Die größte Pfeife in Luzern: Cottin & Desgouttes

Zurück aus Italien gilt es, in allerlei Routinen zurückzufinden.

Dazu zählen neben dem Mähen des wild gewucherten Rasens die regelmäßige Betätigung des Blinkers und die grobe Einhaltung der Tempolimits (heute stark erleichtert durch einen Mercedes, der mit unter 60 km/h auf der Landstraße vor mir herzockelte).

Es ruft zudem die Pflicht, im Blog wieder in den alten Trott zurückzufinden, denn es gibt ungeduldige Leser (m/w/d), zu deren Tagesablauf es gehört nachzuschauen, was es Neues aus der Welt der Vorkriegsfotos auf alten Autos (oder so ähnlich) gibt.

Tatsächlich habe ich gleich zwei hübsche Sachen aus dem Süden mitgenommen bzw. unterwegs aufgelesen.

Die eine davon hat merkwürdigerweise nicht nur mit Italien, sondern auch mit Belgien zu tun. Irgendwo dazwischen liegt bekanntlich die Schweiz und dort steht zur zusätzlichen Komplikation ein Auto aus Frankreich – sowie die größte aller Pfeifen.

Wie das alles zusammengeht, weiß ich im Moment selbst noch nicht, aber es wird schon gelingen – also halten Sie durch!

Beginnen wir in Italien – immer eine gute Standortwahl:

Fiat 509 Tourenwagen am Gardasee; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Als ich diese schöne Aufnahme aus den 1920er Jahren aufstöberte, sagte mir mein Bauchgefühl gleich, dass diese an einem der oberitalienischen Seen entstanden sein muss. Nur an welchem, das konnte ich zunächst nicht sagen.

Es gibt freilich einen darunter, den ich nur vom Hörensagen und aus Goethes Italienischer Reise kenne – Deutschlands südlichsten See, auch bekannt auch als Lago di Garda.

Er liegt nicht auf meiner bevorzugten Einfallsroute nach Süden, welche statt über den Brenner über den Gotthardpass führt (dorthin begeben wir uns übrigens demnächst).

Jedenfalls bestätigte sich meine Vermutung, dass sich die markant auf einem Kap liegende Burganlage dort befindet – wo genau, habe ich vergessen, aber ein Leser wird es wissen:

Warum die majestätischen Zypressen, die sich in Italien allerorten finden, in deutschen Landen nur geringer Beliebtheit erfreuen, verstehe ich nicht.

Sie sind frostfest, völlig anspruchslos, bedürfen keinerlei Pflege und wachsen einfach ihr ganzes langes Leben immer weiter gen Himmel – zwei davon zieren seit längerem meinen eigenen Garten und sie legen um rund 20 Zentimeter pro Jahr zu.

Wenn kein teutonischer Tannenfetischist sie eines Tages fällt, werden sie noch in 200 Jahren in edler Einfalt und stiller Größe gen Himmel ragen und damit selbst meinen Blog überdauern.

Der Tourenwagen vor dieser dramatischen Kulisse ist schnell als Fiat 509 identifiziert.

Das Turiner Meisterstück – ein in Massenproduktion nach US-Vorbild gefertigter Kleinwagen mit drehfreudigem 1-Liter Motor mit obenliegender Nockenwelle – war zum Zeitpunkt der Einführung anno 1925 konkurrenzlos und wurde auch in Deutschland gern gekauft.

Wo das am Gardasee abgelichtete Exemplar zugelassen war, lässt sich wohl nicht mehr feststellen:

Ja, ist ja alles schön, aber nichts Neues – das Modell hatten wir im Blog schon öfters.

War im Titel nicht etwas französisch Klingendes angekündigt, wenn auch etwas respektlos als „die größte Pfeife“?

Gewiss, aber wie im richtigen Leben wäre es langweilig, wenn man immer gleich zur Sache käme. So muss ich noch einige Zwischenstationen absolvieren, bevor wir ans Ziel gelangen.

Die erste führt uns nach Belgien, wo es eine bemerkenswerte Comic-Tradition gibt (übrigens mit einer ausgeprägten Seitenlinie in Sachen Automobile).

Vermutlich hat die desaströse Anwesenheit deutschen Militärs gleich zweimal im 20. Jh. den Belgiern das starke Bedürfnis eingeprägt, sich dem Schicksal mit gnadenlosem Humor zu stellen. Ein sympathischer Zug, dem wir Meisterwerke wie die Figur „Gaston“ verdanken.

Dieser liebenswerte Chaot bringt zwar in seinem Bürodasein nichts Konstruktives zuwege, aber er fährt einen Fiat 509 und das zeugte Mitte der 1950er Jahre, als der Comic entstand, von echtem Charakter.

Wie der Autor von „Gaston“ darauf gekommen war, der immerhin 40 Jahre lang seine Kunstfigur durch die Absurditäten des Daseins begleitete, weiß ich nicht. Er wird wohl selbst einen Bezug dazu gehabt haben – vielleicht weiß auch dazu ein Leser mehr.

Mit dem Fiat 509 von Gaston und dem vom Gardasee verlassen wir nun freilich den Süden. Auf dem Heimweg liegt – jedenfalls für mich – die Schweiz. Dort wurde in etwa zur gleichen Zeit das im Titel angekündigte französische Gefährt aufgenommen.

Tja, wie kriegt man nun die Kurve von Fiat-Enthusiast Gaston aus Belgien zu einem Franzosen in der Eidgenossenschaft – und das noch dazu auf dem Rückweg aus Italien?

Ganz einfach, man muss nur einen kleinen Sprung zu Gastons „alter ego“ machen – einer ebenfalls belgischen Parodie auf den sympathischen Loser. Allein das kündet schon von Humor, eine Karikatur zu karikieren.

Ich weiß wenig darüber, außer dass diese Figur statt „Gaston“ nun „Baston“ hieß und von etlichen namhaften Vertretern der Comic-Kunst in die skurrilsten Rollen hineinpersifliert wurde wie etwa Rocker, Firmenpatriarch, Weiberheld usw.

Das weiß ich aber alles nur zufällig, denn von diesem Genre habe ich wenig Ahnung. Ich bin darauf gestoßen, weil das erwähnte Machwerk den hübschen deutschen Titel „Baston, die größte Pfeife aller Zeiten“ trägt.

Mit den größten Pfeifen kenne ich mich wiederum recht gut aus – aber nicht weil ich Raucher wäre oder mir Mitglieder der selbsternannten Priesterkaste in Brüssel nahestünden. Nein, mich faszinieren schlicht große Orgeln und deren einzigartige physische Überwältigungsmacht.

Statt eines Riesenorchesters braucht es im besten Fall nur eine Person an den Manualen und Pedalen, um über ein Instrumentarium zu gebieten, das in die tausende gehen kann.

Nicht zufällig gibt es nur kaum befriedigende Aufnahmen von Orgelmusik. Selbst die teuersten Hifi-Anlagen scheitern an der physikalischen Herausforderung, das den gewaltigen Basspfeifen entsprechende Luftvolumen hinreichend hörbar in Bewegung zu setzen. Die Frequenz als solche ist dabei nicht das Problem, sondern die erforderliche Energie.

Wem das zu abstrakt ist, dem kann geholfen werden, und zwar anhand der größten Pfeife aller Zeiten. Die ist nun nicht mehr eine kuriose Kunstfigur aus Belgien namens Baston.

Um ihr zu begegnen und sie zu erleben, muss man sich vielmehr an einen Ort in der Schweiz begeben, wo einst dieser Tourer parkierte:

Cottin & Desgouttes in Luzern; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Aha, da haben wir endlich den angekündigten Cottin & Desgouttes! Sicher werden Sie jetzt das eine oder andere über ihn erfahren wollen.

Nun, da muss ich Sie enttäuschen und kann nur auf das Porträt eines anderen Wagen dieses Herstellers verweisen, das in meinem Blog hier zu finden ist. Sehr ergiebig ist das aber nicht.

Ist das vielleicht der Grund für das abschätzige Urteil „die größte Pfeife“ nach dem Motto: Über den Wagen lässt sich nichts irgendwie Interessantes sagen?

Nein, das gewiss nicht. Ich habe bloß nicht die geringste Ahnung, was diese Marke der zweiten Reihe (und hunderte andere aus Frankreich) angeht.

Also muss ich auf das Orgelthema zurückkommen und zuvor kurz auf historische Architektur:

Cottin & Desgouttes in Luzern; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Der Cottin & Desgouttes war nämlich vor einer Kirche abgestellt, die mittelalterliche Türme mit einem Renaissance-Portal und einen barocken Giebel darüber vereint.

Umwerfend ist das Ergebnis zwar nicht, aber immerhin sehen wir hier rund 500 Jahre stilistischer Entwicklung in einem einzigen Bauwerk, das dennoch harmonisch wirkt.

Vielleicht sollte man „moderne“ Architekten erst einmal die Standards der Vergangenheit beherrschen lassen, bevor sich sich an etwas Eigenes wagen – sonst kommen weiterhin immer nur diese banalen Schuhkartons in Beton mit Glas heraus wie seit 100 Jahren.

Das eigentlich Interessante befindet sich ohnehin in der Kirche selbst, die manche unter Ihnen bereits als die Hofkirche im schweizerischen Luzern erkannt haben. Diese weiß nicht nur durch ihre kühnen Turmhauben zu beeindrucken, welche ihresgleichen suchen:

Cottin & Desgouttes in Luzern; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Drinnen befindet sich die in Teilen noch originale Orgel aus dem 17. Jahrhundert, welche trotz Umbauten über die Zeit mit einer Sensation aufwarten kann: Der größten Orgelpfeife der Welt.

Dieses am Ende des 30-jährigen Kriegs (1648) entstandene Monstrum misst über 10 Meter an Höhe. Wer mag, kann einmal recherchieren, welche Bassfrequenz damit erzeugt wird und welches kolossale Luftvolumen darin in Schwingung versetzt wird.

Das Erlebnis des Originals entzieht sich jedenfalls der technischen Reproduktion mit heutigen Mitteln. Da gibt es nichts zu „digitalisieren“ und auch die KI wird Ihnen sagen: „Nö, zwecklos.“

Genauso verhält es sich mit Automobilen aus längst vergangenen Zeiten – das Original ist nicht zu ersetzen und ist es einmal verloren, kann man es nicht mehr herstellen, nur sich ihm rein oberflächlich annähern.

Bloß auf alten Fotos können die verschwundenen Zeugen der Vergangenheit noch ein bisweilen spannendes Schattendasein in Schwarz-Weiß weiterführen…

Michael Schlenger, 2024. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

Fund des Monats: Der Osterhase im Fiat 500

Ein Fiat 500 als Fund des Monats – wie kommt man auf so etwas? Nun, das geht so: Am Ostersamstag fuhr ich aus Italien zurück, knapp 1200 Kilometer in die hessische Wetterau.

Da hat man viel Zeit, um sich Gedanken zu machen – ziemlich genau 12 Stunden, Pausen eingerechnet. Den besten Schnitt fahre ich übrigens in Italien, trotz offiziellen Tempolimits von nur 130 km/h auf der Autobahn.

Das kann man durchaus als Mittel erreichen, wenn man öfters 140 fährt – außer um’s tiefrote Bologna herum – und es wie der Einheimische macht: In Bau- oder Engstellen das Tempo halten, egal was dort steht, solange niemand am arbeiten ist. Geblitzt wurde ich in Italien in 25 Jahren noch nie – solange man es nicht übertreibt, lässt einen die Polente in Ruhe.

In Deutschland dann gibt’s zwar auf der A5 bald kein Tempolimit mehr, aber die Strecke ist über lange Zeit nur zweispurig ausgebaut – völlig unzureichend. Ständig wird man von Zeitgenossen aufgehalten, die mit 100 Sachen LKW überholen, oder von LKW, die noch langsamere Zeitgenossen überholen.

Fast noch Mitleid habe ich dabei mit den armen Vertretern der Elektrofraktion, die ihre teuren Gefährte batterieschonend auf der rechten Spur bewegen müssen. Sympathie stellte sich allerdings diesmal bei einem speziellen Hindernis ganz anderer Art ein.

Denn vor Karlsruhe bemerkte ich, dass Reisebusse ausscherten, um einen Langsamfahrer hinter sich zu lassen. Ich war innerlich schon auf 180.

Doch als ich den „Schleicher“ sah, war alles vergessen. Es war ein Fiat 500 – doch keiner der adretten Wiedergänger unserer Tage, mit welchem die Marke einen Riesenerfolg gelandet hat.

Nein, es war ein Heckmotor-500er der 1960/70 Jahre, damals „500 Nuova“ geheißen, um ihn vom Vorgänger 500er – dem Frontmotor-„Topolino“ – abzugrenzen, dessen Wurzeln bis in die 1930er Jahre zurückreichten.

Es handelte sich aber nicht etwa um den Fiat eines örtlichen Enthusiasten, weit gefehlt. Das winzige Auto, das innen mit Gepäck vollgestopft war, besaß ein altes schwarzes Kennzeichen, das auf eine Zulassung in Padua hinwies.

Wie aus dem Ei gepellt sauste der Kleine die Autobahn entlang, am Steuer eindeutig eine gutgelaunte Italienerin, neben ihr eventuell noch ein Beifahrer, sicher bin ich nicht.

Kurz nachdem ich den Fiat überholt hatte, machte ich halt zum Tanken und wie erhofft sah ich von der Zapfsäule den Wagen mit Vollgas vorbeifahren. Ich fühlte mich an meine Italienfahrt als Student mit 1200er Käfer erinnert, der 150-160.000 km auf der Uhr hatte, mit dem ersten Motor.

Natürlich hieß das ebenso Dauervollgas, aber gute Wartung vorausgesetzt, steckten diese Autos das weg, sonst hätte man solche Touren nicht gewagt. Aber ein Fiat 500 ist kein 1200er Käfer, der mit etwas Nachhilfe immerhin 120 km/h Spitze schaffte.

Daher Hut ab vor der Italienerin, die sich mit ihrem Cinquecento auf die deutsche Autobahn gewagt hatte. Übrigens ist die Präsenz des Fiat 500 im italienischen Alltag bemerkenswert hoch, was man vom „Käfer“ hierzulande nicht behaupten kann.

Das liegt wohl weniger am Auto als an der mittlerweile grassierenden „German Angst“ (Stichwort: Fahrradhelm bei Dreijährigen auf dem Laufrad – gerade heute wieder gesehen).

Jetzt wird’s aber allmählich Zeit für den Osterhasen im Fiat, mögen Sie jetzt denken. Grundsätzlich schon, aber bis Sie den zu Gesicht bekommen, müssen Sie noch etwas Geduld haben, auch wenn ich ab jetzt auf kurzweilige Fotos umstelle.

Dazu begeben wir uns in die Nachkriegszeit und wieder nach Südwestdeutschland. Dort hatte damals ein Paar das Glück, über einen Fiat 500 des ab 1936 gebauten Vorkriegstyps zu verfügen und auch über das Geld für Benzin und Übernachtungen, um Urlaub mit dem Wagen zu machen.

Dabei ging es Richtung Süden, Richtung Gebirge – einen Drang, den man als Deutscher von den germanischen Vorvätern (m/w/d) ererbt hat und welcher seine konstruktivste Ausprägung in der friedlichen Urlaubsreise gefunden hat:

Fiat 500; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Ich habe keine Idee, wo genau dieses stimmungsvolle Foto entstanden ist, habe gerade auch keine Zeit zum Recherchieren. Aber wenn jemand es herausfindet oder sogar spontan sagen kann, wäre ich für einen Hinweis im Kommentarteil sehr dankbar.

Auf der nächsten Aufnahme sind wir schon höher hinaus, auch hier könnte die markante Topografie Aufschluss über die Örtlichkeit geben:

Fiat 500; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Nun haben wie zweimal „sie“ mit dem Fiat gesehen, da möchte man doch auch wissen, wie „er“ ausgesehen hat.

Für die nötige Geschlechtergerechtigkeit sorgen die beiden folgende Fotos. Hier haben wir „ihn“ zunächst anlässlich eines Halts irgendwo an der Autobahn:

Fiat 500; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Für mich sieht der Herr mit Baskenmütze und Nickelbrille wie ein „Intellektueller“ im positiven Sinne aus – also kein verkrachter Künstler, der nur wirr reden und herumschmieren kann, sondern jemand, der vielleicht aus einer musischen Begabung eine profitable Existenz gemacht hat – als Professor oder als Kunsthändler.

Hier haben wir ihn nochmals. diesmal mit dem einzigen Ortshinweis“Luitpoldbad“:

Fiat 500; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Sie sehen, über den wackeren Fiat verliere ich bei alledem kein Wort – dieser wohl genialste und zugleich schönster aller Kleinstwagen bedarf keiner Worte und auch warum er den Spitznamen „Topolino“ (Mäuschen) erhielt, erklärt sich ganz von selbst.

Wo aber bleibt denn jetzt der Osterhase? Den müssen Sie schon selbst finden. Doch das ist ganz einfach. Ich wollte bloß erst diese Bilderreihe bringen, zu deren Präsentation ich einige Jahre auf die richtige Gelegenheit gewartet habe.

Über die Besitzer des Fiats ist nichts bekannt und vermutlich ist außer diesen Aufnahmen nichts von ihnen geblieben, sonst wären die Aufnahmen nicht kommentarlos auf dem Markt gelandet, wo ich sie entdeckt habe.

Die Geschichte, die sie erzählen, ist ohnehin zeitlos – so wie die Geschichte vom Osterhasen ein uraltes Stück ist, welches sich die frühe christliche Kirche mit ihren in der Hinsicht begabten „Marketing“-Leuten genial angeeignet hat wie so vieles andere.

Und nun kommt endlich der Osterhase ins Spiel…

Fiat 500; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Michael Schlenger, 2024. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

Ein Ostfriese im Skiurlaub! Fiat 508 S Spider Sport

Es ist Anfang Januar, jetzt beginnen die eigentlichen Wintermonate und passend dazu fallen die Temperaturen in meiner Heimatregion – der hessischen Wetterau – auf eher seltene 6-7 Grad Minus.

Beim mittäglichen Spaziergang mit der besseren Hälfte blies ein schneidiger Ostwind und wir hielten es trotz Sonnenscheins nicht lange aus.

Immerhin konnten wir uns vergewissern, dass es den Schweinen, Schafen und Ziegen gut geht, die ein sympathischer Zeitgenosse auf einem Wiesengrundstück am Dorfrand hält und natürlich haben die freundlichen Viecher dort auch eine wärmende Heimstatt.

Zurück im Haus wurde gegen Abend erstmals seit letztem Winter der Kaminofen angefeuert – unsere „klimaneutrale“ Alternative zur staatlicherseits propagierten Wärmepumpe. Nach zwei Stunden war die ganze Bude (ein 120 Jahre altes Fachwerkhaus ohne Dämmung) so wohltemperiert wie schon lange nicht.

Mit warmem Hinterteil unterstützt vom guten alten Wollpullover bloggt es sich gleich viel entspannter – vor allem dann, wenn es auf eine Winterreise der besonderen Art geht. Denn heute begleiten wir einen Ostfriesen in den Skiurlaub!

Es sei vorausgeschickt, dass es mir fernliegt, Witze auf Kosten der ostfriesischen Landsleute zu machen, die ich als erdverbunden, ehrlich und ernst kennengelernt habe – was folgt, ist also ein reiner Tatsachenbericht.

Stellen Sie sich vor, Sie wohnen in Aurich und wollen partout in den Skiurlaub. Was macht der gemeine Ostfriese? Packt er seine Ausrüstung zusammen und dampft mit der Eisenbahn gemächlich gen Süden in gebirgige Regionen?

