1919: Der erste 500er Fiat wird zum Riesenerfolg

Auch wer sich nicht für alte Autos begeistert, kennt und erkennt diese drei Ikonen der Massenmotorisierung: den Volkswagen „Käfer“, den „Mini“ von Austin und den 500er „Cinquecento“ von Fiat. Kein Wunder, dass es von allen drei Modellen zeitgenössische „Wiedergänger“ gibt.

Das nach Ansicht des Verfassers gelungenste dieser Retromobile ist der aktuelle Fiat 500, weil er von den Dimensionen dem Original recht nahe ist und in den engen Gassen italienischen Altstädten nach wie vor „bella figura“ macht.

Freunde von Vorkriegsautos wissen zwar meist, dass es bereits vor dem legendären 500er, wie er von 1957-75 gebaut wurde, einen ähnlich genialen Vorgänger gab – den von 1936-57 gebauten 500er „Topolino“. Der war übrigens von demselben brillianten Kopf konstruiert worden: Dante Giacosa.

Fiat 500_Topolino_Umbrien_2016

© Fiat 500 Topolino, aufgenommen in Umbrien/Italien 2016; Bildrechte: Michael Schlenger

Doch bereits nach dem 1. Weltkrieg hatte Fiat einen „500er“ entwickelt und zielte damit auf eine Massenmotorisierung ab, wie sie Ford in den USA bewerkstelligt hatte. Der 2-sitzige Wagen, über den nur wenig bekannt ist, tauchte 1918 im Fiat-Katalog auf, kam allerdings über das Prototypenstadium nicht hinaus.

Das lag nicht nur daran, dass die Zeit für ein solches Volksauto im industriell rückständigen Italien noch nicht reif war. Vielmehr zeichnete sich beim darüber angesiedelten, ab 1919 produzierten Modell 501 ein derartiger Erfolg ab, dass man das Konzept des kleineren 500er nicht weiter verfolgte.

In gewisser Weise wurde der Fiat 501 mit seinem für die Zeit kompakten 1,5 Liter-Motor in den 1920er Jahren das, was der 500er ab den 30ern werden sollte: ein wirtschaftliches, zuverlässiges und ungemein robustes Auto.

Folgendes Originalfoto zeigt einen solchen Fiat 501 als offenen Viersitzer mit leichtem Verdeck, damals als Phaeton oder Tourenwagen bezeichnet:

© Fiat 501 der frühen 1920er Jahre; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Übrigens ist dieses scharfe und kontrastreiche Bild eine Ausschnittsvergrößerung einer deutlich größeren Aufnahme und lässt die technische Qualität ahnen, die Fotoapparate vor über 90 Jahren ermöglichten, wenn sie sachkundig bedient wurden.

Man mag sich fragen, wie sich dieser beliebig wirkende Tourenwagen als Fiat der 500er-Reihe identifizieren lässt. Nebenbei: die 500er-Reihe war bei Fiat ab 1918 für PKWs reserviert, 600er waren Lastwagen, 700er Traktoren und 800er Rennautos.

Um Klarheit zu gewinnen, vergrößern wir unser Foto weiter:

Mit etwas gutem Willen ist auf der Kühlerfigur bzw. dem Kühlerthermometer der Schriftzug FIAT zu erkennen. Außerdem ahnt man auf der Front der Kühlermaske eine ovale Plakette, auf der ebenfalls der Markenschriftzug angebracht war.

Nicht zuletzt ist die leicht birnenförmige Formgebung des Kühlers typisch für 500er Fiats, die nach dem 1. Weltkrieg bis zum Aufkommen der neuen klassischen Kühlerform gebaut wurden (siehe Bildbericht zum Fiat 520).

Zum Vergleich hier ein weiteres Originalfoto, bei dem auf der Rückseite die Modellbezeichnung Fiat 501, der Aufnahmeort Treviso (Venetien) und das Datum (1924) vermerkt sind:

© Fiat 501, aufgenommen bei Treviso (Oberitalien) 1924; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Bei diesem Unfallauto kann man die erwähnte Fiat-Markenplakette besser erkennen und die identische Kühlerform nachvollziehen.

Wer sich bei der Gelegenheit fragt: „Woher hat der Kerl solch ein Unfallfoto?“, dem sei mit einem Bonmot des Modeschöpfers, Ästheten und Sammlers Karl Lagerfeld geantwortet: „Ich suche auch das, was ich nicht suche.“ An solche Kuriosa gelangt man nur durch Zufall und wie sich hier zeigt, kann man sie irgendwann gebrauchen.

Kommen wir zur Papierform des Fiat 501: Der ruhiglaufende kleine Seitenventiler leistete in der Basisversion 23 PS, war aber auch in einer stärkeren Sportversion 501S verfügbar. Mit vier Gängen – für damalige Verhältnisse sehr leicht zu schalten – und Vierradbremse (ab 1924) war der Wagen auf der Höhe der Zeit, aber keineswegs innovativ.

Die Stärke des Fiat 501 lag in seinen Nehmerqualitäten, die ihm astronomische Laufleistungen erlaubte. Die sprichwörtliche Unzerstörbarkeit der Konstruktion sprach sich rasch herum. Man fühlt sich an das Model T von Ford erinnert.

Schon 1924 wurde der Wagen außer in Italien über Niederlassungen in Deutschland, England, Polen, Spanien, der Schweiz, Rumänien, Jugoslawien, der Türkei und Argentinien vertrieben. Rund 80.000 Exemplare des Fiat 501 wurden bis 1926 gebaut. Kein deutscher Hersteller erreichte in jener Zeit solche Produktionszahlen mit ein und demselben Typ. 

Werfen wir zuletzt noch einen Blick auf die Insassen des Fiat 501 auf unserem Foto:

Die beiden Herren sind nach Manier der 1920er Jahre weitgehend bartlos und für damalige Verhältnisse lässig gekleidet – sie tragen kein Jackett und keine Hüte. Dennoch wirken sie seriös, weil man damals noch verstand, dass es für das Sich-Entblättern eine Grenze gibt, die heutzutage bei sommerlichen Temperaturen meist ignoriert wird.

Vom Stilgefühl der Altvorderen kann man in vielerlei Hinsicht lernen. Und zumindest der heutige Fiat 500 darf als würdiger Widerhall einer fast 100-jährigen Tradition gelten…  

Einen Fiat 501 im Renneinsatz kann man übrigens hier bewundern.

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