Heute nahm ich dieses belustigt zur Kenntnis: Die EU – eine für fest angebrachte Flaschenverschlüsse und andere Fortschritte bekannte Organisation fragwürdiger Legitimation – diskutiert derzeit den Bau billiger Elektrokleinwagen für jedermann.
Dies könne man durch Herabsetzung geltender EU-Fahrzeugstandards unterstützen, wird verlautbart. Mancher mag dabei an die unvergessenen automobilen Segnungen zentraler Planwirtschaft denken – ich fühlte mich an diesen Appell von Wanderer vor gut 100 Jahren erinnert:

Immer bemerkenswert, wenn einem von oben herab mit Ausrufezeichen nahegebracht werden soll, was die Verhältnisse gebieten – als ob der Käufer nicht selbst wüsste, was in seiner persönlichen Situation am angebrachtesten ist.
Aber der Deutsche ist die autoritäre Ansprache seit altersher gewohnt und mir scheint mitunter, dass viele sich damit wohl fühlen – bleiben einem doch so die Anstrengungen des Selberdenkens und die Risiken des eigenen Urteils erspart.
Immerhin wird der Adressat hier noch nicht geduzt, was ebenso positiv zu vermerken ist wie die grafisch gelungene Darstellung des angepriesen Wanderer W8 5/15 PS.
Schön auch, dass man diese erzieherisch daherkommende Werbung sich so genau datieren lässt – sie muss von 1921 oder 1922 stammen. Zwar gab es den Typ 5/15 PS (W3) bekanntlich schon vor dem 1. Weltkrieg und er wurde auch nach Kriegsende weitergebaut.
Doch entwickelte Wanderer einen Nachfolger mit anfänglich identischem Erscheinungsbild, aber modernerem Motor gleicher Leistung – der intern als Typ W8 firmierte.
Dieser wurde ab 1921 beworben und wir dürfen davon ausgehen, dass mit den in der Reklame erwähnten Zeitverhältnissen auf die damals immer schneller galoppierende Inflation angespielt wurde, die sich aus der Entwertung der deutschen Mark durch die hemmungslose Staatsverschuldung ergab.
Da sich das etwas stärkere und erwachsenere Modell W6 6/18 PS kaum verkaufte, blieb der kompakte Wanderer 5/15 PS die Stütze der sächsischen Marke. Wie minimalistisch die damit angebotene Mobilität war, ist an einem Detail wie der Beleuchtung zu erkennen.
Wie auf der oben gezeigten Reklame blieben beim Wanderer W 5/15 PS traditionelle Karbidgas-Scheinwerfer bis 1922 Standard. Bei vollwertigen Automobilen war dagegen elektrische Beleuchtung ab dem Ende des 1. Weltkriegs der Normalfall. Erst ab 1923 wurde dies auch beim Wanderer W8 5/15 PS serienmäßig angeboten.
Gleichzeitig wichen die bis dato flach ausgeführten dünnen Vorderkotflügel stabileren und schön gerundeten – beide Details sehen wir auf dieser Aufnahme:
So reizvoll der Wagen hier daherkommt, sieht man ihm dennoch die Kompromisse beim Platzangebot an. Maximal drei Personen konnten im Wanderer W8 5/15 PS fahren.
Erst im vierten Produktionsjahr hatte man ein Einsehen – im Herbst 1924 wurde endlich einer viersitzige Ausführung angeboten. Im Ausland hatten die Importeure bereits zuvor von sich aus für entsprechend marktgerechte großzügigere Aufbauten gesorgt.
Man sieht an diesem Beispiel: Von oben verordneter Minimalismus geht an der Lebenswirklichkeit vorbei – die Leute wissen im Normalfall besser, was gut für sie ist und was sie sich leisten können. Weder Unternehmen noch Behörden sollten sich einen Erziehungsauftrag anmaßen, welche Form der Mobilität genau für den Einzelnen optimal ist.
Wir könnten kein einziges der phänomenalen technischen Hilfsmittel in unserem Leben genießen, wenn nicht der Markt, sondern sich oberlehrerhaft gerierende Firmenlenker oder gar wirtschaftsferne Bürokraten deren Richtung vorgegeben hätten.
Selbst ein genialer Erfinder wie Henry Ford erlag der Fehleinschätzung, dass doch das Endziel der automobilen Entwicklung erreicht sei, nachdem sich jeder Arbeiter in den Staaten ein „Model T“ leisten konnte – ein Minimalmobil par excellence.
Der Markt als Ausdruck individueller Präferenzen und der Wettbewerb als bestmöglicher Mechanismus, diesen gerecht zu werden, führten in der Folge dagegen zu den ständigen Fortschritten, an deren Vorteile wir uns stillschweigend gewöhnt haben, während etwaige Nachteile von interessierter Seite einseitig aufgeblasen werden.
Wem minimale Mobilität genügt, der kann sie ja jederzeit ungestört praktizieren – wobei Abstriche bei Unfallsicherheit, Platzangebot und Komfort unvermeidlich sind. Aber das soll doch bitteschön jedem selbst überlassen bleiben wie beispielsweise die Wahl zwischen Festznetztelefon, 0815-Mobiltelefon und Smartphone.
Ans Ziel kommt man bei Bedarf mit ganz unterschiedlichen Varianten – mit einem späten Luxuswagen von Wanderer wie dem 6-Zylindertyp W40 ebenso wie mit einem namenlosen Kleinwagen – es ist Platz für beide in der Welt und beide haben ihre Stärken…
Michael Schlenger, 2025. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.