Kaiserzeit trifft Moderne: unterwegs in einem Hansa Typ C

Die Marke Hansa sagt heute allenfalls noch Freunden des einstigen Bremer Herstellers Borgward etwas. Die letzten Autos, die den ehrwürdigen Namen trugen, waren die bis 1958 gebauten Wagen des 6-Zylinder-Typs Borgward Hansa 2400.

Die wechselhafte Geschichte von Hansa ist einem separaten Bildbeitrag zu entnehmen. Hier soll näher auf ein spezielles Modell eingegangen werden, das auf folgendem Originalfoto der 1920er Jahre zu sehen ist:

Hansa_8-24_PS

© Hansa Typ C 8/24 PS; Originalaufnahme aus Sammlung Michael Schlenger

Auf den ersten Blick scheint das ein kaum identifizierbarer Tourenwagen zu sein, wie er von vielen Herstellern kurz vor und kurz nach dem 1. Weltkrieg gebaut wurde.

Oft unterschieden sich diese Wagen ab der Windschutzscheibe kaum. Die den Insassen vorbehaltene Partie folgte Mustern der Kutschbauzeit und wurde von den Karosseriebauern meist ähnlich ausgeführt.

So schnell darf man bei solchen alten Aufnahmen aber nicht aufgeben. Hinter vermeintlicher Durchschnittsware verbergen sich oft interessante Marken und Typen. Das geschulte Auge wird zunächst die individueller gestaltete Frontpartie nach Details abzusuchen, die eine Abgrenzung von anderen Fahrzeugen erlauben.

Zwar kann man im vorliegenden Fall kein Markenlogo erkennen, aber zwei gestalterische Elemente fallen aus dem Rahmen:

Da ist zum einen die Vorwölbung des Oberteils der Kühlermaske. Sie würde an sich zu einem der typischen Spitzkühlermodelle jener Zeit passen. Doch hier ist ein Flachkühler verbaut – diese Kombination findet sich bei nur sehr wenigen Autos.

Wohl einzigartig ist die rippenförmige Profilierung der Vorderschutzbleche, die sowohl außen wie auch innen zu erkennen ist. Sie diente der Stabilisierung des vibrationsanfälligen Kotflügelblechs und stellt eine ungewöhnliche Anwendung organischer Gestaltungsprinzipien im frühen Automobilbau dar.

Interessant wäre zu wissen, ob die Schutzbleche ihre Struktur bei der Produktion in einer Blechpresse erhielten oder ob sie aufwendig von Hand in diese Form getrieben wurden. Da der Automobilbau bei Hansa Manufakturcharakter hatte, ist letzteres zu vermuten.

Jedenfalls finden sich die beiden genannten Details präzise bei einem Hansa des Typs C 8/24 PS wieder, der in Halwart Schraders Standardwerk „Deutsche Autos 1885-1920“ abgebildet ist. Der Wagen dort steht auch im selben Winkel da. Allerdings unterscheiden sich die Scheinwerfer, dazu später mehr.

Der Hansa Typ C 8/24 PS wurde von 1911-1913/14 gebaut und bot technisch keine Überraschungen. Der 2 Liter große Seitenventiler war immerhin mit einem 4-Gang-Getriebe gekoppelt und beschleunigte den Wagen auf bis zu 75 km/h. Zeittypisch waren nur Hinterradbremsen verbaut. Immerhin befand sich der Schalthebel nicht mehr außen, was bei anderen Herstellern noch lange üblich bleiben sollte.

Viel mehr gäbe es zu dem Wagen an sich nicht zu sagen, doch sollen auch die Insassen gewürdigt werden, die eine ungefähre Datierung der Aufnahme erlauben:

Es bedarf keiner großen Phantasie, um hier eine Familie zu erkennen. Der verhalten freundlich schauende Herr im Vordergrund strahlt ganz die Würde eines Patriarchen aus der Zeit des 1918 untergegangenen Kaiserreichs aus. Sein gezwirbelter Schnauzbart und der Stehkragen verraten, aus welcher Zeit seine modischen und vielleicht auch weltanschaulichen Ideale stammen.

Der Sohn zu seiner Rechten ist dagegen ein Botschafter der Moderne. Glattrasiert, die Haare seitlich militärisch kurz, mit Kragen und Krawatte in der bis heute üblichen Form hätte er genausogut aus den 1930 oder 1950er Jahren stammen können. Hinten im Wagen dürften seine burschikos wirkende Schwester mit Bubikopf der 1920er Jahre und – vermutlich – die wenig begeistert dreinschauende Mutter sitzen.

Das Bild ist von großem Reiz, nicht nur wegen des seltenen Wagens, sondern wegen der Momentaufnahme, in der uns Vertreter zweier unterschiedlicher Welten ansehen.

Die Elterngeneration wurzelte noch im 19. Jh., war aber schon mit einem heute unvorstellbaren Innovationstempo großgeworden. Ihre Sprösslinge waren bereits ganz Kinder der Moderne, die Sachlichkeit und Effizienz als neue Tugenden predigte und sich von den Traditionen des alten Europa entfremdet hatte.

Der Hansa steht ebenfalls an der Nahtstelle zwischen Gestern und Heute. Vor dem 1. Weltkrieg gebaut, diente er später immer noch treu als Familienkutsche. Hierzulande war ein solcher Wagen bis Mitte der 1920er Jahre weder formal veraltet noch untermotorisiert. Man hat ihm sogar neue Scheinwerfer spendiert, darunter auch zwei elektrisch betriebene; vermutlich gab es entsprechende Nachrüstsätze.

In Frankreich und England sind solche Gefährte aus Familienbesitz oft bloß weggestellt worden, als sie endgültig überholt waren. Dort haben viele dieser Veteranen überlebt, oft in sehr originalem Zustand. In Deutschland wurde auch diesbezüglich nach dem 2. Weltkrieg leider zu gründlich „Ordnung gemacht“…

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