Weit gefehlt. Das nötige Kleingeld vorausgesetzt nimmt er das Automobil und weil ihm weder Wind noch Kälte etwas anhaben können, wählt er die offene Variante:

Fiat 508 S Spyder Sport; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Ich wollte es erst nicht glauben, aber diese schicke kleine Roadster war tatsächlich im ostfriesischen Aurich zugelassen. Der Besitzer hatte beim Kauf genau Maß genommen, um sicherzugehen, dass die Skier mitsamt Stöcken auch auf die Kotflügel passten.

Dafür kamen in der Kleinwagenklasse nicht allzuviele Fahrzeuge in Frage – im vorliegenden Fall erwies sich ein italienisches Automobil als perfekt passender fahrbarer Untersatz.

Den ersten Hinweis auf den Hersteller gab das dekorative Element auf dem Kühler – das fand sich so am Fiat 508, der 1932 eingeführt worden war und in Deutschland auch im alten NSU-Werk gefertigt wurde. Hier haben wir die brave Limousine:

Fiat 508 oder NSU-Fiat 1000; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Den geneigten Kühler bekam das 1-Liter-Modell eigentlich erst 1934 spendiert.

Doch schon ein Jahr früher bot man dieses Detail in Verbindung mit Roadster-Karosserie an – der Typ 508 S Spyder Sport war geboren, den wir auf dem ersten Foto sehen.

Nicht nur sah er flott aus, dank seines leistungsgesteigerten Motors und niedrigem Gewicht marschierte er auch ordentlich. Wer die Fiat-typisch hohen Drehzahlen nicht scheute, konnte statt bisher 20 PS (ab 1934: 24 PS) nunmehr 30 PS aus dem Aggregat herausholen.

1-Liter-Motoren dieser sportlichen Charakteristik stellte in deutschen Landen niemand her, was zur Beliebtheit der Fiats jener Zeit beitrug.

Zum Vergleich: Opels 1-Liter-Typ leistete sparsame 18 PS, das schafften sogar die 600ccm-Motoren von DKW. Hanomag kam bei 1,1 Litern Hubraum immerhin auf 23 PS. Allenfalls BMW bot mit dem kleinen 6-Zylindertyp 303 (30 PS aus 1,2 Litern) eine Alternative.

Die ehrgeizigen Turiner legten aber 1934 nach und brachten den Fiat 508 S Sport mit einem 1 Liter-Motor heraus, der sogar 36 PS bereitstellte – das war dann wirklich konkurrenzlos.

Nach wie vor wog der Roadster nur 600 Kg, war aber jetzt sogar mit 4-Gang-Getriebe ausgestattet und damit nun auch langstreckentauglich.

Hart im Nehmen musste unser Ostfriese gleichwohl sein, wenn er mit diesem beinharten Gefährt einige hundert Kilometer im Winter zum nächsten Skiort absolvieren wollte. Unsere Altvorderen waren allerdings auch aus anderem Holz geschnitzt als unsereins.

Eine Sache muss bislang offenbleiben: Zeigt mein Foto noch die Ursprungsversion des Fiat 508 S Sport von 1933 oder schon die leistungsgesteigerte Ausführung von anno 1934? Äußerlich scheinen sie weitgehend identisch gewesen zu sein.

Weiß jemand es genau? Sie sehen: Mir ist es ganz ernst, was den Friesen-Fiat auf Skiurlaub angeht – was solche Details angeht, verstehe ich keinen Spaß…

Michael Schlenger, 2024. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

Mühelos vom Gestern ins Heute: Fiat 1100

Die Zeit zwischen Weihnachten und dem Jahreswechsel ist für viele eine besondere. Einmal doch soll die Uhr langsamer gehen, wenn schon nicht stillstehen.

Liegengebliebenes ohne Hektik erledigen, Zeit mit Freunden, Kindern und Haustieren zubringen oder vielleicht gar nichts im eigentlichen Sinne tun – allenfalls ein Buch lesen, Musik hören oder: sich Gedanken machen.

Ich habe zwar noch einiges an Arbeit zu erledigen, aber bevor Sie mich bedauern: das erledige ich von meinem Refugium im italienischen Umbrien aus. Als Schreibtischtäter bin ich in der glücklichen Lage, von überall aus arbeiten zu können, Internetanschluss vorausgesetzt.

Seit November verfügt das Häuschen auf 600 Meter Höhe über eine Antenne, welche mir ebenso rasanten Internetverkehr wie daheim ermöglicht – ohne Glasfaser-Hokuspokus, horrende Grundgebühren usw. Berechnet wird nur der Verbrauch. Der Anbieter ist auf Ferienimmobilien spezialisiert und ein Musterbeispiel für italienische Infrastrukturkompetenz.

Das hat eine Tradition, die weit zurückreicht – der Nachbarort Spello bezieht sein hervorragendes Trinkwasser noch heute über einen kilometerlangen römischen Aquädukt. Wer mag, kann sich dort außerdem kostenlos für den Privatbedarf abzapfen, was er möchte.

Wieso ich den vermeintlichen Umweg über die Antike ins Hier und Jetzt wähle, wo es doch bloß etwas vom Fiat 1100 der späten 1930er Jahre zu erzählen gibt? Nun, das sehen Sie noch.

Vielleicht haben Sie sich dieser Tage ja in einem nachdenklichen Moment bei dem Gefühl erwischt, dass Ihnen das Heute zunehmend fremd wird, Gewohnheiten zum Problem werden, Gewissheiten zertrümmert daliegen.

Viele meiner Leser können auf einige Jahrzehnte zurückblicken und ich kann mich an eine überwiegend heile Welt der 1970/80er Jahre (in Westdeutschland) zurückerinnern. Damals konnte sich eine vierköpfige Familie mit einem Gehalt ein eigenes Haus mit Garten, zwei Autos und einen Urlaub im Süden leisten.

Zwar ging es nicht mehr so rasant aufwärts wie in der Wiederaufbauzeit und es gab schwierige Phasen mit hoher Inflation, hohen Zinsen und Arbeitslosigkeit. Doch über kurz oder lang bekam die damals nur wenig gegängelte Marktwirtschaft wieder die Kurve.

Der Kalte Krieg war zwar allgegenwärtig, aber das Vertrauen auf die gegenseitige Abschreckung überwog. Trotz enorm hoher Militärbudgets blieb den Leuten genug vom Einkommen und ansonsten hat man sie ihr Alltagsleben leben lassen.

Warum erzähle ich das ? Weil einem angst werden kann bei dem Tempo, mit dem diese Welt von gestern verschwindet und die von heute ihr zunehmend autoritäres und zunehmend hässliches Antlitz zeigt.

Wir vergewissern uns heute, dass der Abstand zwischen gestern und heute gar nicht so groß sein muss, dass sich mühelos beides vereinbaren lässt. Bei der Beschäftigung mit Vorkriegsautos kann das sogar gelingen, wenn diese selbst schon längst verschwunden sind.

Nach dieser langen Vorrede können Sie sich jetzt hier visuell erholen, hoffe ich:

Assisi (Umbrien), Piazza del Comune; Postkarte der späten 1940er Jahre; Sammlung Michael Schlenger

Hier stehen wir auf dem zentralen Platz der berühmten Pilgerstadt Assisi, in welcher seit dem Mittelalter der Heilige Franziskus verehrt wird. Der verdient das auch dann, wenn man nicht dem christlichen Glauben anhängt – seine Faszination ist jedenfalls ungebrochen.

Das kleine Assisi verdankt seinen enormen Reichtum an Kunstschätzen der Anziehungskraft von San Francesco und der Tatsache, dass sich die Stationen seines Lebens mit bestimmten Orten und Bauten verbinden, die alle noch existieren.

Als Goethe 1786 auf seiner ersten Italienischen Reise Assisi besuchte, begeisterte er sich indessen nur für ein Gebäude: den herrlichen Minervatempel aus der römischen Kaiserzeit. Dessen Fassade ist das Kronjuwel in dieser Platzanlage – da mag der angrenzende mittelalterliche Torre del Popolo noch so hoch sein.

Und so wie römische Tempel einst auf das Forum von „Asisium“ ausgerichtet war, so wacht er auch auf dieser Aufnahme auf den neuzeitlichen Treffpunkt der Bürger:

Schon hier relativiert sich der Abstand zwischen dem Gestern und Heute auf erstaunliche Weise – eine Kontinuität, wie sie sich in Italien vielerorts erhalten hat.

Das gilt vor allem für Regionen wie Umbrien, durch die zwar immer wieder Eroberer zogen, in denen aber kein nennenswerter Bevölkerungsaustausch stattgefunden hat. Diese Aufnahme ist übrigens zu einem Zeitpunkt entstanden, kurz nachdem die Region das letzte Mal Ort kriegerischer Auseinandersetzungen gewesen war.

Der Kleidung nach zu urteilen, ist die Situation in den späten 1940er Jahren aufgenommen worden – zu einer Zeit, als noch ausschließlich Vorkriegsautos verfügbar waren. Die Leute sind alle gertenschlank, hier und da haben die Anzüge der Herren mehr „Luft“ als erforderlich.

Noch kurz zuvor war die Region Kriegsgebiet. Zwar hatten die Italiener es 1943 geschafft, das Mussolini-Regime zu kippen und Deutschland die Waffenbrüderschaft aufzukündigen. Doch so richtig das strategisch war, so schmerzhaft waren die unmittelbaren Folgen:

Erstens behandelte die deutsche Wehrmacht die ehemaligen Kameraden nun als Feinde und unzählige italienische Soldaten wurden als Zwangsarbeiter nach Deutschland deportiert. Zweitens wurden in den von deutschen Truppen kontrollierten Gebieten Italiens rigide alle Ressourcen geplündert, um die Kriegsmaschine am Laufen zu halten.

Und drittens nahmen die aus Süden vorrückenden alliierten Truppen nur wenig Rücksicht auf die italienische Zivilbevölkerung. So waren nun auch die Italiener wehrlos angloamerikanischen Bomberangriffen ausgesetzt, die weder Zivilisten noch Architektur schonten.

Außerhalb Italiens ist dieses dunkle Kapitel kaum bekannt, doch aus eigener Anschauung weiß ich, dass die Erinnerung an die vielen Opfer und oft irreparablen Schäden immer noch wach ist und die Jahrestage der Bombenangriffe würdevoll begangen werden.

Assisi ist nur deshalb verschont worden, weil es einem deutschen Offizier gelungen war, die Stadt gegenüber den Alliierten als Lazarettort auszuweisen, an dem auch gegnerische Verwundete behandelt wurden. Das hat die Stadt tatsächlich vor Zerstörungen bewahrt. Eines der Beispiele für ehrenhaftes Verhalten auf deutscher Seite, an die man auch erinnern muss.

Kurz nach dem Krieg wurde dieser Oberst Valentin Müller für seine Tat in Assisi geehrt – und genau in diese Zeit fällt das heute vorgestellte Foto, welches eine heilgebliebene Welt zeigt.

Die Bürger von Assisi konnten sich glücklich schätzen, sie waren davongekommen. Beim Davonkommen hilfreich war auch der Besitz eines Automobils, doch davon gab es nicht viele. Die Wehrmacht hatte die meisten beschlagnahmt und viele wurden zerstört.

Hier haben wir ein Beispiel dafür – ein blutjunger deutscher Soldat posiert irgendwo an der Südfront mit „seinem“ Fiat 1100:

Fiat 1100 im Dienst der Wehrmacht; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

So repräsentierte die Fiat-Limousine in Assisi kurz nach dem Krieg bereits einen Luxusgegenstand. Dabei handelte es sich nur um das 1937 eingeführte Mittelklassemodel 1100 („Millecento“), das auch in Deutschland als NSU-Fiat gebaut wurde.

Bilder und Beschreibungen dieses in seiner Klasse ganz ausgezeichneten Wagens finden sich zuhauf in meinem Blog.

Daher will ich heute gar nicht weiter darauf eingehen, nur auf eines sei hingewiesen: Man erkennt an dem Wagen in Assisi vertikale Türgriffe – ein Merkmal der in Italien gebauten Ausführungen des „Millecento“, welches die deutschen Varianten nicht besaßen.

Ganz schön viel Geschichte und ganz schön wenig Auto. Stimmt, aber vergessen Sie nicht: Ich schreibe hier, was mir in den Sinn kommt und Sie müssen nichts dafür bezahlen.

Da nimmt man schon mal kulturhistorische Abschweifungen und subjektive Sichtweisen auf dies und das in Kauf, nicht wahr? Aber letztlich geht es immer darum, den Zauber von gestern ins heute zu transferieren, das wollen Sie doch auch, oder?

Genau das dachte ich mir heute morgen.

Die Sonne schien, die Arbeit war bald erledigt, sodass ich am Nachmittag nach Assisi aufbrach. Das Städtchen war voller Menschen, doch das waren keine Pilger oder Touristen, sondern einheimische Ausflügler, die sich in der Zeit nach Weihnachten ein paar Tage mit der Familie gönnen und sich der Schönheit ihrer Heimat vergewissern.

Ich war zuversichtlich, dass es mir gelingen würde, den Beweis dafür sicherstellen zu können, dass das Gestern und das Heute mühelos zusammengehen – hier ist er:

Assisi (Umbrien), Piazza del Comune, 27.12.2023; Bildrechte: Michael Schlenger

Hätte ich eine Leiter gehabt, hätte ich die Aufnahmeperspektive ganz exakt nachstellen können – es ist noch alles da, sogar die prächtigen schmiedeeisernen Kandelaber.

An der Bausubstanz hat sich trotz einiger Erdbeben nullkommanichts geändert, außer dass behutsame Restaurierungen stattgefunden haben.

Wo einst der Fiat 1100 parkte, standen heute die Reste eines Weihnachtsmarkts, aber auch die weichen bald wieder der makellosen Schönheit dieses über einen Zeitraum von rund 1.500 Jahren organisch gewachsenen Platzes.

Neu ist nur, dass man nun unterhalb des heutigen Platzes auf Teilen des römischen Forums wandeln kann. Dort kann man sogar den perfekt erhaltenen Sockel des Minervatempels besichtigen, der ja einst wesentlich höher war, als er heute wirkt.

Gestern und heute liegen hier nur wenige Meter auseinander – diesmal in der Vertikalen.

Wem das jetzt immer noch zuviel Kulturgeschichte und Schwärmerei war, der mag endlich Genugtuung im folgenden Porträt eines noch heute munter umherfahrenden Fiat 1100 finden – wenn auch in Form ders ab 1939 gebauten Variante „Musone“.

Solche modellspezifischen Details verblassen angesichts der Harmonie, welche sich auch hier wieder im Nebeneinander historischer Städte und Vorkriegsautos zeigt. Und das ist die eigentliche Botschaft meines heutigen Blog-Eintrags.

Wir müssen die großartigen Seiten des Gestern in die zunehmend unwirtliche Welt des Heute hinüberretten, sie pflegen und beschützen. Und wir müssen uns den Kräften und Tendenzen entgegenstellen, die unsere Landschaften und Städte, unsere Sprache und unsere bürgerlichen Traditionen bedrohen .

In Italien hat die Moderne auch viele Spuren hinterlassen, vor allem im Norden. Aber es gibt sie, die Provinzen und Bürgerschaften, die ihr phänomenales kulturelles Erbe zu schätzen und zu schützen wissen – sich ihre Identität nicht rauben lassen.

Wenn wir das nicht selbst auch tun, dürfen wir uns nicht beklagen, wenn uns die Gegenwart zunehmend fremd wird und entgleitet. Mühelos vom Gestern ins Heute gelangen, das sollte auch gelingen, ohne unverbesserlicher Nostalgiker oder verschrobener Romantiker zu sein.

Das moderne Italien kann in der Hinsicht ein Vorbild sein – es ist nicht perfekt, aber ich wüsste kein Besseres, um zu erkennen, wie man mühelos vom gestern ins heute gelangt…

Michael Schlenger, 2023. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.   

Entdeckung auf zwei Rädern: Fiat 501 Tourer

Zurückgekehrt aus dem Süden muss ich mich in deutschen Landen stets erst wieder ein wenig einfinden. Dass wir doch alle bloß „Europäer“ seien, das behaupten nur Leute, die nichts mit den Kulturnationen unseres Kontinents anfangen zu wissen.

Gerade weil jenseits des Alpenhauptkamms und vor allem südlich der Po-Ebene so vieles großartig anders ist, zieht mich Italien von jeher so an wie kein anderes Land.

Bei der Gelegenheit sei versichert, dass der träge dahinfließende Po randvoll ist – die im Hochsommer verbreiteten Panikmeldungen erweisen sich regelmäßig als Märchen.

Wer übrigens von falscher Bewirtschaftung und Windindustrie verschonte gesunde Wälder sehen möchte, dem sei angeraten, statt der Tour an die Adria kurz vor der Küste die Abfahrt „Cesena Nord“ zu wählen und die Route nach Süden einzuschlagen – ins grüne Herz von Umbrien hinein.

Mehr als zwei Stunden lang geht es durch wildromantische Täler, die auch nach einem langen Sommer mit üppigen Laubwäldern aufwarten, bis man in der umbrischen Ebene anlangt.

Dort bietet sich dem Reisenden, Pilger oder Wanderer eine seit 2500 Jahren gepflegte Kulturlandschaft, die bis heute intakt ist:

Blick auf Spello (Umbrien) am 25. September 2023; Bildrechte: Michael Schlenger

In diese in Deutschland nur wenig bekannte Region Italiens zog es mich kürzlich wieder – diesmal weil mir der Sinn nach Entdeckungen auf zwei Rädern stand.

Dass sich dabei ausgerechnet ein Fiat 501 als einer der Höhepunkte erweisen sollte, das konnte ich nicht ahnen. Wer in meinem Blog bereits länger mitliest, weiß natürlich um die Meriten dieses frühen Großserienmodells der Turiner Firma.

Als erster europäischer Hersteller überhaupt brachte Fiat 1919 mit dem 1,5 Liter-Typ 501 ein für die Massenfabrikation geeignetes Automobil auf den Markt. Rund 80.000 Exemplare davon wurden in alle Welt verkauft.

Auch nach Deutschland mit seiner der Marktnachfrage nicht annähernd gewachsenen Autoindustrie gelangten zahlreiche Fiats dieses für seine Robustheit berühmten Vierzylindermodells.

Dort fanden sogar 501er mit Sonderkarosserie Absatz wie dieser sportlich angehauchte Tourer (ausführlicher Beitrag):

Fiat 501 Sport-Tourer; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Mit minimalistischen Kotflügeln – die ihren Namen in diesem Fall besonders verdienen – , ungewöhnlich niedriger Gürtellinie und Verzicht auf ein Trittbrett wirkt der Fiat kompakt, geradezu unscheinbar.

Dass der 501 in Wahrheit ein beeindruckend dimensioniertes Fahrzeug war, speziell in der Ausführung als serienmäßiger Tourer, das war mir lange Zeit nicht bewusst.

Sicher: mir war das Modell von zeitgenössischen Bildern vertraut, die ich im Blog besprochen habe. Doch trotz seiner einstigen Verbreitung in deutschen Landen war mir noch nie ein Exemplar in natura begegnet.

Das sollte sich erst ändern, als ich in ganz anderer Mission in Italien unterwegs war, nämlich auf zwei Rädern ganz ohne Motorkraft. Anlass dazu gab eine Veranstaltung für historische Fahrräder, die von Enthusiasten im umbrischen Foligno ausgerichtet wird.

Wem der Name Foligno nichts sagt, der sollte wissen, dass in der uralten Stadt inmitten der Valle Umbra der spätere Stauferkaiser Friedrich II. seine ersten Lebensjahre verbrachte, außerdem wurde dort die erste Ausgabe von Dantes Commedia Divina gedruckt.

