Anhalten, um innezuhalten: Steyr Typ XII Tourer

Wie im Leben generell empfiehlt es sich auch auf Reisen, ab und zu auf seinem Weg anzuhalten, um innezuhalten und die sich darbietenden Dinge auf sich wirken zu lassen.

Wäre das nicht heilsam, hätte es der Mensch nicht zu einer Kulturtechnik entwickelt – eine Weile stillzustehen und zu versuchen, dem Moment etwas abzuringen, was man sonst übersehen würde.

Wenn ich auf Reisen bin, tue ich das sogar dann, wenn ich auf einer mir bekannten Strecke nicht wirklich anhalte. Denn während der Wagen unbeirrt weiterläuft, vermag man irgendwann seinen Kopf davon unabhängig zum Innehalten zu bewegen.

Besonders gern tue ich das auf dem Weg nach Italien in der Schweiz am Südende des Vierwaldstädtersees, wo man aus dem langen Tunnel auf der Westseite kommend für kurze Zeit auf dem gegenüberliegenden Ufer die teils offenen Galerien der alten Axenstraße sieht, auf der einst die Route von Zürich zum Gotthardpass führte.

Diese historisch bedeutsame Passage hat im 20. Jh. tausende dauerhafte Zeugnisse in Form von Aufnahmen hinterlassen, die ein schweizerischer Berufsfotograf dort von Reisenden angefertigt hat.

Tourenwagen an der Axenstraße, Aufnahme von 1918; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Sie sind entsprechenden Autofotos hier schon einige Male begegnet. Doch besagter Fotograf hielt damals auch ganz „ordinäre“ Fußgänger, Radler und sonstige Zeitgenossen auf dem Negativ fest, die nicht auf Urlaubsfahrt waren, sondern für die jene Axenstraße ihr alltäglicher Weg durchs Dasein war.

Es gibt ein wunderbares Buch, das eine Ahnung von dem Schatz an Dokumenten gelebten Lebens vermittelt, welcher dort über Jahrzehnte entstand. „Unterwegs auf der Axenstrasse: Arbeiten des Fotografen Michael Aschwanden„, 2003.

An die oft berührenden Aufnahmen darin muss ich jedesmal denken, wenn ich auf dem Weg gen Süden dort vorbeifahre. Nichts ist geblieben von all der Mühe, all der Ambition, all dem Hoffen und Sehnen, welches die abgebildeten Menschen bewegte, als diese Fotografien.

Wer daraus nichts für’s eigene Dasein abzuleiten vermag, ist arm dran.

So betreibe ich meine ganz private Meditation, wenn ich die Relikte der Axenstraße erblicke. Und ich freue mich jedesmal, wenn ich wieder eines der dort entstandenen Dokumente finde – auch wenn nicht alle davon von Meister Michael Aschwander stammen.

Dieses hier dürfte am Südportal der Galerie entstanden sein, durch welche die alte Axenstraße führte (es gibt sie noch, sie ist aber heute nicht mehr mit dem Auto befahrbar):

Steyr Typ XII Tourenwagen; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Warum hielten die Leute mit ihrem in Dresden zugelassenen Tourenwagen einst dort an? Es gibt dort nichts zu sehen außer einer ehrfurchgebietenden und den Menschen zum Zwerg machenden reinen Naturlandschaft.

Genau das ist der Grund, warum man dort wie gebannt auf die gewaltigen Felsmassen schaut, welche das Ergebnis von hunderten Millionen Jahren Aktivität auf Erden sind, ohne dass auch nur vom Menschen die Rede war.

Die Betrachtung erdet im wahrsten Sinne des Wortes, wenn man dafür empfänglich ist. Wenn man sich dann noch vergegenwärtig, dass das Gestein die Reste von hunderten Millionen Jahren von Leben birgt, kann man eine Ahnung davon bekommen, was den eigenen Rang angeht – sofern man solche Gedanken an sich heranlässt.

Für mich sind diese Gedanken segensreich, weil sie befreiend sind. Wenn man selbst vollkommen unbedeutend ist, dann ist man zugleich ungebunden, weil man keine Aufgabe Dritter zu erfüllen hat, keinem höheren Zweck dient und niemandem Rechenschaft schuldet.

Die Achtung der Lebensinteressen seiner Mitmenschen ergibt sich von selbst, weil man sich in derselben fragilen Situation befindet und hoffen muss, dass Rücksichtnahme im Regelfall belohnt wird. Die bedauerlichen Ausnahmen davon sind kein Gegenargument.

Genug davon, aber ich muss ja schon der gewählten Überschrift Rechnung tragen „Anhalten, um innezuhalten“, das ist heute Programm:

Nur zu gern tut man das in diesem Fall, wo wir es nach längerer Zeit wieder einmal mit dem Typ XII zu tun haben, mit dem die österreichische Firma Steyr ab 1926 abermals einen Erfolg auch im benachbarten Deutschland landete.

Bemerkenswert finde ich, dass den zahlreichen Fotos von Steyr-Automobilen der Zwischenkriegszeit kaum entsprechende Originale im Maßstab 1:1 in der sogenannten Oldtimerszene Deutschlands gegenüberstehen.

Auf einschlägigen Veranstaltungen hierzulande findet man alles Mögliche an Vorkriegswagen – Briten, Franzosen, Italiener und Amis – doch an einen solchen Steyr kann ich mich ad hoc nicht erinnern.

Liegt es an den relativ geringen Stückzahlen oder einem fehlgeleiteten Prestigedenken deutscher Enthusiasten, welches die ausgezeichneten Wagen der benachbarten Alpenrepublik ausblendet?

Oder kaufen die Östereicher schlicht den Markt leer, was ich verstehen könnte? Wie dem auch sei, das waren eine heutigen persönlichen Gedanken zum Thema „Anhalten, um innezuhalten“.

Das Ergebnis meines derzeitigen „Arbeits“aufenthalts südlich der Alpen bekommen Sie im Lauf der Woche präsentiert. Schon jetzt kann ich garantieren, dass Sie hinreichend Ablenkung vom Hier und Jetzt erfahren werden – wenn auch meist auf zwei Rädern…

Michael Schlenger, 2025. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

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