich eine Weile eine Auszeit vom Hier und Jetzt zu nehmen. Man muss ja nicht gleich ins Kloster gehen dafür – mein Blog bietet ebenfalls hinreichend Gelegenheit dazu, meine ich…

Michael Schlenger, 2023. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.   

Erhellend andere Ansicht(en): Dixi 6/18 PS

Es gibt wenig im Bereich unserer Wahrnehmung, das nicht zum erheblichen Teil Ansichtssache ist und dessen Wesen sich erst aus verschiedenen Perspektiven einigermaßen erfassen lässt.

Nur innerhalb logisch geschlossener Systeme wie der Mathematik gibt es objektive Klarheit, die sich jedermann gleichermaßen offenbart. Was nicht bedeutet, dass es jenseits solcher in sich vollkommener Modelle nicht Dinge geben kann, die uns (noch) nicht zugänglich sind.

Die Ideen der Planetenbewegung, der Evolution, der Kontinentalverschiebung oder der Relativität verstießen zu ihrer Entstehungszeit nicht nur gegen den Stand der Wissenschaft, ihre Vertreter wurden sogar als Verrückte oder gefährliche Subjekte diskreditiert.

Dieselben Mechanismen sind auch heute in Kraft, weil es bei kontroversen Fragestellungen grundsätzlicher Art meist um Machtpositionen geht (Parole: „The science is settled“).

So schön es ist, recht zu haben und auch zu behalten, müssen wir uns dagegen immunisieren, auf die vermeintlich zwingende Logik der eigenen Sicht oder der anderer hereinzufallen. Das gilt auch für so banale Dinge wie ein altes Autofoto:

Dixi Typ G1 6/18 PS; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Wir können uns für noch so objektiv halten, unser Blick konzentriert sich anstatt auf den abgebildeten Tourenwagen auf die Menschen, die einst mit ihm abgelichtet wurden. Schon tritt unsere unhintergehbare Subjektivität zutage.

Immerhin ist das „einst“ zur Abwechslung als klares Datum überliefert: März 1928.

Schön an dieser Ansicht finde ich den Moment der Erwartung, der darin festgehalten ist. Wir ahnen, dass gleich nachdem die Aufnahme im Kasten ist, der Wagen gestartet wird und die ganze Baggage eine Ausfahrt oder gar eine kleine Reise unternimmt.

Vielleicht geht es auf Verwandtenbesuch und das ernst dreinschauende Mädchen, das wie bereits wie eine junge Dame wirkt, hält ein Geschenk für die Großeltern oder auch die Cousine in den Händen.

Unterdessen können es die beiden Buben hinter ihr kaum erwarten, dass es losgeht – sie schauen weniger dem Ziel als dem Abenteuer des Fahrens entgegen, wohl nicht zum ersten Mal.

Ganz anders gestimmt scheint der Herr mit Hut auf dem Trittbrett. Mit verhaltener Freundlichkeit sieht er in die Kamera. Vielleicht lagen in dem Moment irgendwelche Sorgen wie ein Schatten auf seinem Gemüt, dennoch bemüht er sich um Contenance.

Sie sehen, schon die Interpretation der Verfasstheit der einzelnen Personen auf diesem Foto ist Ansichtssache. Wie immer in solchen Fällen freue ich mich über erfrischend andere Perspektiven.

Bei einer Sache bin ich mir jedoch sicher: Der Wagen ist ein Fabrikat der Fahrzeugwerke Eisenach, die seit 1904 unter der Marke „Dixi“ hochwertige Automobile produzierte und dabei bis zum 1. Weltkrieg alle Kategorien abdeckte.

Danach baute man noch für kurze Zeit einige Vorkriegsmodelle weiter, bis 1921 der neu konstruierte Typ G1 6/18 PS erschien, welcher 1923 zum G2 6/24 PS mutierte.

Eine erhellende Ansicht in der Richtung liefert uns folgende Aufnahme aus der Sammlung von Leser Matthias Schmidt:

Dixi 6/18 PS; Originalfoto: Sammlung Matthias Schmidt (Dresden)

Dass wir es hier mit einem „Dixi“ zu tun haben, das verrät dem Kenner schon die Kühlerfigur – ein vorwärtsstürmender Kentaur.