Leider haben alliierte Bombardierungen der Altstadt im 2. Weltkrieg schwere Schäden zugefügt, weshalb Foligno nicht mehr mit der makellosen Schönheit anderer umbrischer Städte aufwarten kann. Dennoch ist auch dort die Identifikation mit der Region groß und Traditionen wie die Giostra della Quintana werden begeistert fortgeschrieben.

Von Foligno aus findet jährlich im September eine Ausfahrt mit klassischen Stahl-Rennrädern und sonstigen historischen Drahteseln statt – die Francescana Ciclostorica.

Auf zwei Rundkursen geht es durch die Valle Umbra – und im Fall der längeren Route auch hinauf in die über dem Tal liegenden Orte wie Assisi, Spello, Trevi und Montefalco, allesamt von modernen Entstellungen verschont und mit grandiosen Kunstschätzen gesegnet.

Der sportliche Aspekt ist nebensächlich – der Genuß der Landschaft und der guten Gesellschaft Gleichgesinnter steht im Vordergrund. Unterwegs wird wiederholt gehalten, um sich mit kulinarischen Köstlichkeiten zu stärken, wozu einer der ausgezeichneten Weine der Region gehört – also nichts für Verzichtsfetischisten.

Ich hatte mir für die Teilnahme auf Basis eines Rahmens der Torpedowerke aus Frankfurt/Main einen „Halbrenner“ gebastelt, wie er von 1900 bis 1930 beliebt war. Die Anbauteile dazu hatte ich meinem Fundus entnommen und nach eigenem Gusto montiert.

Hier präsentiert sich das Gerät vor dem Einsatz:

Torpedo „Halbrenner“ in Collepino (Umbrien); Bildrechte: Michael Schlenger

Wenn Sie sich spätestens jetzt fragen, was das Ganze mit Vorkriegsautomobilen zu tun hat, dann kann ich nur zu etwas Geduld raten – es lohnt sich auszuharren.

Ich hatte mich in Anbetracht der nicht vorhandenen Gangschaltung für den kürzeren Kurs entschieden, welcher lediglich 35 km umfasste und sich – vom kurzen Anstieg zu einem Weingut abgesehen – auf ebene Strecken beschränkte.

Am Morgen der Fahrt präsentierte sich das Wetter den über 500 Teilnehmern zunächst unfreundlich. Doch 10 Minuten nach dem vorgesehenen Starttermin hörte es auf zu regnen und nach dem frenetischen Absingen der italienischen Nationalhymne ging es auf die Reise.

Ich hatte mir ein zum Rad passendes Outfit zugelegt und noch am Vortag letzte Details wie die passende Krawatte ausgewählt – so konnte man sich als Deutscher durchaus sehen lassen, meine ich:

Start zur La Francescana Ciclostorica 2023 in Foligno: Bildrechte: Luca Petrucci

Die Fahrt gestaltete sich trotz wiederholter Regenschauer sehr erfreulich.

Das lag nicht zuletzt daran, dass die zahlreichen weiblichen Teilnehmer große Sorgfalt auf die in Italien noch ausgiebig gepflegten Äußerlichkeiten verwendet hatten, ohne welche keine den Niederungen des Notwendigen enthobene Kulturnation bestehen kann.

Mit spektakulären Hüten, Frisuren und Kleidern sowie maximal unpraktischem Schuhwerk begaben sich die Vertreterinnen des schönen Geschlechts gutgelaunt auf die von mancher Pfütze und kühler Brise begleitete Tour.

Hin und wieder war ein kurzer Zwischenhalt erforderlich, damit die lokale Polizei den Radlern freie Bahn auf den wenigen Passagen verschaffen konnte, die über öffentliche Straßen führten.

Dann ergab sich Gelegenheit, mit der Nachbarin anzubandeln oder Studien bei den Vorausfahrenden zu betreiben:

La Francescana Ciclostorica; Bildrechte: Michael Schlenger

Selbstredend mussten solcherlei Anstrengungen früher oder später dazu führen, dass sich Appetitgefühl einstellt.

Bei der von mir gewählten kurzen Tour waren gleich drei Pausen vorgesehen, bei denen man sich zuverlässig durch das regionale Angebot an Köstlichkeiten essen konnte.

Gleich der erste Halt führte zum Weingut Arnaldo Caprai, dessen Weine (keineswegs nur der lokale Sagrantino) nach meiner Einschätzung zu den besten Umbriens gehören, ohne (vor Ort) übermäßig teuer zu sein.

Um dorthin zu gelangen, war die einzige nennenswerte Steigung zu bewältigen, welche der Autor selbstredend im ersten und einzigen Gang absolvierte, während es etliche andere Teilnehmer offensichtlich weniger militant angingen:

La Francescana Ciclostorica 2023, Weingut von Arnaldo Caprai bei Montefalco (Umbrien); Bildrechte: Michael Schlenger

Jetzt sind wir quasi in Sichtweite dessen, was im Titel des heutigen Blog-Eintrags angekündigt wurde – eine Entdeckung auf zwei Rädern, welche sich als absolut beeindruckender Fiat 501 entpuppte.

Denn als wir Pedalisten auf dem Weingut der Familie Caprai angelangten, hatten sich dort zu unsere Begrüßung bereits einige Vertreter der Fiat-Dynastie versammelt.

Sie umfassten gleich drei Generationen der Turiner Automobile, obwohl zwischen dem ältesten Vertreter und dem jüngsten nur rund 20 Jahre liegen.

Die ganze Zeitspanne von 1919 bis 1939 sehen wir hier – in automobiler Hinsicht wie auch sonst eine Periode ungeheurer Umwälzungen, doch in diesem Fall vollkommen beschaulich:

Fiat Vorkriegswagen auf dem Weingut Arnaldo Caprai bei Montefalco (Umbrien), September 2023; Bildrechte: Michael Schlenger

So interessant das Nebeinander von gleich drei Versionen des Erfolgsmodells 508 „Balilla“ auch ist, gilt unsere besondere Aufmerksamkeit heute den beiden Fiats ganz links.

Sie kontrastieren in außerordentlicher Weise und illustrieren den Sprung in die Moderne, den Fiat Ende der 1930er Jahre mit dem 1100er („Millecento“) vollzog, dessen geschmeidiger und drehfreudiger Motor noch bis in die 1960er Jahre kaum verändert gebaut werden sollte.

Leider kann ich in diesem Fall nur mit einer Ausschnittsvergrößerung mäßiger Qualität aufwarten, da ich zum Aufnahmezeitpunkt noch nicht wusste, was ich daraus in meinem Blog machen würde:

Jedenfalls wird hier schlagartig deutlich, wie grundlegend sich die Gestaltungsprinzipien bei Fiat – aber auch bei anderen Herstellern – zwischen 1919 und 1939 wandelten.

Denn diese beiden Wagen stehen jeweils stellvertretend für diese Baujahre.

Dass der weit moderner geformte Millecento keineswegs ein Kleinwagen war, auch wenn er neben dem 20 Jahre älteren Tourer so wirkt, dass begreift man, wenn man einmal direkt davor steht.

Dazu bot sich bei einem späteren Halt die Gelegenheit, auch wenn sich das Wetter zwischenzeitlich gegen uns Zweiradfahrer verschworen hatte und die Aussicht auf eine Fortsetzung der Tour in einem solchen Automobil durchaus verlockend erschien:

Fiat 1100 „Musone“; Bildrechte: Michael Schlenger

Wer sich hier an den Ford „Eifel“ erinnert fühlt, liegt mit seinem Bauchgefühl nicht schlecht.

Auch Fiat folgte Ende der 1930er Jahre – wie übrigens auch Renault – stilistischen Tendenzen, welche die damals führende US-Autoindustrie entwickelt hatte.

Mit dem spitz zulaufenden Kühler sollte der Millecento bis in die späten 1940er Jahre gebaut werden. Hier haben wir ihn in Bestzustand mit originaler Zulassung in der umbrischen Hauptstadt Perugia.

So wenig es an dem markant gestalteten, technisch ausgereiften und bestens verarbeiteten 1100er Fiat auszusetzen gibt, so verblasst er mit seinen beinahe modernen Proportionen aus meiner Sicht gegen den älteren 501, der uns in eine frühe Ära mit vollkommen anderen Gestaltungsprinzipien transportiert.

So etwas wie Familienähnlichkeit will sich jedenfalls nicht erkennen lassen, wenn man dann direkt vor einem Exemplar von Fiats erstem Großserienerfolg steht:

Fiat 501 Tourer; Bildrechte: Michael Schlenger

Hätte ich die Wahl, würde ich mich für das ältere Modell entscheiden – wobei mir die Tatsache entgegenkommt, dass ich bereits Besitzer eines originalen Fiat 1100 aus den 1960er Jahren bin, dessen kultivierter kopfgesteuerter Motor wie gesagt eine Vorkriegskonstruktion ist.

Mit nur 23 Pferdestärken statt deren 32 wie im 1100er war der 501 natürlich nicht annähernd so leichtfüßig zu bewegen. Doch seine Stärken entfaltete der langhubige Motor gerade auf hügeligen Strecken, wie sie in Italien überwiegen, und früh erlangte er legendären Ruf für astronomische Laufleistungen – die damals noch aufwendige Pflege vorausgesetzt.

So begegnet einem der Fiat 501 in allen Weltregionen – selbst im fernen Australien haben einige davon überlebt. Nun stand ich in Italien endlich vor einem Original und diese Entdeckung gehörte zu den schönsten, die ich auf zwei Rädern machen durfte.

Das war eigentlich schon alles, was ich Ihnen erzählen wollte. Beim nächsten Mal kehre ich wieder zum üblichen Muster der Besprechung historischer Fotos von Vorkriegswagen zurück.

Nur für den Fall, dass Sie den Autor noch einmal in Bewegung sehen wollen, habe ich ein kurzes Video meiner Ankunft in Foligno eingefügt…

Michael Schlenger, 2023. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

Für heilige Männer in Eile: Fiat 509 Tourer

Mit dem letzten Blog-Eintrag hatte ich mich ins auch im Hochsommer zuverlässig grüne Umbrien verabschiedet – zwar nicht im NAG „Puck“ nach Todi im Tibertal, aber ins nur rund 50 km nordöstlich gelegene Collepino oberhalb von Spello in der Nähe von Assisi.

Dort, einige hundert Meter oberhalb der großartigen Kulturlandschaft der „Valle Umbra“ findet man in einem über 1000 Jahre alten Ort, der einst als Festung ausgebaut war, bis heute ein über die Jahrhunderte kaum verändertes malerisches Bild:

Collepino (Umbrien); Bildrechte: Alessio Balbo, 2023

Exakt in der Mitte dieser Aufnahme, die ich Alessio Balbo von den „Amici di Collepino“ bei Facebook verdanke, erkennt man das mittelalterliche Stadttor, das im Folgenden noch eine wichtige Rolle spielen wird.

Collepino ist über eine sechs Kilometer lange, stetig ansteigende Straße mit dem im Tal liegenden weit älteren Spello verbunden. Wer von dort kommt, muss entweder gut zu Fuß sein, stramme Radlerwaden haben oder – über ein Automobil verfügen!

Die lokale Radlerfraktion attackiert den anspruchsvollen Anstieg meist mit der Rennmaschine, genießt dann die grandiose Aussicht auf die Valle Umbra über Foligno und Trevi bis hin nach Spoleto, gönnt sich einen Kaffee oder eine Piadina in Flavios Bar auf der winzigen Piazza und macht sich wieder auf den Weg ins Tal.

Vom Mittelalter bis ins frühe 20. Jahrhundert blieb den Leuten dagegen nur die Wahl zwischen „per pedes“, mit dem Esel oder dem Ochsenkarren.

Die vom Volk verehrten Eremiten in den umliegenden kleinen Klosteranlagen wie dem unweit befindlichen Eremo di San Silvestro dürften mit Kutte und Sandalen bekleidet zu Fuß unterwegs gewesen sein, wenn sie überhaupt einmal ihre Refugien verließen.

Indessen die hohe Geistlichkeit, deren Hang zur Opulenz über die Jahrhunderte immer wieder wahrhaft frommen Männern und Frauen aufstieß, wird wohl schon immer das beste jeweils verfügbare Transportmittel gewählt haben.

Denn je heiliger man sich vorkam – jedenfalls hierarchietechnisch gesehen – desto eiliger hatte man es als Vertreter des gehobenen Klerus. Gewiss werden findige Bibel-Exegeten frühzeitig herausgefunden haben, dass der Gebrauch des neu erfundenen Automobils keineswegs unchristlich sei, jedenfalls nicht bei Vorliegen (h)eiliger Anliegen.

Und so mussten sich diese für die damalige Zeit ausgesprochen wohlgenährten und mit sich selbst zufriedenen Kirchenmänner keineswegs sündig vorkommen, wenn sie den Besuch im 600 Meter hoch gelegenen Collepino mit dem Tourenwagen absolvierten:

Fiat 509 A vor dem Stadttor von Collepino; Originalfoto via Alessio Balbo, 2023

Dass die Aufnahme vor dem erwähnten Stadttor von Collepino entstanden sein muss, das verrät der seit Jahrhunderten dahinter quer angebrachte mächtige Holzbalken. Er befindet sich auch heute noch an Ort und Stelle, dazu später.

Die Aufnahme stammt aus einer kleinen Sammlung zeitgenössischer Aufnahmen, die in Collepino und Umgebung Anfang der 1930er Jahre entstanden und die mir wiederum Alessio Balbo von den Amici di Collepino in digitaler Kopie übersandt hat.

Der auf diesem Foto zu sehende Wagen war damals schon einige Jahre alt – er ist an der Gestaltung der Haubenpartie als Fiat der zweiten Hälfte der 1920er Jahre zu erkennen.

Sehr wahrscheinlich haben wir es mit einem viertürigen Tourenwagen auf Basis des 1925 eingeführten Vierzylindertyps 509 zu tun. Trotz des Hubraums von nur 1 Liter entwickelte der Wagen dank obenliegender Nockenwelle standfeste 22 PS (Sportversionen schafften sogar an die 30 Pferdestärken).

Das seinerzeit enorm erfolgreiche Modell begegnete einem im Europa der Vorkriegszeit auf Schritt und Tritt – so auch im deutschsprachigen Raum. Hier haben wir die ursprünglich nur zweitürige Tourenwagenausführung:

Fiat 509 Tourer; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Im Zuge der Weiterentwicklung des Erfolgstyps brachte man den Tourer später auch mit vier Türen heraus.

Diese Ausführung besaß höhere und kürzere Türen, die einen nur geringen Abstand voneinander aufwiesen (bei größerem Abstand hat man es mit dem stärkeren Modell 503 zu tun).

Ein solches viertüriges Exemplar durfte ich vor einigen Jahren anhand dieser Aufnahme besprechen, die 1927 im österreichischen Graz entstanden war:

Fiat 509 Tourer; Originalfoto mit freundlicher Genehmigung von Thomas Frewein

Sicher können Sie trotz der gänzlich anderen Situation die Übereinstimmung mit dem einst vor dem Stadttor von Collepino abgelichteten Fiat einiger (h)eiliger Kirchenmänner nachvollziehen.

Wenn Sie nun noch das Tor mit dem erwähnten Balken begutachten wollen, dann nehmen Sie sich ein paar Minuten Zeit und machen Sie einen kurzen Rundgang durch Collepino außerhalb der Saison, wenn Sie dort mehr Katzen als Besucher antreffen.

Zu Beginn und am Ende sehen Sie das erwähnte Stadttor vor dem vor rund 90 Jahren einige zweifellos gewichtige Vertreter der Kirche nebst Fiat posierten. Man mag bezweifeln, ob sie sonderlich heilig waren, doch eilig hatten sie es zweifellos…

Videoquelle: YouTube.com; hochgeladen von: Eleonora Proietti Costa

Michael Schlenger, 2023. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

Tradition weicht Moderne: Hansa & Fiat anno 1925

Die Mitte der 1920er Jahre markiert eine Zeitenwende speziell am deutschen Automobilmarkt.

Bis dahin herrschten noch formale Konzepte vor, die sich bis 1913/14 zurückverfolgen lassen – vor allem repräsentiert durch mehr oder weniger spitz zulaufende Kühler, zwar bereits in Kombination mit elektrischer Beleuchtung, aber noch ohne Vorderradbremse.

Von wenigen Ausnahmen abgesehen war damit ziemlich genau im Jahr 1925 Schluss. Die Kühler wurden ab dann flach ausgeführt, Vorderradbremsen wurden Standard und wer bis dahin noch nicht auf Linkslenkung umgestellt hatte, tat es spätestens dann.

Was vielleicht nach Unterschieden in technischen Details klingen mag, ging mit einem unübersehbarem Wandel im Erscheinungsbild einher. Von einem Jahr auf’s andere sahen vor 1925 gebaute deutsche Autos „richtig alt“ aus.

Diese Zeitenwende wird auch für den von derlei Feinheiten unbelasteten Betrachter auf folgendem Foto unmittelbar deutlich:

Hansa und Fiat im Januar 1925; Origimalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Diese von alter Hand auf Januar 1925 datierte Aufnahme mag technisch nur mittelprächtig sein, für uns Vorkriegsauto-Archäologen stellt sie einen Glücksfall dar.

Sicher wird mancher den links zu sehenden Hansa zunächst als Typ C 8/24 PS von 1913-14 oder als Typ D 10/30 PS ansprechen wollen, wie er im 1. Weltkrieg öfters anzutreffen war.

Doch ein Detail spricht dagegen – das auf die linke Seite gewanderte Lenkrad, welches sich erst beim Hansa 8/26 PS findet, der von 1921-24 gebaut wurde:

Zusammen mit Audi gehört Hansa zu den wenigen deutschen Autobauern, die schon Anfang der 1920er auf Linkslenkung umstellten.

Doch davon abgesehen, ist der Hansa 8/26 PS äußerlich kaum von seinem ab 1913/14 gebauten Vorläufer zu unterscheiden. Zwar wurden damals meist noch Gasscheinwerfer verbaut, doch optional gab es bereits elektrische Beleuchtung ähnlich der, die an diesem Nachkriegsexemplar zu sehen ist.

Typisch für noch in der Zeit vor dem 1. Weltkrieg verwurzelte traditionelle Konstruktionen war die mittig geschwungene Vorderachse, welche später einer gerade ausgeführten wich. Die Gründe dafür wird sicher ein fahrwerkstechnisch versierter Leser nennen können.

Das Fehlen von Stoßdämpfern ist ein weiteres Merkmal der damaligen Vorkriegstradition.

Völlig anders stellt sich nun der ebenfalls mit Tourenwagenaufbau versehene, doch deutlich größere Wagen auf der rechten Seite dar. Meines Erachtens handelt es sich um einen Fiat:

Die wesentlich modernere Anmutung dieses Wagens ergibt sich aus dem Zusammenspiel mehrerer Elemente.

Am markantesten ist sicher der flache Kühler, doch auch die Doppelstoßstange ist ein typisches Detail, das sich erst um die Mitte der 1920er Jahre durchsetzt.

Die mächtigen Scheinwerfer sind nun hochglänzend vernickelt, nicht bloß lackiert. Zudem machen sie durch ihre bessere Ausleuchtung der Fahrbahn die kleinen Zusatzscheinwerfer überflüssig, die sich um 1920 noch bei vielen Wagen finden.

Wer genau hinschaut, erkennt unterhalb der Stoßstange am vorderen Rahmenende die trommelförmigen Stoßdämpfer, deren Funktion auf der Reibung von Scheiben beruhte, die variabel gegeneinander gepresst werden konnten.

An den Vorderrädern, die nun Speichen aus Stahl statt solche aus Holz besitzen, fallen die sehr großen Trommelbremsen ins Auge. Sie sind der Hinweis dafür, dass wir es mit einem leistungsstarken Modell zu tun haben.