Typisch für die G-Modelle der Marke war speziell die Kombination aus leicht spitz zulaufendem Kühler, Drahtspeichenrädern, schrägstehenden Haubenschlitzen und unten „geknicktem“ Frontscheibenrahmen.

Keines dieser Elemente war für sich genommen exklusiv den Dixis vorbehalten, aber in dieser Zusammenstellung waren sie letzlich einzigartig, so meine Sicht der Dinge.

Bei der Gelegenheit vergleiche man auch die ungewöhnliche Gestaltung des Heckkotflügels mit seitlicher „Schürze“ mit dem Wagen auf dem ersten Foto.

Nach meiner Ansicht ist so etwas selten zu sehen, während der Tourenwagenaufbau mit „Tulpenkarosserie“ und umlaufendem Verdeckkasten nicht markentypisch war, sondern kurz nach dem 1. Weltkrieg einen Standard bei fast allen deutschen Herstellern repräsentierte.

Vermutlich werden Sie sich jetzt meiner Ansicht anschließen, dass auch mein eingangs gezeigtes Foto einen solchen Dixi des Typs G1 6/18 PS zeigt, eventuell auch ein frühes Exemplar des G2 vor der Einführung großer Bremstrommeln hinten.

Aber würden Sie auch die oberflächliche Ansicht teilen, dass dieser Wagen ein Nummernschild trägt, dessen Kennung mit „NB“ beginnt?

Klarer Fall – das ist erst ein „N“ und dann ein „B“ zu sehen, oder?

Nun, wenn Sie das glauben, dann sind Sie zwei vermeintlichen Autoritäten auf den Leim gegangen. Die eine bin ich, die Ihnen diese auf perfide Weise Lesart nahelegt, die andere ist ihre eigene Sinneswahrnehmung, welche sie dort tatsächlich „NB“ sehen lässt.

Auf beides zu vertrauen, ist indessen gefährlich. Es gibt nur eine Instanz, die einen vor solchen Irrtümern bewahrt – der kritische Gebrauch des eigenen Verstandes, auch wenn es vielen lästig ist, wie schon der Aufklärungspapst Immanuel Kant feststellte.

So muss man sich nämlich fragen: Selbst wenn ich dort klar und deutlich „NB“ lese, kann das denn überhaupt sein? Der Verstand sagt einem, dass man das trotz aller scheinbarer Offensichtlichkeit kritisch prüfen muss.

Dass ich selbst dieser Sinnestäuschung zum Opfer gefallen bin, will ich gerne bekennen. Mir kam das Nummernschild zwar von Anfang an „spanisch“ vor, dennoch nahm ich es für den Nennwert und schaute im „Herzberg“ (Handbuch Deutsche KfZ-Kennzeichen, Band 1) nach, ob es nicht vielleicht doch so etwas wie „NB“ in deutschen Landen gegeben haben könnte.

Dort fanden sich jedoch nur zwei optisch ähnliche Kennungen „HB“ für Bremen und „IV B“ für den Raum Baden. Allerdings fällt es schwer, diese mit dem zur Deckung zu bringen, was das Auge auf dem Foto wahrnimmt.

Den Erkenntnisdurchbruch lieferte erst das Einnehmen einer ganz anderen Perspektive – die titelgebende erhellende Ansicht fand sich sogar in meinem eigenen Fundus:

Dixi Typ G1 6/18 PS; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Ich hatte vergessen, dass sich in meinem Bestand an unaufgearbeiteten Fotos auch diese Dixi-Aufnahme befand – auf welcher der Wagen belichtungsbedingt ganz anders wirkt.

Doch nicht nur einige Insassen kommen einem auffallend bekannt vor, auch die laufende Nummer auf dem Kennzeichen war identisch: „43058“!

Für mich steht außer Frage, dass es sich um dasselbe Auto handelt, wenngleich ich mich nicht daran erinnern konnte, beide Abzüge gemeinsam erworben zu haben. Nur bei dem ersten hatte ich das umseitig vermerkte Aufnahmedatum im Dateinamen festgehalten.

Bleiben wir also skeptisch und schauen genau hin:

Was meinen Sie? Lesen Sie jetzt ebenfalls „IV B“ für Baden? Und bemerken Sie ebenfalls die übereinstimmende Gestaltung der Doppelstoßstange, die aus dem Zubehör stammte und US-Vorbildern ab etwa 1925 nachgebildet war?

Sollten Sie meine neu gewonnene Ansicht für erhellend halten, dann dürfen Sie auch meiner Feststellung glauben, dass dieser Dixi im Landkreis Waldkirch zugelassen war. Doch Vorsicht: Dies stützt sich nur auf die entsprechende Zuordnung zum Nummernkreis 43001-43400, wie sie für 1936 im „Herzberg“ dokumentiert ist.

Ob das auch in den 1920er Jahren so war, kann ich nicht mit Gewissheit sagen. So erhellend sich das Einnehmen einer anderen Ansicht im vorliegenden Fall erweist, so vage bleibt am Ende das, was wir wirklich als gesichert ansehen können.

Doch muss man alles ganz genau wissen? Mitunter genügt es auch, sich mit dem zufrieden zu geben, was uns spontan zugänglich ist und uns für einen flüchtigen Moment Vergnügen bereitet wie die Vorfreude auf diesem Dokument:

Michael Schlenger, 2023. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.   

Beim Produkttest porträtiert: Ein Studebaker „Special Six“

Ein Unternehmenschef, der selbst mit seinem Geld im Feuer steht, wenn es pressiert – einer, der sein Produkt selbst erprobt und dessen kritischster Tester ist: Das ist das Ideal des Entrepreneurs im Unterschied zum bloß angestellten Geschäftsführer.

Der Kapitalist, der auf Gedeih und Verderb mit dem Schicksal seiner Firma verbunden ist, weil er sein Vermögen darin investiert hat – alles gewinnen und alles verlieren kann. Das war in vielen Fällen das Geheimnis der unglaublichen Blüte der US-Automobilindustrie, die bis in die 1930er Jahre weltweit ihresgleichen suchte.

Im heutigen Blog-Eintrag kommt beides zusammen – der Unternehmenslenker, der die Kundenperspektive aus eigener Anschauung kennt und ein amerikanisches Automobil, das im besten Sinn ein Kind des frei flottierenden Kapitalismus war.

Die frühe Geschichte der Marke Studebaker liest sich atemberaubend – sie begann mit den Brüdern Studebaker in South Bend (Indiana), die bereits ein Vermögen mit Pferdewagen gemacht hatten, als sie 1902 das erste Automobil unter ihrem Namen herausbrachten.

Die weitere Geschichte ist von einer raschen Abfolge von Kapitalgebern und Unternehmenslenkern geprägt, die ein Motiv einte: am rapide expandierenden US-Automarkt (dem mit Abstand größten der Welt) reich und einflussreich zu werden.

Mit bräsiger Beamtenmentalität, die vor allem auf die Sicherstellung einer üppigen Pension schielt, ist unternehmerischer, also strikt marktorientierter Geist nicht vereinbar – auch wenn in unseren Tagen wieder einmal zu 100 % vom Steuerzahler alimentierte Figuren meinen, die Geschicke gleich einer ganzen Volkswirtschaft „planen“ zu können.

Ich weiß nicht, inwieweit der Direktor der Munitionsfabrik Preßburg einst auch an „seinem“ Betrieb beteiligt war und ob dieser überhaupt privatwirtschaftlich organisiert war. Normalerweise sind Rüstungsfirmen ja eng mit der Politik verbandelt – nebenbei eine fatale Allianz damals und heute, weil es einen freien Markt für Kriegswaffen nicht gibt.

Allerdings wissen wir, dass Oskar Braun, der in den 1920er Jahren der Munitionsfabrik Preßburg vorstand, mit der Ernsthaftigkeit eines Entrepreneurs zum Test der eigenen Produkte ausrückte:

Studebaker „Special Six“ von 1925/26; Originalfoto aus Familienbesitz (via Johannes Kühmayer, Wien)

Im vorliegenden Fall ist das deshalb so genau bekannt, weil der Neffe von Oskar Braun, welcher hier mit Hut vor einem Tourenwagen anlässlich eines Jagdausflugs porträtiert ist, mir dieses Foto mit der Bitte um Identifikation des Wagens zugesandt hat.