Vorausgesetzt, dass meine Fiat-These stimmt, kommt damit die 1925 eingeführte Flachkühlerausführung des nur vierzylindrigen Fiat 505 nicht mehr in Betracht. Es dürfte sich eher um einen der parallel angebotenen Sechszylindertypen handeln.

In Frage kommt zum einen der 1925 ebenfalls mit Flachkühler angebotene „kleine“ Sechszylinder-Fiat 510 mit 46 PS aus 3,5 Litern. Zum anderen könnte es sich um das Spitzenmodell 519 handeln, das einen 77 PS starken 4,8 Liter-Motor besaß.

Ich tendiere zu dem ganz großen Typen, überlasse das Feld hier aber gern den Kennern unter meinen Lesern (bitte Kommentarfunktion nutzen).

Festzuhalten bleibt, dass dieses Foto uns nach bald 100 Jahren zum Zeitzeugen einer Zäsur macht, die sich im Straßenbild binnen kurzem unübersehbar bemekrbar machte. Dass meine Sympathie auch den damals rasch aussortierten traditionellen – und oft charakterstärkeren – Modellen gehört, bleibt davon unberührt.

Der Fortschritt braucht keine Nachhilfe – was überlegen ist, setzt sich von alleine durch. Doch die Bewahrung des Vertrauten und Verlässlichen, das dem Einzelnen oft genügt oder ihm schlicht ans Herz gewachsen ist, das erfordert Engagement – damals wie heute…

Michael Schlenger, 2023. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

Vom Ätna nach Herrenwies: Ein Fiat 510 Tourer

Vom schneebedeckten Ätna auf Sizilien ins sommerliche Herrenwies im Schwarzwald – klingt merkwürdig, aber es ist etwas für jeden dabei – für die Fraktion der Fernreisenden, die Liebhaber heimischer Idyllen und in jedem Fall für die Freunde früher Fiats.

Wer sich nun genüsslich einen Kaffee oder Tee macht, und sich auf einen opulent bebilderten Bericht über eine Reise im Automobil über eine Distanz von rund 1.900 km freut, den muss ich (vorerst) enttäuschen.

So kann ich eigentlich nur mit zwei Aufnahmen aufwarten, die für Start und Ziel stehen, aber die haben bereits ihren Reiz. Den Einstieg wagen wir mit einer Zeitreise über 100 Jahre zurück.

Wir schreiben das Jahr 1919 und der Erste Weltkrieg ist erst kurz zuvor zuendegegangen – nebenbei ein Krieg, in den Europa aufgrund absurder Bündnisse und irrationaler Loyalitäten hineingerutscht ist und der dann eine aberwitzige Eigendynamik entfaltete.

Nun schweigen die Geschütze, es gibt keine echten Sieger, selbst die jahrelang aufgeputschte Rüstungsindustrie steht auf allen Seiten angeschmiert da. Was tun mit den Produktionskapazitäten, dem Maschinenpark und dem Können der Entwickler und Arbeiter?

Für Giovanni Agnelli, Geschäftsführer von Fiat, ist die Sache klar. Im armen Italien gab es abgesehen vom schon damals recht entwickelten Norden – keinen Markt, um die gewachsenen Kapazitäten mit den bisherigen meist großen Modellen auszulasten.

Also musste ein neues massenproduktionstaugliches Modell her, das man international vertreiben konnte. Dabei orientierte man sich am erst 1915 eingeführten 2-Liter-Typ 70, der 21 PS leistete. Dem Motor schrumpfte man auf 1,5 Liter und holte nun 23 PS heraus.

Damit war Fiats erster Kleinwagen geboren – der Typ 501. Er sollte ein nie dagewesener Erfolg werden, jedenfalls für einen europäischen Hersteller. Rund 70.000 Exemplare wurden davon gebaut und sie fanden tatsächlich Käufer auf der ganzen Welt.

Dabei machte Fiats großer Wurf optisch nicht gerade viel her, aber das zählte nicht – der Typ 501 war legendär für seine Robustheit und schreckte vor keiner Herausforderung zurück:.

Fiat 501 Tourenwagen; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Hier haben wir ein Exemplar des kompakten Fiat am Hang des Vulkans Ätna auf Sizilien. Der Wagen diente dort deutschen Touristen Mitte der 1920er Jahre bei der Erkundung der Lavafelder, die beim Ausbruch 1913 entstanden waren.

Das verrät die Beschriftung des Abzugs. Sonst wäre man vermutlich nicht darauf gekommen, dass man sich hier bereits dem schneebedeckten Gipfel des Giganten genähert hatte.

Ich vermute, dass der einheimische Fahrer des Fiat diese Fotografie angefertigt hat, auf der seine Fahrgäste quasi als Besitzer posieren.

Jetzt fragen Sie sich vielleicht, wie man eigentlich darauf kommt, dieses Gefährt präzise als Fiat 501 zu identifizieren. Nun, man muss bloß einige Exemplare davon gesehen haben, dann klappt das auch ohne Markenemblem.

Die Proportionen der Vorderpartie mit den niedrigen Luftschlitzen und der hoch bauenden, eher kurzen Motorhaube finden sich so nur bei den kleinen Fiats der ersten Hälfte der 1920er Jahre. Zur Illustration füge ich nun doch ein weiteres Bild ein:

Fiat 501 Tourenwagen; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Hier sieht man nun auch den noch leicht birnenfömigen Kühler, den alle Fiat-Modelle bis etwa 1924 besaßen, teils lackiert wie oben, teils glänzend vernickelt wie hier.

Die Kühlerform präge man sich ein, wir begegnen ihr gleich wieder.

Übrigens will ich nicht ausschließen, dass es sich bei dem Fiat auf dem letzten Foto auch um den stärkeren Typ 505 (2,3 Liter Hubraum, 33 PS) handeln könnte, der parallel angeboten wurde und ganz ähnlich aussah, bloß insgesamt größer ausfiel.

Vielleicht ist Ihnen aufgefallen, dass der Fiat mit dem glänzenden Kühlergehäuse bereits Vorderradbremsen besitzt – diese waren also schon kurz vor der Einführung des neuen Kühlers anno 1925 verfügbar. Auch hier war Fiat ganz auf der Höhe der Zeit.

Auf dem langen Weg nach Norden wären wir den Vierzylindertypen 501 und 505 von Fiat gewiss noch einige Male begegnet, insbesondere als Taxi wie hier im Doppelpack vor der Kulisse des Doms in Mailand:

Fiat 501 oder 505 in Mailand; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Habe ich jetzt doch mehr als nur zwei Fotos präsentiert?

Nun, es gibt Schlimmeres, solange die Himmelsrichtung stimmt, denn es geht nach wie vor heimwärts gen Norden, wo uns die Aussicht auf ein weiteres Exemplar der damaligen Fiat-Familie erwartet.

Unterwegs geht hoffentlich alles gut – möge uns eine größere Kalamität erspart bleiben, wie sie 1924 diesem Fiat 501/505 bei Treviso in der Provinz Venetien widerfuhr – man wünscht sich, dass die Insassen mit wenigen Blessuren davongekommen sind:

Fiat 501 oder 505 bei Treviso; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Venetien lassen wir ohnehin rechts liegen, dafür braucht man mehr Urlaub und der war in den 1920er Jahren ein so knappes Gut, wie sich das in unseren Tagen ein Arbeitnehmer mit sechs Wochen Auszeit (plus Feiertage) nicht vorstellen kann.

Auf gehts also von Mailand über die 1924 neu eröffnete erste autobahnähnliche Straße der Welt (Autostrada dei Laghi) Richtung Como. Auf der schnugeraden Piste überholen uns die weit schnelleren Alfas und Lancias der feinen Mailänder Gesellschaft, die zum Wochenende an den Lago Maggiore oder den Comer See strebt.

Wir lassen uns davon nicht beirren, fahren aber hier die Spitzengeschwindigkeit von 70-75 km/h aus, um Strecke zu machen, denn auch die kleinen Fiats waren schon damals drehzahlfest ausgelegt.

Mag sein, dass sich während der Fahrt ein Kabel- oder Kühlwasseranschluss löst, vielleicht gibt ein Teil der Zündung den Geist auf, für das man aber Ersatz mitführt. Wahrscheinlicher ist indessen ein platter Reifen – das war bei langen Strecken beinahe Standard:

Fiat 501 oder 505; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Hier hat es einen Fiat mit Zulassung in Bozen aus dem 1920 dank der Großzügigkeit der Siegermächte von Italien einkassierten Südtirol erwischt.

Wir verkneifen uns einen Kommentar zum überschätzten Thema Völkerrecht und wünschen den frisch eingemeindeten Fiat-Kameraden gute Fahrt, denn wir sind nun auf der letzten Etappe ins ebenfalls gedemütigte Germanien.

Dort geht’s der breiten Masse dreckig – ein idealer Nährboden für Radikale roter und brauner Couleur, es braut sich etwas zusammen. Dennoch gibt es immer noch eine heile Welt für die wenigen, die trotz der allgemeinen wirtschaftlichen Misere prosperieren.

Damit sind wir nun endlich am Ende unserer langen Tour vom Ätna nach Herrenwies im Schwarzwald angelangt. Vor der Kulisse des winzigen Orts mit der Kirche St. Antonius wird wird im Juli 1928 dieses Idyll für die Nachwelt festgehalten:

Fiat 510: Originalfoto: Sammlung Patrick Schnurr

Das ist doch ein Fiat der frühen 1920er Jahre!. Das sollte nach der langen Vorbereitung klar sein. Aber lang ist auch die Motorhaube dieses Wagens, ungewöhnlich lang.

Zudem erscheinen die Insassen auf einmal so klein – am Ätna sah das doch noch ganz anders aus. Sollte die Luftveränderung zwischenzeitlich soviel bewirkt haben, dass man die Dinge nun ganz anders sieht?

Nun, die Sache ist ganz einfach: Wir haben hier schlicht einen viel größeren und stärkeren Fiat vor uns, der parallel zu den Typen 501 und 505 entstand – nämlich das Sechszylindermodell 510 mit 3,5 Litern Hubraum und 46 PS Leistung.

Das war Anfang der 1920er Jahre bei deutschen Serienherstellern nicht zu finden. Wer so etwas dennoch wollte, kam an ausländischen Fabrikaten nicht vorbei und Fiat gehörte nicht umsonst zu den führenden Importmarken.

Dabei dürfte dieses prächtige Exemplar erst recht spät seinen Weg nach Deutschland gefunden haben – dafür sprechen die mächtigen Bremstrommeln an den Vorderrädern:

Eigentlich heißt es, dass Vorderradbremsen bei Fiat erst beim Übergang zum kantigen Flachkühler 1925 eingeführt wurden. Doch wie bei einigen anderen Marken waren sie offenbar bereits kurz vorher verfügbar, hier also wohl im Jahr 1924.

Andere ausländische Fabrikate waren in der Hinsicht übrigens noch früher zur Erkenntnis gelangt, dass vorn gebremste Räder eine überlegene Lösung gegenüber den bisher üblichen Getriebe- oder Kardanbremsen waren, welche die auf die Hinterachse wirkende Handbremse unterstützten. Dazu gelegentlich mehr.

Für heute sind wir am Ziel, und ich bin ziemlich sicher, dass die wenigsten nach dem bescheidenen Anfang am Ätna mit diesem Ausgang gerechnet hätten. Doch Fiat war damals ein Hersteller, der das gesamte Spektrum abdeckte – vom Kleinwagen bis zum Luxusauto.

Die Welt war auch in der Hinsicht eine andere, mag es die Marke Fiat noch geben und sogar die dreistellige, mit „5“ beginnende Typenbezeichnung über 100 Jahre überdauert haben…

Michael Schlenger, 2023. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

Ausfahrt mit Hindernissen: Unterwegs im Fiat 1500

Es hätte alles so schön sein können: 1935 brachte Fiat einen Wagen heraus, wie er in der Mittelklasse seinesgleichen suchte, den Typ 1500. Nur der Citroen 11CV bot eine ähnlich attraktive Melange aus technischer Raffinesse und eigenständiger Optik.

Deutsche Hersteller hatten nichts Vergleichbares im Programm. Einen geräumigen Sechszylinder-Wagen mit strömungsgünstigem Aufbau, der bei schmalen 1500ccm Hubraum solide 45 PS leistete und an die 115 km/h schnell war, sucht man vergebens:

Fiat 1500; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Hanomags Sechszylindertyp „Sturm“ brauchte für vergleichbare Fahrleistungen einen 55 PS leistenden 2,2 Liter-Motor, der Wagen war weit schwerer und aerodynamisch von gestern.

Noch trister war das Bild, das seinerzeit Mercedes-Benz bot: Das 6-Zylindermodell 200 schaffte nicht einmal 100 km/h, mehr als 40 PS gab der große Seitenventiler nicht her. Zudem mutete man der Kundschaft eine 6 Volt-Elektrik zu; bei Fiat war selbst beim kleineren 1100er 12 Volt Standard.

Die Freunde der behäbigen Mercedes-Mittelklassemodelle jener Zeit mögen mir verzeihen, ich habe nichts gegen die Marke, aber das Gebotene war schlicht nicht zeitgemäß – vor allem nicht, wenn man an die Anforderungen der Autobahn dachte.

Als unabhängige Instanz lassen wir im folgenden die gefürchtete Motor-Kritik zu Wort kommen.

Mir liegt deren zweiseitige Testkarte des Fiat 1500 aus dem Jahr 1938 vor, aus der zunächst die Daten des Wagens hervorgehen und die einen Blick in das Innere erlaubt, das dank fehlender B-Säule konkurrenzlos leicht zugänglich war:

Fiat 1500; originale Testkarte aus „Motor-Kritik“ Nr. 17-1938; Sammlung Michael Schlenger

Noch interessanter ist die nahezu durchweg positive Bewertung der Fahrleistungen, der Laufkultur des kleinen und doch starken Motors, des Fahrverhaltens und der vorbildlichen Platzverhältnisse.

Entsprechend anerkennend fällt das Urteil über den zum Testzeitpunkt (1938) keineswegs mehr neuen Wagen (ab 1935) aus: „Sportlich, straßensicher, fortschrittlich“.

Aber lesen Sie selbst auf Seite 2 der Testkarte der Motor-Kritik:

Fiat 1500; originale Testkarte aus „Motor-Kritik“ Nr. 17-1938; Sammlung Michael Schlenger

So konnte dem Erfolg des Fiat 1500 eigentlich wenig entgegenstehen. Tatsächlich scheint sich der auch im Heilbronner Werk als „NSU-Fiat“ gefertigte Wagen hierzulande unter Kennern gut verkauft zu haben.

Jedenfalls finden sich haufenweise zeitgenössische Fotos in Deutschland zugelassener Exemplare davon. Es gab sogar schicke Cabriolet-Aufbauten aus einheimischer Produktion.

Was hätte also mit einem so ausgezeichneten Auto schiefgehen können, wo doch alles bestens für eine Ausfahrt vorbereitet war – wie bei diesem im Ruhrgebiet (Raum Eneppe) zugelassenen Fiat 1500?

Fiat 1500; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Nun, der Hinweis auf das entscheidende Hindernis findet sich bei diesem Fahrzeug an der Front.

Dort ist nämlich die ab Beginn des 2. Weltkriegs bei den wenigen noch erlaubten Privatwagen vorgeschriebene Tarnbeleuchtung zu erkennen.

Mangels anderer Möglichkeiten ist der typische „Notek“-Tarnscheinwerfer hier auf einem Bügel mittig vor dem Kühler angebracht:

Das Schild hinter der Windschutzscheibe verrät, wer diesen Fiat 1500 auch nach Beginn des Feldzugs gegen Polen weiterfahren durfte – ein Arzt.

Der weit überwiegende Teil noch nicht veralteter Privat-PKW wurde gegen eine symbolische Entschädigung für das Militär beschlagnahmt – ein Raubzug des nationalsozialistschen Staats an den „Volksgenossen“, der m.W. später keine Kompensation nach sich zog.

Für private Ausfahrten wird der Herr Doktor jedenfalls kaum noch Gelegenheiten gefunden bzw. Kraftstoffrationen erhalten haben. Leider wissen wir nicht, was aus diesem Auto wurde.

Andere Besitzer wurden ihren Fiat 1500 gleich zu Kriegsbeginn los und sahen ihn nie wieder.

Interessant ist das folgende Exemplar, das ausweislich der Beschriftung der Aufnahme einem Kompaniezugführer der Wehrmacht zur Verfügung stand:

Fiat 1500; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Im Unterschied zum mattlackierten Wanderer im Hintergrund trägt der Fiat noch seine zivile Lackierung.

Das Nummernschild ist noch keines der Truppe, auch kein deutsches. Man erkennt die Jahreszahl 1941 darauf – wer kann sagen, in welchem Land dieser 1500er zugelassen war?

Ich würde hier auf den Balkan tippen, auf dem die Wehrmacht ab dem Frühjahr 1941 ungeplant zum Einsatz kam, nachdem die dortigen Feldzüge des mit dem Deutschen Reich verbündeten Italien sich als Fiasko erwiesen hatten.

Die Waffenbrüderschaft zwischen den Regimen in Berlin und Rom wird auf folgender Aufnahme besonders anschaulich.

Sie entstand aus dem Cockpit einer deutschen Junkers Ju-52 heraus und zeigt den italienischen Militärflughafen „Castel Benito“ in Nordafrika, wo sich Mussolini ein weiteres Abenteuer leistete, das abermals die deutsche Wehrmacht auf den Plan rief und zusätzlich zum irren Russlandfeldzug zur völligen Überforderung der Kräfte beitrug:

Italienischer Militärflughafen „Castel Benito“ 1941/42; Original aus Sammlung Michael Schlenger

Bemerkenswert sind hier die Sturzkampfbomber des Typs Junkers JU-87 auf der rechten Seite.

Sie gehörten ausweislich der Markierung auf dem Leitwerk nicht zur deutschen Luftwaffe , sondern wurden von deren italienischem Pendant – der „Regia Aeronautica“ – gegen englische Stützpunkte und Verbände geflogen .

Für uns interessanter ist jedoch das Automobil, das bei näherem Hinsehen vor dem vorderen Hangar zu sehen ist:

Dem Kenner offenbart sich dieses Auto anhand des Ersatzrads unterhalb der markanten geteilten Heckscheibe als ein weiterer Fiat 1500.

Der Volkswagen „Kübel“ ganz links sei der Vollständigkeit halber ebenfalls erwähnt – diesem Fahrzeug werde ich mich zu gegebener Gelegenheit noch ausführlich widmen.

Wem die Heckpartie eines Fiat 1500 weniger vertraut ist, dem sei diese hübsche Aufnahme aus Friedenszeiten empfohlen, welche ein in Deutschland zugelassenes Exemplar zeigt:

Fiat 1500; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Wie die Allianz Deutschlands und Italiens auf dem Schlachtfeld ausgegangen ist, wissen wir. Spätestens mit dem Eintritt der USA mit ihrem gigantischen Industriepotential und überlegenen logistischen Fähigkeiten war die Sache verloren.

Nachdem sich im Frühjahr 1943 Teile des deutschen Afrika-Korps mit italienischen Truppen über Sizilien nach Italien gerettet hatte, gelang es den Italienern nach großangelegten Streiks (von den Turiner Fiat-Werken ausgehend…) so starken Druck auf die politische Führung zu machen, dass Mussolini seine Absetzung Ende Juli 1943 hinnahm.

Im September wurde der Waffenstillstand zwischen Italien und den Westalliierten unterzeichnet – plötzlich waren die deutschen Truppen Gegner des einstigen Verbündeten.

Italien litt von nun an bis 1945 zum einen unter den Repressalien der Wehrmacht, die oft durch sinnlose Aktionen auf eigene Rechnung handelnder Widerstandskämpfer provoziert wurden (was Vergeltungstaten nicht entschuldigt, aber erklärt).

Zum anderen „wanderte“ die Front zwischen den in Süd- und Mittelitalien gelandeten Allierten und den deutschen Verbänden auf ganzer Breite nach Norden, eine Spur der Verwüstung hinterlassend. Dabei schreckten alliierte Bomber auch nach dem Waffenstillstand Italiens nicht vor Angriffen auf Städte zurück, die viele Opfer forderten.

Rücksichtlos ging unterdessen auch die Wehrmacht mit der Substanz der italienischen Kunstmetropolen um – unzählige Brücken, die Jahrhunderte und Jahrtausende überdauert hatten, wurden auf dem Rückzug gesprengt, etwa die antike römische Brücke in Verona:

Römische Brücke in Verona, wiederhergestellter Zustand 2013; Bildrechte Michael Schlenger

Irgendwann war der Krieg vorbei und in Italien begann wie in vielen Ländern Europas der mühsame Wiederaufbau.

Die italienische Wirtschaft war unter deutscher Besatzung radikal für die Kriegsführung in Anspruch genommen worden – für die Bevölkerung blieb nur das allernötigste übrig.

Dass die Italiener die Deutschen wenige Jahre nach dem Krieg wieder in ihrem versehrten und verarmten Land begrüßten, als sei nichts gewesen, ist ein Wunder. Umso verstörender die deutsche Herablassung, mit der man Italien noch lange Jahre betrachtete.

Jetzt bin ich etwas vom Weg abgekommen, aber als alter Italienreisender komme ich an diesem Kapitel nicht vorbei – in dem es übrigens auch von Mut und Menschlichkeit kündende Episoden gab wie die des deutschen Oberst Valentin Müller, dem man im umbrischen Assisi ein Denkmal gesetzt hat.

„Ausfahrt mit Hindernissen“, so lautet der Titel meines heutigen Blog-Eintrags. Das größte Hindernis für eine friedliche Ausfahrt im famosen Fiat 1500 haben wir nun hinter uns, den 2. Weltkrieg. Was könnte jetzt noch schiefgehen, sollte man meinen?

Wir machen die Probe auf’s Exempel und unternehmen für heute eine letzte Zeitreise – in den April 1946. Es ist ein kühler Frühlingstag im Veneto, etwas nördlich von Padua.

Der Krieg ist noch kein Jahr vorbei, doch einige Unbeirrbare wollen wieder etwas Normalität genießen und haben sich zum Sonntagsausflug im Automobil verabredet. Einer von ihnen – nennen wir ihn Fabrizio – hat seinen Fiat 1500 mit altem Kennzeichen Rom klargemacht und Freunde zu einer Spritztour eingeladen.

Vom Städtchen Limena aus soll es über Land nach San Giorgio in Bosco gehen. Dort will man Halt beim Barbesitzer Flavio machen, wo es den besten Caffé weit und breit gibt.

Doch Fortuna hat es nicht gut gemeint mit dem Fiat 1500, denn die erste Reifenpanne ereilt unsere kleine Gesellschaft schon kurz nach dem Start:

Fiat 1500 im April 1946; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Zum Glück hat man zwei Ersatzreifen dabei. So ist der Fiat rasch wieder einsatzbereit.

Was könnte jetzt noch passieren, sollte man meinen? Doch man fordere Fortuna nicht mit solcher Selbstgewissheit heraus.

Die Strafe der Götter folgt auf dem Fuße – kurze Zeit später gibt’s den nächsten Platten, aber zum Glück hat man ja noch einen weiteren Reservereifen.

Zudem gibt das Gelegenheit für ein romantisches Foto an der menschenleeren Allee:

Fiat 1500 im April 1946; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Jetzt sind es nur noch einige Kilometer bis San Giorgio in Bosco und Fabrizio lässt den Fiat für kurze Zeit mit hundert Sachen die schnurgerade Straße entlangfliegen.

„Wisst Ihr noch, wie wir damals – kurz vor dem Krieg – auf der Autostrada Richtung Lago Maggiore unterwegs waren und die deutschen Touristen reihenweise überholt haben?

So könnte Fabrizio seine Mitreisenden an längst vergangene Zeiten erinnert haben. Doch wie gesagt: Fortuna mag es nicht, wenn sich der Mensch allzu selbstsicher gibt.

Daher kam es, wie es kommen musste: Kurz vor dem Ziel war ein drittes Mal die Luft raus – nicht aus dem wackeren Fiat, aber erneut aus einem der Reifen.

Diesmal half nur noch eines: Nach alter Väter Sitte den defekten Schlauch wechseln:

Fiat 1500 im April 1946; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Inzwischen war die Zeit weit vorangeschritten und Flavios Bar war am Sonntag nur bis Mittag geöffnet. Also hieß es: Den Versuch abbrechen und zurückfahren.

„Vano tentativa di gita – tra Limena e San Giorgio in Bosco … tre forature!“

So lautet der handschriftliche Vermerk auf dem Papier, auf dem diese drei Fotos einst aufgeklebt wurden. Jetzt sind sie Teil meiner Sammlung und anhand dieser dürren Worte konnte ich diese Ausfahrt mit Hindernissen im Frühjahr 1946 im Fiat 1500 nacherzählen.

Im 21. Jahrhundert bin ich überhaupt erst einem Fiat 1500 in natura begegnet, live und in Farbe ein Automobil von phänomenaler Präsenz.

Sie werden eher einen Bentley oder Bugatti auf einer der hiesigen „Oldtimer“-Veranstaltungen finden als diesen damals wie heute herausragenden italienischen Wagen…

Original erhaltener Fiat 1500 auf den Classic Days 2018 (Schloss Dyck); Bildrechte: Michael Schlenger

Michael Schlenger, 2022. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

Ein echtes Bubenstück: Fiat 509 Zweisitzer „Spezial“

Mitte November, nach einem recht milden Herbst wird es in meiner Heimatregion – der hessischen Wetterau – spürbar kälter.

Warm anziehen müssen sich heute auch die Opel-Freunde, die trotz gegenteiligen Titels des gestrigen Blog-Eintrags noch recht gut weggekommen waren beim Vergleich des 1927er Chevrolet und des gleichzeitigen Opel 7/34 PS.

Die Schonzeit für die Freunde des alten Rüsselsheimer Eisens ist nämlich vorbei – die Italiener greifen an! Wer an dieser Stelle überheblich lacht, wird im Folgenden eines Besseren belehrt.

Hier sieht das Nebeneinander der beiden Marken noch sehr harmonisch aus, nicht wahr?

Fiat 509 und Opel 4/12 PS; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Besser kann eine Aufnahme solcher Tourenwagen von der Mitte der 1920er Jahre kaum werden:

Die beiden Autos sind aus attraktiver Perspektive aufgenommen, Besitzer und Mitfahrer sind gut aufgelegt und perfekt darum bzw. darauf platziert, ein reizvoller Hintergrund verleiht dem Bild Tiefe und Dynamik.

Unsere sächsischen Freunde werden die Szene natürlich sofort wiedererkennen – der Fichtelberg im Erzgebirge war von jeher ein beliebtes Fotomotiv bei frühen Automobilisten.

Uns interessieren aber mehr die beiden festgehaltenen Wagen: Rechts haben wir den damals verbreiteten Opel „Laubfrosch“, der 1924 eingeführt worden war, hier in der frühen Ausführung mit moderatem Spitzkühler:

Damit hatte sich die einst Weltruhm genießende Firma nicht mit Ruhm bekleckert. Äußerlich war der Wagen ohne Not ein peinliches Plagiat des etablierten Citroen 5CV, unter der Haube fand sich ein 950ccm-Vierzylinder, der schmale 12 PS leistete.

Das war Anfang der 1920er Jahre Standard in dieser Hubraumklasse, aber nicht mehr Mitte des Jahrzehnts, weshalb man sich bis 1930 mühsam auf 20 PS hocharbeitete.

Mag sein, dass dies bei der simplen Motorenkonstruktion nicht besser ging. Aber es ging wesentlich besser, wenn man auf zeitgemäße Konzepte setzte. Genau das machte ausgerechnet Fiat aus dem damals noch wenig entwickelten Italien.

Die Turiner konnten wie Opel auf eine grandiose Oberklassentradition bis zum 1. Weltkrieg zurückschauen, vollzogen aber schon 1919 eine radikale Kehrtwende. Mit dem kompakten 1,5 Liter-Typ 501 landete man auf Anhieb einen gigantischen Erfolg.

Der 1925 eingeführte Fiat 509 sollte noch einen draufsetzen. Das tat er zum einen optisch mit einer Gestaltung, wie sie klassischer nicht sein konnte:

Was im unteren Kühlerbereich herausragt, ist übrigens die Abdeckung der Lichtmaschine, das gab es bei keinem anderen Fiat – wenn Sie so etwas sehen, wissen Sie: ein 509!

Auf diese Weise lässt sich auch ein auf den ersten Blick ganz anders wirkendes Fahrzeug wie diese Limousine als Fiat 509 ansprechen – der Wagen war im Rheinland zugelassen und einer von vielen, die seinerzeit in Deutschland Käufer mangels Alternative fanden:

Fiat 509 Limousine; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Hier lässt sich die damals Fiat-typische Gestaltung der Frontpartie noch besser studieren: Das Profil der Kühleroberseite, die sich an Dreiecksgiebeln antiker Tempelfassaden orientiert, setzt sich in dern Haubenpartie bis zur Frontscheibe fort.

Das findet sich so bei allen parallel angebotenen Fiat-Modellen, auch bei den mächtigen Sechszylinderwagen, welche man mit beachtlichem Erfolg anbot und von deren einstiger Bedeutung man heute kaum noch eine Vorstellung hat, aber das nur nebenbei.

Aufmerksame Leser warten vermutlich immer noch darauf, dass das vor geraumer Zeit verwendete „zum einen“ endlich die glückliche Vermählung mit „zum anderen“ erlebt.

Genau das soll nun geschehen, denn der Fiat 509 sprach nicht nur durch seine Optik an, sondern auch durch den Motor, der in der Kleinwagenklasse seinerzeit herausragte.

Mit 990ccm war der Hubraum des Vierzylinders ebenso bescheiden wie der des Opel 4 PS-Typs. Aber in Turin war man der Meinung, dass man so einem Minimalagreggat ein paar Pferdestärken extra hineinkonstruieren sollte und so wurden es 20 statt deren 12.

Das war damals zuverlässig am ehesten dadurch zu machen, indem man von der simplen, aber wenig effizienten Verwendung seitlich neben dem Zylinder stehender Ventile Abstand nahm und selbige darüber v-förmig hängend anbrachte.

Bei dieser Lösung blieb man in Turin nicht stehen und verpasste dem Motor noch eine obenliegende Nockenwelle für präziseste Ventilsteuerung und optimalen Gaswechsel im Ansaug- und Auslasstakt.

Das war ein echtes Bubenstück, denn damit hatte man Sportwagentechnik in Großserie realisiert. Kein Wunder, dass Fiat vom 509 über 90.000 Exemplare absetzen sollte.

Hier haben wir ein weiteres Fahrzeug, das in Deutschland begeisterte Käufer fand und dieses Foto passt recht gut zum Stichwort „Bubenstück“:

Fiat 509 Sport-Zweisitzer; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Bitte prägen Sie sich schon einmal die Frontpartie mit der markanten Haube ein, an deren Flanke eine breite Zierleiste das Scharnier des Seitenteils verbirgt.

Es überrascht kaum, dass die in seiner Hubraumklasse ungewöhnliche Leistungsfähigkeit und Drehfreude des Fiat-Aggregats früh sportlich veranlagte Zeitgenossen inspirierte.

Während Fiat selbst mit dem 509 S.M. (Spinto Monza) eine Werks-Sportausführung anbot, die bei unverändertem Hubraum statt 20 satte 30 PS leistete, dachte sich auch mancher Amateur, dass sich etwas in sportlicher Hinsicht machen lässt, und sei es nur optisch.

Das passende „Beweisfoto“ sandte mir kürzlich in digitaler Kopie mein Sammlerkollege Jörg Pielmann zu, wobei er noch nicht wusste, was ihm da ins Netz gegangen war:

Fiat 509 Zweisitzer „Spezial“; Originalfoto aus Sammlung Jörg Pielmann

Dass es sich auch hier um ein lupenreines Bubenstück handelt, liegt auf der Hand – diese Herren waren offensichtlich sehr zufrieden mit ihrem Werk, welches sie in irgendeiner Werkstatt am Stadtrand oder auf dem Lande zuwegegebracht hatten.

Nebenbei: Von Akkumulatoren der Marke „Franka“ habe ich noch nie gehört, man lernt nicht aus. Aber „Fulda“-Reifen kennt man noch heute, während mir „Ferodo“-Bremstechnik eher aus England geläufig ist. „Deka“ rechts oben steht m.E. für eine verblichene Reifenmarke.

Was aber ist das für ein sportlicher Zweisitzer mit rennmäßiger Bootsheckkarosserie und auf’s Wesentliche beschränkten Koflügeln?

Nun, ich bin der Ansicht, dass es sich um einen Fiat 509 mit für Sportzwecke individuell angefertigter Karosserie handelt. Ja, die Motorhaube ist etwas länger als gewöhnlich – ein geschickter Blechkünstler könnte sie ergänzt haben.

Aber ansonsten scheint mir die Frontpartie identisch zu sein. Zufällig hatte ich selbst das perfekte Vergleichsfoto im Fundus:

Fiat 509 Zweisitzer „Spezial“; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Auch wenn die Buben auf dieser Aufnahme im Hintertreffen sind und die Damen das Heft bzw. das Lenkrad in die Hand genommen haben, bin ich doch der Ansicht, dass genau solch ein Fiat 509 die Basis für das zuvor gezeigte „Bubenstück“ lieferte.

Das finale Urteil überlasse ich allerdings gern Ihnen, liebe Leser, und ich bin gespannt, was ich alles übersehen oder falsch interpretiert habe. Sie dürfen mir aber auch rundheraus rechtgeben, damit kann ich ebenfalls umgehen…

Michael Schlenger, 2022. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

Schon 1929 mit alternativem Antrieb: Fiat 520

Wir leben in merkwürdigen Zeiten: Nie zuvor gab es Automobile, welche die Umwelt derart wenig belasten wie moderne Verbrennerwagen. Sich mit den Abgasen in der Garage ins Jenseits zu befördern, dürfte heute schwierig werden (übernehme keine Haftung).

Dennoch gilt er aus Sicht der herrschenden Ideologie zumindest in Europa als Auslaufmodell, ohne dass ein vollwertiger Ersatz für jedermann in Sicht wäre.

Dabei steht der Verbrenner in der Gesamtenergiebilanz – also unter Einbeziehung des Herstellungsprozesses und der Entsorgung – nach wie vor konkurrenzlos dar. Von der Frage, woher der Strom für Millionen von Elektroautos herkommen soll, ganz abgesehen.

Wirkliche Luftverpester sind Autos seit den 1980er Jahren nicht mehr. Jüngere Leute wissen gar nicht, wie übel einst das nur mittelprächtig verbrannte Gemisch roch, wenn es aus dem Auspuff kam.

Vielleicht sollte man die Prediger der angeblich emissionsfreien Batteriemobilität einmal mit der Zeitmaschine zurück in die Vorkriegsepoche schicken, um zu erfahren, was früher echte „Stinker“ waren.

Dann würden sie vielleicht diesem zwar eindrucksvollen, aber letzlich noch recht ineffizienten Fahrzeug begegnen:

Fiat 520, 6-Fenster-Limousine; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Solche großzügig dimensionierten Limousinen bot Fiat ab Mitte der 1920er Jahre auch hierzulande mit einigem Erfolg an – man findet sie jdenfalls oft mit deutschem Kennzeichen (hier: Bezirk Oldenburg-Lübeck).

Besonders leistungsfähig war der schon seit 1922 gebaute Sechszylindertyp 519, der dank 75 PS rund 115 km/h Spitze erreichen konnte. Dafür brauchte es beim damaligen Stand der Technik freilich erheblichen Hubraum (4,8 Liter).

Während beim Typ 519 im Zylinderkopf hängende Ventile für eine bessere Gemischzufuhr und damit sauberere Verbrennung sorgten, war dies bei den beiden kleineren Sechyzlindertypen 525 und 520 nicht der Fall.

Dort waren noch nach alter Väter Sitte seitlich stehende Ventile verbaut, die zwar einen einfachen Betätigungsmechanismus erlaubten, aber dem Gaswechsel nicht zuträglich waren. Mit dieser Technik waren gut 65 PS (Typ 525) bzw. rund 45 PS (Typ 520) drin.

Mit Fiats kleinstem und schwächsten Sechszylinder haben wir es nach meiner Einschätzung auf dem vorliegenden Foto zu tun – wobei die Modelle mitunter schwer zu unterscheiden sind.

Zwar war so ein Fiat 520 auch mit dem Limousinenaufbau viel leichter als heutige Wagen dieser Größenklasse, dennoch musste sich der kleine und wenig agile Motor einigermaßen damit abmühen, was der Effizienz speziell in bergigem Gelände nicht zuträglich war.

Wem die Mehrausgaben für die deutlich souveränen großen Sechszylinder zuviel waren, musste daher über Alternativen nachdenken.

Der ökologisch korrekt denkende Zeitgenosse von heute würde vielleicht etwas von „nachwachsenden Rohstoffen“ fabulieren, inspiriert von dem Holzstapel auf dem Foto:

Doch die Verwertung solcher Biomasse war damals nur mit einem Holzvergaser möglich, was einem nochmals weniger Effizienz und wenig erbauliche Abgaswerte beschert hätte.

Dass die Sache funktioniert, wurde unfreiwillig im 2. Weltkrieg nachgewiesen, als mit Holzgas angetriebene Wagen eine der wenigen verbliebenen Möglichkeiten waren, noch automobil unterwegs zu sein (sofern man das nicht in Diensten der Wehrmacht „durfte“).

Ein spezieller alternativer Antrieb wurde aber einst mit Erfolg am Fiat 520 erprobt und zwar anhand einer serienmäßigen Limousine ganz ähnlich der auf obigem Foto.

Das Experiment fand im April 1929 bei Einsiedl (Böhmen, heute Tschechien) statt. Es wurde unter realistischen Alltagsbedingungen unter freiem Himmel durchgeführt.

Dabei sollte bewiesen werden, dass der in Betracht gezogene alternative Antrieb ausreichend bemessen war, um auch einen recht großen Wagen aus einer feuchten und schlüprigen Wiese über eine Böschung auf die Straße zu ziehen.

So konnte es bei den damals kaum befestigten Untergründen und mäßigen Fahrwerken mit wenig wirksamem Reifenfprofil durchaus vorkommen, dass man in einer allzu schwungvoll genommenden Kurve aus derselben in die Botanik getragen wurde.

Zwar ist der genaue Ausgang des Experiments mit dem alternativen Antrieb nicht überliefert, doch immerhin hat sich eine Aufnahme erhalten, welche den Fiat in dem Moment zeigt, unmittelbar bevor dieser Antrieb zum Einsatz kam.

Nicht unerwähnt bleiben soll, dass der erprobte alternative Antrieb aus der Region bezogen wurde und ausschließlich auf nachwachsenden Rohstoffen basierte. Die Versuchsanordnung macht auch heute noch Eindruck und stellte sich so dar:

Fiat 520, 6-Fenster-Limousine; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Sehen Sie? Mit etwas gutem Willen und der richtigen Technologie klappt es mit dem umweltfreundlichen Antrieb selbst bei alten „Stinkern“ wie dem Fiat 520.

Könnte dies das Vorbild sein, dass den hehre Motive vorgebenden Ideologen unserer Tage als alternative Mobiliät für das hartnäckig autovernarrte Volk vorschwebt?