Sein Name ist Johannes Kühmayer und diese Aufnahme ist nicht die erste und hoffentlich nicht die letzte, die ich mit Automobilen seiner weitverzweigten Verwandtschaft aus Vorkriegszeiten zeigen darf.

Als ich das Foto erhielt, wusste ich sofort, was für ein Wagen das war, mit dem Oskar Braun nebst Jagdgesellschaft ausgerückt war, um die Wirksamkeit der Munition selbst am (noch) lebenden Objekt zu testen.

Die Jagd betrachte ich grundsätzlich als ein notwendiges Übel in einer vom Menschen geprägten Kulturlandschaft. Jeder, dessen Vorgarten (oder bei manchen auch: Golfplatz) von Wildschweinen ruiniert wurde, wird das ebenso sehen.

Hingegen die Jagd zum Vergnügen am Töten und zum Zelebrieren eines primitiven Trophäenkults verachte ich. Nur komplexbehaftete oder aus der Art geschlagene Zeitgenossen töten ihre Mitgeschöpfe ohne Not und halten ihre im Fall von Schusswaffen risiko- und anstrengungslose Betätigung aus der Ferne auch noch für Sport.

Wer sich jetzt angegriffen fühlt, hat Pech gehabt. Ein Blog ist ein persönliches Tagebuch, in dem Dritte online mitlesen können. Dazu muss man ein voll ausgebildetes entspanntes Verhältnis zur ggf. auch radikal anderen Meinung haben – leider zunehmend eine Rarität.

Nun aber zurück zu dem Jagdwagen, welchen Munitionsfabrikleiter Oskar Braun einst nutzte, wenn es zum praktischen Produkttest ins Gelände ging. Dafür waren amerikanische Fabrikate von jeher besonders geeignet, vereinten sie doch oft breite Spur, große Bodenfreiheit und starke Motoren, um auch abseits befestigter Straßen voranzukommen.

Im vorliegenden Fall gibt es nicht viel zu rätseln – wir haben es mit einem Studebaker „Special Six“ des Modelljahrs 1925/26 zu tun. Er verfügte über ein 65 PS leistendes Sechszylinderaggregat. Nicht ausschließen können wir, dass es sich sogar um einen „Big Six“ mit 75 Pferdestärken handelte, der formal weitgehend identisch war.

Ich erspare mir und Ihnen umständliche Herleitungen, denn wie es der Zufall will, befindet sich in meinem Fundus ein passendes Foto, das alle Fragen beantwortet und darüber hinaus durch seine besondere Ausstrahlung begeistert:

Studebaker „Special Six“ von 1925/26; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Dieser einst im Tessin aufgenommene Studebaker von 1925/26 entspricht präzise dem Tourenwagen, mit welchem sich einst Direktor Oskar Braun anlässlich eines Outdoor-Produkttests porträtieren ließ.

Eine prachtvolle Aufnahme ist das, welche die gewünschte Klarheit schafft, zugleich aber von einem problematischen Thema ablenkt und uns mit der Vorstellung eines strahlenden Sommertags in südlichen Gefilden erfreut.

Oft genug waren es solche „Amerikanerwagen“, wie man damals hierzulande zu sagen pflegte, welche ihren Besitzern eine souveräne Überquerung der Alpen ermöglichten. Eine Aktivität, welche noch mehr meine Billigung findet als die eines Firmenlenkers, der „sein“ Produkt selbst erprobt, weil sein Wohl und Wehe davon abhängt…

Nachtrag: Zum weiteren Schicksal seines Onkels Oskar Braun teilte mir Johannes Kühmayer noch das Folgende mit:

Mein Onkel Oskar Braun war meist in Begleitung seiner Frau Hilda oft wochenlang vorzugsweise am Balkan und in der Türkei auf Geschäftsreisen. Die beiden wurden sogar vom Gründer der modernen Türkei Kemal Atatürk zum Abendessen eingeladen.

Abschließend sei noch erwähnt, dass vor dem Hintergrund der Wirtschaftskrise und der Entscheidung der Prager Regierung, den Rüstungsstandort Preßburg zu Gunsten von Brünn aufzugeben, Oskar Braun mit der letzten Patrone seinem Leben ein Ende bereitete. Er hinterließ vier Kinder und seine Gattin.“

Michael Schlenger, 2023. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.