Dann könnte am Ende doch Kaiser Wilhelm mit seinem Ausspruch recht gehabt haben: „Ich halte das Automobil für ein vorübergehende Erscheinung – die Zukunft gehört dem Pferd.“

Dumm nur, dass damit die Zweiklassengesellschaft zurückkehrt, denn ein einfaches Auto mit ordentlicher Leistung kann sich heute (noch) jeder leisten – für zwei PS auf vier Beinen muss man dagegen schon ein wenig Spielgeld übrig haben…

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What’s next? Ein Studebaker „Big Six“ von 1923

„What’s next?“ – Was kommt als Nächstes? Das fragten einst Journalisten den Leiter des Projekts Apollo – Wernher von Braun – nach der Mondlandung 1969.

„Mars“ lautete seine Antwort. Wir wissen natürlich, dass es nicht dazu kam, weil die USA sich kein weiteres Prestigeprojekt dieser Größenordnung leisten konnten. Der Vernichtungskrieg in Vietnam wollte schließlich auch finanziert werden…

Schade eigentlich, denn man darf davon ausgehen, dass die damaligen Entwickler, Techniker und Astronauten es auch zum roten Planeten geschafft hätten. Unterdessen versucht die NASA im Jahr 2022 verzweifelt, zumindest wieder eine unbemannte Mondrakete auf die Umlaufbahn zu bringen – bisher vergeblich.

Was in der Zwischenzeit an Kompetenz nicht nur in der Raumfahrt verlorengegangen ist, soll nicht Gegenteil dieses Blogeintrags sein.

„What’s next?“ ist heute einfach nur die Frage, die sich mir jedesmal stellt, wenn ich nach Gegenstand und Titel des nächsten Blog-Eintrags suche.

Die Auswahl ist beängstigend, zumal sich laufend neues Material einfindet, nicht zuletzt dank etlicher großzügiger Sammlerkollegen. Doch diesmal fällt die Entscheidung leicht.

Denn was sollte als Nächstes auf die Vorstellung eines Fiat folgen? Nun, ein Wagen aus den USA! Wer jetzt auf einen der Wagen hofft, die von 1909 bis 1918 im Fiat-Werk in Poughkeepsie im US-Bundesstaat New York entstanden, wird enttäuscht sein.

Dass nach einem populären Fiat natürlich ein amerikanisches Fabrikat das nächste ist, das ist anders gemeint – es ergibt sich von selbst aus dieser Aufnahme, die ich kürzlich erwarb:

Studebaker „Special Six“ und Fiat 501; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Dass der Wagen rechts ein Fiat sein muss, das hatte ich gleich erkannt. Mich reizte aber das Fahrzeug daneben, das ich auf Anhieb nicht identifizieren konnte.

Um zur Lösung zu gelangen, kommt man um eine kurze Beschäftigung mit dem Fiat nicht umhin – aber es gibt ja Schlimmeres. Die Kühlerform und die Gestaltung der Motorhaube mit sehr schmalen, recht tief liegenden Luftschlitzen deutete auf den Typ 501 hin.

Dieser ab 1919 gebaute Vierzylinderwagen mit 1,5 Liter-Motor und standfesten 23 PS war der erste Welterfolg der Turiner Marke, die zuvor noch auf Manufaktur ausgerichtet war.

Es gab auch eine etwas längere Ausführung davon, den Typ 502, aber dieser ist auf solchen Fotos kaum eindeutig zu identifizieren, obwohl der Radstand hier schon recht lang erscheint. Der deutlich stärkere und noch größere Paralleltyp 505 mit 2,3 Litern Hubraum und 33 PS könnte prinzipiell ebenfalls in Betracht kommen.

Fiat 501 (evtl. auch 505), ab 1919

Jedoch spricht viel für den 501, von dem die größeren Stückzahlen entstanden. Speziell in Deutschland, wo dieses Foto ausweislich des Nummernschilds entstand, gab es in der 1,5 Liter-Klasse anno 1920 kein so leistungsfähiges und zugleich geräumiges Serienauto.

Was bringt uns das jetzt im Hinblick auf den danebenstehenden Wagen? Nun, ganz einfach: Im direkten Vergleich ist unübersehbar, dass der dem Fiat „Nächste“ einen wesentlich längeren Vorderwagen besitzt.

Die schiere Länge der Haube bei sonst vergleichbaren Dimensionen des Tourenwagenaufbaus spricht dafür, dass sich darunter auch ein längeres Aggregat verbirgt – wofür in den frühen 1920er Jahren hauptsächlich ein Sechszylinder in Betracht kam.

Allerdings bot damals kein deutscher Hersteller einen Sechszylinderwagen mit einer so unscheinbaren Frontpartie an:

Studebaker „Big Six“ von 1923

Ich erinnerte mich, eine solche Kühlergestaltung schon bei gängigen US-Mittelklassewagen der frühen 1920er Jahre gesehen zu haben und landet so nach einigen Versuchen bei Studebaker.

Tatsächlich tauchen bei den 1923 gebauten Sechszylinder-Studebakers markante Details auf, wie sie hier zu sehen sind. Vor allem zu nennen sind die Positionslampen, die nunmehr im unteren Windschutzscheibenrahmen untergebracht waren.

Nur bei den stärkeren Ausführungen „Special Six“ und „Big Six“ finden sich zudem die Trittschutzbleche am Schweller, von denen der hintere eine Wartungsöffnung aufweist – nicht schön, aber ungewöhnlich und damit bei der Identifikation hilfreich.

Bei der Spitzenmotorisierung „Big Six“ schließlich wurde ein vernickelter statt nur lackiertes Kühlergehäuse verbaut, außerdem die ansatzweise zu sehende Stoßstange, damals noch ein Novum und meist nur als Zubehör erhältlich.

Die beim „Big Six“ in der Literatur (Kimes/Clark: Standard Catalog of American Cars) genannten serienmäßigen Scheibenräder fehlen hier zwar, doch waren optional stets auch Drahtspeichen- oder Holzspeichenräder erhältlich.

Nach der Lage der Dinge spricht daher vieles dafür, dass der hier dem Fiat „nächste Wagen“ ein Studebaker des Typs „Big Six“ von anno 1923 war. Mit seinem bärenstarken 5,8 Liter-Motor, der schon bei 2000 Umdrehungen seine Höchstleistung von 60 PS abwarf, spielte der Studebaker in einer völlig anderen Liga als der Fiat und deutsche Konkurrenten.

Wie souverän sich ein solcher Wagen auch nach bald 100 Jahren im modernen Verkehr bewegen lässt, davon vermittelt das folgende Video einen Eindruck:

Videoquelle: YouTube.com; hochgeladen von: MFB23

„What’s next?“, mögen Sie jetzt fragen? Das weiß ich noch nicht, aber es wird sich schon etwas Hübsches finden…

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Euch werd‘ ich’s zeigen, Ihr da oben! Fiat 500 Limousine

Der Sommer hat sich verflüchtigt und in der hessischen Wetterau – meiner Heimatregion – wird das Regendefizit der letzten Monate derzeit großzügig ausgeglichen.

Natur und Gärten reagieren sichtlich erfreut, doch schnell stellt sich nach ein paar Tagen ausgiebigen Regens und deutlicher Abkühlung beim Menschen Missvergnügen ein. Die politische Großwetterlage trägt ebenfalls nicht gerade zur Hebung der Stimmung bei.

Zu den Unwägbarkeiten und Grausamkeiten der militärischen Auseinandersetzung in der Ukraine gesellt sich in der hiesigen Politik eine Kombination von betonköpfiger Ideologie und bizarrer Inkompetenz, die sprachlos macht.

Was tun? Ich pflege zu sagen, dass jeder ein klein wenig selbst zum Zustand unserer Gesellschaft beiträgt. Zunächst gilt es, sich bei allem Zorn auf die in Berlin dilettierenden Spitzbuben (m/w/d) sich nicht die gute Laune verderben zu lassen.

„Euch werd‘ ich’s zeigen, Ihr da oben“, das mag der eine oder andere mit Blick auf anstehende Wahlen und Massenproteste denken. Ich beschränke mich hier darauf, die erfreulichen und beglückenden Dinge des Lebens nicht zu kurz kommen zu lassen.

Was das weite Feld der Vorkriegsautos angeht, bieten sich da zahllose Möglichkeiten. Ich habe mich heute für ein Exemplar entschieden, das wohl wie kaum ein anderes die Qualität besitzt, jedem nicht völlig abgebrühten Zeitgenossen ein Lächeln aufs Gesicht zu zaubern.

Dummerweise ist dies bei diesem Exemplar noch nicht ganz gelungen:

Fiat 500; Originalfoto von 1968 aus Sammlung Michael Schlenger

Dieser schnuckelige Fiat 500 in Limousinenausführung aus der zweiten Hälfte der 1930er Jahre war zum Aufnahmezeitpunkt (1968) nicht mehr ganz taufrisch, bot aber immer noch eine annehmbare und auch ästhetisch ansprechende Form der Mobilität.

Das galt zumindest so lange, wie die Kinder klein genug waren, um auf dem hinteren Notsitz des an sich als Zweisitzers konzipierten Wagens Platz zu finden.

Auf dem Papier erscheinen die 13 PS des 1936 vorgestellten Turiner Kleinstwagens arg wenig. Der gleichzeitig angebotene DKW F5 holte aus beinahe identischem Hubraum (600ccm) fast das anderthalbfache (18 PS).

Doch die Leistungentfaltung des Italieners mit seinem Vierzylinder-Viertakter war derjenigen des zweitaktenden Zweizylinders von DKW überlegen. Gut 85 km/h Spitze standen 80 Stundenkilometern gegenüber.

Zudem verfügte der Fiat über hydraulische Bremsen und 12 Volt-Elektrik – zusammen mit der Ganzstahlkarosserie waren das einige Pluspunkte gegenüber dem DKW. Nur beim Platzangebot und bei der Traktion (Frontantrieb) war letzterer überlegen.

Übrigens wurde der Fiat 500 auch in Deutschland gefertigt, und zwar im alten NSU-Autowerk in Heilbronn, das die Turiner 1929 erworben hatten. Dort entstand auch eine Variante, die in Italien nicht erhältlich war, nämlich eine Cabrio-Limousine:

Fiat 500; Originalfoto der frühen Nachkriegszeit (ab 1948) aus Sammlung Michael Schlenger

Diese in Deutschland gern gekaufte Ausführung ist am vorderen Verdeckabschluss über der Frontscheibe zu erkennen.

Als Besonderheit ist zu vermerken, dass diese Karosserie aus deutscher Produktion nach alter Väter Sitte noch auf einem Holzgerüst basierend und mit einem Kunstlederüberzug gefertigt wurde – ganz ähnlich wie die DKW-Fronttriebler übrigens.

Im Heilbronner Werk wurde außerdem ein hübscher Roadster auf Basis des Fiat 500 gebaut, von dem mir bislang noch keine zeitgenössische Aufnahme vorlieg. Vielleicht kann jemand damit dienen, das wäre mir glatt einen eigenen Blog-Eintrag wert!

Daneben gab es eine weitere, nunmehr wieder serienmäßige Variante aus italienischer Produktion, die ich noch nicht vorgestellt habe, die Rolldach-Limousine.

Kürzlich habe ich ein entsprechendes Foto erworben, das mir selbst den Ausruf erlaubt „Euch werd‘ ich’s zeigen!“, zumindest was die Vielfalt der Aufbauten beim Fiat 500 angeht.

Doch noch besser scheint mir hier die eingangs zitierte vollständige Fassung zu passen: „Euch werd‘ ich’s zeigen, Ihr da oben!“:

Fiat 500 Rolldach-Limousine; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Wir wissen nicht, wem dieser Herr neben dem Fiat mit Rolldach hier im Scherz zu drohen scheint. Doch unabhängig davon, wen er mit „Ihr da oben“ meinte, sollten wir uns unbedingt von seiner guten Laune anstecken lassen.

Ganz gleich, was einem gerade die berechtigte Zornesröte ins Gesicht treibt – der Anblick eines Fiat 500 aus der zweiten Hälfte der 1930er Jahre erinnert einen daran, dass der Mensch neben jeder Menge zerstörerischer Energie einen schöpferischen Impuls besitzt, der darauf abzielt, die Welt besser und auch schöner zu machen.

Im Zeitalter staatlich verordneten „Downsizings“ in mannigfaltiger Hinsicht gibt es für den erfindungsreichen Geist immer die Möglichkeit, Freiheit und Lebensqualität nicht zu kurz kommen zu lassen. Fortschritt besteht gerade nicht darin, sich angeblichen Notwendigkeiten zu unterwerfen, sondern sein Dasein besser und schöner zu gestalten.

Einst genügte für den „kleinen Mann“ bereits ein Fiat 500 dazu, um es „denen da oben zu zeigen“, die das Privileg des Individualtransports gern für sich reserviert hätten.

Wohl nie zuvor und nie danach wurde ein Kleinwagen geschaffen, der über primitiven Funktionalismus hinaus nicht nur technisch überzeugte, sondern zugleich ein rundherum dermaßen erfreulicher Anblick war.

Egal, was von den Großverdienern ganz oben gerade an Verzicht gepredigt wird, hinter solche zivilisatorischen Standards sollten wir als Kulturnation nicht zurückfallen – auch nicht, was die basisdemokratische Erfindung schlechthin betrifft: das schöne Automobil für jedermann!

Michael Schlenger, 2022. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

Mut zur Lücke: Ein Fiat 522 Cabriolet, oder?

Im Bereich der Automobilliteratur zu Vorkriegswagen deutscher Provenienz gibt es aus jüngerer Zeit einige eindrucksvolle Ergebnisse im Hinblick auf die Marken der Auto-Union sowie hervorragende Arbeiten einzelner Enthusiasten wie im Fall von Röhr oder Steiger.

Doch in der Breite tut sich seit der automobilliterarischen Blütezeit der 1970/80er Jahre in punkto Vorkriegsautos für meine Begriffe zu wenig hierzulande. Jahrbücher lassen Jahre auf sich warten, neue Markenbiografien werden nicht fertig, lang angekündigte Online-Typenübersichten bleiben unvollendet.

Dabei lässt sich doch im Netz der vorläufige Stand jederzeit darstellen und bei neuen Erkenntnissen ergänzen, korrigieren und vertiefen.

Genau das praktiziert Ferdinand Lanner in Bezug auf Fiat seit einigen Jahren und das Ergebnis seiner bisherigen Arbeit ist überwältigend – hier können Sie viele schlaflose Nächte zubringen, liebe Vorkriegsfreunde!

Das geht nur mit dem Mut zur Lücke und dem Willen, die Welt nach und nach an etwas teilhaben zu lassen, für das man brennt und das wohl niemals „fertig“ werden wird. Aber man muss einmal damit anfangen und nie war das einfacher als heute.

Illustrieren lässt sich das anhand von zwei Fiat-Fotos aus meiner Sammlung, die zwar Schwierigkeiten bei der Identifikation der abgebildeten Wagen aufwerfen, aber mit Mut zur Lücke doch eine plausible These erlauben, die sich dann bewähren muss oder auch nicht.

Los geht’s:

Fiat 522 Limousine; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Eine prachtvolle Werkstattaufnahme ist das, nicht wahr? Sie entstand 1935 im Raum Leipzig, soviel ist überliefert.

Aber was für ein Wagen ist darauf abgebildet? Der Mechaniker, der hier ein Datenblatt zu studieren scheint, wird es genau gewusst haben, steht uns aber nicht mehr zur Verfügung.

Wir Nachgeborenen sind daher auf unseren detektivischen Spürsinn angewiesen und letztlich auch auf den Mut zur Lücke.

Denn dummerweise ist die Kühlermaske mit einer kunstledernen Abdeckung versehen, an der in der kalten Jahreszeit eine Manschette angeknöpft wurde, welche den Luftdurchlass reduzierte und so bei Fehlen eines Thermostats für schnelles Warmwerden des Motors sorgte.

Welche Details liefern einen Hinweis auf die Identität des Wagens? Nach meiner Meinung vor allem die „geknickt“ verlaufende Zierleiste hinter der Motorhaube. Dieses markante Detail findet sich beispielsweise am Fiat 514 – einem 1929 eingeführten Vierzylindertyp:

Fiat 514; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Dieses misshandelte Exemplar kam in einem deutschen Schnulzenfilm zum Einsatz, den ich hier ausführlich gewürdigt habe.

Der Fiat 514 besaß jedoch eine gerade Scheinwerferstange und besaß auch keine so markant gestaltete Doppelstoßstange wie der Werkstattbesucher auf dem eingangs gezeigten Foto.

Allerdings hatte der Fiat 514 einen großen Bruder – den Sechszylindertyp 522 – der kurze Zeit später eingeführt wurde. Dieser war mit mittig ansteigender Stoßstange und einer geschwungenen Scheinwerferstange verfügbar, daneben wies er auch die „geknickte“ Zierleiste hinter der Motorhaube auf.

Scheibenräder besaßen beide Modelle, wobei es nach meinem Eindruck vom Baujahr oder der Ausstattung abhing, ob nur eine kleine Nabenkappe oder eine auch die Radbolzen abdeckende Radkappe montiert war.

Mit diesem oberflächlichen „Wissen“ ausgestattet nähern wir uns nun dem eigentlichen Gegenstand meines heutigen Blog-Eintrags an, welcher abermals Mut zur Lücke verlangt, aber einfach zu reizvoll ist, um länger im Fundus zu schlummern:

Fiat 522 Cabriolet; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Auf den ersten Blick würde man bei diesem 1935 bei Oberhof (Thüringen) abgelichteten Wagen wohl nicht auf einen Fiat tippen.

Doch der Steinschlagschutz mit den gepfeilten Streben täuscht. Dahinter verbirgt sich nach meiner Überzeugung ein Turiner Modell um 1930 – bloß welches?

Die Stoßstange ist schon einmal identisch mit derjenigen am oben vorgestellten Werkstatt-Fiat, den ich als Sechszylindertyp 522 ansprechen würde. Auf den Scheibenrädern finden sich nun die erwähnten großen Radkappen, die mir übrigens vor längerer Zeit auch die Identifikation des folgenden Wagens als Fiat (Typ 514) ermöglichten:

Fiat 514 Limousine; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Auch der erwähnte „Knick“ der Zierleiste hinter der Motorhaube findet sich wieder.

Doch dahinter beginnt „terra incognita“ – und wie einst Kolumbus auf dem Weg nach Indien muss man Mut zur Lücke haben. Vielleicht bekommt man ja auf der Reise ins Ungewisse irgendwann wieder festes Land unter die Füße.

Doch wird man auch ans erhoffte Ziel gelangen? Kolumbus musste bekanntlich einsehen, dass er sich mit seinem Mut zur Lücke auf dem Globus zwar gründlich verkalkuliert hatte, aber immerhin hatte er den Blick auf eine faszinierend neue Welt eröffnet.

Ist das am Ende auch bei diesem wunderbar gestalteten zweitürigen Cabriolet der Fall? Ich konnte zwar bislang keine Entsprechung finden, doch halte ich es für sehr wahrscheinlich, dass wir es mit einem Manufakturaufbau auf Basis eines Fiat 522 zu tun haben:

Ein dermaßen exquisites Cabriolet mit schräggestellter Frontscheibe und elegant geschwungenem unteren Türabschluss auf Basis eines Fiat um 1930 konnte ich bislang auch in Ferdinand Lanners Dokumentation der in Frage kommenden Typen nicht finden.

Meine Vermutung – Sie sehen, ich habe immer noch Mut zur Lücke – geht dahin, dass wir es bei diesem erlesen schönen Exemplar mit Berliner Zulassung um eine Sonderanfertigung einer deutschen Karosseriefirma zu tun haben.

Das stand zwar im Widerspruch zur Ausrichtung von Fiat auf Großerienproduktion, die bereits 1919 begann. Doch im Deutschland der Vorkriegszeit waren Automobile dieser Kategorie nach wie vor Luxusobjekte, die nur für einen sehr geringen Teil der Bürger überhaupt erreichbar waren.

Diese Kundschaft konnte sich oft auch einen nochmals wesentlich teureren Manufakturaufbau leisten – was übrigens auch bei vielen importierten US-Wagen zu beobachten ist, die in der Heimat reine Massenprodukte waren.

Was meinen Sie nun zu diesem Wagen? Liege ich richtig mit meiner Vermutung, oder habe ich mich mit meinem Mut zur Lücke doch zu weit hinaus gewagt ins Ungewisse? In letzterem Fall könnte ich aber doch immerhin Glück gehabt haben wie einst Kolumbus und auf etwas ganz anderes gestoßen sein als vermutet, aber was?

Nachtrag: Dem Hinweis von Leser Erhardt Schmidt folgend konnte ich ermitteln, dass der Fiat 522 tatsächlich auch im Heilbronner NSU-Werk als NSU-Fiat 10/52 PS (bzw. NSU-Fiat 2500) gefertigt wurde. Wagen aus der Heilbronner Fiat-Fertigung wurden gern auch mit deutschen Sonderkarosserien versehen (hier vermutlich von Drauz).

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Fit für ein paar Tage Urlaub im Süden: Fiat 501

Es ist bald Ende Mai und der Frühling zeigt sich wechselhaft. Da schleichen sich leicht Gedanken ein wie dieser: Was wäre, wenn man jetzt eine spontane Tour in den Süden unternähme, bevor der Sommer kommt und alle anderen auf die Idee kommen?

Die Pässe sind ja längst frei und in Italien hätte man die schönsten Gegenden und Sehenswürdigkeiten jetzt noch fast für sich.

So mag im Deutschland der 1920er Jahre vielleicht einer gedacht haben, der zu den wenigen Glücklichen zählte, die ein eigenes Auto besaßen, das einem die Freiheit zu solchen Abenteuern verlieh.

Unter diesen wenigen waren hierzulande erstaunlich viele, die auch noch den passenden Wagen für eine Italienreise besaßen – einen Fiat!

Speziell das 1919 neu eingeführte Modell 501 hatte auch in Deutschland rasch zahlreiche Käufer überzeugt. Die Turiner hatten nämlich das Kunststück vollbracht, aus einem 1,5 Liter „großen“ Vierzylinder absolut standfeste 23 PS herauszuquetschen.

Rasch gewann der Fiat international Renommee für Zuverlässigkeit und astronomische Laufleistungen. Während er heute in deutschen Landen völlig verschwunden zu sein scheint, findet man ihn und seinen ähnlichen großen Bruder 505 auf Vorkriegsautofotos ständig und in allen möglichen Erscheinungsformen.

Sogar Fotos von Serienwagen bei Sporteinsätzen finden sich, etwa dieses:

Fiat 501 oder 505 Tourer; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Was man dem Fiat abverlangen konnte, wurde aber erst bei leistungsgesteigerten Versionen deutlich, wie sie teils vom Werk angeboten wurden (Typ 501S mit 27 PS) oder in Eigeninitiative „frisiert“ wurden.

Ein solches von einem Amateurfahrer hergerichtetes Exemplar sehen wir wahrscheinlich auf dieser rasanten Aufnahme, die ich Leser Klaas Dierks verdanke:

Fiat 501 mit Sportkarosserie; Originalfoto aus Sammlung Klaas Dierks

Hier hat jemand zur Gewichtsreduzierung kurzerhand das Heck eines Fiat-Tourers entfernt zugunsten eines zweisitzigen Aufbaus, der am Heck bestenfalls noch Platz für das Reserverad ließ.

Wer Fiats des Serientyps 501 bei solchen fordernden Sportaktivitäten sah, wurde in der Überzeugung bestärkt, dass man mit so einem Wagen auch sonst einiges anstellen kann – etwa eine spontan erdachte Italientour!

Mancher hatte da in Gedanken schon das Gepäck zusammengestellt und zur Erinnerung eine Aufnahme vom Start gemacht – die könnte etwa so ausgesehen haben:

Fiat 501 oder 505 Tourer; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Doch irgendein Bedenkenträger mag zuvor dazu geraten haben, den Fiat erst einmal „fit“ machen zu lassen für die vorgesehenen Strapazen. Das sagte man zwar seinerzeit noch nicht so, aber gemeint war etwas in der Richtung.

Dafür bot sich ein Aufenthalt in einer Werkstatt des Vertrauens an, beispielsweise in der von Wilhelm Gruber, der nebenher auch noch Fahrlehrer war. Kurzerhand wird der Fiat dorthin gebracht, wo man sich mit allem Möglichen auskennt, wie das einst der Fall war.

Hier sehen wir den Wagen, bevor er auf Herz und Nieren geprüft wird.

Fiat 501 Tourer; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Offenbar steht der Fiat hier noch nicht im Mittelpunkt, erst will noch ein DKW-Motorrad verarztet werden.

Anschließend erhält der Fiat frisches Öl und bekommt einen Schmierdienst, außerdem neue Zündkerzen und einige Ersatzteile für unterwegs wie etwa einen Keilriemen. Die Reifen werden einer Sichtprüfung unterzogen, aber noch für gut befunden.

Für die Arbeiter in der Werkstatt, die sich um den Wagen bemüht haben, springt sogar noch ein Erinnerungsfoto heraus:

Fiat 501 Tourer; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Zweierlei ist hier zu erkennen: Zum einen besitzt dieser Tourer eine etwas verfeinerte Karosserie mit kühn geschwungenen Vorderkotflügel und ohne Trittbrett.

Zum anderen sind die „noch guten“ Reifen vorne mit unterschiedlichem Profil ausgestattet, doch das sah man damals nicht so eng.

„Fit“ gemacht präsentiert sich der Fiat jedenfalls anschließend dem Besitzer vor der Werkstatt von Wilhelm Gruber, bevor es losgehen konnte:

Fiat 501 Tourer; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Beherzt ging man nun die Tour in den Süden an, die unweigerlich großartige Aussichten erwarten ließ, wie sie nur im Alpenraum zu erleben sind.

Am Rande erkennt man dies an dem folgenden schönen Schnappschuss, der tatsächlich bei einer Alpenüberquerung eines Fiat 501 Tourers entstand, wenn auch nicht desselben, den wir soeben beim Werkstattaufenthalt gesehen haben.

Aber so eine Aufnahme ist dermaßen rar und faszinierend, dass ich sie einfach zeigen muss, denn so erlebten die Insassen einen Fiat 501 auf Alpentour:

Fiat 501 Tourer; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Die genaue Route überlasse ich Ihrer Phantasie, liebe Leser, denn jeder hat eine andere Lieblingsroute gen Süden.

Einen Anhaltspunkt gibt aber ein weiteres Foto – das auf wundersame Weise in diese Reihe aus unterschiedlichen Quellen passt.

So könnte nämlich einem Italienreisenden im Fiat 501 einst unterwegs ein Kamerad in Südtirol entgegenkommen sein.

Jedenfalls haben wir hier ein solches Exemplar mit Zulassung in Bozen, übrigens mit interessanter Zweifarblackierung:

Fiat 501 Tourer; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Da wir es nicht eilig haben – in Italien ohnehin eine Sünde – und der Fiat wie ein Uhrwerk läuft, machen wir nach der Alpenüberquerung erst einmal einen Abstecher nach Venetien.

Denn einmal im Leben sollte man doch eine der ältesten Traumstädte der Welt gesehen haben – Venedig.

Unterwegs dorthin – in der Nähe von Treviso, so ist es auf dem Foto umseitig vermerkt – begegnet uns ein weiterer Fiat-Tourer, doch leider diesmal arg lädiert.

Fiat 501 Tourer; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Gern würde ich nun in diesem Stil weitermachen und Sie mit weiteren solchen Zeugnissen immer weiter in den Süden locken.

Doch zwei Gründe sprechen dagegen: Der eine ist der, dass ich aktuell keine weiteren historischen Fotos von Fiats des Typs 501 aus noch südlicheren Gefilden habe (wer welche in seinem Fundus hat, bitte melden).

Der andere ist der, dass ich selbst morgen nach Italien aufbreche.

Und wie es der Zufall will, werde ich südlich des Veneto, wo wir zuletzt einen Fiat 501 gesehen haben, von Cesena aus ins Herz Italiens vorstoßen, über Cittá di Castello nach Umbrien, meiner zweiten Heimat südlich der Alpen.

Ob ich dort einem Fiat 501 begegne, das kann ich zwar nicht versprechen.

Doch weiß ich, dass es dort einen gibt, der dort schon immer zuhause war (mit Zulassung in Perugia) – nämlich eine Sportversion ähnlich der, die ich eingangs gezeigt habe:

Videoquelle: YouTube.com; hochgeladen von Laura Ferriccioli

Während ich eine runde Woche in Italien weile, ist zwar auch der Blog in Ferien, doch vielleicht mag unterdessen dieser Fiat 501 davon erzählen, wie „fit“ für den Süden so ein über 100 Jahre altes Auto sein kann…

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Antike und Moderne auf der Via Appia: Fiat 522

Vorkriegswagen verbindet man nicht gerade mit der Moderne – doch das ist nur eine Frage des Kontextes.

Die damalige Formensprache mutet aus heutiger Sicht altertümlich an. So gut wie nichts davon ist bis in unserer Zeit erhalten geblieben – außer Begriffen wie etwa dem Kotflügel, die ihre ursprüngliche Funktion und Form indessen längst verloren haben.

Eines aber hat sich unverändert gehalten, der Gedanke des Automobils schlechthin: Ein nahezu jedes Terrain bewältigendes autonomes Fahrzeug, welches Distanzen auf Stunden verkürzt, für die einst Tage oder gar Wochen zu veranschlagen waren.

Die damit verbundene Freiheit der Bewegung, die Überwindung von Topografie und Entfernung mittels eines unabhängigen Antriebs ist das eigentlich Moderne. Das wird spätestens dann deutlich, wenn man den historischen Maßstab anlegt.

Genau diese Erkenntnis vermittelt das Foto, welches ich heute vorstellen möchte. Darin treffen drei Welten aufeinander: die Antike, die christlich geprägte Epoche und die säkularisierte Moderne, deren Technik für viele eine eigene Magie besitzt.

Diese Moderne begegnet einem prinzipiell schon in den frühesten Automobilen, als diese noch ein Spielzeug einiger weniger sehr Betuchter waren. Das gilt etwa für den unbekannten Wagen, der um 1905 auf dieser Ansichtskarte abgelichtet wurde:

Ansichtskarte aus Ligurien (Verlag Brunner, Zürich und Como); Original aus Sammlung Michael Schlenger

Das Paar in dem Wagen war damals unterwegs im italienischen Ligurien auf der Küstenstraße, die von Santa Margherita Ligure nach Portofino führt. Der später so berühmte Hafenort war damals völlig unbedeutend, wenngleich er bereits in der Römerzeit existierte.

Wir bleiben, weil es so schön ist, in Italien und auch die alten Römer werden uns gleich wieder begegnen, auch wenn sie im vorliegenden Fall etwas mitgenommen aussehen.

Die Aufnahme, um die es geht, stammt aus einem mir vorliegenden Fotoalbum deutscher Reisender, die in den 1930er Jahren in Italien lebten und dort mit dem Automobil Fahrten vom Norden bis hinunter nach Kampanien unternahmen.

Autos spielen dabei immer wieder eine hübsche Nebenrolle, aber der eigentliche Reiz liegt in den fotografischen Dokumenten selbst, die nach bald 90 Jahren auch dann noch faszinieren, wenn man die Stätten selbst kennt – oder vielleicht gerade deshalb.

Die Aufbereitung dieses Schatzes wird einige Zeit in Anspruch nehmen, daher gibt es heute nur einen kleinen Vorgeschmack auf das, was einen erwartet:

Fiat 522 auf der Via Appia; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Jeder, der schon einmal Rom und Umgebung auf den Spuren der klassischen Antike bereist hat, wird diese im Juli 1937 festgehaltene Situation auf Anhieb erkennen:

Die Aufnahme entstand auf der berühmten Via Appia südlich von Rom, der ältesten der großartigen Römerstraßen, die auf dem Höhepunkt des Imperiums um 200 n. Chr. geschätzte 80.000 km umfassten.

Auf den ersten Kilometern außerhalb der spätantiken Stadtmauer Roms ist die Via Appia von Grabmälern bedeutender römischer Familien gesäumt, so auch hier.

In der Ferne sind die Albaner Berge zu erahnen, in denen seit der Antike vermögende Römer ihre Sommerlandsitze haben.

Nicht ganz unvermögend musste man auch sein, um sich mit dieser großen Fiat-Limousine umherkutschieren zu lassen:

Dabei handelt es sich sehr wahrscheinlich um das Sechszylinder-Modell 522, das Anfang der 1930er Jahre den Typ 521 ablöste.

Die Motorisierung war mit gut 50 PS aus 2,5 Litern Hubraum weitgehend unverändert geblieben. Mit hydraulischen Bremsen und Synchronisierung der oberen Gänge war der Fiat 522 jedoch zweifellos moderner und auch optisch hatte man ihn behutsam weiterentwickelt.

Speziell die großen Radkappen finden sich erst beim 522 (und beim parallel angebotenen Vierzylindermodell 514). Unterschiedliche Radstände erlaubten eine Vielzahl von Aufbauten, hier haben wir eine großzügige Sechsfenster-Limousine.

Mit dieser kommoden Fortbewegungsform scheint hier auch die von Berufs wegen eigentlich der Bescheidenheit verpflichtete Ordensfrau zufrieden gewesen sein.

Die Dame ohne Kopf links von ihr ist eine altrömische Statue, die mit Christenleuten bereits in der Spätantike Kontakt hatte – allerdings auf weniger friedliche Weise.

Nachdem das Christentum im römischen Reich Staatsreligion geworden war, vergaß es nämlich prompt seine eigenen friedfertigen Wurzeln und ging mit äußerster Aggressivität gegen sämtliche Traditionen vor.

Christliche Fanatiker zerstörten binnen kurzer Zeit nicht nur die großen städtischen Bibliotheken, weshalb schon um das Jahr 500 über 90 % der antiken Literatur verloren waren, sondern schlugen nahezu allen Statuen auch weltlichen Charakters die Köpfe ab.

Im christlichen Umfeld entstanden viel später unzweifelhafte Meisterwerke wie die gotischen Kirchenbauten oder Bachs geistliche Musik, doch machen sie die ungeheuren Verluste an Weisheit, Wissen und Kunst der Antike nicht annähernd wett.

So kommt es, dass mir heute auf dieser Aufnahme die antike Via Appia und der die aufgeklärte Moderne repräsentierende Fiat 522 am liebsten sind.

Kein römischer Kaiser und kein sich christlich gebender Herrscher verfügte annähernd über die phänomenale Bewegungsfreiheit, die das Automobil frühzeitig ermöglichte und die heute jedermann zur Verfügung steht.

Diese technische Revolution hat vielleicht mehr Freiheit geschaffen als fast jede andere – ihre Errungenschaften sind in unseren Tagen allerdings erneut von fanatischen Predigern des Verzichts bedroht…

© Michael Schlenger, 2022. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

Facelift kurz vor dem Krieg: Fiat 1100 „Musone“

Heute beschäftige ich mich nach langer Zeit wieder einmal mit einem Wagen der Vorkriegszeit, zu dem ich eine besondere Beziehung habe – dem Fiat 1100, der 1937 eingeführt wurde.

Der modern gezeichnete Wagen der unteren Mittelklasse wurde ab 1938 auch im alten NSU-Werk in Heilbronn gebaut und entsprechend als „NSU-Fiat“ verkauft.

Das Auto mit seinem anfänglich 32 PS leistenden Vierzylinder war wie in Italien ein großer Erfolg und man findet ihn häufig auf Vorkriegsfotos aus deutschen Landen – zu denen damals bekanntlich auch Österreich gehörte.

Hier haben wir einen NSU-Fiat 1100 mit Wiener Kennzeichen, der im Sommer 1939 – kurz vor Beginn des 2. Weltkriegs – eine Reise nach Italien unternahm:

NSU-Fiat 1100 in Italien (1939); Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Man findet diesen Wagen mit seiner gefälligen Kühlerpartie auch nach dem 2. Weltkrieg noch sehr zahlreich – kein Wunder bei rund 60.000 (!) gebauten Exemplaren zwischen 1937 und 1939.

Einige solcher Überlebenden habe ich bereits bei anderer Gelegenheit gezeigt (etwa hier).

Heute kann ich eine „neue“ Aufnahme“ zeigen, die sich in zweierlei Hinsicht davon unterscheidet. Zum einen ist dieses Foto in Rumänien entstanden, wie der umseitigen Beschriftung zu entnehmen war:

Fiat 1100 in den 1950er Jahren; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Zum anderen war dieses Exemplar kein in Deutschland gefertigter NSU-Fiat, sondern stammte direkt aus dem Turiner Werk – zu erkennen am vorderen Anschlag der Türen. Die 1100er Fiats aus Heilbronn besaßen als Limousine eine „Weinsberg“-Karosserie mit hinten angeschlagenen Türen.

Einen Aufbau von Weinsberg hat auch mein 1964er NSU Fiat 1100, der zwar der damaligen Mode folgend ganz anders aussieht, aber unter dem Blech im Wesentlichen noch die Vorkriegstechnik besitzt (Foto des Wagens am Ende des Beitrags hier).

Da der unrestaurierte Wagen erst rund 35.000 km gelaufen ist, vermittelt der Motor einen unmittelbaren Eindruck von den hervorragenden Qualitäten dieses Vorkriegsaggregats.

Im Leerlauf kaum hörbar, geschmeidig hochdrehend ohne nennenswerte mechanische Geräusche und für eine so alte Konstruktion von bemerkenswerter Lebhaftigkeit. Der Motor mag gedreht werden, ohne angestrengt zu wirken – in den 1930ern die Ausnahme.

Zurück zum „Original“. Wer jetzt eine meiner von einigen Lesern geschätzten Betrachtungen des Personals auf obiger Aufnahme erwartet, wird enttäuscht sein. Heute steht mir der Sinn nach anderem.

Der so erfolgreiche Fiat 1100, der in Deutschland mit dem beliebten Ford Eifel konkurrierte, erhielt noch kurz vor dem Krieg ein „Facelift“, das weniger bekannt ist und das auf den ersten Blick einen gestalterischen Rückschritt darstellte.

Dabei scheint man sich ausgerechnet bei Ford einiges abgeschaut zu haben:

Fiat 1100 ab 1939; originale Abbildung aus unbekanntem Magazin (Sammlung Michael Schlenger)

Der zuvor stromlinienförmige Kühlergrill wich dabei einer keilförmigen Ausführung, wie sie zuerst beim bahnbrechenden Ford V8 zu sehen war und auch von anderen Marken übernommen wurde – Renault etwa.

Der italienische Volksmund gab diesem Facelift des Fiat 1100 den Beinamen „musone“.

Das Wort ist verwandt mit „muso“, was sich mit „Schnute“ übersetzen lässt. „Fare il muso“ bedeutet soviel wie „eine Schnute ziehen“ oder auch „schmollen“. Ein „musone“ ist jemand, der „ein Gesicht zieht“ – also etwas sauertöpfisch dreinschaut.

Missgelaunt dürfte auch dieser Fiat 1100 gewesen sein, der im Jahr 1943 einer italienischen Militäreinheit dienen musste. Immerhin scheint er aber eine eigene Garage und sogar Personal gehabt zu haben:

Fiat 1100; Abbildung aus „Motor & Sport“, Januar 1943 (Original aus Sammlung Michael Schlenger)

Übrigens wurde der Fiat 1100 mit der „musone“-Frontpartie den ganzen Krieg über weitergebaut. Bis 1948 das nächste Facelift anstand, wurden nochmals über 50.000 Exemplare produziert (Quelle). Ich wüsste kein anderes Auto, das auf dem europäischen Kontinent damals in solchen Stückzahlen entstand.

So kommt es, dass auch diese Variante des Fiat 1100 nach dem Krieg noch häufig anzutreffen war. Und nun kann ich auch mit echten Fotos aufwarten, nicht nur mit zeitgenössischen Abbildungen aus Magazinen.

Hier haben wir einen Fiat 1100 „musone“, der 1957 in Rom vor der „Stazione Termini“ abgelichtet worden war, welche eine bemerkenswerte Kreuzung aus Neoklassizismus und Moderne darstellt:

Fiat 1100 in Rom (1957); Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Interessant ist dieses Fahrzeug insoweit, als es sich um eine viertürige Limousine mit sechs Seitenfenstern handelt – das war die auf verlängertem Chassis gebaute Taxiversion!

Die Bezeichnung „1100 AL“ unterschied diese Ausführung vom „normalen“ Fiat 1100 L. In Deutschland wurden beide meines Wissens nie verkauft, weshalb es nicht ganz einfach ist, hierzulande an entsprechende Originalfotos heranzukommen.

Doch ist in solchen Fällen Verlass auf deutsche Urlauber, die ab 1950 sich auf’s Neue Italien zu erobern begannen, das nach der Kapitulation des einstigen Verbündeten 1943 während des deutschen Rückzugs schwer gelitten hatte – unter brutalen Vergeltungsaktionen gegen Zivilisten wie rücksichtslosen Bombardierungen durch die Alliierten.

Jedenfalls drückte ein deutscher Reisender Anfang der 1950er Jahre für uns in Mailand genau im richtigen Moment auf den Auslöser:

Fiat 1100 AL (Taxiversion); Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Aus eigener Erfahrung weiß ich, dass man für eine dermaßen perfekte Momentaufnahme viel Geduld und etliche Versuche benötigt.

Zwar lässt die Schärfe etwas zu wünschen übrig – aber herrje, es soll Leute geben, die auch im 21. Jahrhundert keinen solchen Schnappschuss hinbekommen.

Hier ist alles versammelt, was die Mobilität im Italien der frühen Nachkriegszeit ausmacht.

Ganz links eine Vespa in der ersten Ausführung mit Scheinwerfer auf dem Kotflügel („faro basso“, vor 1953), dann Fahrräder ohne Gangschaltung, rechts ein Leichtkraftrad mit typisch italienischer eleganter Linienführung.

Und genau durch die Mitte rauscht wie bestellt ein Fiat 1100 in der Taxiausführung „AL“!

Das war’s von meiner Seite für heute zum Fiat 1100 in der letzten Vorkriegsausführung.

Wer nun immer noch nicht genug hat, kann hier einsteigen auf eine kleine Zeitreise im Fiat 1100 E von 1950, der noch fast dem „musone“ entspricht.

Schauen Sie von Anfang an genau hin – es gibt einiges Erbauliches zu sehen auf dieser Runde…

Videoquelle: Youtube; hochgeladen von Bonfanti Garage

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Große Klasse, krasse Kontraste: Fiat 512 Landaulet

Mein heutiger Blogeintrag steht auf den ersten Blick im krassen Kontrast zur Weihnachtszeit, in der man sich mit Kerzen, Innerlichkeit und Gemütlichkeit über die düstere Zeit der kürzesten Tage hinweghilft.

Das ist alles sehr erbaulich und gesellig, dafür muss man nicht einmal dem christlichen Glauben anhängen. So sympathisiere ich mit den Anhängern des spätrömischen Kultes des Sonnengotts, dessen Geburt zufällig ebenfalls am 25. Dezember gefeiert wurde.

Dieser Sol Invictus repräsentierte den Sieg des Lichts und des Lebens über das Dunkel und den Tod – und ist damit auch der Schöpfer der starken Kontraste, die wir auf alten Schwarz-Weiß-Aufnahmen hochsommerlicher Szenen so schätzen.

Und so ist meine Weihnachtsgabe für die Leser meines Blogs dieses Jahr eine Erinnerung an die Lust am Leben und das Strahlen des Sommers – sowie die große Klasse von Vorkriegsautomobilen, die vor allem im Licht des Südens ihre Magie entfalten:

Fiat 512 Landaulet; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Große Klasse und krasse Kontraste sind auf diesem Dokument aus meiner Sammlung auf vollkommene Weise vereint, das 1927 irgendwo in Italien entstand und im Fotoalbum deutscher Reisender die letzten fast 95 Jahre überdauert hat.

Krass ist mit Sicherheit der Kontrast der majestätischen Erscheinung dieses Fiat zu dem Image, welches die Marke in unseren Tagen besitzt.

Als Besitzer eines Fiat 1100 von 1964 weiß ich die Qualitäten von Turiner Schöpfungen der Nachkriegszeit zwar zu schätzen. Doch eine derartig große Klasse wie der Wagen auf diesem Bild erreichte Fiat nur in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts und deshalb lohnt sich die Beschäftigung mit der Vorkriegsproduktion immer wieder.

Wer meinem Blog schon länger folgt, erinnert sich vielleicht an die Aufnahme eines auf den ersten Blick ganz ähnlichen Fiat (Porträt hier):

Fiat 519 Coupé de Ville; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Dieses grandiose Automobil wurde in der ersten Hälfte der 1920er Jahre auf einem Concours d’Elegance irgendwo in Deutschland aufgenommen.

Das Erscheinungsbild lehnte sich an den 12-Zylinder-Typ 520 „Superfiat“ von 1921 an, der mit 90 PS aus 6,8 Litern Hubraum damals mit Rolls-Royce konkurrierte. So vergessen wie diese Großtat sind die Sechszylindermodelle, die Fiat daraus ableitete.

Eines davon – der ab 1922 gebaute Typ 519 mit 75 PS – ist sehr wahrscheinlich auf obigem Foto zu sehen. Er wurde in einer etwas modernisierten Version bis 1927 gebaut und bekam 1926 einen „kleinen“ Bruder zur Seite gestellt – den Fiat 512.

Seine Frontpartie unterschied sich geringfügig von der des großen Sechszylinders, wenngleich dem Grundsatz nach die gleiche klassische „Architektur“ zu besichtigen ist:

Die gigantischen Scheinwerfer und die riesigen Reifen stehen in krassem Kontrast zur Größe des Fahrers dieses Wagens, der uns hier selbstbewusst und glänzend aufgelegt entgegenblickt.

Er könnte glatt ein Cousin des legendären italienischen Rennfahrers Tazio Nuvolari sein, der zwar ebenfalls eher kleinwüchsig war, aber mit seiner Erscheinung eine enorme Präsenz entfaltete, nicht nur am Volant.

Die Damen unter meinen Lesern werden vielleicht bestätigen können, dass wir es mit einem gutaussehenden Mann zu tun haben, dessen makelloser Aufzug auf ebensolche Manieren schließen lässt (was von Heiratsschwindlern regelmäßig ausgenutzt wird…).

Man beachte den Kontrast des braungebrannten Gesichts und der Hände zu dem in der Sonne gleißenden doppelreihigen Staubmantel, unter dem sich ein blütenweißes Hemd nebst Krawatte verbirgt.

Die Schirmmütze weist diesen Mann als angestellten Fahrer aus und der Koffer auf dem Beifahrersitz spricht dafür, dass er an diesem Tag Reisende als Fahrgäste hatte.

Sie hatten den mächtigen Wagen nebst Fahrer wohl für einige Tage gemietet, um sich irgendwo in Oberitalien umzusehen. Vermutlich war es ihnen gleichgültig, dass der rechte Vorderreifen des Fiat heillos abgenutzt war – die Spitzengeschwindigkeit von 100 km/ des Typs 512 wird dieser mit Passagieren kaum gefahren sein.

Selbige Insassen stehen leider in krassem Kontrast zu dem in strahlendes Licht getauchten und gut gelaunten Fahrer:

Bei diesem Damen wird es sich um die deutschen Fahrgäste handeln, die – soweit erkennbar – leider nicht in dem Maß „bella figura“ machen, wie das ihren Geschlechtsgenossinnen im Süden von den Göttern mit auf den Weg gegeben wurde.

Der sympathische und bestens gelaunte italienische Fahrer im Freien, die zahlenden und nicht sonderlich gut aufgelegten Kunden aus dem Norden im Passagierabteil dieses Landaulets – krasser könnte der Kontrast kaum sein.

Doch an der großen Klasse dieses Fiats ändert das nichts und auch nichts daran, dass die Beschäftigung mit den Schöpfungen unserer Altvorderen auch in unseren Zeiten mühelos ein Lächeln auf die Lippen zaubert, während viele Hersteller längst verschwunden oder ein bloßer Schatten ihrer selbst sind.

In diesem Sinn wünsche ich meinen Lesern, dass es ihnen gelingt, sich über das Weihnachtsfest hinaus den Sinn für die schönen Dinge des Lebens zu bewahren und mit unerschütterlicher Zuversicht und guter Laune dazu beizutragen, unsere Welt ein wenig besser zu machen.

© Michael Schlenger, 2021. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

„Die heißen Vier“ – und ihr Fiat 514

Ich will es gleich zugeben: Der Titel meines heutigen Blog-Eintrags gehört nicht zu meinen besten Einfällen – das liegt aber daran, dass er nicht von mir stammt. Jedoch passt er so perfekt, dass ich keine Zeit damit verschwenden wollte, mir einen besseren auszudenken.

„Die heißen Vier“ – was – oder besser: wer – könnte sich dahinter verbergen? Haben sich „Die Drei von der Tankstelle“ zwischenzeitlich vermehrt oder sind vielleicht „Vier warme Brüder“ gemeint, die heute politisch korrekt etwas anders heißen?

Weit gefehlt, eigentlich kann man nur auf Umwegen darauf kommen, so abwegig ist das Ganze. Im vorliegenden Fall führt uns der Weg zunächst zurück in die Vorkriegszeit und dann über italienische Landstraßen dorthin.

Das Fahrzeug unserer Wahl auf dieser Tour ist ein alter Bekannter, der einst jeden Alpenpass nahm, auch wenn er nur 28 PS unter der Haube hatte – der Fiat 514 von 1929:

Fiat 514 Limousine; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Dieses wackere Exemplar mit der siegessicher zum Gipfel deutenden Dame habe ich vor längerer Zeit hier vorgestellt. Dabei hatte ich auch anhand eines Bildausschnitts ausgeführt, woran man das Modell erkennen kann.

Was auf obiger Aufnahme nur ansatzweise zu sehen ist – aber ausreichend, um den Typ zu identifizieren – kann man auf einem weiteren Foto aus ungewohnter Perspektive besichtigen. Dieses entstand einst irgendwo im deutschen Mittelgebirge:

Fiat 514 Tourer; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Diese offene Version entspricht schon sehr weitgehend dem Fahrzeug, das ich heute anhand eines kuriosen Dokuments vorstellen kann.

Das entscheidende Element ist die Gestaltung der Mittelpartie der Motorhaube – mit einem nach hinten breiter werdenden „Steg“, dessen getrepptes Profil die Chromzierleiste akkurat nachvollzieht, welche das hintere Ende der Haube markiert.

Dieses Detail findet sich – zusammen mit der ebenfalls gestuften Kante der Haube, die sich bis zur Frontscheibe fortsetzt – am besagten Fiat 514, welcher den Typ 503 beerbte und mit fast 40.000 Exemplaren kaum weniger erfolgreich war als dieser.

Kein Wunder, dass davon etliche auch am deutschen Markt Käufer fanden und einige sogar den 2. Weltkrieg überlebten – dieses Exemplar beispielsweise:

Fiat 514; originales Kinoaushangfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Moment einmal, kommen die kolorierten Fassungen solcher Fotos nicht normalerweise erst am Ende? Nun im vorliegenden Fall ist das Original bereits in Farbe gehalten und hier sieht man einmal, wie mäßig frühe Coloraufnahmen oft noch waren.

Übrigens: Besagte „Heiße Vier“ sind auf dieser Aufnahme zusammen mit dem Fiat zu sehen – ich komme darauf zurück.

Dass man bei dem Auto vielleicht nicht gleich an einen Fiat denkt, mag an der „Kriegsbemalung“ liegen – speziell den in weiß aufgepinselten Haubenschlitzen. Die Identifikation erschwert hat auch das Fehlen der Radkappen, aber die Nabenform ist typisch genug, um zusammen mit der übrigen Gestaltung einen Fiat 514 in Betracht zu ziehen.

Neben dem erwähnten Profil der Motorhaube und der Abschlussleiste passt auch die Form des nach unten etwas breiter werdenen Kühlers mit derm eingerahmten Öffnung für die (nur in Notfällen benötigte) Anlasserkurbel.

Kenner von Vorkriegs-Fiats könnten jetzt einwenden, dass es sich hier auch um das größere Schwestermodell 520 handeln könnte, das einen 6-Zylindermotor und einen längeren Radstand aufwies, aber formal ansonsten nahezu identisch ausfiel.

Ein kleines Detail spricht aber aus meiner Sicht für den kompakteren Fiat 514 – das trommelfömige Gehäuse, das auf der Innenseite des Kotflügels am vorderen Ende zu sehen ist. Darin verbarg sich nämlich ein klassischer Reibungsstoßdämpfer, während der Typ 520 über modernere hydraulische Stoßdämpfer verfügte.

Was ist jetzt aber mit den „Heißen Vier“? Tja, diesen Namen hatte sich die deutsche Musikertruppe gegeben, die einst mit ihrem Fiat 514 nach Italien reiste, um dort ihre gewiss lang ersehnte Kunst darzubieten.

Das klingt so haarsträubend, dass man das nur einem Unterhaltungsfilm der 1950er Jahre zutrauen würde – und genau so verhielt es sich. 1954 kam ein Schinken mit dem Titel „Gitarren der Liebe“ in die Kinos des allmählich wieder dem Schutt entsteigenden Deutschlands. Das heute vorgestellte Foto diente einst als Kinoaushang zu diesem Film.

Besetzt hatte man das Werk mit „Größen“ wie Harald Juhnke – den ein Spaßvogel später einmal als „deutschen Frank Sinatra“ bezeichnen sollte – und dem schweizerischen Aushilfs-Italiener Vico Torriani – der mindestens so hölzern agierte wie die germanischen Kollegen.

Immerhin waren die weiblichen Rollen ansehnlich besetzt – ansonsten taten die Bilder der südlichen Landschaft ihre Wirkung. Gedreht wurden die Außenaufnahmen im Umland von Genua (Liguren), speziell im eleganten Hafenort Santa Margherita Ligure.

Ein eigenes Bild von diesem cineastischen Opus kann man sich in der originalen Filmvorschau machen.

Dort kommt der Fiat ab 3:01 min zusammen mit der überaus ansehnlichen Elma Karlova ins Bild. Ab 2:19 min ist er dann in voller Fahrt zu sehen – wenn man das wirklich peinliche Geträller zuvor überstanden hat, eine verdiente Belohnung:

Videquelle: Youtube.com; hochgeladen von: TrailerTrackerClassic

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Ein Hauch von Luxus: Fiat 508 „Spider“

Ein Fiat 508 in der 1932 vorgestellten Erstausführung ist nicht gerade das, was man landläufig mit Luxus verbindet.

Zwar stellte für den Großteil der Menschen außerhalb der Vereinigten Staaten damals jedes Automobil einen Luxusgegenstand dar. Doch innerhalb der Autohierachie war der Fiat 508 mit seinem 20 PS leistenden 1 Liter-Motor recht weit unten angesiedelt.

Jedoch verstanden die Turiner es schon damals, auch einen Wagen der unteren Mittelklasse ausgesprochen schmuck daherkommen zu lassen – zumindest in der Version als offener Zweisitzer, die offiziell tatsächlich die Bezeichnung „Spider“ trug.

Warum ausgerechnet italienische Wagen dieses Typs bis in die Nachkriegszeit häufig diesen englischen Namen trugen, kann vielleicht ein Leser erklären. Im Fall des Fiat 508 „Spider“ fiel das Ergebnis jedenfalls ziemlich ansehnlich aus:

Fiat 508 „Spider“; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Dieses schöne Exemplar mit Nachkriegszulassung in der sowjetischen Besatzungszone (Raum Leipzig) habe ich vor bald fünf Jahren bereits präsentiert (hier).

Das Fahrzeug dient mir als Referenz bei der Besprechung eines weiteren Fiat 508 „Spider“, der im Detail etwas weniger opulent mit Chrom geschmückt ist, aber auch in der Basisversion durchaus einen Hauch von Luxus besitzt.

Halten wir zunächst die Ausstattung des nach dem Krieg in Ostdeutschland weiterbenutzten Wagen fest:

Am ehesten ins Auge fällt das verchromte Steinschlaggitter vor dem Kühler mit dem Schriftzug „Balilla“ – das war der zeitgenössische Beiname aller 508-Modelle. Ebenfalls verchromt sind Scheinwerfer, Stoßstange und Frontscheibenrahmen.

Auch die Radkappen auf den filigranen Drahtspeichenräder dürften mit Chrom beschichtet gewesen sein. Dasselbe trifft auf die Seitenscheibenrahmen zu.

Alle diese Elemente waren kennzeichnend für die Luxusausstattung des Fiat 508 Spider, wie sie in der deutschsprachigen Verkaufsbroschüre beschrieben wird, die Ferdinand Lanner auf seiner vorbildlichen Fiat-Website hochgeladen hat.

Nun zum Vergleich ein „neues“ Foto desselben Typs, das uns unübersehbar in die Vorkriegszeit zurücktransportiert.

Fiat 508 „Spider“; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Dieser einst in München zugelassene Wagen muss nicht nur ohne das prächtige Steinschlaggitter auskommen, ihm fehlen auch die Seitenscheiben mit Chromrahmen – stattdessen sorgen hier Steckscheiben für notdürftigen Schutz bei Wind und Regen.

Wie es scheint, bringt der Herr auf der Fahrerseite gerade eine dieser Scheiben an, die aus Zelluloid bestanden und in einen mit Kunstleder bespannten Rahmen eingesetzt waren.

Soweit passt das Erscheinungsbild zur Basisversion. Doch eigentlich müsste bei dieser auch die Frontscheibe schlichter ausfallen und keine Stoßstange montiert sein. Auch wären lackierte Scheinwerfer zu erwarten gewesen.

Ich erkläre mir das damit, dass die Luxusversion das volle Programm an Chrom- und Komfortzubehör umfasste, während die Basisausführung auf Wunsch um das eine oder andere dieser Extras aufgestockt werden konnte.

So wird ein Käufer aus der Großtadt München auf jeden Fall eine Stoßstange geordert haben, um den Schaden bei Parkremplern oder Auffahrunfällen in Grenzen zu halten. Die ausstellbare Frontscheibe dürfte ihm ebenfalls willkommen gewesen sein.

Ein Hauch von Luxus ließ sich auf diese Weise auch bei einem Budget realisieren, für das die Luxusversion außer Reichweite lag. Das Ergebnis war ein charmanter offener Zweisitzer, der sich von gängigen deutschen Wagen abhob und doch alle Vorteile eines Großserienherstellers bot.

Während der nur zweijährigen Bauzeit fertigte Fiat über 40.000 Exemplare des Typs 508 „Balilla“ – die Stückzahl der „Spider“-Version dürfte freilich überschaubar gewesen sein.

Auch heute verströmt der hübsche Wagen noch einen Hauch von Luxus, wie dieses geschmackvoll restaurierte Exemplar aus Italien beweist:

Videoquelle: YouTube.com; hochgeladen von: TheDubischeggia

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